Johann Most - Proletarischer Urbrei
Das ist der Stoff, in welchem neuerdings in Amerika ganz gewaltig gequirlt wird, respektive werden soll.
Eine "einheitliche Arbeiterpartei" will man gründen - gewiß ein löbliches Beginnen. Aber--aber! Wenn man den Kapitalisten vorschlagen würde, solch' eine Einheitlichkeit im Hinblick auf ihre Interessen zu etablieren, so würden sie bersten vor Lachen, denn bei aller Konkurrenz, welche sich ihre amtlichen Bahulken untereinander parteienmäßig (des Boodels wegen)machen; aller wirtschaftlichen gegenseitigen Halsabschneiderei ungeachtet, weiß nämlich jeder Kapitalist ganz von selbst, welche Haltung er dem Proletariat gegenüber einzunehmen hat.
Die Arbeiter aber - nun, denen muß man erst wie halbkrepierten Gäulen zureden, wenn sie merken sollen, daß und wieso sie elende, erbärmliche Knechte sind und seitens ihrer Bosse wie Packesel be-, respektive mißhandelt und ausgeschunden werden.
Hat man ihnen agitatorisch Rippenstöße genug gegeben und sie aus ihrer Schlafsucht einigermaßen aufgescheucht, so werden sie "organisiert", daß Gott erbarm'. In der Regel nur zur höheren Ehre irgendeines ihnen intellektuell überlegenen Scharlatans, der ihnen das ohnehin schon abgezogene Fell nochmals extra gerbt, sie das ganze Jahr hindurch zum Narren hält, bei Wahlen verschachert und gelegentlich ihrer Zusammenstöße mit dem Kapital, gegen Cash verrät.
Und damit der diesbezügliche Hexensabbat ein vollständiger sei, wurden bisher keineswegs die gesamten Massen einheitlich zusammengefaßt, sondern es wurden alle erdenklichen Zentralisationen, Föderationen und sonstigen Verbände ins Leben gerufen, welche samt und sonders alle Augenblicke gegeneinander ausgespielt wurden, wie man erst jüngst wieder - bei der großen Chicagoer Affaire - deutlich genug, mit Ekel, beobachten konnte.
Das soll nun anders werden. Es soll eine "große, allgemeine Arbeiterpartei" gegründet werden. Dieselbe soll alle Organisationen umfassen, welche auf dem Gebiete der amerikanischen Arbeiterbewegung vorhanden sind. Debs soll der unmittelbare Betreiber dieses Planes sein.
Dieser Mann, welcher ohne Zweifel ein beträchtliches Talent zum Organisieren hat, ist nicht der erste und nicht der einzige, welcher solches anstrebt. Erfolg wird er aber entweder keinen haben, oder es wird derselbe in einem ungeheuren prinzipiellen Rückgang der Arbeitersache bestehen.
Es ist ja eine wahre (speziell amerikanische) Sauerei, daß über eine einheitliche Arbeiterbewegung überhaupt erst debattiert werden muß. In keinem anderen Lande der Welt könnte derartiges vorkommen, wenn auch überall rechte und linke Flügel existieren. Aber künstlich läßt sich die Zerfahrenheit, welche da existiert, nicht beseitigen. Da muß erst eine prinzipielle und taktische Klärung geschaffen werden.
Was immer ohne diese Vorbedingungen Zustandekommen mag, kann nichts anderes sein, als ein fauler Kompromiß zwischen jenen abgefeimten Schuften (fast samt und sonders im engsten Zusammenhang mit den alten Parteien), die an der Spitze der verschiedenartigsten Arbeiter-Pools,-Trusts und -Ringe (sogenannten Verbänden, Föderationen usw.) stehen, und die lediglich die Absicht haben können, sich gegenseitig über die Ohren zu hauen, ihren Einfluß zu Gunsten ihrer speziellen Machereien zu erweitern und die Arbeiter mehr als je zu Wahl- und Streikzeiten über den Löffel zu barbieren.
Ähnliches ist hierzulande schon öfter dagewesen und hat jedesmal ein dreckiges Ende genommen. Diesmal kann nichts anderes dabei heraus kommen. Der ganze populistisch-trades-unionistisch-ritterlich-sozialistische- etc.-Urbrei kann im höchsten Falle dahin führen, daß bei Wahlen die allerkonservativsten Pinsel auf den Schild erhoben und (zu Ausverkaufszwecken) als wahre Jakobe hausiert werden. Daran kann weder die sozialdemokratische noch die rein gewerkschaftliche Gegenströmung etwas ändern. Wer bei dem allgemeinen Kuddelmuddel nicht strikt mitmacht, wird einfach an die Wand gedrückt - Grund genug für unsereinen (abgesehen von unserer anderweiten wohlmotivierten und unerläßlichen Separatstellung) die Finger von dem Gehundsfötte zu lassen.
So sehr auch wir es daher für wünschenswert halten, daß endlich auch in Amerika eine Arbeiterbewegung (wir sagen nicht der Partei, denn das klingt schon mehr wie Herden-Pferche) zustande komme, deren einzelne Bestandteile nach gesundem Menschenverstande, nach Lage der Sache und in konsequenter Logik des Kampfes harmonisch zusammen arbeiten - - über die jetzige diesbezügliche Projektenmacherei müssen wir ganz entschieden den Stab brechen. Alle diese Personagen, welche daran beteiligt sind (Debs mit eingeschlossen) flößen uns nicht das mindeste Vertrauen ein. Deren bisheriges Tun und Lassen war ein unstichhaltiges, zum Teil sogar äußerst verdächtiges, und was ihre Intelligenz anbelangt, so erwies sich dieselbe, genauer besehen, unter allem Nachtwächter. Ja, wir sagen es ganz offen heraus -: wenn die Arbeiter Amerika's hinsichtlich ihrer Bestrebungen eine gesunde, gemeinsame Operations-Basis sich geben wollen, so müssen sie vor allen Dingen alle diese Suckers, Verräter, Schufte und Schafsköpfe, welche bisher ihre Führer waren, zum Teufel jagen. Mindestens müssen sie alle gegenseitigen Verhandlungen, Abmachungen usw. über die Köpfe derselben hinweg betreiben.
Diese politische, sehr politische Aktion allein aber würde noch durchaus nicht genügen, ein wünschenswertes Resultat herbeizuführen, denn der Quatschkopfismus, die Kafferei und das Lumpacivagabundentum sind auch außerhalb der amerikanischen Führerkreise äußerst stark vertreten. Es muß erst einmal der eigentliche Charakter der Arbeiterbewegung im Allgemeinen voll und ganz begriffen sein.
Man muß sich darüber ins Klare kommen, daß die bloße "politische (Stimmzettel-) Aktion" absolut "für die Katz" wäre, da es offenbar wenig verschlägt, ob die übrigen armen Teufel von Arbeiter-Richtern, Arbeiter-Staatsanwälten und Arbeiter-Henkern verknurrt und verknufft werden oder von sonstigen Office- Parasiten. Ebenso muß man begreifen, daß die herkömmliche Gewerkschafterei nur noch ein Schemen ohne Inhalt ist und daher auch zu keinem Ziele führen kann.
Kurzum, es muß auf der ganzen Linie mit allen herkömmlichen Illusionen, Praktiken und Taktiken gebrochen werden, wenn diese "große" Arbeiter-Organisation nicht als klägliche Mißgeburt zur Welt kommen soll.
Eine Arbeiterbewegung, welche nicht ausgesprochenermaßen kindlich dasteht gegenüber dem Institut des Privateigentums, des Protektors desselben (Staat) und der Gehirnverkleisterungs-Apotheke (Kirche) -, eine solche Bewegung steht einfach außerhalb des Rahmens der proletarischen Kämpfe der übrigen Welt. Sie ist lächerlich, eine Blamage für alle, die sich daran beteiligen, und kein Mensch wird im Stande sein anzugeben, was sie denn eigentlich für einen Zweck haben oder zu Tage fördern solle.
Bloße Zirkustänze des öffentlichen Lebens haben die amerikanischen Arbeiter nachgerade genug aufgeführt. Gepeitscht, verknüppelt, zerschossen, ausgehungert, betrogen und verraten sind sie wohl auch endlich genügend geworden, um nicht mehr die Ausrede zu gestatten, die Sachlage habe sich noch nicht genügend abgeklärt, um eine präzise Stellungnahme zu ermöglichen. Nur Idioten können heute noch sagen, sie wüßten nicht, wie die Arbeit gegenüber dem Kapital dastehe.
Die Dinge liegen also ganz klar auf der Hand. Augenblicklich wird aus einer einheitlichen Arbeiterbewegung in Amerika noch nichts, weil die Vorbedingung dazu, eine korrekte prinzipielle und taktische Basis, noch nicht geschaffen wurde. Wer fähig und willig ist, die vielgerühmte Harmonie der kämpfenden Arbeiter herzustellen, der muß seine Agitationen so einrichten, daß im obgedachten Sinne Aufklärung in allen erdenklichen Arbeiterorganisationen verbreitet wird.
Wir wollen eine Arbeiterbewegung mit kommunistischen, revolutionären und gottlosen Tendenzen erstreben; was weniger bedeutete, wäre für unsereinen nicht der Mühe wert, einen Finger dafür zu krümmen.
Wir danken bestens für neuen Urbrei in alten Untiefen. Nieder mit aller Dummheit und Schufterei! Es lebe der echte Klassenkampf - die soziale Revolution!
Aus: Johann Most – Marxereien, Eseleien und der sanfte Heinrich. Verlag Büchse der Pandora, 1985. Zuerst erschienen in Mosts Zeitung „Freiheit“ am 28.7.1894. Digitalisiert von www.anarchismus.at