Erich Mühsam - Die Monarchie

Hallelujah! Kränzt die Häuser! Hängt Flaggen heraus! Illuminiert! Läutet die Glocken! Habemus regem!

Als wir Kinder waren und alles Märchengold für blanke Wirklichkeit nahmen, da dünkte uns ein König ein Wesen von überirdischer Weisheit, ein gottähnlicher Mensch, der über alle Macht und über allen Reichtum des Landes verfügt. Da stellten wir uns einen König nicht anders vor, als thronend unterm Baldachin, geschmückt mit Krone und Purpur und erfüllt von aller Heldentugend und Gerechtigkeit.

Die Märchen mit ihrem Tugendzauber und ihren Hexenkünsten sind verblichen. Die öde Tatsächlichkeit des Lebens hat aus Kindern Geschäftsleute und aus Träumern Nörgler gemacht. Geschäftsleute und Nörgler aber wissen, daß es keine Feeen gibt und keine verwunschenen Prinzessinnen, keine Tarnkappen und keine Wunderspiegel. Das einzige, was aus den Kindermärchen übrig geblieben ist, sind die Könige. Die gibt's wirklich noch bis auf den heutigen Tag, - wahrscheinlich, um dem phantasievollen Gemüt auch noch den Rest jener glücklichen Märchenpoesie zu zerstören, die als Fürsten den Stärksten und Schönsten, den Edelsten und Mächtigsten feiern möchte.

Heutzutage spazieren die Könige unter ihren Landeskindern mit Brille und Regenschirm, und die Gottesgnade, daraus man ihre Herrseherwürde ableitet, muß zuerst von juristischen Paragraphenkrämern aus verstaubten Pandekten herausdestilliert werden. Die Macht der Majesäten reicht nirgends über die Rechte der Bürger hinaus und ihre Rechte haben ein Ziel bei der Macht des Bürgertums. Daß dem so ist, erfüllt den Demokraten mit Stolz auf die vorgeschrittene Freiheitlichkeit unserer Zeit. Wer aber nicht Demokrat, sondern ein Zweifler ist an den Errungenschaften der Gegenwart über die Vergangenheit, der fragt erstaunt: Was um des Himmels willen brauchen wir Könige, wenn wir uns allein zu helfen wissen? Was soll uns Krone und Thron, wenn ihr Inhaber aller Macht entkleidet ist, auf die der Titel einer Majestät sich gründen müßte? Die Alleinherrschaft ist beseitigt, aber von der Monarchie — die griechische Übersetzung klingt so gut — können wir uns nicht trennen. Untertanen wollen wir nicht mehr sein, aber des Königs gehorsamer Diener zu heißen, will keiner sich nehmen lassen.

In was für einer Zeit leben wir eigentlich? Der gesunde Menschenverstand, dieser beliebte Normalausweis des Philisterintellekts, weiß vor lauter Skeptizismus, Realismus und Zeitgemäßheit nicht mehr ein und aus. Der liebe Gott ist abgesetzt. Ernst Haeckels naturwissenschaftliche Affenkomödie ist der Inbegriff aller Weltweisheit. Jede mystische Gläubigkeit, jede schwärmerische Weltbetrachtung, jeder geschäftsfremde Illusionismus ist Gegenstand wildernden Gelächters. Alle Sehnsucht, deren letzter Ausblick kein gefüllter Geldsack ist, gilt als Gefühlsduselei, Kunst als Lebemannssport, Religion als Pfaffenintrige. Das Wort „Freiheit“ wird im ungewaschenen Munde jedes Banausen gewälzt und bedeutet Fußtrittspolitik im Gewinnwettlauf. Wem aber Freiheit höchstes Menschengut ist, die Freiheit der Seele nämlich und die Freiheit, die keine Fesseln will im Eiligen um Erkenntnis und persönliche Würde, der ist ein Störenfried oder eine komische Figur. Freiheit! Den Ellenbogen will man sie erkämpfen, aber dem Geiste muß die Knechtschaft erhalten bleiben, in der jede Rücksichtslosigkeit ihre Entschuldigung sucht. Nicht gegen die Monarchen wollen wir ankämpfen, die wir die Selbstherrlichkeit des in sich gefestigten Menschen predigen, sondern gegen die Jammerseelen, die um ihre Gunst buhlen, um daraus Vorteile im geschäftlichen und gesellschaftlichen Leben zu ziehen. Und ohne irgend eine Person zu kränken, die der Zufall auf den Piedestal eines Thrones gestellt hat, wollen wir aussprechen, welcher Klebstoff das Bürgertum am Idol des Monarchismus festhält.

Die konstitutionelle Monarchie — ich habe das hier schon einmal gesagt (vergl. Kain III, 3: „Der Kaiser“) — ist eine contradictio in adjecto. Ein König, der unter Ausschaltung aller persönlichen Willkür regieren soll, unterscheidet sich von anderen Menschen nur durch die dekorative Ausstattung seiner Amtshandlungen. Und eben auf diesen dekorativen Teil der monarchischen Einrichtung will der Bürger nicht verzichten. Er will Hofhaltung sehen, will vor Hofequipagen dienern, will den im nüchternen Geschäftsbetriebe aufgesparten Demutsvorrat los werden und will seine primitive Eitelkeit durch Hereinschmeicheln von Orden und Titeln befriedigt sehen. Diese doppelte Möglichkeit, zugleich die atavistischen Instinkte der Unterwürfigkeit und das geschäftliche wie persönliche Reklamebedürfnis zu unterstützen, bietet allerdings die Monarchie in viel höherem Maße, als die Republik. Welche Eigenschaften dabei dem Monarchen selber innewohnen, spielt keine Rolle, nicht einmal, ob der Monarch persönlich imstande ist, sein Amt auszuüben. Ein mit den Befugnissen des Fürsten ausgestatteter Regent genügt dem Monarchisten vollauf zur Betätigung seiner Gesinnungen.

Die in den letzten Tagen bewirkte Ersetzung zweier Regentschaften im Deutschen Reiche durch die Thronbesteigung legitimer Fürsten von Gottes Gnaden liefert die instruktivste Illustration zu der Behauptung, daß es gleichgültig ist, ob ein Hofstaat einem Könige oder seinem Vertreter dient. Gerade das Aufhören der plötzlich als unhaltbar erkannten Zustände beweist, wie haltbar sie innerhalb der monarchisch organisierten Staaten waren. Denn die Kritik, die sehr konservative Elemente an die Veränderungen in Braunschweig sowohl wie in Bayern knüpfen, ist schärfer, als sie je in den jahrzehntelangen Provisorien geübt wurde. Ist es aber wahr, daß Monarchieen auch ohne die Mitwirkung ihrer Monarchen bestehen können, dann verliert die Institution der Monarchie vor dem Urteil jedes nicht interessierten Beobachters den letzten Halt.

Die Herrscher selbst stützen ihren Anspruch auf die Krone auf Gottes jeder Kritik entzogenen Willen. Dem religiösen Menschen muß diese Beweisführung in der Tat genügen. Die Monarchie könnte, solange die Fiktion der Gottesgnade besteht, nur von der Seite der Gottesanzweiflung aus angegriffen werden, — wenn nicht das Verhalten der Staatskuratoren selbst dieser kindlich-religiösen Betrachtung die Voraussetzungen entzöge.

In Braunschweig durfte der angestammte Fürst sein Amt nicht ausüben, weil er seine Angestammtheit, soweit sie einen anderen Thron betraf, nicht verleugnen wollte. Gottes Gnade wurde für das Herzogtum ausgeschaltet, und ein Regent mußte ohne sie tun, wozu den wahren Fürsten doch nur dieser überirdische Segen befähigt. Wie man erzählt, gings ganz gut. Erst die Heirat des Prätendenten setzte die Gottesgnade wieder in ihre Rechte ein, und jetzt wird in Braunschweig legitim regiert.

Noch seltsamer sind wir in Bayern zu einem neuen König gekommen. Zweimal hintereinander hatte die Gottesgnade diesem Lande Geisteskranke zu Königen bestimmt, und seit fast einem Menschenalter mußte der Stammälteste die Funktionen des verhinderten Fürsten übernehmen. Daß der Zustand der Regentschaft der Würde und dem Wohle des Landes weniger entsprochen hätte als die Ausübung der Regierung durch einen rechtmäßigen König, ist in den 26 Jahren, wo der Vater des neuen Königs den Posten verwaltete, nicht bekannt geworden. Verschiedene Versuche, den alten Herrn zur Übernahme der Krone zu veranlassen, scheiterten an seinem Widerstand. Er scheint also die von ihm gepflegte Methode für besser gehalten zu haben, als eine Neuorganisation. Erst als er vor 11 Monaten starb, überkam die bayerischen Patrioten die Erkenntnis, daß der bisherige Zustand unwürdig, unerträglich und unhaltbar sei. Daß dieser Erkenntnis ein stark liebedienerisches Moment innewohnte, da dem neuen Herrn eine Abänderung dieses Zustandes von rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten aus sicher genehm sein mußte, weiß jeder. Zuerst aber rannte sich die Liebedienerei die Köpfe ein. Denn die Zentrumspartei, die bekanntlich die Rechte des lieben Gottes im bayerischen Staate vertritt, widersetzte sich. Sie behauptete, die Gottesgnade lasse sich nicht mir nichts dir nichts von Fürstenried nach München verpflanzen, auch sei die Übernahme der Königsinsignien mit dem Eide nicht vereinbar, den der Regent beim Antritt seines Amtes geleistet habe. Andere Leute behaupten freilich, die Zentrumspartei wollte dem Ministerium Hertling Knüppel zwischen die Beine werfen, das gerade damals nicht ganz so tanzte wie der Klerus pfiff.

Das ist ein paar Monate her. Seitdem scheinen sich die frommen Ultramontanen mit ihrem Herrgott anders verständigt zu haben. Von jenen Bedenken wird plötzlich nicht mehr geredet, und Herrn von Hertling fiel die schwierige Aufgabe zu, der Staatsverfassung eine Wendung zu geben, die den Thronwechsel ermöglichte. Er fand die Lösung. Er fand auch im Landtag und bei den Reichsräten die Zustimmung zu seinem Werk, und so wurden wir eines Tages durch ein im Namen des Königs Otto erlassenes Gesetz erfreut, das dem Regenten die Möglichkeit eröffnete, den Platz eben dieses Königs Otto einzunehmen. Damit Ludwig III. aber als König von Gottes Gnaden den Thron der Wittelsbacher besteigen konnte, war es nötig, daß er nicht gewählt wurde, sondern sich selbst zum Monarchen ernennen durfte. Dieser Entschluß sollte der Volksvertretung nur zur Zustimmung mitgeteilt werden.

Kaum war das neue Gesetz unter Fach, da klebten auch schon an allen Anschlagstafeln feierliche Proklamationen, die die freundliche Wendung der Dinge verkündeten und dem beglückten Bayernvolke mitteilten, daß es wieder einen regierungsfähigen König von Gottes Gnaden habe. Um aber ganz sicher zu gehen, und um dem Prinzip des Gottesgnadentums um alles in der Welt nichts zu vergeben, legte Herr von Hertling den Willensakt des neuen Königs dem Parlament erst nach vollzogener Tat „zur Zustimmung“ vor. Jetzt schreien die Sozialdemokraten: Verfassungsbruch! Die Liberalen wimmern: Taktlosigkeit! Herr von Hertling aber und seine Freunde sind hochbeglückt, dem lieben Gott durch ein geschicktes Kunststück zu seinem Rechte verholfen zu haben.

Dem König Otto sind laut Kundgebung des Königs Ludwig alle Titel und Ehrenrechte der Majestät verblieben. Wir erfreuen uns nun also im Lande Bayern zugleich zweier Könige. Wie sie sich mit dieser Tatsache abfinden wollen, wird Sache der Monarchisten sein. Daß diese Spezies Zeitgenossen durch die geschilderten Vorgänge an Zahl zugenommen haben, wird füglich bezweifelt werden dürfen. Weder in Braunschweig, wo Familiensentiments, noch in Bayern, wo wesentlich Interessen rechnerischer Natur zur Neubesetzung des Thrones geführt haben, dürfte das monarchische Prinzip erheblich an Zutrauen gewonnen haben. Es wird sich aber für diejenigen, die nun zu einer Revision ihrer dynastischen Gesinnung bestimmt wurden, die Frage erheben, ob sie jetzt gleich für die Einführung der republikanischen Staatsform in allen monarchischen Ländern vom Leder ziehen sollen.

So zuverlässig behauptet werden kann, daß die Republiken vor vielen Unzuträglichkeiten der Monarchieen geschützt sind, so wenig darf man doch verkennen, daß die eigentlichen Übelstände in allen Ländern überhaupt nicht in der politischen Organisationsform begründet sind. Der Kapitalismus blüht unabhängig von den politischen Herrschaftsinstitutionen und macht sich in jedem Lande die bestehende zunutze. Der Revolutionär hat seine Waffen gegen Kapital und Ausbeutung zu schärfen und seinen Spaten für den Aufbau sozialischer Kultur zu bereiten. Im Kampfe für neue Formen der Arbeit und des Ausgleichs wird sich der Boden unter den Füßen der Staatsbeherrscher von selber lockern.

Manchmal freilich kann es nützlich sein, an geeig- neten Beispielen darzutun, welche Wandlungen der Königsgedanke seit den Tagen der Mythen und Märchen bis zu unserer Zeit durchgemacht hat. Unsere Fürsten sind weder die Halbgötter der Vorzeit noch auch die Tyrannen der älteren Geschichte. Darum braucht niemand mehr die Könige zu hassen oder zu beneiden, und wem's Freude macht, der mag ungestört sein Haus beflaggen und in die Gassen jubeln: Habemus regem!

Aus: Kain. Zeitschrift für Menschlichkeit, 3. Jahrgang, Nr. 8/1913. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


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