Unser Weg und Ziel!
Einer Welt von Feinden und Widersachern tritt unser Blatt entgegen. So unerfreulich dies sein mag, gerade damit wird seine unbedingte Existenznotwendigkeit erwiesen, unsere Aufgabe uns vorgezeichnet.
Nicht der „Wohlstand für Alle“, die Zeitschrift an und für sich ist es, was diesen Hass erweckt; es sind die Prinzipien, die Ideale, die der „W.f.A.“ vertritt, die ihn verursachen. Wäre er ein Regierungsblatt, dann fände er bestehende Kreise, die ihn willkommen hiessen; wäre er ein Blatt der politischen Linken, so könnte er auch da leicht Bundesgenossen finden.
Allein der „W.f.A.“ ist weder das eine noch das andere; unser Blatt ist vor allem selbständig, vollständig unabhängig, sowohl von der Rechten, wie auch der Linken der politischen Parteien. Und so begegnet er ihrer gemeinsamen Feindschaft, ihm gegenüber pflanzt sich eine einheitlich verbundene Parteienkonsolidation auf; er begegnet einem desto grimmigeren Hasse, als er das Parteiwesen aller Kliquen bekämpft, seine eigene Bewegung, jene der Armen, Bedrückten und Elenden von allem Parteiunwesen befreien will.
Aber sein Name ist ein Programm, und in diesem Namen und Programm bietet sich seine Weltanschauung dar. Ihretwegen blicken nur feindselige Augen auf den „W.f. A.“, denn der klaren Erkenntnis seiner Weltanschauung gegenüber müssen alle Parteien durchschaut verstummen.
Ein Gemeinschaftliches vereinigt sie, trennt uns von ihnen, lässt sie uns hassem, weil fürchten: Sie alle sind staatsgläubig, erkennen die gesellschaftliche Notwendigkeit irgendeiner Form autoritärer Beherrschung für die Menschen an und sind gemeinsam beseelt von dem ihnen allen gleichen Verlangen, die herrschende Staatsgewalt zu stürzen und für ihre eigenen Parteizwecke zu ergattern. Sie alle wollen die Herrschaft, die Gewalt — den Staat. Alle ohne Ausnahme.
Die Konservativen wollen den Absolutismus — den Staat! Die Konstitutionellen wollen die Beschränkung des Absolutismus — den Staat! Die Liberalen, die Christlichsocialen, die Deutschnationalen, die Freisinnigen — alle wollen den Staat! Die Demokraten und Sozialdemokraten wollen den Volksstaat, den Staat! Die Republikaner wollen den Staat! Kurz, alle sind darin einig, dass das Zusammenleben der Menschen der zentralen Gewalt des Staates bedarf, darin finden sie sich als Bundesgenossen: als staatserhaltende Kräfte; ihr einziger Zankapfel ist der, dass jede einzelne Partei gegenüber allen übrigen den Staat für sich und ihre Zwecke kapern möchte.
Der Hass, die blinde Wut, denen der „W.f.A.“, begegnen wird, rührt von dem einen, gewaltigen, historisch alle Vergangenheit und unmittelbare Zukunft durch reissenden Umstand her: Wir, die wir den „ W.f.A.“, herausgeben, gründen hiermit ein Blatt, das wegen des einen Prinzips von allen Parteien bekämpft werden wird: Geistig sowohl als praktisch erstreben wir eine staatslose Gesellschaftsorganisation!
Unser Ziel ist die freie Gemeinschaft der ökonomisch, politisch-sozial und moralisch von allen Fesseln der Autorität befreiten Individuen, die das höchste Kulturideal der Freiheit und des Friedens nur erreichen können durch die Abwesenheit jeder Herrschaft — die Anarchie!
Wir sind Anarchisten! Stolz bekennen wir es, trotz aller Vorurteile und dünkelhafter, absichtlicher Falschdeuterei, trotz aller aufrichtigen Missverständnisse, die uns bekämpfen, weil sie in uns die Verkörperung aller Brutalität, Niedertracht und Menschenschändung zu erblicken gelehrt wurden — in uns, die wir Materialisten und Idealisten in einem, die wir das höchste Glück der Menschheit, ihren Frieden, erstreben, das Glück, die Freiheit der Völker und der Einzelmenschen — den Wohlstand für Alle!
Uns gegenüber pflanzt sich eine einzige, einige Armee auf: die Parteien der Rechten und der Linken reichen sich versöhnt die Hände in ihrem Kampfe wider uns! Sie sind die Archisten — wir sind die Anarchisten!
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Wir wollen an dieser Stelle nicht von unseren kapitalistischen und staatlichen Gegnern reden, denn aus dem Obigen geht schon deutlich genug hervor, dass wir grundsätzliche Gegner der heutigen Weltordnung sind. Kurz sei es gesagt: Wir sind Gegner der kapitalistischen Produktionsweise, weil ihr privateigentümlicher Monopolbesitz das Elend und die Not der Millionen Besitzlosen verursacht, weil er die Menschheit in Klassen spaltet, in die Besitzenden und Besitzlosen, in die Herrschenden und Proletarier. Als Kommunisten treten wir diesem Zustand entgegen, erstreben die Umwandlung des Privateigentums im Gemeinschaftseigentum. Jede Aktion des Proletariats, soweit sie diesem Ziel direkt, im Interesse der Gesamtklasse, aufrichtig zustrebt, werden wir befürworten und unterstützen. Wir erkennen den Klassenkampf des Proletariats an in dem Sinne, dass das Proletariat als die bedrückteste Klasse, das vornehmste Interesse besitzt, sich von den Fesseln der Gegenwart zu befreien und an ihrer Stelle eine freie Gesellschaft zu errichten. Die ökonomische Grundlage dieser Gesellschaft soll der Kommunismus sein.
Für ihn wird unser Blatt kämpfen — wir sind durch und durch ein sozialistisches Organ.
„Weshalb kämpft Ihr nicht in den Reihen der Sozialdemokratie? Sind Sozialdemokraten nicht auch Sozialisten?“ Auf diese Frage müssen wir eine deutliche Erklärung geben, denn wir sind gegen jede Zersplitterung der Arbeiterbewegung aus persönlichen Ehrgeizinteressen, gegen jede, wenn es nur irgend angängig, sie zu vermeiden, zu überbrücken. Aber dort, wo es sich umverschiedene Prinzipien handelt, um das Ergebnis einer grossen historischen Geistesentwicklung des Proletariats können wir nicht anders, als unseren eigenen Weg gehen, müssen die Fehler sämtlicher Gegner und irrenden Brüder aufdecken, da wir nur so im Stande sind, das wahre Endziel unseres Kampfes zu fördern, es je zu erreichen.
Wir kämpfen nicht in den Reihen der Sozialdemokraten, weil diese Partei einerseits den Kommunismus des „Kommunistischen Manifestes“ längst aufgegeben, theoretisch kollektivistisch geworden, weil sie anderseits den Sozialismus prinzipiell überhaupt nicht mehr vertritt, sondern eine demokratische kleinbürgerliche Reformpartei geworden ist, im günstigsten Sinne eine Art Staatssozialismus vertritt, die jedem Kulturmoment feindlich ist.
Hervorgehend aus den Kämpfen der alten „Internationale“ von 1864 bis etwa 1880 haben sich, sowohl die Bewegungsprinzipien vor dieser „Internationale“, wie die in ihr selbst ruhenden zusammen fassend, zwei weltgeschichtliche Auffassungen des proletarischen Kampfes entwickelt. Die eine, theoretisch formuliert im Marxismus, vertritt die Idee, den Staat durch die Diktatur des Proletariats zerringen und ihn dann umzuwandeln in einen sozialdemokratischen Volksstaat; die andere, formuliert von den Grundsätzen des kommunistischen Anarchismus, ist gegen jede Diktatur also auch jene des Proletariats und erblickt die ökonomische Umwälzung der Gegenwartsverhältnisse darin gegeben, dass das Herrschaftsprinzip der Staatsgewalt aus der wirtschaftlichen Umgebungswelt enfernt werde; dass der Sozialismus nicht etabliert werde als sozialdemokratischer Volkstaat, sondern als die autonome Föderation freier Gruppierungen der Produktion, des Konsums, des Geistes- und Liebeslebens, eine Föderation, die zusammengehalten wird durch das Gegenseitigkeitsband kommunistischer Solidarität und von jeder Zentralleitung und Gewalt, wie es die Sozialdemokraten wollen, frei ist.
So manche, die sich wer weiss wie klug dünken, werden höhnisch lächelnd meinen, dies sei ja nur Zukunftsmusik. Die armen Tröpfe, diese Betörten, die so armselig oberflächlich in die Geisteswelt des Socialismus eindrangen! Denn muss schon das von der intelligenten Willensrichtung der Individuen abhängige Streben unbedingt einen führenden Einfluss auf die Zukunft haben, so ergeben sich aus den obigen Differenzen der Auffassung auch grundverschiedene Weltanschauungen, von diesen ausgehend — wie wichtig ist doch die Erkenntnis der Theorie! — grundverschiedene, taktische Methoden, die prinzipiell, wie praktisch zu beleuchten gerade die Aufgabe unseres Blattes bilden muss.
Ausgehend von ihrem Staatssozialismus verlegen die Sozialdemokraten ihr ganzes Mühen und Streben darauf, an der Gesetzgebung der Bourgoisie im Parlamente — selbst eine bourgeoise Einrichtung — teilzunehmen und widmen alle Kräfte des Proletariats diesem Zweck. Ausgehend von ihrer antistaatlichen Überzeugung bekämpfen die kommunistischen Anarchisten jede staatliche Aktivität, somit auch die Gesetzgebung und wollen alle Veränderungen des sozialen Lebens sich in diesem und durch sich selbst, also durch den sozial geführten Klassenkampf des organisierten Proletariats erreichen. Die historische Erfahrung lehrt uns, dass die Sozialdemokraten in allen Ländern, wo sie sich lange Jahrzehnte politisch-parlamentarisch betätigten, nichts, überall dort, wo die anarchistische Auffassung von dem Wesen und Ziel des Kampfes Platz gegriffen hat, die Arbeiter viel erzielt haben, geistig und sozial gereift sind.
Langsam, aber sicher scheint das internationale Proletariat, wie aus einem langen, historischen Parlamentsschlaf zu erwachen. Auch zum Teil in Österreich, obwohl es traurig genug ist, mitansehen zu müssen, dass unser Proletariat im allgemeinen noch nicht jene Lehren aus dem kläglichen Schiffbruch der parlamentarischen Aktion gewonnen hat, die sich doch besonders aufdringlich gerade in Österreich, diesem Lande des wertlosesten Parlamentarismus, aufdrängen.
Wir werden in der Folge durch Monographien über die sociale Bewegung in allen Ländern es beweisen, dass die Sozialdemokratie überall dort, wo sie ein Stück Macht errang, das Proletariat verriet, dort, wo sie gross an Zahlen und reich an Abgeordnetensitzen ist, nichts für das Proletariat tut, jeden revolutionären Innpuls der Zukunft aufgegeben hat, nichts für das Proletariat zu tun vermag. Stellen wir dem gegenüber das Erwachen des Proletariats in Frankreich und anderen Ländern! Überall die Erkenntnis, dass der Sozialismus — die Befriedigung der Magenfrage — allein nicht genügt; dass es ein Problem gibt, das auch die Lösung des sozialistischen in sich birgt, aber darüber weit hinausgeht, nämlich die Freiheit des Einzelnen und Aller, wie sie sich in dem Freiheit und Wohlstand für alle bergenden und bietenden Anarchismus darstellt. Und darauf fussend die taktische Erkenntnis, dass das öde, politische Kannegiessern und parlamentarische Scheingefecht das Proletariat nur entnerven, geistig verblöden kann; dass es einer Taktik bedarf, die revolutionär in das Bewusstsein eines jeden Einzelnen eingreift, des Generalstreiks, der prinzipiellen Gegnerschaft gegenüber dem Staate und seinen Gewaltstützen des Krieges und Militarismus — kurz, dass der Sozialismus, der seines Triumphes würdig sein, der Sozialismus, der die Möglichkeit eines solchen Kultursieges haben will, seine geistige und praktische Repräsentanz in der Theorie des kommunistischen Anarchismus finden muss, die alles Freiheitliche und Kulturelle der Menschheit einbegreift, alles Hemmende, Beherrschende ausschaltet.
Über diese grosse Kampfes- und Kulturbewegung unsere Leser eingehend zu informieren, ihnen die Überlegenheit unseres intellektuellen Standpunktes über jenen der Sozialdemokratie, sämtlicher Stützen der Gegenwartsgesellschaft in würdiger, aber auch geisselnder Weise zu demonstrieren, Weg und Ziel zu weisen, wohin der proletarische Emanzipationskampf sich zu wenden hat, das ist der Zweck unseres Erscheinens; das währen möge, bis dieser Kampf einkehrt in jenes Reich freudevoller Freiheit, des Friedens und des Wohlstandes für Alle, dessen Fundamente Kommunismus und Anarchie, das Gemeinschaftliche und Individuelle einer geläuterten Menschheit bilden sollen :
„Zu dir, o Freiheit! send' ich mein Verlangen,
Die mir der Zukunft dunkle Pfade weist,
Lass einen Strahl mich deines Licht's empfangen,
Ström' auf mich nieder deinen heil'gen Geist!
Gib, dass umwandelbar auf deinem hehren.
Geweihten Stern mein trunk'nes Auge ruht — .
Und lass des Glaubens nimmer mich entbehren
An Lieb' und Menschheit, an ein höchstes Gut!“
Die Herausgeber des „W.f.A“.
Aus: "Wohlstand für Alle", 1. Jahrgang, Nr. 1 (1907). Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.