Jens Herrmann - Was lange währt...: Die Schäfereigenossenschaft Finkhof

Teil 8 der Artikelserie Politische Gemeinschaften aus der Zeitschrift "Rabe Ralf"

Die Wurzeln des Finkhofs reichen bis 1970/71 zurück. Damals bildete sich in der Kleinstadt Isny im Allgäu eine kommunistische Jugendgruppe, deren Mitglieder die Schule verließen und bald einen leerstehenden Bauernhof, den Finkhof, bezogen. Politisch waren die Jugendlichen sehr aktiv. In dem Haus traf sich eine Generation Andersdenkender. Sie waren gegen den Kapitalismus und den Vietnamkrieg, wollten nicht so wie ihre Eltern werden. Nach und nach machten die jungen Menschen Ausbildungen, andere studierten.

1974/75 waren viele mit ihrer Ausbildung fertig und es stellte sich ihnen die Frage, was sie nun machen wollten. Es kam die Idee auf, Landwirtschaft und Schafzucht zu betreiben. Die Arbeit sollte nun, wie vorher nur die Freizeit, gemeinsam organisiert werden. Über die Landwirtschaft bildeten sich Kontakte zur Öko-Szene und zu anderen Projekten, wie "Longo Mai". 1976 hatten die KommunardInnen 100 Schafe - der Hof wurde zu eng. So pachteten sie 1977 einen großen Hof auf 1000 m Höhe. Gleichzeitig begannen sie mit Wolle zu handeln, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die anfangs getrennten Kassen wurden schnell zu einer großen Kasse zusammengelegt - weil es einfacher war. Politisch engagierten sie sich in der Arbeiterselbsthilfe, bei Longo Mai oder der Anti-Atomkraft-Bewegung.

Als Rechtsform wählte die Gruppe die Genossenschaft und entwarf ein ausgeklügeltes System ihrer Ökonomie. 1979 war klar, daß der alte Hof den Ansprüchen der Gruppe nicht mehr genügte. Neben der Schafzucht wollten einige auch eine Kneipe und vor allem die Weiterverarbeitung der Wolle betreiben - dafür war der Hof zu klein. Nach langer Suche wurde schließlich der Gasthof "Adler" in Arnach gekauft. Der Hof war in schlechtem Zustand und wurde nur nach und nach, mit Hilfe auch vieler Leute von außerhalb, renoviert.

1983 verfaßt der Kommunarde Winny, seit der ersten Stunde dabei - seine persönliche Zwischenbilanz als Buch. Er erzählt darin, wie die Kommune entstand, welche Beweggründe und Erfahrungen ausschlaggebend waren, welche Ansprüche die KommunardInnen an sich stellten und was die Motivationen waren: "Finkhof - mehr als ein Gebäude, mehr als Maschinen, viel mehr als Ökonomie. Finkhof ist das Prinzip Hoffnung, Wille und Überwindung von Vereinzelung und Profit. (...) Wir sind Mann und Weib und Kind. Unterschiedlich in unseren Fähigkeiten und Fertigkeiten. Einig aber im Willen, ein neues, ein besseres Leben zu schaffen. Unser Wille ist stark genug, uns dem Schicksal dieser Industriegesellschaft zu widersetzen, dem wir uns als freie Menschen nicht beugen. Wir kennen auch den Riß, wenn wir das eine denken und das andere tun. Wir kennen das nebulöse Vermischen von Feigheit und Notwendigkeit. Trotzdem, oder gerade deshalb, liegt unsere Stärke im Wissen, daß wir uns in einer Vielfalt brauchen, in unserer Einheit von Kopf und Bauch. Gemeinsam stellen wir dieser menschheitszerstörenden Entwicklung von süßem Gift und saurem Regen eine lebende Alternative entgegen. (...) Wir haben den gemeinsamen Weg erkannt, und wer diesen Weg erkannt hat, kann die Spuren nie mehr übersehen." [1]

Doch zunächst brauchte das kollektive Leben Geld, und so wurden die FinkhöflerInnen zu Wollhändlern mit politisch-ökologischem Konzept. Sie verwiesen auf die ökologischen Vorzüge der Wanderschäferei und entwickelten die "Aktion Schafpatenschaft". Die Patenschaft für ein Bergschaflamm kostete 130 DM. Diese Spendenaktion war ein großer Erfolg und erregte öffentliche Aufmerksamkeit. Doch die Doppelmoral - fröhliche Landschaftspfleger nach außen, Kollektiv mit den besseren Lebensvorstellungen nach innen - begann die Gruppe zu bestechen. Wenngleich das Ganze auch eine gute Seite hatte: "Durch unsere Wolltouren und den ganzen Presserummel wurden wir fast täglich mehr."

Zahlreiche Rückschläge in der Landwirtschaft drängten die KommunardInnen immer mehr in die konventionelle Landwirtschaft hinein - mit viel Technik, Mästerei und pharmazeutischer Betreuung. Doch bald begriffen sie, wohin dieser Weg führte, und zogen die Konsequenzen: "Für mich hieß es, entweder einen neuen Weg in der Schäferei einzuschlagen, oder aufzuhören und zu resignieren. Nicht der Kiloumsatz darf entscheidend sein, sondern das W i e: W i e w i r p r o d u z i e r e n."

Ähnliche Erfahrungen machten die FinkhöflerInnen auch in der Spinnerei, wo sie bald die Grenzen der alternativen Arbeit kennenlernten und mit ihren Ansprüchen an sich selbst - nämlich der kapitalistischen Industriegesellschaft eine funktionierende Alternative gegenüberzustellen - bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gingen, um letztlich doch zu scheitern.

Schon bald kam auch äußerer bürokratisch-ökonomischer Druck auf die Gruppe zu, der die Arbeit erschwerte. Mit der Expansion ihres Gewerbes wurde alles komplizierter, und so suchten sie nach einer neuen Rechtsform, die sie in der Genossenschaft fanden. Ihre Grundsätze waren:

  • ein Mann / eine Frau, eine Stimme
  • annähernde Neutralisierung der Produktionsmittel
  • gleiche Bewertung der Arbeit, keine Trennung von Hand- und Kopfarbeit
  • nicht das Geld, sondern die Arbeitsleistung ist entscheidend

1983 entschied sich die Gruppe, einen Haushalt als Großgruppe zu führen und die Aufteilung in eine Randwohngemeinschaft und die Kerngruppe, wie sie sich zuvor kurz herausgebildet hatte, aufzugeben. "Unsere Stärke und Überlegenheit gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft wie gegenüber den realsozialistischen Ländern, ist doch genau diese Unaufspaltbarkeit unseres Tages."

Nach und nach wurden in Arnach neue Arbeitsbereiche gegründet: die Weberei, die Fellnäherei, die Pflanzenfärberei, eine kleine Bäckerei und der Versandhandel. Auch die Kneipe florierte. Besonders war es aber der Versandhandel, der ab Mitte der 80er Jahre einen wahren Boom erlebte und dem Finkhof zu einem ungeahnten Aufschwung verhalf. Nach und nach erweiterte der Finkhof so auch seinen Immobilienbesitz. Der Gasthof "Zum Löwen" wurde ebenso gekauft wie ein Teil des Hofes daneben und zwei weitere Immobilien.

Zuletzt wurde ein großer neuer Schafstall gebaut. Die Herde wurde auf inzwischen 650 Mutterschafe vergrößert. Im "Löwen" wurde ein Tagungshaus eingerichtet, welches das neu gegründete "Finkhof Bildungswerk" (fbw) beherbergt. Dieses entstand aus der ab Mitte der 80er Jahre immer wichtiger werdenden Solidaritäts- und Aufbauarbeit in Nicaragua. Dort betreut der Finkhof auch ein Entwicklungshilfeprojekt, das eine Verbindung zwischen Schafzucht und ökologischem Kaffeeanbau praktiziert.

Die Mitgliederentwicklung der Kommune schwankte stark und lag zwischen 12 und 24 Erwachsenen, wobei der Höhepunkt Anfang der 90er lag. Der Verkauf expandierte sehr stark und liegt heute in Millionenhöhe, wenngleich er in den letzten Jahren stagniert. Die Angebotspalette wurde stark erweitert und umfaßt nun in der Mehrzahl Produkte, die weder im Finkhof noch aus der Wolle des Finkhofs hergestellt werden. Zudem wurden mit der raschen Expansion auch zahlreiche Angestelltenverhältnisse eingerichtet, wodurch heute viele Menschen, die im Finkhof arbeiten, nicht Teil der Genossenschaft und der Kommunegruppe sind. Sie werden nach festen Löhnen bezahlt.

Die KommunardInnen des Finkhofs wohnen fast alle in dem ursprünglichen Wohnhaus, dem "Adler", einige auch im gegenüberliegenden Hof. In den Wohnräumen gibt es keine abgetrennten Wohneinheiten (z.B. für Familien). Alle KommunardInnen arbeiten in der Genossenschaft. Sie haben ein wöchentliches Plenum, auf dem alle wichtigen Entscheidungen im Konsens getroffen werden. Die Kommune hat eine Bedürfniskasse, über die alle KommunardInnen frei verfügen können. Lediglich größere Ausgaben sollen beim Plenum angekündigt werden. Die KommunardInnen im Finkhof verfügen weiterhin über Privateigentum an Geld (z.B. aus Erbschaften) und Gütern.

Für die Haushaltsorganisation in der Gruppe gibt es den "Zentrumsdienst", d.h. zwei KommunardInnen übernehmen einen ganzen Tag lang die Haushaltsaufgaben vom Kochen bis zum Putzen der Gemeinschaftsräume, Bäder und Toiletten. Dieser Dienst rotiert. Daneben gibt es viele feste Zuständigkeiten für die Gemeinschaft betreffende Aufgaben, wie etwa die Finanzen.

Die Kommune verfügt über einen großen Garten, in dem einige der KommunardInnen auch Gemüse für die Selbstversorgung anbauen. Den überwiegenden Teil ihrer Versorgung bestreiten sie jedoch bunt gemischt durch Lieferungen von lokalen Bauern, mit denen es teilweise Tauschabkommen gibt, aus dem Supermarkt oder dem Bioladen bzw. -großhandel.

Fußnoten:
[1] Wilfried Leupolz: Der lange Marsch zum kollektiven Leben - Schäfereigenossenschaft Finkhof, Drumlin Verlag, Weingarten 1983

Der Finkhof im Internet: www.finkhof.de

Die ganze Serie kann als Original-Diplomarbeit gegen 5 € und einen frankierten (0,77 €) und adressierten A4-Papp-Umschlag beim Autor bezogen werden: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Aus: DER RABE RALF - Die Berliner Umweltzeitung, c/o GRÜNE LIGA Berlin e.V., Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg www.grueneliga.de/berlin/raberalf

Originaltext: www.grueneliga.de/berlin/raberalf


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