Rudolf Rocker - Die Waffen nieder, die Hämmer nieder! (1919, Auszug)

Genossen, ist es nicht an der Zeit, (...) (den) fürchterlichen Zuständen ein Ende zu bereiten? Können wir länger die schwere Verantwortlichkeit des Brudermordes auf unser Gewissen laden? Ist es nicht die höchste Zeit, der brutalen Gewalt Einhalt zu gebieten, indem man ihr die Gewaltmittel verweigert? (...) Wir haben kein Recht, über unsere Sklaverei zu murren, solange wir selbst unsere eigenen Ketten schmieden. Die Verweigerung der Waffenproduktion ist die einzige Garantie, dem organisierten Massenmord ein Ende zu bereiten.

Genossen der Rüstungsindustrie! Das Schicksal des Volkes liegt in eurer Hand. Ein ernster, männlicher Entschluß eurerseits wird auch außerhalb unserer Grenzen seine Wirkung nicht verfehlen. (...) ein Entschluß, wie ich ihn hier vorschlage, wäre eine Manifestation der Arbeiter selbst, eine öffentliche, feierliche Dokumentierung unserer Friedens- und Freiheitsliebe, und glaubt mir, Kameraden, er würde und müßte ein Echo finden in den Herzen des Proletariats aller Länder.

Vielleicht wird man uns den alten Vorwurf machen, daß wir das Vaterland schutzlos der Willkür des Feindes ausliefern wollen. Aber muß nicht jeder, angesichts der grausigen Vorgänge der letzten vier Jahre, zu der Überzeugung kommen, daß die schlimmste Invasion nicht imstande gewesen wäre, so viel namenloses Unglück über unser Volk zu bringen wie gerade die Verteidigung des Vaterlandes?

Heute aber ist dieser Einwand überhaupt gegenstandslos geworden, denn wir sind so gründlich und entscheidend aufs Haupt geschlagen, daß jeder Gedanke einer Verteidigung einem übermächtigen Feinde gegenüber ein wahnsinniges Verbrechen wäre. Uns bleibt nur noch eine Waffe - die moralische Einwirkung auf die Arbeiterklasse der anderen Länder, und die Annahme meines Antrags durch diesen Kongreß wäre ein mächtiger Schritt in diese Richtung.

Die Regierungen der Alliierten haben uns keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie entschlossen sind, die Stärke des deutschen Heeres gewaltig zu reduzieren. Wenn die Berichte der Presse auf Wahrheit beruhen, wird England sogar die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland kategorisch fordern und nur eine Söldnerarmee in beschränktem Umfange zulassen. Wenn das der Fall ist, dann wird unsere Verantwortlichkeit noch größer und mein Vorschlag für die Zukunft doppelte Bedeutung haben. Der Jüngling, der durch die allgemeine Wehrpflicht in die Armee hineingepreßt wird, bleibt immer noch Mensch und wartet mit Ungeduld des Momentes, wenn er die Uniform wieder mit dem Zivilrock vertauschen kann, um zurück in den Kreis seiner Volksgenossen zu treten. Der Söldner aber, der aus dem Menschenmord ein Gewerbe macht und die brutale Gewalt zur Tugend erhebt, ist entweder ein Wesen, dem jedes moralische Verantwortungsgefühl für seine Handlung abgeht oder ein innerlich verrohtes Individuum, in dem jede Spur der Menschlichkeit erstorben ist.

Wehe uns, wenn wir unser Schicksal und das Schicksal unserer Kinder einer Prätorianerhorde ausliefern! Der Anfang dazu ist leider schon gemacht. Alle die Freiwilligenkorps, (...) angeblich um die deutschen Grenzen zu sichern, sind in Wirklichkeit nur die Stoßtruppen, die man braucht, um die Revolution zu erdrosseln und der Gegenrevolution zum Siege zu verhelfen.

Gerade deshalb Genossen tritt die moralische Pflicht umso gebieterischer an uns heran, der brutalen Gewalt das Machtmittel der Waffen zu verweigern. Bisher waren die Arbeiter leider allzu bereit, ihr Leben für fremde Interessen in die Schanze zu schlagen. (...)

Man versichert uns jeden Tag, in allen denkbaren Variationen, daß Deutschland am Rande des Abgrunds stehe, daß uns Hunger und namenloses Elend drohen und daß nur die Arbeit, die fleißige und nutzbringende Arbeit uns noch retten könnte.

Nun gut denn, so laßt uns endlich die Betriebe des Todes und der Zerstörung schließen und in Quellen lebenspendender und fruchtbarer Arbeit umwandeln, damit unser gehetztes und geplagtes Volk endlich wieder gesunden kann, gesunden soll.

"Dem Staat keinen Mann und keine Waffe!" das sei unser heiliges Gelöbnis für die Zukunft, auf das uns endlich die wirkliche und wahre Revolution entstehe, die uns das Reich des Friedens und der Freiheit, das Reich des Sozialismus bringen wird (…)

Resolution: In Erwägung, daß die Befreiung der Arbeiterklasse das Werk der Arbeiterklasse selbst sein muß - in fernerer Erwägung, daß der systematische Völkermord und die gewaltsame Unterdrückung der besitzlosen Volksklassen nur durch die Mithilfe der Arbeiter möglich wird, beschließt die Reichskonferenz der Rüstungsarbeiter, allen in der Waffenindustrie beschäftigten Arbeitern vorzuschlagen, jede fernere Erzeugung von Kriegsmaterial prinzipiell abzulehnen und eine Umstellung der Betriebe für Friedensarbeit zu erwirken.

Aus: "Die Waffen nieder – die Hämmer nieder!". Rede des Genossen Rocker (Berlin) gehalten auf der Reichskonferenz der Rüstungsarbeiter Deutschlands, abgehalten vom 18. bis 22. März 1919 in Erfurt, Verlag "Der Syndikalist" Fritz Kater, Berlin 1919, S. 12-16)

Originaltext: Degen, Hans-Jürgen: „Tu was du willst“. Anarchismus – Grundlagentexte zur Theorie und Praxis. Verlag Schwarzer Nachtschatten 1987. Digitalisiert von www.anarchismus.at


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