Erich Mühsam - Schwarzbard und Machno (1927)

Samuel Schwarzbard, der Rächer seiner jüdischen Stammes- und Klassengenossen in der Ukraine, ist von den Pariser Assisen freigesprochen worden. Mit großer Befriedigung muß man registrieren, wenn einmal ein Gerichtsurteil von Vernunft und Gefühl geleitet wird, wofür in Deutschland seit der Beseitigung der Schwurgerichte auch die theoretische Möglichkeit ausgerottet ist.

Der Uhrmacher Schwarzbard ist wahrscheinlich kein Anarchist, soll aber seinen Verkehr in Paris hauptsächlich unter anarchistischen Genossen pflegen, zum Teil solchen, die seinem ukrainischen Landsmann, dem Bauernrevolutionär Nestor Machno, ideologisch und wohl auch persönlich nahestehen. Das Opfer Schwarzbards, Petljura, war einer der infamsten konterrevolutionären Schurken im Kampf gegen die Befreiungsansprüche der ukrainischen Arbeiter und Bauern, ein Kerl, der seine Kosaken bei der Stange hielt, indem er ihre Mord- und Plünderungsinstinkte auf den ewigen Prügelknaben der arischen Rasse, auf den jüdischen Teil der Bevölkerung, ablenkte. Die scheußlichsten Pogrome während des russischen Bürgerkriegs kommen auf sein Konto.

Der Vertreter der Familie Petljuras in dem Prozeß suchte die Wahrheit über die ukrainischen Pogrome dadurch zu verfärben, daß er die Beschuldigung, die Massenmetzeleien unter der armen jüdischen Bevölkerung angezettelt zu haben, auf die anarchistische Machnowstschina zurückwarf, die mit ihren Parteikämpfen gegen Denikin und Wrangel der gesamtrussischen Revolution unvergängliche und durch keine Verleumdung zu verkleinernde Dienste geleistet hat. Unter diesen Verleumdungen ist immer wieder auch die laut geworden, Machno habe Pogrome veranstaltet oder doch geduldet. Der Vorwurf wurde von der Konterrevolution erhoben, um ihn von sich selbst abzulenken, von den Bolschewiken, um ihrem Ausrottungskampf gegen die ukrainischen Anarchisten Popularität zu geben und wurde schließlich auch von den bourgeoisen Juden Charkows geglaubt und verbreitet.

In der "Geschichte der Machno-Bewegung" von P. Arschinoff (Herausgegeben von der Union anarchistischer Vereine Berlin 1923) wird die Verlästerung Machnos schon gründlich widerlegt. Doch ist es erfreulich, daß der Verlauf des Schwarzbardprozesses dem Genossen Machno jetzt Anlaß gegeben hat, dem Verteidiger Torres eine Erklärung zu übersenden, die die linksrevolutionäre Korrespondenz INO verbreitet. Darin stellt er fest: "Die ukrainischen Arbeiter - Juden und Nichtjuden - wissen genau, daß die Bewegung, an deren Spitze ich mehrere Jahre stand, eine sozialrevolutionäre Bewegung war, die Arbeiter der verschiedenen Rassen, die alle gleichmäßig betrogen und unterdrückt sind, nicht etwa trennen, sondern sie zu gemeinsamer Aktion gegen ihre Unterdrücker vereinigen wollte. Der Geist der Petljuraschen Pogrome war ihr daher völlig fremd, und die Pogrome bildeten keinen Teil ihrer Aktion."

Machno berichtet, daß die Armee revolutionärer Insurgenten, die seine Avantgarde bildete, sehr viele Juden zählte, ja "das Regiment von Gul- Pole hatte eine Kompanie von über 200 Mann ausschließlich jüdischer Arbeiter. Es gab eine Batterie von 4 Geschützen, bei der alle, Führer und Mannschaften, Juden waren." Daneben bestanden gemischte Einheiten. "Alle diese jüdischen Insurgenten standen unter meinem Kommando, nicht monate- sondern jahrelang." "Jeder Versuch, einen Pogrom oder eine Plünderung zu organisieren, wurde stets in der Wurzel erstickt, die Schuldigen auf der Stelle füsiliert."

Machno führt dann die einzelnen Fälle auf, die ihn zu den blutigen Maßnahmen gegen die Judenmörder veranlaßten. "Niemals", schließt der Protest, "während ihrer langen und müheseligen revolutionären Aktion ist die Machno-Armee von ihrer bedingungslosen Gegnerschaft gegen Antisemitismus und Pogrome abgewichen. Anders konnte es gar nicht sein; denn sie war der wahrste Ausdruck der ukrainischen Arbeiterschaft und der ukrainischen Revolution selbst."   

Gehässigkeit und Parteiinteresse sind schlechte Historiker. Die Zukunft, die unsre Gegenwart als Vergangenheit zu beurteilen haben wird, wird die Ereignisse dieser Zeit zusammenrücken, wie sie zusammengehören. Dabei wird mancher unsrer Zeitgenossen Schaden nehmen an seinem Glorienschein, manch andrer aber - und mir scheint, Nestor Machno wird einer von ihnen sein - wird im Gedächtnis der Nachwelt zu den Ehren kommen, um die ihn seine Mitwelt betrogen hat.

Aus: Fanal, 2. Jahrgang, Nr. 3, Dezember 1927. Digitalisiert von www.anarchismus.at anhand eines PDF der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien (bearbeitet, Oe zu Ö usw.)


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