Augustin Souchy - Meine erste Begegnung mit Durruti
1927, Berlin. Ich öffne die Wohnungstür. Aus einem Zimmer klingt ein Lied mit spanischem Akzent: C`est le piston, piston, piston, qui fait marcher la machine ... (Der Kolben, Kolben, Kolben bringt die Maschine in Gang). Auf einem Diwan sitzt ein dunkeläugiger Mann, auf seinen Knien ein blonder Junge, dem er das französische Lied vorsingt. Die Gesichtszüge des Mannes sind energisch, streng, ein rauher Zug um die schwarzen Augenbrauen. Doch das zarte Kinderlied aus seinem Munde zeugt von einem zarten Herzen. Der Gesang wird wiederholt, und nun singt der Kleine mit: C est le piston, piston, piston ...
Das war meine erste Begegnung mit Buenaventura Durruti. Er war nach Berlin gekommen, in Deutschland wollte er Asylrecht suchen. Die sozialdemokratisch-katholische Koalitionsregierung verweigerte es ihm. Auf seinem Schuldkonto stand die Erschießung des Kardinals Soldevila von Zaragoza. Deshalb gab der sozialdemokratische Justizminister von Preußen ihm und seinem Freunde Ascaso keine Aufenthaltserlaubnis. Auch Sowjet-Rußland, um Einreiseerlaubnis ersucht, stellte den Anarchisten unmögliche politische Bedingungen. Durruti und Ascaso begaben sich zurück nach Belgien. Das Leben der beiden Anarchisten Ascaso und Durruti war schon damals bewegt. Sie hatten den Ruf, besonders gefährlich zu sein. Sie hatten Attentate vorbereitet als Abwehr gegen die furchtbare Diktatur Primo de Riveras, sie wurden von mehreren Ländern verfolgt, in keinem geduldet. In Spanien und Argentinien waren sie in contumaciam zum Tode verurteilt.
Als Mechaniker arbeitend, von den Polizeibehörden verfolgt, immer wieder in Gefängnissen schmachtend, nie volle Sicherheit genießend, - so lebte Durruti viele Jahre in mehreren Ländern. 1931 wurde in Spanien die Monarchie gestürzt. Durruti konnte in seine Heimat zurückkehren. In der harten Schule des Exils war er gereift. Er nahm teil an allen revolutionären Bewegungen. Er war die Seele aller Erhebungen. Er war kein Theoretiker, aber ein gewaltiger Redner und ein Mann der Tat. Aus seinen Reden sprachen Energie und revolutionäre Tatkraft. Man liebte ihn wegen der Aufrichtigkeit seines Charakters, sein Idealismus war unbegrenzt.
Der faschistische Putsch fand Durruti nicht unvorbereitet vor. Er lag im Krankenbett. Ich befand mich an seinem Lager. Die Genossen kamen ihn holen. Seine Wunde blutete noch. Doch er mußte mit. In der Nacht vom 18. zum 19. Juli war er der Führer, als die Genossen des Transportarbeitersyndikates sich als erste bewaffneten. Nacht für Nacht bereitete er mit seinen Genossen von der CNT und FAI die Abwehr vor gegen den faschistischen Putsch. Zu den Anarchisten Durruti, Ascaso, Garcia Oliver, Santillan usw. hatten die Arbeiter Vertrauen. Dem Einsatz dieser Männer war es allein zu verdanken, daß die faschistischen Generäle in Barcelona eine Niederlage erlitten.
Am 20. Juli fiel bei der Erstürmung der Ataranzanas-Kaserne Francisco Ascaso an Durrutis Seite. Am 20. November, gerade vier Monate später, erreichte auch ihn in den Straßenkämpfen von Madrid dasselbe Schicksal. Zwischen diesen vier Monaten liegt die Zeit des offenen Kampfes. Als erster zog Durruti am 23. Juli an der Spitze einer Kolonne aus Barcelona nach Aragonien. Seine Kampfgefährten gingen begeistert mit ihm. Seine Kolonne erhielt bald den besten Ruf aller antifaschistischen Abwehrformationen, von allen Seiten strömten Scharen neuer Freiwilliger zu ihm. Seine Kolonne war die stärkste, viele tausend Mann befanden sich unter seinem Kommando, vier Monate leitete Durruti die Angriffe gegen die faschistischen Generäle und ihren internationalen Tross. An der Front von Aragonien war er die Seele, der Mittelpunkt. Durruti wuchs mit seiner Mission. Er entwickelte eine fieberhafte Tätigkeit.
Doch Durruti war kein General alten Stils. Er war Arbeiter unter Arbeitern. Durch Hingabe an sein Ideal, durch seine Kameradschaftlichkeit, durch die gleiche Lebensführung mit seinen Kampfgenossen und besonders durch seinen Mut, seine Energie, seinen glühenden Glauben an den Sieg der Arbeiterklasse und der Anarchie riß er alle mit sich, begeisterte, munterte auf. Er gab das herrlichste Beispiel. Er war ein wirklicher Volksführer, der "Caudillo" par ex-cellence. Sein Ruhm wuchs, jeder wollte zu ihm, an seine Fersen heftete sich der Sieg. Wo seine Kolonne kämpfte, gab es kein Zurückweichen. Kam er auf Stunden von der Front zurück nach Barcelona, so sprach er in Versammlungen, wandte sich durch Radio an das Volk, rief es auf zum Durchhalten, zur Fortsetzung des Kampfes. Er forderte Gerechtigkeit, in seiner Kolonne lebte ein Geist der Gemeinschaftlichkeit, des Rechtes, der Gleichheit. Deshalb rühmte jedermann die einzigartige Selbstdisziplin der Kolonne Durruti. Wo seine Kolonne vorrückte, wurde sozialisiert, kollektivisiert, wurde der Sozialismus vorbereitet. Das sah man, das wurde bekannt im ganzen Lande, das wirkte und fand Nachahmung. Durruti wurde das Symbol, das Vorbild im Kampf gegen den Faschismus.
Madrid wurde von den Faschisten bedrängt. Man rief Durruti. Mit 4.000 Mann zog er ein in die Hauptstadt des Landes, Durruti stand an der Spitze bei der Abwehr gegen die faschistischen Eindringlinge. Der Eingriff seiner Kolonne führte zur Stärkung der Kampfmoral bei den Verteidigern Madrids. Der Feind wurde zum Stehen gebracht, er wurde zurückgedrängt. Durruti war nicht der General, der vom sicheren Hauptquartier auf seine Soldaten als Kanonenfutter vorschickt. Wie vorher in der Fabrik Arbeiter an der Seite der Arbeiter, so war er Soldat mit den Soldaten, Kamerad mit den Kameraden. Vier Monate stand er in vorderster Kampflinie. Es konnte nicht ausbleiben, daß er von den Kugeln getroffen wurde. Durruti fiel im Kampf gegen den Faschismus als der tapferste Soldat der spanischen Revolution gegen den internationalen Faschismus.
* * *
Auf einer Reise zwischen Rosas und Figueras erhielt ich die Nachricht vom Tode Durrutis. Vor meinen Augen stieg ein Bild auf: Ein "Anarchist", gefürchtet und verfolgt von allen Staaten, sitzt auf dem Diwan eines Berliner Zimmers. Auf seinen Knien ein Kind. Die Hände des Anarchisten, die einen inquisitorischen Bischof töteten und den Tod eines schuldbeladenen Königs vorbereiteten, halten die Gelenke des Kindes, schieben sie hin und her, die Bewegung des Kolbens nachahmend, und beide, der Mann und das Kind, singen vereint: C`est le piston, piston, piston, qui fait marcher la machine.
Aus: Der spanische Bürgerkrieg. La guerra civil espanola 1936 – 1939. Texte – Bilder – Gedanken. Katalog anlässlich einer Veranstaltungsreihe 1986 in München.
Gescannt von anarchismus.at