Peter Kropotkin und der Erste Weltkrieg
Peter Kropotkin rückte während des Ersten Weltkrieges von seiner antimilitaristischen Position ab und bezog Stellung für die Entente (Frankreich, England, Russland) - u.a. war er einer der Unterzeichner des "Manifest der Sechzehn". Hintergrund für seine deutschfeindliche Haltung war u.a. die Einschätzung, dass der deutsche Imperialismus eine Gefahr für die Arbeiter der Welt sei und auf alle Fälle besiegt werden müsse. In der anarchistischen Bewegung, die es traditionell bei internationalen Konflikten ablehnte, sich auf die Seite einer der beiden Kriegsparteien zu schlagen, stieß Kropotkins Position auf massive Ablehnung. Der folgende Text ist eine Stellungnahme der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVDG) aus dem Jahre 1915. Erschienen ist sie im „Mitteilungsblatt der Geschäftskommission der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften“, Nr. 28 vom 20. Februar 1915.
Auch ein Kriegsopfer
Über die Stellungnahme Peter Kropotkins zum gegenwärtigen Kriege besteht unter unseren Genossen vielfach Unklarheit. Wir halten es deshalb zur Klärung dieser Sache, die uns allen mehr oder minder nahe gehen muß, für ersprießlich, eine Preßäußerung des berühmten russischen Gelehrten wiederzugeben, die seinen totalen Meinungswechsel ebenso deutlich wie peinlich illustriert. Kropotkin schreibt in dem französischen Blatte „Dépeche de Toulouse“:
‚Die wahren Friedensfreunde (?!) müssen nunmehr, seit dem Augenblick, dass sie diese Tragödie nicht verhindern konnten – und ich für meinen Teil habe seit Jahren getrachtet, das zu tun, indem ich stets auf die deutsche Gefahr hinwies -, mit aller Kraft für die vollkommene Zerschmetterung des preußischen Militarismus kämpfen, dessen Sieg den Frieden für mindestens ein Jahrhundert unmöglich machen würde. Für unsere Generation ist das eine Frage auf Leben oder Tod. Und was den Internationalismus betrifft, so darf nicht vergessen werden, dass die Idee der gegenseitigen Hilfe zwischen den Nationen dem Kosmopolitismus entgegensteht, der keine andere Bedeutung haben kann als die törichte und unmögliche Vernichtung aller Nationalitäten. (Genau dasselbe behaupten auch die sozialdemokratischen Chauvinisten in allen Ländern, Übers.) Der Kosmopolitismus kann für die Teutonen geeignet erscheinen, die davon träumen, aus der Welt ein germanisches Reich zu machen, aber nicht für die andern Völker, für die Romanen am allerwenigsten.
Aber der Internationalismus verpflichtet die Kulturnationen, gemeinsame Sache zu machen gegen das mächtige Volk, das ohne Grund ein kleines Volk überfällt, gegen ein Österreich, das Serbien ersticken möchte, gegen ein Deutschland, das die Rechte von Belgien und Luxemburg mit Füßen tritt. Übrigens verpflichten unsere internationalistischen Prinzipien uns, dafür zu sorgen, dass die Verträge zwischen Nationen (hier also das kulturschänderische Bündnis zwischen den russischen, englischen und französischen Regierungen, Übers.) ebenso heilig sind, wie die Übereinkommen, die wir für die zukünftigen freien Gemeinschaften erstreben.
Mit einem Wort – sagt Kropotkin zum Schluß – es gibt augenblicklich nur zwei Heerlager: das der Barbaren und das der Kulturmenschen (!). Und ich will nur für die letzteren Sympathie fühlen. Über den Ausgang des Krieges existiert nicht der geringste Zweifel. Der Kampf wird schwer und langwierig sein, vor allem im Osten, aber die Kultur (d.h. also der Dreiverband) wird schließlich siegen.’
Wie man sieht, hat Kropotkin die Kämpferreihen des vaterlandslosen revolutionären Sozialismus nur verlassen, um zu den Kriegshetzern gefährlicher Sorte überzulaufen. Denn dass seine ‚Vernichtung des preußischen Militarismus’ die Verlängerung des fürchterlichen Völkerschlachtens auf lange Jahre hinaus bedeutet, dürfte ihm wohl selbst am klarsten sein. Wir müssen uns jetzt jedes weitere Wort der Kritik versagen, und nur der herbe Gedanke drängt sich uns auf, wie viel besser es doch um den großen Namen mancher Leute bestellt sein würde, wenn sie zur rechten Zeit gestorben wären.
Originaltext: http://syndikalismus.wordpress.com/2011/02/22/syndikalisten-gegen-kropotkin-1915/