Johann Most - Protestantische Finsterlinge

Es gibt vielleicht keine zweite Erscheinung in der ganzen Kulturgeschichte, welche fast allgemein so falsch beurteilt wurde wie die sogenannte Reformation. Dieselbe wird immer als Fortschritt gepriesen und war doch im Gegenteil ein Hindernis des wahren Fortschrittes. Die kirchlichen Zustände im 15. und 16. Jahrhundert waren der Alt, daß eine allgemeine Verlotterung auf religiösem Gebiete ganz unausbleiblich, der Zerfall des Christentums gewiß war: Da kommen denn etliche ehrgeizige, heiratslustige und vielleicht auch wirklich bibelgläubige Pfaffen und galvanisieren den absterbenden Organismus ins Leben zurück. Und das soll Fortschritt sein!

Wer aufrichtig sein will und nicht mit einem faustdicken Brett vor dem Hirnkasten umherläuft, der wird nicht leugnen können, daß im Grunde genommen zwischen katholischen und protestantischen Pfaffen kein Unterschied besteht und daß zwischen Jesuiten und Muckern die Wahl wirklich schwer fällt. Ja, das Muckertum ist sogar noch viel verächtlicher als der Jesuitismus, weil es sich den Staatszwecken ganz und voll dienstbar macht, prinzipienlos ist und eine Art schwarzer Gendarmerie bildet. Im übrigen, nämlich der Wissenschaft und dem modernen Volksleben, gegenüber benimmt sich das Muckertum um nichts weniger unduldsam und reaktionär als jede andere Bonzenschart. Der Zweck ihres ganzen Daseins ist die Erzeugung von beschränkten Untertanen-Verstandes-Menschen, die Gehirnverkleisterung und der Dummheits-Anbau, und wenn derselbe heutzutage nicht mehr so erreicht werden kann, so wird er doch wenigstens sehr eifrig angestrebt.

Aber, fragen die Muckerfreunde, dem Protestantismus kann man doch keine solche Tyranneien zur Last legen, wie sie katholischerseits verübt wurden. Aber gerade diese Ansicht ist die allerdümmste. Ehe man Tyranneien verüben kann, muß man die Macht dazu haben; die Katholiken waren aber gerade durch die Reformation aufgescheucht, zu neuer Organisation genötigt und so innerlich gekräftigt worden, so daß sie nach wie vor in den meisten Staaten am einflußreichsten blieben, während die Protestanten nur da und dort allmählich Oberwasser bekamen. Wo aber Letzteres der Fall war, da kannte die Gewalttätigkeit des Protestantismus auch keine Grenzen. Durch Staatsgesetze wurde die Einwohnerschart der betreffenden Länder in der brutalsten Weise zum Protestantismus gepreßt, genau so, wie in den katholischen Ländern durch die Inquisition der entgegengesetzte Zweck verfolgt wurde.

Die Behauptung, als sei protestantischerseits die Auslegung der Bibel freigegeben worden, ist total erlogen, wie schon die Entstehung zahlreicher Sekten zeigt, von denen jede behauptet, sie allein lege diese und jene Stelle richtig aus, alle anderen aber seien mehr oder weniger vom Teufel besessen. In diesen Satansartikeln hat besonders Luther gern gemacht und die schottischen Pfaffen haben durch vier- und fünfstündige Predigten über Hölle und Teufel dem Volke so sehr den Kopf verdreht, daß bis tief in unser Jahrhundert hinein die meisten Leute von der Furcht geplagt waren, auf allen Wegen und Stegen irgend einem gehörnten oder beschwänzten Luzifer, Beelzebub oder dergleichen zu begegnen. Ansichten aber, die mit der Bibel überhaupt nicht im Einklang stehen, wie z. B. naturwissenschaftliche Erforschungsresultate, insbesonders bibelwidrige Erklärungen der Entstehung der Erde und der Menschheit, sind jedem Mucker (vermutlich, weil er darin eine Gefährdung seines Handwerks erblickt) der höchste Greuel und die Ausrottung der betreffenden Ketzer wäre für ihn Hochgenuß!

Wo der Protestantismus zur ausschließlichen Herrschaft gelangte, hat er – solange solche Bestialitäten eben überhäuft möglich waren, d. h. so lange es eine barbarische Justiz gab - mit Feuer und Schwert getauft, daß es eine Art war. Und wenn nun die heutigen Protestanten mit scheinheiligem Augenverdrehen und sittlicher Entrüstung die spanische Inquisition und Ähnliches gegen die Katholiken ausspielen, so muß ihnen doch einmal der Mund dadurch gestopft werden, daß man ihnen beweist, wie sehr sie es nicht besser getrieben haben, wenn sie konnten. Nur wir, nämlich die Ungläubigen, haben ein Recht, die betreffenden Schandtaten der Vergangenheit zu brandmarken; wer hingegen selbst ein ellenlanges Sündenregister besitzt, muß sich hüten, das anderer Leute entrollen zu wollen, sonst muß er gewärtigen, daß er selbst den Text gelesen bekommt, wie hiermit geschehen soll.

Am entschiedensten gelangte die Muckerei unter Calvin zu Genf ans Ruder. Sehen wir zu, wie dieser „Mann Gottes“ verfuhr. Genf hatte zur Zeit Calvin's kaum das savoyische Joch abgeschüttelt und stand eben im Begriffe, sich recht demokratisch zu entwickeln, als jener finstere Pfaff erschien und nicht eher rastete, als bis eine Muckergesellschaft installiert war. Calvin errichtete zunächst ein Spioniersystem, durch welches er bis in die einzelnen Familien eindrang und nicht nur die Worte behorchen, sondern auch die Mienen beobachten und sich darüber berichten ließ. Dann brachte er den Rat durch listige Manöver so sehr unter seine Gewalt, daß er förmlich absolut herrschen konnte. So erklärt sich, daß alles, was Calvin wollte, geschah. Einmal beleidigte ihn ein sehr angesehener Mann namens Pierre Ameaux; sofort ließ er ihn verhaften, und als derselbe freigesprochen wurde, gebärdete sich Calvin wie toll, erklärte die gegen ihn gefallene Beleidigung als eine „Beleidigung Gottes“, drohte, nicht mehr predigen zu wollen, und forderte abermalige Verhaftung und Verurteilung. Der erschreckte Rat willfahrte; Ameaux wurde verurteilt, öffentlich und im bloßen Hemd, mit einer Fackel in der Hand, auf drei Plätzen der Stadt, wo eigens zu diesem Zwecke Podien aufgeschlagen wurden, niederzuknien und vor dem Richter das gegen Calvin begangene Unrecht zu bekennen und um Gnade zu bitten! - Ein ähnliches Schicksal wie Ameaux hatte der Buchdrucker Dubois, weil er anläßlich eines Streites, der daher rührte, daß er theologische Werke druckte, deren Inhalt nicht ganz mit den Ansichten Calvin's harmonierte, eine Herausforderung des Letzteren damit beantwortete, daß er ihn per Heuchler titulierte. - Dabei muß erwähnt werden, daß Calvin selbst die rohesten Schimpfworte gegen andere sich erlaubte; so nannte er z. B. einen alten Mann „Hund“ und dessen Tochter „Hundstochter“, weil dieselben nicht ganz seiner Ansicht waren.

Daß solche Frechheiten zum Widerstand reizten, ist natürlich. Mehrere energische Leute faßten den Entschluß, die Pfaffenwirtschaft zu kürzen, die Verschwörung wurde jedoch verraten, die Häupter derselben mußten sich flüchten und zahlreiche Verhaftungen fanden statt. Zwei wackere Republikaner wurden gevierteilt, eine Anzahl solcher wurde geköpft und Viele in die Verbannung geschickt. - Wie der saubere Patron in Genf hauste - denn er war ja die Seele des Ganzen - läßt sich daraus ermessen, daß in dem Zeiträume von fünf Jahren (1541 bis 1546) 76 Menschen verbannt, 58 hingerichtet und 8900 eingekerkert wurden. Unter den Hingerichteten befanden sich 18 Männer und 16 Frauen, die allein innerhalb dreier Monate des Jahres 1545 lebendig verbrannt wurden, nachdem man ihnen zuvor entweder die rechte Hand abgehauen, sie mit glühenden Zangen gezwickt oder sonst gefoltert hatte (die eigene Mutter des Henkers hatte ebenfalls ein solches Schicksal), weil - nun weil sie beschuldigt wurde, durch Hexerei die damals ausgebrochene Pest erzeugt zu haben! - Dazu muß noch bemerkt werden, daß vor Calvins Zeit diese barbarischen Strafarten in Genf fast gar nicht bekannt waren. - Wegen ihres Glaubens erlitten unter Calvin 33 bekanntere Personen empfindliche Strafen. Das meiste Aufsehen erregte in dieser Hinsicht das Verfahren gegen Servet, einem Mann, der heutzutage als harmloser Philosophierer gelten könnte. Derselbe hatte in Genf gar nicht gelebt, sondern in Frankreich und berührte Genf nur auf der Flucht nach Italien. Den Katholiken, die ihn verfolgten, war er entronnen, den Protestanten lief er in den Rachen. Servet wurde zu Genf ergriffen und auf ganz besonders lebhaftes Betreiben Calvins dem Scheiterhaufen überantwortet; und Calvin ergötzte sich persönlich an der Vollstreckung dieses Urteils. - War das etwa keine Bestie? - Aber die Frechheit jenes Bibelhelden ging noch weiter; er mischte sich in jede Kleinigkeit. Auf sein Betreiben wurden Tanz und Spiel, ja der Besuch von Wirtshäusern verboten; die Kleidung, Frisur usw. unterlagen einer Zensur, kurzum die Anmaßlichkeit artete förmlich in Lächerlichkeiten aus, und Tyrannei herrschte auf allen Wegen und Stegen. Übrigens ist von der Calvinistischen Herrlichkeit nichts erhalten geblieben, denn schon nach seinem Tode verschwanden die despotischen Einrichtungen.

Ähnlich wie in Genf ging es in England zu. Heinrich VIII., ein Ungeheuer, das die Gewohnheit hatte, seine Frauen köpfen zu lassen, wenn sie ihm nicht mehr gefielen, war hier der Protektor der Reformation. Er schwankte zwar zwischen Katholizismus und Protestantismus fortwährend hin und her, aber im Ganzen genommen war er dem Letzteren stets mehr geneigt als dem Ersteren, namentlich seitdem er wegen einer schmutzigen Ehebruchsgeschichte mit Rom in Konflikt geraten war. So erklärt es sich, daß in England eine aus Katholizismus und Protestantismus zusammengesetzte Misch-Masch-Religion entstand und durch Staatsgesetze sanktioniert wurde. Jeder, der nach rechts oder links abwich, ward von dem sauberen Heinrich dem Feuertode geweiht, so zwar, daß oft genug Katholiken und orthodoxe Protestanten an ein und demselben Pfahl gebunden und gemeinsam gebraten wurden. Die Zahl der Opfer ist Legion! - Der Nachfolger Heinrichs, Eduard VI., setzte das Wüten gegen Alle fort, die nicht blindlings der Staatskirche Folge leisteten, selbst unter der Regierung der vielgepriesenen Königin Elisabeth wurden 200 Katholiken aus dem Leben geschafft.

In Deutschland, dem Hauptsitze des Luthertums, kamen auch die scheußlichsten Dinge vor. Luther selbst schimpfte wie ein Rohrspatz - seine Ausdrucksweise war überhaupt sehr derbe - über die Wiedertäufer und andere Sektierer, weil dieselben die Bibel anders auslegten, wie er. Und als gar die Bauern aus den Worten des Evangeliums das Recht der Selbstbefreiung folgerten und Anstalten machten, demgemäß zu handeln, da war es Luther, der da sagte, die „mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ solle man „zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muß ...“

Der saubere Patron wütete in einer solchen Weise, daß die Glocke, welche zum protestantischen Gottesdienst einlud, von den Katholiken als die „Mordglocke“ genannt wurde. Luther entblödete sich nicht, die Leibeigenschaft als eine christliche Einrichtung zu verteidigen und zu predigen, man müsse nach Gottes Willen der Obrigkeit „mit Furcht und Zittern“ untertänig sein. Wäre Luther das gewesen, wofür ihn protestantische Geschichtsfälscher ausgeben, so hätte er sich an die Spitze der Bauern gestellt - wie Thomas Münzer getan -; er tat aber das Gegenteil, weil er eben ein Fürstenknecht und ein Pfaffe jener Sorte war, die mit Bewußtsein die Religion als Mittel der Volksunterjochung anwendet. Ein wahrer Menschenfreund wendet sich mit Ekel von solchen Schmachgestalten ab.

Die protestantischen Fürsten Deutschlands waren zur Reformationszeit ebenso intolerant wie die katholischen, und es kamen wahrhaft possenharte Dinge vor. Als der Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz sich von einem Lutheraner in einen Calvinisten verwandelte, zwang er sofort die Pfälzer, mit ihm sich zu häuten; und 13 Jahre später trieb sein Sohn Ludwig das Volk wieder zum Luthertum zurück, während nach weiteren sieben Jahren der Nachfolger desselben abermals den Calvinismus zwangsweise einführte. Natürlich wurde jeder Widerstand gegen solche frivole Narrenpossen blutig geahndet. In Sachsen kamen ähnliche Dinge vor, so daß ein Hofrat namens Crell, welcher für Gewissensfreiheit eintrat, am 9. Oktober 1601 - nach- dem drei lutherische Pfaffen sich mehrere Tage lang vergebens bemüht hatten, ihn orthodox zu machen - zu Dresden geköpft wurde. Ja in Leipzig existierte eine förmliche Inquisition! - In Braunschweig wurde der Bürgerhauptmann Henning als Calvinist im Jahre 1604 in einer bestialischen Weise umgebracht. Nachdem man ihn gefoltert, hackte man ihm zwei Finger ab, zwickte ihn mit glühenden Zangen, schnitt ihm die Geschlechtsteile ab und schlitzte ihm endlich den Leib auf; und damit er die Leiden besser fühle, hielt man ihm von Zeit zu Zeit ein Riechfläschchen unter die Nase. Während der ganzen Prozedur machten lutherische Pfaffen Belehrungsversuche!

Um nochmals auf die Schweiz Bezug zu nehmen, bemerken wir, daß zu Zwinglis Zeit sogenannte Wiedertäufer zu Zürich ertränkt wurden, daß Ähnliches an vielen Orten vorkam. In Bern köpfte man den Philosophen Valentin Gentilis, der ähnlich wie Servet die Dreieinigkeits-Lehre verwarf. Der Chronist Stettier (Protestant) sagt von jenem Manne, daß er „als ein abscheulich Monstrum und irrmachender Greuel am 10. September 1566 mit dem Schwerte gerichtet und im hiermit sein gotteslästerliches Haupt abgenommen“ worden sei. In Basel verbrannten die dortigen Mucker sogar im Jahre 1561 die Gebeine und Schriften eines schon drei Jahre früher gestorbenen Wiedertäufers!

Die vorstehenden Beispiele könnten beliebig vermehrt werden, aber sie werden wohl hinreichend den Beweis liefern, daß die Protestanten von den Katholiken in Bezug auf Intoleranz und Fanatismus, Anmaßung und Herrschsucht nichts voraus haben. Also lasse man sich ja nicht zu dem Glauben verleiten, daß zwischen Kutten und Bäffchen ein Unterschied sei.

Aus: Johann Most - Die Gottespest und andere Schriften; Edition Revolutionsbräuhof

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