Erich Mühsam - Die Todesstrafe

Der letzte deutsche Juristentag hat sich mit Entschiedenheit für Beibehaltung der Todesstrafe ausgesprochen. Damit hat er logisch, konsequent und insofern löblich gehandelt, als sein Votum einen lehrreichen Einblick in die Psyche unserer in Rechtsdingen staatlich examinierten Mitmenschen gestattet. Wer sich befugt hält, im Namen eines abstrakten Staatsbegriffs andern Leuten Freiheit, Vermögen und Ehre abzuerkennen, der handelt nur folgerichtig, wenn er seine Verfügungsmacht auch über das Leben solcher Zeitgenossen erstreckt sehen möchte, die an der staatlich gefügten Menschengemeinschaft zu Verbrechern wurden.

Strafen ist ein Gewerbe, und zwar ein staatlich monopolisiertes. Die Rache für erlittene Unbill ist dem Gekränkten entzogen. Wie die Beförderung schriftlicher Mitteilungen zwischen den Menschen vom Staate besoldeten Briefträgern vorbehalten ist, so überträgt der gleiche Staat die Reparatur aller Schädigungen, die die Menschen einander zufügen, der Einsicht unbeteiligter Personen in die Paragraphen der Gesetzbücher. Der Fehler dieses Verfahrens ist nur, dass Verurteilungen niemals die erwünschte Reparatur des beklagten Schadens bringen. Der ermordete Bankier bleibt tot; das abgebrannte Haus bleibt abgebrannt; der Bestohlene ist sein Geld los, — und kriegt er es im Ausnahmefall wieder, so dankt er das nicht dem Verurteilt werden, sondern nur dem Erwischtwerden des Diebes. Dass Bestrafungen die Delinquenten bessern, behaupten heutzutage selbst die Juristen nicht mehr. (Höchstens im Falle der Hinrichtung wäre es denkbar. Doch würden Erörterungen hierüber ins Gebiet der Metaphysik gehören.) Die Abschreckungstheorie wird durch jede Statistik widerlegt. Bleibt als einziger Zweck der Rechtsübung: die Staatsraison.

Also die Staatsraison verlangt's, dass — immerhin examinierte, — Männer der Gerechtigkeit die Wage aus der einen, das Schwert aus der andern Hand nehmen und im Besitze dieser Instrumente jede aus der Fasson geratene Tugend wieder einrenken. Kann man es nun den Herren Juristen verdenken, dass sie mit dem Schwert der Frau Nemesis nicht blos ritzen, sondern auch köpfen möchten? Es wäre unbillig, soviel Enthaltsamkeit von Ihnen zu verlangen. Der Beschluss der Juristen, das Recht, Todesurteile zu fällen, nicht gutwillig preiszugeben, hat bei humanen und besonders bei liberalen Staatsbürgern heftigen Widerspruch gefunden. Die finden, dass der Gerechtigkeit Genüge geschieht, wenn Menschen, die durch Unterernährung, akute Not, bittere Erfahrungen oder entzündete Leidenschaften zu Mördern wurden, für Lebenszeit ins Zuchthaus gesperrt werden. Wenn man nämlich dem Delinquenten nicht auf Anhieb das Lebenslicht ausbläst, sondern ihm das Sonnenlicht entzieht, den Verkehr mit den Seinen verbietet, die Bewegung seiner Glieder hindert, ihn bei schlechter Kost zu verhasster Arbeit zwingt, ihn des belebenden Zustroms der Natur entwöhnt und ihn so langsam verdorren lässt, — dann hat die Humanität der Liberalen über die geschäftige Grausamkeit der Juristen einen gewaltigen Triumph errungen. Gott sei Dank sind sich die beiden Parteien wenigstens in der Ablehnung der Prügelstrafe einig, die — in deutlichstem Gegensatz zum Köpfen und Eingittern — ein äusserst rohes Verfahren darstellt.

Die examinierte Gerechtigkeit schreit nach der Guillotine, die gefühlvolle Menschlichkeit nach dem Zuchthaus; — es ist eine Lust zu leben!

Aber die examinierte Gerechtigkeit will den Verdacht nicht auf sich sitzen lassen, als ob ihr die Staatsraison das Menschenherz aufgefressen hätte. So sammelt sie Stimmen für den Scharfrichter. Wo hat man sichere Gewähr für humane Menschlichkeit als bei der humanistischen Menschheit? Und die „Deutsche Juristenzeitung“ klopft an bei den Herren vom Katheder und von der Feder. Und siehe: es erwacht in ihnen das Rechtsbewusstsein; leuchtenden Auges treten sie — eine erlesene Schar — vor die Front der Öffentlichkeit, und stolz, antworten zu dürfen auf die Frage: Leben oder Sterben? — dekretieren sie: Kopf ab!

Liebe Bekannte findet man unter den exekutionsfreundlichen Kapazitäten. Greifen wir ein paar heraus. Erich Schmidt. Der milde Professor, der Liebling der Damen, der Berliner Festarrangeur und Jubiläumsdiplomat. Ich sehe ihn, das sauber rasierte Kinn auf die gepflegte Hand gestützt, wie er seinen Hörerinnen — in jeder schlummert eine Hedda Gabler — gewinnend lächelnd seinen Standpunkt darlegt: o ja, Milde, Sanftmut, Schonung und Menschlichkeit sind gewiss gute Dinge; aber messieucs les assassins mögen damit anfangen. Erich Schmidt — heisst er nicht etwa schon Exzellenz? — möchte also den Mördern in der Übung gesitteter Eigenschaften den Vortritt lassen. Darüber lässt sich nicht rechten. Es muss jeder selbst am besten wissen, wohin er sich in der mensch-
lichen Gesellschaft rangiert sehen will.

Ernst Haeckel. Auch der wünscht die Todesstrafe in Kraft erhalten zu sehen. Er bedauert zwar, dass er das wünschen muss. Aber er hält das Guillotinieren imme noch für das wirksamste Mittel, die Menschheit von den Frevlern am Leben andrer Leute dauernd zu befreien Die Richtigkeit dieser Häckelschen Logik wird ihm sein giftigster Feind nicht abstreiten mögen. Wer einmal um seinen Kopf verkürzt ist, der wird so leicht nicht wiede einen Menschen umbringen. Das weiss Ernst Häckel am allerbesten. Er hat die Welträtsel gelöst. Für ihn ha das Leben keine Geheimnisse mehr. Er weiss, was wir an aller Anfang Uranbeginn gewesen sind; er weiss was an aller Ende Urende aus uns wird. Da braucht ihn auch der Tod nicht zu schrecken, am wenigsten der Tod des andern, des Mörders, des Geköpften. Eine kurze Betrachtung möchte ich Herrn Professor Häckel nahelegen: Die menschliche Gesellschaft hat durch Jahrtausende die Verneinung Gottes — desselben, den Häckel als gasförmiges Wirbeltier verulkt — als weit schwereres Verbrechen als Mord betrachtet und mit Steinigen, Kreuzigen und Verbrennen geahndet. Wie würde sich der Herr Sachverständige in Hinrichtungsdingen zur Todesstrafe stellen, wenn diese Rechtsauffassung heute noch Geltung hätte? Schliesslich: Ludwig Fulda. (Der Dichter!) — Soll ich mit ihm streiten über das, was recht und unrecht ist? Ich soll nicht. Was so ein weltfremdes Dichtergemüt sinnt und träumt — wir wollen es lassen stehn. Recht muss Recht bleiben, und wer mordet, der soll gemordet werden. Für Lustmörder wäre eine Strafverschärfung am Platze: Deren Haupt soll man nicht einfach auf den Block legen. Denen soll man Fuldasche Stücke vorspielen, bis sie verreckt sind. Die Jurisprudenz hat mit der Abschreckungstheorie schlechte Erfahrungen gemacht. Ich halte auch nichts davon. Aber ich glaube doch, dass sich nach Einführung des von mir angeregten Verfahrens die Lustmorde bald erheblich vermindern werden.

Schmidt, Häckel, Fulda — die Staatsraison braucht noch nicht zu verzweifeln. Was will gegen das Gewicht solcher Stimmen die Tatsache bedeuten, dass sich ein im Königreich Preussen konzessionierter Scharfrichter für Abschaffung der Todesstrafe ausgesprochen hat? — Der Faulpelz!

Aus: Kain. Zeitschrift für Menschlichkeit, 1. Jahrgang, Nr. 1/1911. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


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