Über Peter Kropotkin - Die Theorie des kommunistischen Anarchismus

"Kropotkins Philosophie ist der Wesensgehalt der gesamten sozialistischen Weltanschauung." (Rudolf Rocker)

Fürst Peter Kropotkin wurde am 9. Dezember 1842 in Moskau geboren. Als unmittelbarer Abkömmling der königlichen Familie wurde Kropotkin von Zar Nikolaus I. für die Erziehung am Hof als persönlicher Page seines Sohnes Alexander II. ausgewählt. Dies war eine aufgezwungene Ehre für Sohn und Eltern, sehr entbehrungsreich, und es gab kaum eine Möglichkeit, aus dem Pagenkorps in Petersburg herauszukommen. Nach Ablauf dieser Zeit meldete sich Kropotkin zu den Amur-Korsaken. Diese Entscheidung war ungewöhnlich, doch hoffte er, in Sibirien an umfassenden sozialen Reformen teilnehmen und gleichzeitig seinen wissenschaftlichen (geographischen) Interesse nachgehen zu können. Er wurde Adjutant des Gouverneurs von Transkaibal, der ihn beauftragte, Untersuchungen über das Strafsystem in Sibirien anzustellen. Die barbarischen Eindrücke, die Kropotkin hierbei gewann, veröffentlichte er 1887 in seinem Buch „In russian and french prisons“.

1861 begann sich Kropotkin für anarchistische Theorie zu interessieren, nachdem er von dem in der Verbannung lebenden Dichter M. L. Mikhailow angeregt wurde, Proudhons Schrift über die ökonomischen Widersprüche zu lesen. Es wurde ihm bald klar, "dass es völlig unmöglich ist, für die große Masse des Volkes auf dem gewöhnlichen Wege der Verwaltung etwas wirklich Heilsames zu schaffen. Dieser Illusion entsage ich ein für allemal." (Memoiren) So quittierte er 1866 den Militärdienst und ging nach Petersburg, wo er sich in den folgenden Jahren internationales Ansehen durch seine wissenschaftlichen Studien erwarb. Als der Aufstand der Pariser Kommune, mit der Kropotkin sehr sympathisierte, 1871 niedergeschlagen wurde, entschloss er sich, seine Laufbahn vollends aufzukündigen und sich stattdessen für die Befreiung des Volkes einzusetzen.

1872 trat Kropotkin eine viermonatige Auslandsreise an. Er reiste zunächst in die Schweiz, wo er die Probleme der westlichen Arbeiterbewegung kennen lernte und Kontakt zu verschiedenen russischen Emigrantengruppen aufnahm. Da die Internationale in Zürich durch die Reformierten vertreten wurde, es also dort keinen antiautoritären Flügel gab, reiste er weiter nach Genf, wo der antiautoritäre Flügel fast nur aus französisch sprechenden Propagandasektionen bestand. Von ihnen, vor allem aber durch den Bakunisten James Guillaume, den er in Neuchâtel kennen lernte, wurde er in die wirklichen Verhältnisse der Internationale eingeweiht. Kropotkin reiste durch den Jura und war so begeistert von der Bewegung der Uhrmacher, dass er bleiben wollte. Doch Guillaume redete ihm dies aus. Kropotkin kehrte nach Russland zurück und schloss sich dem seit 1869 bestehenden Sozialistischen Bildungsverein an. Dieser betrieb Arbeiterpropaganda und hielt Vorträge in geheimen Versammlungen. Kropotkin war unter den Arbeitern sehr beliebt; nach Feierabend besuchte er sie zu Hause und diskutierte mit ihnen. Dies war die einzige Möglichkeit einer Agitation, da jede oppositionelle Bewegung im Zarenreich verboten war. Kropotkin vertrat die Ansicht, es sei nicht der Mühe wert, Beziehungen zur Internationale herzustellen, bevor es nicht eine starke Organisation der Bauern und Arbeiter gäbe. Man stehe auf der Seite der Föderalisten in der Internationale, und was die russischen Parteien im Ausland beträfe, so wollte man sich nicht einmischen, weil ihre Differenzen persönlichen Charakter angenommen hätten und man das von Russland aus nicht beurteilen könne.

Doch kam es auch bald innerhalb des Bildungsvereins zu inhaltlichen Auseinandersetzungen. Die Theorie Netschajews, die Revolution durch eine straff geleitete konspirativen Organisation zu erreichen, die losschlägt, die Revolution "macht" und das Volk "befreit", lehnte Kropotkin ebenso ab, wie den von Netschajew propagierten Terrorismus, da er das Volk weniger zur Befreiung anleite, sondern vielmehr die Revolutionäre vom Volk isoliere. "Zur Verwirklichung der Gleichheit gehören viele Jahre, viele partielle Ausbrüche, die man beschleunigen muss. Der Aufstand kann nicht von den Revolutionären gemacht werden, sondern sie müssen den sich vorbereitenden Aufstand fördern, die unzufriedenen Elemente untereinander verbinden, kurz, auf jede Weise helfen. Gibt es solche Elemente? Die Frage wird bejaht. Was muss man tun? Die Ideen verbreiten, die Zahl der Anhänger vermehren und diese in eine gemeinsame Organisation zusammenfassen."

Kropotkin plädierte für die Bauern- und Arbeiterpropaganda. Persönliche, mündliche, nicht literarische Propaganda sei das wichtigste, ohne dass letztere verworfen würde; realisiert über Volksbücher, über eine kleine, den Bauern und Arbeitern verständliche Zeitschrift. Zudem wird von ihm eine Art Propaganda vorgeschlagen, "die wir die tägliche nennen": in Fabriken und Dörfern Produktions- und Verbrauchergenossenschaften zu gründen – lokale Bewegungen mit weitgehend sozialen Zielen -, um so gegen lokale Unterdrücker vorgehen zu können. Als im März 1874 der Bildungsverein aufflog, wurde Kropotkin von der Polizei festgenommen. Bei der Hausdurchsuchung fand die Polizei Manuskripte, die sie später im Prozess der 193 verwendete [1]. Nach seiner Verurteilung wurde Kropotkin in die Peter-Pauls-Festung eingeliefert. Im zweiten Jahr seiner Haft verschlechterte sich sein Gesundheitszustand so sehr, dass er in ein Militärhospital eingewiesen wurde, aus dem ihm mit Hilfe einiger Revolutionäre eine spektakuläre Flucht nach England gelang. Von dort ging er nach Bern, wo er die deutschsprachige anarchistische Arbeiterzeitung redigierte.

1881 wurde Kropotkin - der während der ganzen letzten Jahre von russischen Geheimagenten bespitzelt worden war - auf Drängen der russischen Botschaft nach dem Attentat auf Zar Alexander II. aus der Schweiz ausgewiesen. Er ging in die französische Schweiz und dann nach Frankreich. Anfang 1883 wurde er in Lyon wegen "illegaler Tätigkeit" zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. 1886 vorzeitig aus der Haft in Clairvaux entlassen, zieht es Kropotkin nach England.

Fußnoten:

[1] Prozess der 193 oder auch Großer Prozess genannt. (1877) Verurteilt wurden Revolutionäre der Narodniki, die an der Bewegung „Ins Volk gehen“ von 1873-1875 beteiligt waren.

Originaltext: http://wald.heim.at/sherwood/530889/anarchie/peter_kropotkin.htm


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