Erich Mühsam - Schriftsteller, Anarchist (1878 - 1934)
1878: 6. April: Erich Mühsam wird in Berlin als Sohn des jüdischen Apothekers Siegfried Seligmann und dessen Frau Rosalie (geb. Cohn) geboren. Er hat drei Geschwister und wächst in Lübeck auf.
1896: Wegen "sozialistischer Umtriebe" wird er des Gymnasiums verwiesen. Er wechselt die Schule und erlangt mit Abschluss der Untersekunda in Parchim (Mecklenburg) die mittlere Reife.
1896-1899: Mühsam absolviert eine Apothekerlehre.
1900: Als Apothekengehilfe arbeitet er in Lübeck, Blomberg (Lippe) und Berlin.
1901: Mühsam lässt sich als freier Schriftsteller in Berlin nieder und schließt sich der Dichtergruppe "Neue Gemeinschaft" an. Er freundet sich mit Gustav Landauer (1870-1919) an, der ihn mit der kommunistisch-anarchistischen Bewegung bekannt macht.
1901-1904: In den folgenden Jahren entwickelt er sich zum Vertreter eines "literarischen Anarchismus", in dem er sich gegen bürgerliche Normen und staatliche Zwänge ausspricht. In seinem von ihm "Gefühlsanarchismus" genannten Stil verschmelzen Ansätze anarchistischer Theoretiker wie Pierre Joseph Proudhon (1809-1865), Michail A. Bakunin (1814-1876), Pjotr A. Kropotkin (1842-1921) und Elemente des bürgerlichen Individualismus von Max Stirner (1806-1856) und Friedrich Nietzsche. Mühsam publiziert in den Zeitschriften "Simplicissimus", "Gesellschaft" und "Aktion". Seine Veröffentlichungen sind durch Kritik an bürgerlicher Autorität geprägt. Er betont seine Verbundenheit mit den sozial Benachteiligten.
1904: Mühsam kritisiert in seinen Zeitungsbeiträgen bürgerliche Tendenzen in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Den Marxismus lehnt er wegen autoritärer Züge ab. Stattdessen setzt er auf die "Revolte des Subproletariats", auf eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaftsstruktur durch die untersten sozialen Schichten.
1904-1908: Er unternimmt ausgedehnte Reisen nach Zürich, Ascona, Norditalien, München, Wien und Paris. Möglich werden dem nicht begüterten Mühsam diese Reisen durch Einladungen befreundeter Schriftsteller.
1909: Nach Deutschland zurückgekehrt, gründet Mühsam in München die "Gruppe Tat" zur "Agitation des Subproletariats".
1909-1924: Mühsam wohnt in München-Schwabing und ist eine Zentralfigur der Schwabinger Bohème. Er freundet sich mit Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und Frank Wedekind an.
1910: Februar: Wegen "Geheimbündelei" wird Mühsam kurzzeitig inhaftiert und angeklagt, später jedoch freigesprochen.
1911-1919: Mühsam gibt "Kain. Zeitschrift für Menschlichkeit" heraus.
1914-1918: Während des Ersten Weltkriegs versucht er erfolglos, einen internationalen Bund der Kriegsgegner zu gründen. Seine radikale Auflehnung gegen den Krieg und den Kapitalismus bleiben ohne Auswirkungen. Er ist ein scharfer Verfechter einer antimilitaristischen und pazifistischen Gesinnung und nähert sich der politischen Position Karl Liebknechts an.
1915: Wegen Kriegsdienstverweigerung wird er zu sechs Monaten Festungshaft verurteilt.
1916: Mühsam sympathisiert mit der Spartakusgruppe. Er ist Organisator von Protesten und Streiks gegen den Krieg.
1917: Nach dem Sieg der Bolschewiki in der russischen Oktoberrevolution distanziert sich Mühsam von der Münchner Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) um Kurt Eisner, die ihm nicht radikal genug politische Ziele verfolgt.
1918: März: Wegen radikaler Straßenaktionen und wegen Streikaufrufen wird Mühsam in Traunstein interniert, nach wenigen Wochen aber wieder freigelassen. 7. November: Mühsam ist als radikaler Verfechter des Rätesystems und als Mitglied der Münchner Arbeiter- und Soldatenräte an der Novemberrevolution beteiligt.
1919: Als Mitglied des Münchner Rats der Volksbeauftragten ist er neben Landauer und Toller eine politische Leitfigur der Münchner Räterepublik . 13. April: Er wird durch Mitglieder von Freikorps verhaftet. 7. Juli: Wegen Beteiligung an der Revolution wird er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt. Herbst: In der Haft ist Mühsam für einige Wochen Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Er entwirft das "Proletarisch-revolutionäre Einigungsprogramm Links von den Parteien", mit dem er den Zusammenschluss aller linken Kräfte gegen nationalistische, bürgerliche und militaristische Tendenzen anstrebt. Ebenfalls in der Haft entstehen zahlreiche Kampflieder wie die vielgesungene "Räte-Marseillaise", der "Rotgardistenmarsch" oder das Spottlied "Der Revoluzzer".
1924: 24. Dezember: Mühsam wird im Rahmen einer allgemeinen Amnestie freigelassen und lässt sich in Berlin nieder.
1925: Als Mitglied der "Roten Hilfe Deutschland" setzt er sich in Reden, Protestkundgebungen und Straßenaktionen für die Befreiung politischer Strafgefangener ein. Wegen seiner Nähe zur KPD wird er aus der "Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutschlands" ausgeschlossen, in der er nur wenige Monate aktiv war. Mühsam wird Wortführer der neu gegründeten "Anarchistischen Vereinigung".
1926-1931: In seiner Zeitschrift "Fanal" sowie auf Vortragsreisen äußert er sich besorgt über den Aufstieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) und bemüht sich um die Einigung der proletarisch-revolutionären Bewegung. Trotz andauernden sozialrevolutionären Engagements bleibt Mühsam ein politischer Einzelgänger, der sich keiner Partei anschließt.
1927/28: Er gehört dem künstlerischen Beirat der Piscator-Bühne Berlin an.
1928: Mühsam schreibt in Berlin das Drama "Staatsraison", das den Fall der beiden in den Vereinigten Staaten von Amerika zum Tode verurteilten italienischen Kommunisten Nicola Sacco (1891-1927) und Bartolomeo Vanzetti (1888-1927) darstellt.
1928-1931: Er hat verstärkt Kontakte zur Führung der KPD, aber ebenso zum "sozialistischen" Flügel der NSDAP um Otto Strasser.
1930: Mühsams letztes Stück wird in München aufgeführt. Unter dem Titel "Alle Wetter" inszeniert er die Gefahr einer nationalsozialistischen Machtergreifung.
1931: Er wird wegen wiederholter Teilnahme an radikalen Aktionen aus dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller ausgeschlossen, deren Mitglieder sich der Überparteilichkeit verpflichtet haben.
1932: Joseph Goebbels nennt Mühsam einen jener "jüdischen Wühler", mit denen man "kurzen Prozess" machen werde, sobald die NSDAP die Macht errungen habe.
1933: 27. Februar: Am Tag des Reichstagsbrands wird Mühsam von Mitgliedern der Sturmabteilung (SA) verhaftet und in das Berliner Gefängnis Lehrter Straße gebracht.
1933/34: Ohne Verurteilung ist er im Konzentrationslager (KZ) Sonnenburg, dem Gefängnis Berlin-Plötzensee und dem Zuchthaus Brandenburg inhaftiert. Er wird schwer misshandelt.
1934: Januar: Mühsam wird in das KZ Oranienburg verlegt. 10. Juni: Erich Mühsam wird in einer Latrine des KZ erhängt.
1935: Im Nachlass Mühsams befinden sich hunderte unveröffentlichte Aufsätze, Stücke, Dramen und Lieder. Der sowjetische Geheimdienst "Nationales Komitee für innere Angelegenheiten" (NKWD) gelangt auf ungeklärte Weise an diese Unterlagen und bringt sie nach Moskau, wo sie im Maxim-Gorki-Institut archiviert werden.
Mehr zu Erich Mühsam: http://www.muehsam.de/
Überarbeitet nach: http://mitglied.lycos.de/absurdist/, www.anarchie-revolte.de