Was ist und will der Bund herrschaftsloser Sozialisten? (1922)
Vorwort zu dieser Ausgabe
Der hier vorliegende Text „WAS IST UND WILL DER BUND HERRSCHAFTSLOSER SOZIALISTEN?“ von Rudolf Grossmann (Pierre Ramus 1882—1942) ist ein Nachdruck der im Jahre 1922 in kleiner Auflage erschienenen Originalfassung.
Was war der „BUND HERRSCHAFTSLOSER SOZIALISTEN-(ANARCHISTEN) – BhS“? Der BhS wurde nach der Revolution 1818/19 von PIERRE RAMUS in Wien gegründet und erfreute sich bald eines regen Zuspruchs. Der „linksradikale“ Flügel der SJ, viele Mitglieder der „FREIE VEREINIGUNG RADIKALSOZIALISTISCHER STUDENTEN“ , die „VEREINIGUNG HERRSCHAFTSLOSER GEISTIGER ARBEITER“, der sogenannte „KUNSTKULTURBUND“, die „FREIE SCHUHMACHERGEWERKSCHAFT“, der „BUND FREIER JUGEND“, verschiedene „SIEDLUNGS- UND PRODUKTIONSFÖRDERUNGEN“, mehrere „herrschaftslos-sozialistische Kleinsiedlungen“ wie etwa: FRUCHT HAIN, EDEN, ZUKUNFT, MENSCHENFRÜHLING u. a., die „MIETZINSLEGION GRAZ“, natürlich verschiedene „Arbeiterverbände“ in Wien, Graz, Linz, Steyr, Mürzzuschlag, Wr. Neustadt..., einige „Syndikalistische“ Gruppen (Gastgewerbe, Taxifahrer, Schuhmacher), der „BUND DER KRIEGSDIENSTGEGNER“, die stirnenanische „VEREINIGUNG INDIVIDUELLER ANARCHISTEN“ um nur einige zu nennen, schlossen sich bald dem BhS an, bzw. sympathisierten oder vernetzten sich in Aktionsgemeinschaften mit diesem. Auch zu der damaligen KPÖD bestanden freundschaftliche Beziehungen und da und dort Aktionsgemeinschaften.
1925-26 war der BhS in mindestens 60 verschiedenen Ortsgruppen organisiert und hatte mehr als 4.000 zahlende Mitglieder (Arbeitslose Mitglieder wurden nicht wie zahlende geführt und können daher heute nicht mehr nachgewiesen werden). Dazu kamen noch die vielen freien Mitarbeiter und Sympathisanten in ganz Österreich. Der BhS-( Anarchisten), wie er sich an/Flugblättern, Einladungen zu Vorträgen und Versammlungen, Plakaten und in Publikationen (z. B. „ERKENNTNIS UND BEFREIUNG“) bezeichnete, war unbestritten fast 20 Jahre lang die größte anarchistische Organisation in Österreich. Mit dem Ausbruch des Austrofaschismus kam auch das Ende für den BhS. Pierre Ramus wurde unter dem berüchtigten Innenminister Fey eingekerkert und floh später (als kranker Mann) über Vorarlberg in die Schweiz und von da nach Casablanca. Am 27. Mai 1942 verstarb Pierre Ramus an Bord eines Schiffes auf der Überfahrt nach Mexiko an den folgen eines Schlaganfalls.
Mit kaum 16 Jahren begann seine anarchistische-politische Laufbahn unter dem Einfluß von John Most in Amerika. Seit dieser Zeit war Pierre Ramus ein unermüdlicher Propagandist und Kämpfer für seine/unsere anarchistische Idee - und damit auch für eine „Neuschöpfung der Gesellschaft“! Wir veröffentlichen diesen Text, weil wir es für wichtig halten, aus der Vergangenheit der anarchistischen Bewegung zu lernen bzw. über sie Bescheid zu wissen. Nicht zu verwechseln ist er mit einem quasi „Parteiprogamm“ unserer Organisation, auch wenn etwa die „Oberösterreichischen Nachrichten“ ihn im Zuge der Hysterie nach dem tragischen Ereignis von Ebergassing dafür halten wollten. Wen unsere Ziele und Utopien interessieren, kann einschlägige Flugblätter und Zeitungen (z. b. „Was ist eigentlich Anarchie?“) über unsere Kontaktadresse gratis und unbürokratisch anfordern.
„Aus der Vergangenheit zu lernen“ heißt für uns eben genau das - und nicht ein ehrfürchtiges Starren auf die großen gewesenen Ikonen des Anarchismus. Es gilt im Gegenteil eine Theorie und Praxis anarchistischer, linksradikaler Politik zu entwickeln, die heutigen Anfordernissen gerecht wird. In diesem Sinn ist der Text als Diskussionsgrundlage zu verstehen, aus dem man sich Brauchbares rausnehmen kann, und Fragwürdiges (etwa die starke metaphysische Schlagseite) kritisch hinterfragen soll.
Revolutionsbräuhof (RBH)
1. Unsere Organisation und Propaganda
Alle, die einen konstruktiven Begriff des Sozialismus vertreten und letzteren durch Geistesklarheit und praktische Aktion im Sinne der Verwirklichung schaffen wollen; alle, die sich befreien wollen von den Irrtümern jeglicher autoritär-, oder staatssozialistischen Richtung und deren diktatorischen Herrschaftszielen und Gewaltlehren; alle, die das Prinzip des Antimilitarismus in Gesinnung und Lebensführung vertreten; alle, die das Staatsprinzip der Herrschartverneinen und statt dessen die solidarische Gemeinschaft freier Individualitäten erstreben - sie alle sind herzlichst eingeladen, Mitglieder des Bundes herrschaftsloser Sozialisten zu werden.
Als organisatorische Grundzüge umfaßt unser Bund folgende Prinzipien:
- Unser Bund ist eine föderative Vereinigung örtlicher Gruppierungen, die in freier Autonomie miteinander verbündet sind.
- Wo immer mindestens fünf Geistesfreunde beisammen sind, sollten sie sich sofort zu einer Ortsgruppe zusammenschließen.
- Die Grundlage des Bundes bildet die Ortsgruppe, die sich mit den ihr wesensverwandten Gruppierungen föderativ vereinigt. Jede Ortsgruppe erwählt nach freiem Ermessen ihr Aktionskomitee, dessen Aufgaben im Vollzug organisatorischer und propagandistischer Aktionen bestehen.
- Jede Ortsgruppe verwaltet sich autonom und föderativ. Über Aufnahme, Verbleib und Ausschluß eines Mitglieds aus dem Bund entscheidet nur die Ortsgruppe selbst, der es angehört.
- In allen Betrieben und Werkstätten, in denen produktive, sozialnützliche Arbeit geleistet wird, ist es Pflicht der dort arbeitenden Kameraden, sich zu einer Betriebsorganisation zusammenzuschließen. Jede solche Betriebsorganisation findet als gleichberechtigte, syndikalistische Ortsgruppe ihre Aufnahme im Bunde h. S. (Dasselbe gilt für alle gildensozialistischen und Siedlungs-Gruppen.)
- Sämtliche Ortsgruppen einer Ortschaft vereinigen sich durch ihre Aktionskomitees zu einer Föderation. Diese Stadt- oder Dorfföderation vereinigt sich mit allen übrigen Stadt- und Dorfföderationen zum Bunde h. S. für das ganze Land.
- Die Tätigkeit aller Gruppen regelt sich autonom von Gruppe zu Gruppe, von Föderation zu Föderation. Die Nichtanerkennung irgendeiner Gruppe wird örtlich entschieden und gilt für den Gesamtbund. Alle Streitigkeiten zwischen Einzelmitgliedern und Gruppen entscheidet ein von beiden Kontrahenten eingesetztes Schiedsgericht.
- Nach Ablauf von längstens je 3 Jahren findet ein Kongreß des Gesamtbundes statt. Der Kongreß stimmt über sämtliche Angelegenheiten ab, die von den einzelnen Gruppen auf seine Tagesordnung gestellt werden. Die Abstimmungen besitzen keine Bindung für jene die sie nicht anerkennen, doch müssen diese selbständige Gruppen bilden. Die Nichtbehinderung des Tuns einer Gruppe durch eine andere, ist das oberste Prinzip der organisatorischen Gemeinschaftsarbeit im Bunde. Nur das freie Experiment, Erfahrung mit demselben. Unterstützung oder Nichtunterstützung durch die Masse der Mitglieder und die sich daraus ergebende praktische Lebensfähigkeit oder Unfähigkeit entscheiden über Berechtigung oder Unzweckmäßigkeit eines jeden Unternehmens des einzelnen Mitglieds, wie auch jeder einzelnen Gruppe.
- Gegen jeden Versuch einer Sprengung des Bundes oder Störung seiner propagandistischen Arbeit, haben die Gruppen sich unbedingt ablehnend zu verhalten. Jedes unsachliche Vorgehen gegen ein Mitglied des Bundes durch ein anderes, oder von außenstehenden Elementen ist zu vereiteln, daß ihm keinerlei Vorschub geleistet wird, die Angelegenheit unverzüglich dem Aktionskomitee der betreffenden Ortsgruppe gemeldet wird, gegen die sich die Sprengungs- oder Schädigungsabsicht kehrt. Vom Aktionskomitee einer Ortsgruppe sind Erkundigungen über jedes unbekannte Mitglied des Bundes einzuziehen, ehe demselben Vertrauen entgegengebracht oder Unterstützung zuteil wird.
- Mitglieder des Bundes können nur solche sein, die nachfolgende Prinzipien anerkennen: Indem der Bund h. S. keinerlei oberste Exekutive oder sonstige zentral-autoritäre Körperschaft hat, seine Tätigkeit ausschließlich von der Initiative der Einzelnen und Gruppen ausgeht, verwirft er sämtliche Parteigebilde, da sie von allen politischen Parteien nur geschaffen sind, um das Volk immer wieder zu versklaven und im Zustand der Unfreiheit zu erhalten.
- Überall, wo Kameraden sich befinden, ist es ihre Pflicht, der Sache und Bewegung gegenüber, sich zu einer Gruppe zu vereinigen. Denn unsere Auffassung des herrschaftslosen Sozialismus wurzelt darin, an die Stelle der heutigen kapitalistischen-staatlichen Zwangsorganisation die der herrschaftslosen, freien Vereinigung, also zwangslosen Organisation setzen zu wollen.
2. Die Grundsätze des Bundes herrschaftsloser Sozialisten
Der B. h. S. vertritt das Prinzip individueller Freiheit in sozialer Gemeinschaft.
Erstere erblickt er gewahrt in der sozialen Herrschaftslosigkeit. Kein Mensch herrsche über den anderen! Um diesen Zustand herbeizuführen, erstrebt der B. h. S., die Abschaffung von Staat und Regierung innerhalb der Gesellschaft. Das Prinzip sozialer Gemeinschaft erblickt der B. h. S. auf wirtschaftlichem Gebiet verwirklicht durch die Einführung eines Kommunismus zwangloser Assoziation, für den grundlegend ist das Nichtvorhandensein irgend eines Monopolprivilegiums. Wir wollen somit die Gesellschaft der Anarchie (Herrschaftslosigkeit), in der ein Monopol keine Bestandsmöglichkeit besitzt. Innerhalb der monopollosen Gesellschaft ergibt sich der Kommunismus frei und zwanglos, als geeignetste Zweckmäßigkeit jeder gemeinschaftlichen Lebensführung und ökonomischen Notwendigkeit für den Einzelnen wie die Gesellschaft.
Der B. h. S. will somit eine Gesellschaft ohne Staat, wodurch auch dessen volksausbeuterischen und bedrückenden Institutionen: Militarismus, Bürokratismus, Polizei, Justiz und Strafgewalt, also Gefängnisse, Zuchthäuser etc., in Wegfall kommen. Er erstrebt eine monopollose Wirtschaft, wodurch sämtliche Institutionen des Kapitals, also das heutige Privateigentum kapitalistisch-ausbeuterischer Art, Lohnsystem und Unternehmertum mit seinen Profitinteressen, die zwangsläufige Beraubung des Arbeitenden um sein Arbeitsprodukt und dergleichen mehr, unmöglich geworden und abgeschafft sind.
An Stelle des bestehenden Zustandes des vom Staat gewaltsam aufrechterhaltenen Monopoles und Kapitalismus tritt eine freie Gemeinschaft, innerhalb welcher eine föderativ geregelte Bedarfswirtschaft, jedem Individuum die wirtschaftliche Sicherung seiner Existenz gewährleistet. In dieser freien Gemeinschaft gibt es nur die durch Freiwilligkeit und gemeinsamen Vertrag geregelte freie Arbeit des Einzelnen, wie der sich bildenden Fach-, Berufs- und Betriebsorganisationen.
Jedes autoritär-monopolitische und privilegierte Tauschmittel, also das Geld, ist als unproduktiv und schädlich abgeschafft; der Austausch der Produkte vollzieht sich auf der Grundlage des gegenseitigen Bedürfnisses aller, der Einrichtung einer Bedarfswirtschaft, deren Aufgabe in der Existenzversorgung eines Jeden nach seinen Bedürfnissen besteht. Unser Strebensziel ist: der freie Mensch in freier (staatsloser) Gesellschaft.
3. Die praktischen Aktionsmittel der sozialwirtschaftlichen Selbstbefreiung
Der B. h. S. vertritt die Auffassung, daß der Einzelne, sobald er die bestehende Gesellschaftsordnung und ihre Institutionen nicht mehr anerkennt, sich die Möglichkeit erkämpfen muß, ihr so viel als möglich seine Persönlichkeit und Arbeitskraft zu entziehen.
Diese Möglichkeit muß dem Einzelnen geboten werden, bevor die Gesamtklasse des Proletariats sich sozial befreit hat. Teils deshalb, weil sonst der wertvolle Einzelne mit untergehen müßte in der geistigen Rückständigkeit des Proletariats, teils auch deshalb, weil nur durch die tatkräftige Aktion des Einzelnen und der Vereinzelten die Geistesträgheit und Aktionslosigkeit der Gesamtklasse behoben werden wird.
Das einzige Mittel, um möglichst rasch aus dem Lohnsystem in eine unabhängige Wirtschaftsform des Einzellebens übergehen zu können, ist das der Eigenproduktion. Diese soll in kommunistischer Vereinigung verwirklicht werden und hat zunehmend ihre Arbeitskraft, wie ihre Arbeitsfrüchte dem bürgerlichen, staatlich-kapitalistischen Warenmarkt zu entziehen, dem genossenschaftlich-vereinigten Konsum der eigenen Arbeitsbrüder und -Schwestern zuzuführen.
Jede solche neue, im Innenbereich anarchistisch-kommunistische Produktionszelle hat ihre überschüssigen Hilfsmittel zu verwerten:
- für ihre eigene Ausbreitung,
- für die Hilfeleistung an schwächere Produktionszellen,
- für die geistige Propaganda unserer Ideen und Bekämpfung der bestehenden Gesellschaft.
Die Gründung solcher Produktionszellen hat stattzufinden nach Maßgabe der agrikulturellen und industriellen Bedürfnisse des Kulturmenschen. Diese Produktionszellen haben eine möglichst vollkommene Selbstversorgung aller Mitglieder in ihren Bedürfnissen an Nahrung, Kleidung und Behausung zu bewirken.
Jede solche Produktionszelle muß darauf bedacht sein, nach Möglichkeit sämtliche Anforderungen des Staates bezüglich Steuern, Gebühren, Zöllen oder aller seiner Einnahmequellen, durch die das Monopol des Privatkapitalismus aufrechterhalten und der freie produktive Verkehr der Gesellschaftsmitglieder unterbunden und beschränkt wird, zurückzuweisen, zu vereiteln. In diesem Tun ist der Anbeginn der zu kommenden, herbeizuführenden sozialen Umwälzung zu erblicken.
Produktive kommunistische Eigenarbeit auf agrikultureller wie industrieller Grundlage ist durch Siedlung wie Genossenschaft, somit die einzige Möglichkeit, um dem geistesklaren, innerlich bereits freien Einzelnen noch im Bereiche seines Lebens ein Stück äußerlicher Unabhängigkeit und Befreiung zu erringen. Zugleich beginnt solch planmäßiges Gemeinschaftstun die für eine anarchistisch-kommunistische Gesellschaft, wie die soziale Revolution schon früher notwendigerweise zu beginnende Umstellung des Proletariats, indem dieses den unproduktiven, aber für den Bestand des Kapitalismus und Staates unerläßlichen, jedoch antisozialen Betätigungen fortschreitend entzogen und jenen Betätigungen zugeführt wird, die im Zeitpunkt und in der Periode der sozialen Revolution am unentbehrlichsten sind.
4. Die Aufgaben der Gewerkschaften
Der Bund erblickt in den Betriebsorganisationen und Gewerkschaften Hebel der sozialen Umwälzung zum Sturz der bestehenden und zum Aufbau einer anarchistisch-kommunistischen, also herrschaftslos-sozialistischen Gesellschaft.
Sein Grundsatz ist: Die Produktionsmittel in Betrieben und Industrien sind dem freien Gebrauchsrecht der mit ihnen zu schaffenden Arbeiter- und Gewerkschaftsgruppen zu übergehen. Die Produktionsmittel selbst sind Gemeinschaftsbesitz sämtlicher produktiver Verbände, die von diesen erzeugten Produkte werden von den eigenproduktiven Fachorganisationen nach gemeinsam gefaßten Beschlüssen dem freien Konsum zugerührt.
Um dieses Ziel zu erreichen, die zu ihm führenden Aufgaben vollbringen zu können, haben die Gewerkscharten jedweden bürokratischen Charakters entkleidet zu werden. Aus zentralistisch beherrschten Körperschaften müssen sie in föderative Industrie- und Betriebsorganisationen umgewandelt werden, innerhalb welcher die Verwaltung betriebsweise, autonom durchgeführt wird, wodurch der ganze, ungeheuerliche Beamtenstab der zentralistischen Gewerkschaftsbewegung entbehrlich ist. Das einzelne Mitglied hat zum selbstbewußten Kämpfer erzogen zu werden, dessen bewußt, daß von seiner ungehemmten Initiative die Aktionskraft des Ganzen abhängig ist.
Innerhalb der Gegenwart haben die Gewerkschaften die sozialrevolutionierenden Arbeit zur Erschütterung und zunehmenden Beseitigung des herrschenden Systems zu leisten. Diese Arbeit wird nur geleistet, wenn sie das kapitalistische Lohnsystem unhaltbar macht, die kapitalistische Rentabilität beeinträchtigt bis zur völligen Vernichtung zu Gunsten einer gerechten Bedarfsversorgung für Alle. Dies ist allein durch Herabdrückung der Preise aller Waren auf Kosten des kapitalistischen Profits zu erreichen. Darum ist heute der Lohnstreik überlebt und für das Proletariat schädigend geworden. Dieses hat sich in erster Linie gegen die Preisdiktatur des Unternehmertums zu kehren, hat dieselbe zu brechen. Ebenso haben sich die Arbeiter zu wenden gegen jede direkte wie indirekte Steuerleistung an den Staat, da durch sie die Arbeiter in ihrem Lohn geschmälert werden. Nur auf diesem Wege wird die kapitalistisch-staatliche Wirtschaftsordnung unhaltbar und bricht zusammen, mit ihr das Lohnsystem; die Umwandlung der Wirtschart in kommunistische Gemeinschaftsbetriebe wird zur sozialen Unvermeidlichkeit.
Als Kampfmittel zur Erreichung dieses Zieles haben die Arbeiter anzuwenden:
- den Streik innerhalb des Betriebes - der sich aber stets gegen den Unternehmer, nicht gegen das Publikum zu kehren hat
- den passiven und
- den aktiven Generalstreik.
Der passive Generalstreik - die Gesamteinstellung der Arbeit - hat stets zu erfolgen, wenn Staat und Kapitalismus die Arbeit dringend benötigen wie in Kriegszeiten, Rüstungsperioden und besonderer Geschäftskonjunktur, bei - trotzdem - großer Arbeitslosigkeit. Der aktive Generalstreik ist ein allgemeiner Streik innerhalb der Betriebe; aber unter Kontrolle der Arbeiterklasse, bei gleichzeitiger Aussperrung des Unternehmertums aus den Betrieben. Um für diesen Zweck vorbereitet zu sein, haben die Gewerkschaften in ihren Industriebranchen gildensozialistische Produktionsverbände zu gründen, damit sie jederzeit im Stande sind, die Produktion auf eigener Grundlage fortzurühren. Aus diesem aktiven Generalstreik hat fortschreitend hervorzugehen die gildensozialistische Organisation der gesamten Produktion, welche erstere den Generalstreik gegen das Unternehmertum kehrt, zugleich sich an die Kundschaft derselben wendet und mit dieser selbständige Vereinbarungen betreffs Erzeugung und Lieferung von Bedarfsgegenständen trifft, bei völliger Beiseitelassung des Unternehmers, dem jedoch freisteht, sich als gleichberechtigter Kamerad einzugliedern, womit er auf seine Vorrechte Verzicht leistet.
Als ihren größten Feind müssen die Gewerkschaften die vom Kapitalismus über die Arbeiter despotisch verhängte Arbeitslosigkeit erachten. Ihr kann nur dadurch entgegen gewirkt werden, daß die Betriebsräte in Umgehung des hinderlichen, schädlichen und kapitalistenfreundlichen „ Betriebsrätegesetzes“, das Rentabilitätsprinzip des Unternehmers mißachten und entweder durch die Einstellung der Arbeitslosen in die Betriebe, bei gleichbleibendem Arbeitslohn für alle und entsprechender Verkürzung der Arbeitszeit, oder durch Überweisung der unproduktiv gemachten Produktionsmittel und Rohstoffe an die zu kommunistischen Erzeugungsgilden zu organisierenden Arbeitslosen, die Arbeitslosigkeit radikal beseitigen. Anstatt auf dem Wege der den Staat schmarotzerhaft beteiligenden „Gemeinwirtschaftlichen Anstalten“ einen Teil der Produktionsmittel dem unproduktiven Staat profitabel auszuliefern, ist dieser Teil den gildensozialistisch zu organisierenden Arbeitslosen - unter Ausschluß von Staat und Unternehmertum - zu übergeben.
Auf diese Weise ergibt sich uns die soziale Expropriation als Resultat eines Zerstörungsaktes gegenüber den bestehenden Staats- und Wirtschaftsgrundlagen, jedoch zugleich als eine die allgemeinen Gesellschaftsinteressen, wie die des Individuums wahrende Neuschöpfung von Wirtschaftsgrundlagen und Lebensverhältnissen im Sinne des kommunistischen Anarchismus.
5. Unsere Auffassung über soziale Revolution und Gewalt
Der Bund h. S. sieht in den bisherigen Revolutionen nur Abänderungen des Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisses zwischen Staat und Volk, Ausbeuter und Proletarier. Darum bezeichnet er sie als politische Revolution. Alle diese Revolutionen sind durchgekämpft worden mit den üblichen militärischen Waffenmethoden. Diese Methoden nennen wir Gewalt, weil sie nur das Fundament einer neuen Herrschart bilden können. Darum lehnen wir als Gegner jedweder Herrschart, diese Methoden der Gewalt ab, eo ipso diese, da jede Gewalt sich der militärischen Waffen bedienen muß, um eine neue Herrschart etablieren und aufrechterhalten zu können.
Sowohl Demokratie als auch Diktatur des Staates bedürfen der Gewalt. Da wir Anarchisten beide verneinen, weil wir das Selbstbestimmungsrecht des freien Menschen wollen, müssen wir die Todfeindin desselben, die Gewalt als solche, verneinen.
Der Bund h. S. erstrebt die soziale Revolution, die für ihn eine von der politischen absolut verschiedene Revolution ist. Verschieden auch in ihren Aufgaben, woraus folgt, daß die soziale Revolution in ihren Mitteln gleichfalls verschieden sein muß von den militärischen Waffenmethoden der politischen Revolution.
An Stelle der Waffenmethoden - diese nennen wir Gewalt, weil ohne sie keine Gewalt im staatlichen Sinne der Politik möglich ist - setzt der Bund h. S. die sozialwirtschaftliche Aktion der Zerstörung der Waffen und ihrer Gewalt. Diese Zerstörung der Waffen kann jedoch niemals dadurch zerstört werden, daß wieder Waffen gegen sie gebraucht werden, da solches immer nur die Fortsetzung der Waffengewalt, wie ihres Überganges in abwechselnd neue Hände bewirkt.
Wir dagegen wollen die Zerstörung der Waffengewalt weil sie die Grundlage des kapitalistischen Eigentumsmonopols und des Staatsprinzips ist. Um diese Zerstörung zu erlangen, ist nötig:
- Die geistige und psychische (gemeint ist wohl physische, also körperliche Anm.) Massenverweigerung des Waffendienstes durch die Arbeitenden;
- die geistige und psychische Massenverweigerung jeglicher Erzeugung von Waffen und Mordwerkzeugen;
- die materielle und sabotierende Zerstörung sämtlicher Waffenund Rüstungsbestände; die Verhinderung von deren Gebrauch und aller strategischen Verkehrsnotwendigkeiten für sie und die Verweigerung jedweder Arbeitsleistung und Nahrungsabgabe an alle bewaffneten Körperschaften, die ihre Waffen nicht freiwillig der Vernichtung überantworten.
Diese Methoden sind die wesentlichsten Übergangsmethoden der sozialen Revolution, sie beinhalten keine Gewalt, sondern sie entziehen der Gewalt die Möglichkeit und jedwedes Gebiet ihrer Betätigung. Es sind Mittel, die - weil sie sich keiner militärischen Waffen bedienen - die Gewalt sachgemäß verneinen, sie bilden darum den Gegensatz zur Gewalt und deshalb nennen wir diese sozialwirtschaftliche Aktion Gewaltlosigkeit, da sie ohne Waffenmethoden die Gewalt als solche zerstört, zur Auflösung bringt und weil sie, diese sozialwirtschaftliche Aktion gegen die Gewalt, in ihrem Wesen völlig identisch ist in Kampf wie Ziel und mit praktischer Folgerichtigkeit geleitet zur Verwirklichung dessen, was der Anarchismus als Ideal erstrebt: die Gesellschaft ohne Staat, ohne Militarismus, ohne Justiz - also; ohne Gewalt: den sozialen Zustand der Gewaltlosigkeit.
Jede Eroberung der staatlichen Macht - und dies ist der Inbegriff einer jeden politischen Revolution - bedarf der Gewalt. Wir wollen und erstreben die vollständige Vernichtung jeder Macht als politisch-soziales Zentrum innerhalb der Gesellschaft. Darum können wir uns nicht der Gewalt bedienen, sondern müssen sie zur Auflösung bringen, was nur die Gewaltlosigkeit erreichen kann. Die politische Revolution bedarf als ihres Mittels der Gewalt; die soziale Revolution bedarf als ihres Mittels der Gewaltlosigkeit. Der Bund h. S. vertritt deshalb - in absolutem Gegensatz zur überlieferten militärischen Gewaltmethode stehend - die Gewaltlosigkeit zur Herbei- und Durchführung der sozialen Revolution.
6. Unsere Weltanschauung
Der Bund h. S. ist der Meinung, daß die bestehende kapitalistische Gesellschaft und ihre Staatsorganisation das fortwährend erneute Produkt einer Vermählung von Geist und Arbeit der Menschen ist, wie diese letztere intellektuell, psychologisch moralisch, ökonomisch und ethnisch beschaffen sind. Darum vertritt unser Bund die Anschauung, daß das Neuwerden der Gesellschaft in demselben Maße auftritt und fortschreitet, als die Weltanschauung, die Verstandesrichtung, die ethischen Werturteile und die sozialen Tendenzen im Menschen revolutioniert und in praktischer Betätigung neuorientiert werden
In dieser Beziehung richtunggebende Lehrer und Wegweiser für unsere unmittelbare Gegenwart und Zukunft sind für den Bund h. S. als Sozialdenker der Vorkämpfer und Theoretiker des kommunistischen Anarchismus Peter Kropotkin; als Ethiker der Aktivist des Freiheitskampfes, der Antimilitarist und unmittelbare Bahnbrecher eines neuen Lebens, erfüllt mit den von ihm neugewonnenen, urchristlichen Läuterungselementen des menschlichen Bewußtseins: Leo Tolstoi. Jede dieser beiden Riesengestalten des Menschengenius vertritt für sich eine besondere Phase unseres universalen Zieles und Ideals. Eine Synthese beider, mit Hinzuziehung der individuell befreienden Wesenselemente im Wollen Friedrich Nietzsches hat Eugen Heinrich Schmitt uns geliefert.
Letzterer hat mehr als sonst irgend einer seiner Zeitgenossen dazu beigetragen, die moderne Wissenschaft, die einseitig materialistisch oder dualistisch orientiert war, zu einer höheren Warte emporzuheben. Schmitt hat die positiv-mathematische Wissenschaft zu einem Erkenntnismittel der individuellen Geistesbefreiung gemacht; er hat die ethischen Bestandteile des Urchristentums zu einem Wirklichkeitsferment des aktiven Menschengeistes und seiner wissenschaftlichen Erkenntnis (griechisch: Gnosis) und praktischen Lebensrührung geläutert.
In diesen Männern erblickt der Bund h. S. seine Lehrmeister. Er fordert die Arbeiterschaft auf, sich in ihre Werke zu vertiefen, damit in jedem Einzelnen, bei sich selbst, jene Innenrevolution herbeigeführt werde, die ihn dessen bewußt werden läßt, ein neuer Mensch zu sein.
7. Unsere Stellung zu Religion und Freidenkertum
Die Entwicklung der modernen Naturwissenschaft und Physik hat die grundlegenden Voraussetzungen des Materialismus überholt (Le Bon, Kelvin, Ruthford und selbst Häckel in seinem letzten Werk „Krystallseelen“). Zugleich aber hat sie die wirkliche Aufgabe der materialistischen Philosophie und Naturanschauung, die Entlarvung des kirchlichen und theologisch-pfäffischen Trugs, nur bestätigt, bekräftigt.
Da die Auffassung des materialistischen Atheismus eine wissenschaftlich ebenso wenig zu beweisende ist, wie die Behauptungen des Theismus aller Konfessionen, Kirchen und Klerikalismen; da wir nur wissen, daß die letzteren eine Offenbarungsreligion vortäuschen zum Zweck der Erniedrigung des Menschen für die weltlichen Absichten, Pläne und Machinationen von Kirche und Staat, Ausbeutung und Herrschaft, erklärt der B. h. S. dies als sein Bekenntnis:
Wir fassen den Begriff der Religion in seinem ursprünglichen, lateinischen Wortsinn (relig bedeutet: das Binden an eine Sache) als kulturethische Bezeichnung des Verbundenseins des Menschen mit dem All, der Unendlichkeit und der ewigen Geistesquelle seines Ursprungs auf. Während wir somit den Begriff der Religion für uns anerkennen, verwerfen wir aufs radikalste, sämtliche in ihn gelegten Offenbarungslügen, Mysthizismen der Metaphysik, wie sie von der Theologie aller kirchlichen Konfessionen gelehrt werden. Unsere Religion ist die der klaren Vernunfterkenntnis, wie sie den Menschen von der Gnosis (Erkenntnis) eingegeben wird.
Das Wesentliche dieser Religion besteht darin, die Bürgschaft dafür zu liefern, daß der Mensch weder in einseitiger Verneinung noch in dogmatischer Vernunftbetörung sein Leben verbringt, sondern als seinen Lebenszweck das unaufhörliche Streben nach Selbstvervollkommnung erblickt, und zwar laut höchster Vernunfterkenntnis, deren Wesen in der Liebe zu Seinesgleichen wurzelt. Ohne uns auf die komplizierten, philosophischen und wissenschaftlichen Einzelheiten all dieser schwierigen Geistesprobleme einzulassen, erscheint uns die Religion nie und nimmer Privatsache für den Menschen sein zu können. Die Religion ist ein Produkt des Menschengeistes, und dieser wird von ihr entweder versklavt oder befreit; sie macht ihn entweder zu einem Sklaven übersinnlichen Gespensterglaubens und damit zu einem Knecht der eingesetzten, irdischen Autorität und Gewalt - oder sie läßt ihn auf dem Wege der Vernunfterkenntnis begreifen, daß jede theologische Offenbarungsreligion ein Mythos, eine Mythotheologie, also ein Betrug ist. Somit sind auch die durch ihn heilig gesprochenen Kirchen, Staaten und alle ihre Einrichtungen ein Blendwerk der Vernunft und müssen abgeschafft werden, auf dass die menschliche Vernunft rein und ungehemmt zu freiem Denken, der so befreite Mensch zu freier Entfaltung gelange.
Da wir Anhänger der freien Vernunfterkenntnis sind, sind wir als herrschaftslose Sozialisten, zugleich Freidenker, denn wir verneinen alle Einrichtungen, die das Denken des Menschen gehemmt sehen wollen. Wir begrüßen aus diesem Grunde die Freidenkerbewegung als eine Schwesterorganisation unseres Kampfes, die, indem sie sich gegen die Kirche wendet und sie verneint, ihrerseits auf geistigem Gebiet dieselbe Arbeit leistet, die wir, indem wir uns gegen den Staat wenden, ihn als Inbegriff der Hemmung freien Denkens und freier Handlungsweise verneinen, unsererseits logisch-konsequent auf sozialpolitischem Gebiet vollbringen.
Um zu beweisen, daß es ihm ernst ist mit der Verneinung der Autorität als Gegensatz zu Vernunft und Freiheit, ist es die Pflicht eines jeden herrschaftslosen Sozialisten, aus der Kirche seiner besonderen Konfession - einerlei welcher - auszutreten. Nur so bekunde sittliche Tat edelster Religiosität. Erst durch sie bestätigt der Mensch sein Verbündnis mit dem Guten und der Allgüte. Denn die Kirche hat nichts gemein mit dem ihnen synonymen, geläuterten Gottesbegriff, der für uns herrschaftslose Sozialisten das ist, was Goethe mit tiefstem Sinn und weisheitsvollen Worten so ausgedrückt hat:
„Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen;
Ich glaub ihn?
Wer empfinden?
Und sich unterwinden
Zu sagen; ich glaub' ihn nicht?
Der Allumfasser, Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Und steigen, freundlich blickend,
Ewige Sterne nicht herauf?
Schau ich nicht Äug in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir
Und webt in ewigem Geheimnis Unsichtbar
sichtbar neben dir?
Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn es dann wie du willst Nenns Glück!
Herz! Liebe! Gott! ich hob keinen Namen dafür!
Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut.“
8. Unser Verhältnis zur Internationalen Antimilitaristen Vereinigung, zum internationalen Büro gegen Krieg und Reaktion und zum Bund der Kriegsdienstgegner
Der Bund herrschaftsloser Sozialisten ist prinzipiell und methodisch Gegner des Militarismus, als des organisierten Systems staatlicher Gewalt.
Unser Antimilitarismus erstreckt sich auf sämtliche Formen des Militarismus und verneinen wir ebenso die Miliz der Demokratie, wie das stehende Heer der Monarchie und die Rotarmee der Proletarierdiktatur, welch letztere wir gleich jedem anderen Staat als letzte Betrugsform der Autorität verwerfen, durch die das Proletariat irregeführt und neu versklavt wird.
Dem Kriege gegenüber vertreten wir herrschaftslosen Sozialisten nur das Prinzip der Kriegsdienstverweigerung. Wir fordern das Proletariat auf, jeder Aufforderung des Staates, für die Landesverteidigung - kein Staat hat noch je erklärt, einen Angriffskrieg zu führen - zu den Waffen zu greifen, die aktive Militärdienstverweigerung entgegen zu setzen. Diese findet ihren konsequentesten Ausdruck in der Verweigerung des Fahneneides und jedes von ihm geforderten Gelöbnisses für den Massenmord des Krieges.
Der B. h. S. gehört, als Ganzes der Internationalen Antimilitaristen-Vereinigung an, ebenso dem Internationalen Büro. Er ist verpflichtet, alles in seinen Kräften stehende zu tun, wie alle in seinen Reihen für die prinzipiellen und taktischen Methoden, der vorgenannten internationalen Organisationen zu erziehen, um deren Beschlüsse ausführen zu können. Unser Bund hält es für dringend notwendig, daß alle unserer Bewegung angeschlossenen Frauen sich der Arbeit des Antimilitarismus und des prinzipiell-aktiven Widerstandes gegen jeden Krieg mit aller Kraft widmen. Als zweckmäßige Sonderorganisation dieses Widerstands begrüßen wir den neugegründeten Bund der Kriegsdienstgegner Österreichs. Wir empfehlen allen unseren Mitgliedern den Beitritt zu ihm, erwarten jedoch dafür, daß der Bund der Kriegsdienstgegner ein solidarisches Föderativverhalten zum B. h. S. unterhält.
9. Die Internationale Organisation von Anarchismus und Syndikalismus
Der B. h. S. ist der Ansicht, daß Anarchismus und revolutionärer Syndikalismus in ihren wirtschaftlichen Bestrebungen vielfach parallel laufende Bewegungen sind. Geistig ist der Syndikalismus ein Element des Anarchismus, praktisch richtet er sich in seinen Aktionen gegen die von diesem verneinten, gesellschaftlichen Institutionen: gegen Staat, Kapitalismus, Militarismus.
Letztere Beweggründe veranlassen uns, eine internationale Gemeinschaftsvereinigung von Anarchismus und Syndikalismus anzustreben. Damit wäre ein großer Fortschritt auf dem Gebiet der Klärung innerhalb der Arbeiterbewegung getan.
Wir begrüßen sämtliche Beschlüsse des internationalen Anarchistenkongresses, der im Dezember 1921 in Berlin stattgefunden hat; insbesondere seine Anregung zur Gründung eines internationalen Büros. Der so geschaffenen Internationale wird der B. h. S. unverzüglich beitreten und sämtliche damit sich ergebenden Verpflichtungen übernehmen.
Wir fordern das Internationale anarchistische Büro, sobald geschaffen, auf, als seine Hauptaufgabe und als Sprachorgan der Gesamtbewegung des Anarchismus, eine organisatorische Vereinigung des letzteren, mit dem Syndikalismus auf internationalem Gebiet anzubahnen.
10. Das Ferrer-Heim und die anarchistische Jugendbewegung
Wir erachten die freiheitliche, natürliche Erziehung der Jugend als die fundamentalste Aufgabe der sozialen Bewegung. Darum vertritt der B. h. S. das Erziehungsprinzip Francisco Ferrers, der die Jugend zu geistigen und sozialen Revolutionären - also Bekämpfern der herrschenden Unnatur - heranzubilden getrachtet hat.
Unter einem Revolutionär verstehen wir keinen Phraseur. Ein Revolutionär ist für uns derjenige, dessen geistiges und psychisches Leben so revolutioniert worden ist, daß es auch äußerlich zu neuen Lebensformen drängt. Der Revolutionär ist somit ein Mensch neuer Weltanschauung, die freiheitlich im intellektuellen wie praktisch Tun zu sein hat.
Um die Jugend in diesem Sinne heranzubilden, ist das Fundament einer natürlichen Erziehung unerläßlich. Sie ist in ihren modernen theoretischwissenschaftlichen Grundsätzen uns geboten in den Werken von Dr. Ewald Haufe, nach dessen natürlicher Erziehung die Jugend, in ihrem Werdegang naturgemäß beeinflußt, uns die sicherste Bürgschaft gewährt für die Gewinnung eines Menschenschlages der Freiheit und vernunftmäßigen Solidarität.
Wir fordern alle unsere Kameraden und Kameradinnen auf, mit ihren Kindern beizutreten den in Österreich bestehenden Organisationen der „Kinderfreunde“, die seit 1920 eine rein sozialistische Wandlung durchgemacht haben, und welche besonders in den eigentlichen Kindheitsjahren, der Jugend eine frohe, gesellige und veredelnde Kindheit darbieten.
Für die reifere Jugend wollen wir dank der Hilfe unserer amerikanischen Kameraden und freiheitlichen Gesinnungsfreunde, ein Ferrer-Heim errichten, das vorbildlich sein soll für die Art der freien, natürlichen Erziehung, die wir der Jugend zu bieten wünschen, auf daß sie werde eine Generation der Freiheit, die unsere und ihre Befreiung erwirken kann.
Als ersten Schritt zu ihrer Selbstkultur empfiehlt der B. h. S. der Jugend, jedweden Genuß des Alkohols und Nikotins zu meiden, da diese in ihrer Erzeugung vom Staate begünstigten Gifte eine auf Geist und Gesundheit des Menschen zerrüttende Einwirkung ausüben.
11. Über unsere Presse und ihre Stellung zu den Problemen des sozialen Kampfes
Der B. h. S. erklärt als sein Organ die Zeitschrift „Erkenntnis und Befreiung“.
Mit Genugtuung konstatiert er, daß die Haltung dieses Blattes, dessen Ablehnung der sogenannten „Diktatur des Proletariats“, des „revolutionären Militarismus“ und jeglicher, dem letzteren entlehnten Gewaltmethodik, unter der Hauptleitung des Kameraden Pierre Ramus, immerdar vollständig im Einklang mit den Prinzipien unserer Auffassung und Bewegung war. Wir wünschen, daß diese Haltung beibehalten werde.
Wir erachten ferner die Geißelung jeglicher staatlichen, bürgerlichen und bolschewistischen Tyrannei, Reaktion und Verfolgung von Revolutionären aller Richtungen, wie sie von der Hydra der ungarischen, spanischen, russischen, französischen und amerikanischen Reaktion gegenwärtig in niederträchtigstem Maß und gewalttätigster Form ausgeübt wird - wir erachten die Geißelung aller dieser despotischen Schurkereien ohne Unterschied, als die vornehmste Pflicht unseres Kampfblattes „E. u. B.“
Es ist die Pflicht eines jeden Kameraden, diesem Blatt die Treue zu bewahren und ihm die weitestmögliche Verbreitung durch Kolportage zu gewinnen.
12. Unsere Solidaritätserklärung
Die erste Tagung unseres seit der Revolution 1918/19 bestehenden Bundes h. S. protestiert gegen die herrschende und international verbündete Reaktion.
Die Delegierten des B. h. S. protestieren einmütig gegen die Niedertracht der ungarischen Reaktion und ihre schmachvolle, abscheuliche Horthybrutalität, sie protestieren gegen die Auslieferung unseres spanischen Bruders Joaquina Concepcione durch den reaktionären, deutschen Staat, dessen sozialdemokratisch-ehrloses Justizministerium und die schurkisch-feige deutsche Polizei; sie protestieren gegen die bübisch-ehrlose Verleumdung und Verurteilung von Sacco-Vanzetti und verlangen deren Freilassung durch den amerikanischen Staat; sie protestieren gegen die mittelalterliche Infamie des bestialischen Monarchismus Spaniens und seine militaristisch-schurkische Verfolgung und Unterdrückung der spanischen Arbeiterbewegung; sie protestieren gegen die historisch beispiellose, der internationalen Reaktion Schergendienste leistende Reaktion des russischen bolschewistisch-staatskapitalistischen Sowjetdespotensystems wider die Sozialisten und Anarchisten Rußlands, wodurch die Herrscher dieses Landes sich als Verräter der Revolution und Hochstapler gegenüber jedem sozialistischen Empfinden und Rechtsgefühl erwiesen haben; sie protestieren gegen die Gesamtreaktion des internationalen Staatsprinzips und seiner bourgeoisen Handlanger.
Unsere Tagung entsendet allen Opfern sowohl der bürgerlichen als bolschewistischen Autoritätsgewalt brüderliche Solidarität! Der Kongreß verpflichtet alle Bundesmitglieder, die gegen die unglücklichen Opfer dieser Reaktion verübten Schandtaten der Staatlichkeiten überall zu brandmarken. Er protestiert gegen sie im Namen der Menschlichkeit und fordert die Völker aller jener Länder, in denen die Regierenden über das Lebensgesetz der Menschlichkeit hinwegschreiten, dazu auf, solche Regierende hinwegzufegen, da diese nur ein Schandmal der Unmenschlichkeit und Infamie sind.
Ein Treffen des BHS um 1923
Originaltext: Nachdruck der Broschüre: "Was ist und will der Bund herrschaftsloser Sozialisten? Die auf der Bundestagung am 25. und 26. März 1922 angenommenen Leitsätze und Richtlinien unserer Anschauung und Betätigung" durch den Revolutionsbräuhof (RBH). Original erschienen im Verlag "Erkenntnis und Befreiung", Wien - Klosterneuburg.
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