José Ribas - Das Leben im Kibbuz (erlebt von einem spanischen Anarchosyndikalisten)

José Ribas, ein nichtjüdischer spanischer Arbeiter, kämpfte im spanischen Bürgerkrieg in den Reihen der anarchistischen Milizen für die Ideale eines freiheitlichen Sozialismus. Nach der Niederlage dieser Revolution lebte er im französischen Exil wie viele seiner Gesinnungsgenossen unter elenden und erniedrigenden Lebensbedingungen.

1948 zog Ribas nach Israel. Seitdem lebt und arbeitet er mit seiner Familie im Kibbuz Hahotrim in der Nähe von Haifa.

Seinen Schritt begründete er folgendermassen: "Ich könnte nicht leben, wenn meine Handlungen meinen Idealen widersprechen würden. Heute ist Israel der einzige Ort in der Welt, in dem unsere grandiosen spanischen Kollektiven eine perfektionierte Fortsetzung finden. Diese Fortsetzung bilden die zahlreichen Kibbuzim, mit welchen die Landschaft dieses kleinen neuen Landes übersät ist."

Wir halten es heute angesichts der schweren Gefährdung Israels durch das brutale Spiel internationaler Machtinteressen für dringend notwendig, das Augenmerk der freiheitlichen Sozialisten auf das zur Zeit einzige Land in der Welt zu verweisen, in dem ihr Ideal keine blosse Theorie ist.

José Ribas veröffentlichte im Jahre 1972 in der venezolanischen anarchistischen Zeitschrift "Ruta" in spanischer Sprache folgende Darstellung des Lebens im Kibbuz:

Geschichte

Schon zu Zeiten der Pharaonen entstand bei den Juden die Idee, sich in Gemeinschaften zusammenzuschliessen, um am Leben zu bleiben, trotz der Verfolgungen, die sie im Laufe der Jahrhunderte zu erleiden hatten. Als einen der ersten und bedeutendsten Organisatoren von jüdischen Massen und als bedeutendsten Inspirator ihres kollektiven Lebens können wir Moses betrachten. Mit dem Exil und der Zerstreuung der Juden über unzählige Länder der Erde (Diaspora) ergab sich erst recht die Notwendigkeit eines Zusammenhalts zur Verteidigung der elementaren Rechte der Juden in ihren Gastländern einerseits und zur Reintegrierung des jüdischen Volkes in ihr Ursprungsland.

So entstand der sogenannte Kibbuz Galuiot.

Die jüdische Tendenz zur sozialen Gruppierung fand von Generation zu Generation ihre Fortsetzung. Wir finden sie z.B. in den spanischen Cahales und den Ghettos in Polen. Ihre Gestalt wechselte je nach den sozialen und politischen Bedingungen der Regionen, diente aber immer dem Zwecke der Selbstverteidigung. Parallel entwickelte sich die Bewegung der Reintegration (Zionismus), inspiriert von jüdischem Mystizismus einerseits und den nationalen Ideen von Männern wie Hirsch und Herzl gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Diese Bewegung führte zur Gruppierung und Organisation der Alyhas (Rückkehrergruppen). Die Judenverfolgungen in Russland und später im nationalsozialistischen Deutschland führte viele Juden dazu, ein Refugium im Land ihrer Väter Palästina zu suchen.

Gegen Beginn des 20. Jahrhunderts kamen die ersten organisierten Gruppen nach Palästina. Die meisten stammten aus Russland. Im allgemeinen handelte es sich um Intellektuelle, deren freiheitliche und sozialistische Ideen im Schosse des vorrevolutionären Russland gereift waren. Viele von ihnen waren vom Zarenregime sowohl als revolutionäre Aktivisten als auch als Juden verfolgt worden.

Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Palästina waren sehr hart. Die Schwierigkeiten wurden durch die feindliche Haltung der arabischen Bevölkerung noch vermehrt.

Die eingesessene jüdische Bevölkerung machte nur einen Viertel der eingesessenen Araber aus. Der Wunsch, sich vor Lohnabhängigkeit und dem Despotismus von Vorarbeitern zu bewahren, führte die Neuankömmlinge zur Bildung von landwirtschaftlichen Kollektiven. Im Jahre 1912 gründete eine Gruppe von 14 Personen am Ufer des Sees Kineret den ersten landwirtschaftlichen Kibbuz mit Namen Degania.

In dem Masse, als der Kauf von kultivierbarem Land möglich war, entstanden neue Kibbuzim. Aber die Seltenheit solcher Grundstücke behinderte die Entwicklung der Landwirtschaft und verurteilte viele der Einwanderergruppen zur Lohnarbeit. Dies um so mehr, als das meiste Land Arabern gehörte, welche sich mangels Wasser und technischer Mittel auf eine primitive Kultivierung beschränkten, sodass das meiste Land lediglich zur Viehweide während der feuchten Jahreszeit benützt wurde und die übrige Zeit brachlag. So griff der jüdische Nationalfonds ein. Dieser Fonds wurde 1902 zur finanziellen Ermöglichung jüdischer Ansiedlung in Palästina gegründet und von der zionistischen Weltbewegung sowie privaten Zuwendungen gespeist. Dieser Fonds kaufte Grundstücke und stellte diese jüdischen Siedlergruppen zur Verfügung.

Trotzdem stiess die Bewegung auf grosse Schwierigkeiten, die in der Seltenheit geeigneten käuflichen Landes, der Beschränkung der jüdischen Einwanderung durch Dekrete des britischen Mandates und in der Unsicherheit des Landes bestanden.

In dieser Situation, die voll von Konflikten und Kämpfen war, gingen entschlossene jüdische Gruppen daran, sich in nicht-bevölkerten, unkultivierten Gegenden des Landes festzusetzen. Ein altes türkisches Gesetz besagte, dass ein Individuum an dem Orte niedergelassen sei, an dem es unter einem Dach, das es beschütze, schlafe. Dieses Gesetz wurde von der britischen Mandatsregierung nicht aufgehoben. Von ihm profitierten die frühen Kibbuzim, von denen manche in einer Nacht mit schützenden Dächern entstanden, um die britischen Behörden vor ein fait accompli zu stellen. Viele wurden zu ihrem Schutze mit Mauern umgeben und mit Beobachtungstürmen versehen. Noch heute werden sie Kibbuzim Joma u Migdal (Mauer und Turm) genannt.

Andere Gruppen organisierten sich in Erwartung der Zuteilung von Land in Lohnempfängerkommunen, einfach "Kommunen" genannt.

Die Mitglieder dieser Gemeinschaften legten alle erhaltenen Löhne und Lebensmittel zusammen und verwalteten sie als Gemeineigentum mittels eines gewählten Sekretariates. Diese Kommunen verwandelten sich sukzessiv in landwirtschaftliche und industriell-landwirtschaftlich kombinierte Kollektive, von denen der Kibbuz unserer Tage eine Form darstellt.

Die Gründung des Staates Israel im Jahre 1948, drei Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, führte zur dichtesten Einwanderung in der Geschichte dieses Landes. Dies brachte dringende Bedürfnisse aller Art mit sich. Unter ihnen stand die Notwendigkeit vermehrter landwirtschaftlicher Produktion an erster Stelle.

Die Erklärung Israels zum unabhängigen Staat und der Krieg, der auf die Unabhängigkeitserklärung folgte, führte zur Abwanderung ("Abwanderung" ist wohl verharmlosend für die Mischung aus Flucht und Vertreibung 1948 - siehe dazu auch http://de.wikipedia.org/wiki/Pal%C3%A4stinensisches_Fl%C3%BCchtlingsproblem, Anm. www.anarchismus.at) eines ansehnlichen Teiles der arabischen Bevölkerung.

Die verlassenen Gebiete blieben unbebaut. Im Rahmen eines wirtschaftlichen Entwicklungsplanes der Regierung wurden diese Grundstücke schon bestehenden oder neugegründeten landwirtschaftlichen Kollektiven zugeteilt.

Der Kommune-Kibbuz

Als sozialer Organismus ist der Kibbuz eine Kollektivität von Personen, die sich aufgrund von eigenem Willen zusammenschliessen und sich gegenseitig akzeptieren.

Seine Organisation und Verwaltung sind autonom und unabhängig von Unternehmer und Staat. Der Kibbuz ist ein integrierender Bestandteil der israelischen Arbeiterbewegung (Histadrut). Er identifiziert sich mit dieser im Willen, im Lande eine sozialistische Gesellschaft schöpferischer, menschlicher und nützlicher Arbeit auf dem Boden von Freiheit und wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit zu etablieren.

Die Tatsache, dass der Kollektivismus von den Menschen, vor allem auch in Israel, dessen Bevölkerung in Ideen und Sitten sehr verschiedenartig ist, nicht auf einheitliche Weise verstanden wird, erklärt die Gliederung der Kibbuzim in drei Klassen: Kommune-Kibbuz, Moschaw Chitufi und religiöser Kibbuz.

Der Kommune-Kibbuz ruht auf der Maxime: "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen." In dieser Lebensform stehen die landwirtschaftlichen und industriellen Produktionsmittel, die Arbeit, der Konsum, Wohnung und Instruktion im Dienste der Gemeinschaft unter der Bedingung gleicher Rechte, Pflichten und Lebensverhältnisse für jedes Mitglied des Kibbuz.

Es gibt weder Arbeitslohn, noch irgendeine Zuteilung nach dem Masstab der geleisteten Arbeit. Die Gemeinschaft sichert alle Bedürfnisse materiellen, sozialen und kulturellen Charakters der Erwachsenen wie der Kinder, der Kranken, Invaliden und der Alten, nach ihren Möglichkeiten und nach ihrer Verantwortung für die Zukunft und die Entwicklung des Kibbuz. Immerhin hat der Kibbuz einen kleinen Fonds zur Verfügung, aus denen er seinen Mitgliedern ein Taschengeld in der Landeswährung zur Deckung von kleinen Bedürfnissen und individuellen Spezialwünschen auszahlt.

Im Einklang mit seinen Grundsätzen darf der Kibbuz Überschüsse, die sich aus der Jahresrechnung ergeben, nicht in Aktien oder Bankobligationen anlegen, sondern er muss sie dazu verwenden, um das materielle und kulturelle Niveau seiner Mitglieder zu heben durch Verbesserung der mechanischen oder wissenschaftlichen Produktionsmittel zur Steigerung der Produktivität und Erleichterung der Arbeit der Individuen.

Das Kibbuzmitglied ist dazu verpflichtet, alle seine physischen und intellektuellen Fähigkeiten dem Kibbuz zur Verfügung zu stellen. Der Kibbuz seinerseits ist gehalten, die Fähigkeiten, Wünsche und Berufungen seiner Mitglieder zu begünstigen und zu berücksichtigen, sei es auf beruflichem, künstlerischem oder sonstigem Gebiet.

Als Privatbesitz des Individuums wird betrachtet, was seinem persönlichen oder familiären Gebrauch dient, wie Möbel, Kleider, Haushaltapparate, Bücher oder sonstige Gegenstände, die der individuellen kulturellen oder künstlerischen Betätigung dienen.

Um die ökonomische Gleichheit unter den Mitgliedern aufrechtzuerhalten, werden Normen aufgestellt, die der persönliche Besitz des Einzelnen nicht überschreiten darf.

Der Kibbuz anerkennt keine anderen privaten Besitztümer als solche, die durch diese Normen zugelassen sind. Besitzt einer aufgrund von Erbschaft mobiles oder immobiles Eigentum, welches die zugelassene Norm überschreitet, so darf er dieses nicht für sich persönlich verwenden, sondern muss es der Gemeinschaft zur Verfügung stellen, solange er ihr angehört. Verlässt er den Kibbuz, so wird ihm sein Eigentum zurückerstattet.

Der Kibbuz anerkennt gewisse Rechte, die von der Dauer der Mitgliedschaft herrühren. Gelangt der Kibbuz in den Genuss neuer Einrichtungen, die allmählich unter seine Mitglieder verteilt werden, wie Radio, Kühlschränke, neue Wohnhäuser etc., so besitzen die Mitglieder je nach der Dauer ihrer Mitgliedschaft die Priorität bei der Zuteilung.

Erziehung

Der Erziehung und Unterrichtung der Kinder schenkt der Kibbuz eine besondere Aufmerksamkeit. Die Kinder leben weder im Haus ihrer Eltern, noch geniessen sie deren direkte Vorsorge. Sie werden mittels einer Zusammenarbeit von Eltern und Erziehern unterrichtet und erzogen. Zu diesem Zweck gibt es spezielle Kinderhäuser für die Kleinen und Studienhäuser für die Heranwachsenden.

Die Kinder werden in Spezialkliniken qualifizierter Spitäler geboren. Von dort kommen sie in die Säuglingshäuser und bleiben dort, bis sie allein gehen können. Die Mütter gehen dorthin, sooft dies nötig ist, um die natürlichen Bedürfnisse ihrer Kinder zu stillen. Dann wechseln sie in das Haus des "zarten Alters" und bleiben dort, bis sie dreijährig sind. In diesem Alter treten sie in den Kindergarten über. Hier findet der erste Unterricht statt.

Bis zu 13 oder 14 Jahren dauert der Primarunterricht. Auf ihn folgt ein 4-jähriger Sekundärunterricht. Bei dessen Ende besitzt der Schüler den Bildungsgrad, der der Maturitätsprüfung entspricht. Denjenigen Schülern, die sich zu höheren Studien eignen, ermöglicht der Kibbuz, seinen Lehrgang fortzusetzen. Natürlich hat dieser ein spezielles Interesse daran, Studien in der Richtung seiner landwirtschaftlich-industriellen Interessen zu begünstigen.

Die Generalversammlung

Auf nationaler Ebene ist der Kibbuz eine Bewegung zur Verwaltung von Kollektiven. Sie besitzt ein Generalsekretariat, dessen Aufgabe es ist, die Beziehungen zwischen den einzelnen Kibbuzim zu fördern und durch Orientierung und Hilfe deren technische und soziale Entwicklung zu begünstigen. Ausserdem organisiert es, wenn nötig, die gegenseitige Hilfe zwischen den einzelnen Kibbuzim.

Als lokale Einheit ist der Kibbuz eine autonome Gruppierung von Produktionszweigen und Dienstleistungseinheiten. Er wird von einem lokalen Sekretariat verwaltet dessen Tätigkeit von der Generalversammlung festgelegt und kontrolliert und dessen Mitglieder von dieser gewählt werden. Gewöhnlich setzt sich dieses Sekretariat aus dem Sekretär, dem Buchhalter, dem Kassier, dem Koordinator für Kauf und Verkauf, dem Koordinator der Geschäftsführung, dem der Arbeit und einem Vertreter der Mitgliederkommission zusammen.

Parallel beschäftigen sich verschiedene Kommissionen mit anderen Aufgaben, die das Leben im Kibbuz stellt, so die Mitgliederkommission, die Kommission für Organisation, die für Erziehung, Gesundheit und Hygiene, Urbanisierung, Spiel und Sport, gegenseitige Beziehungen, Sicherheit und andere.

Jede Kommission erfüllt ihre eigenen speziellen Aufgaben. Ihr Zusammenspiel bildet das dynamische Element der Kollektive. Von ihnen gehen die Initiativen und Projekte zur Entwicklung des Kibbuz aus, die dann durch Vermittlung des Sekretariates der Generalversammlung zur Diskussion vorgelegt werden.

Da der Kibbuz, wie schon gesagt, Form einer Lebensgemeinschaft ist und nicht ein blosser Berufs- oder Betriebsverband, noch ein politischer, sozialer oder religiöser Organismus, richtet er sich nach den wechselnden Bedingungen und Verschiedenheiten des Lebens selbst. A priori etablierte Statuten mit Paragraphen und Artikeln würden seine Führung nur beeinträchtigen und könnten den Forderungen einer nicht voraussehbaren Zukunft und der autonomen Entwicklung jeder Einheit nicht gerecht werden.

So handelt der Kibbuz von heute auf morgen und regiert sich mittels Vereinbarungen, die in den Generalversammlungen getroffen werden, wobei er allerdings die Grundprinzipien, auf denen seine Existenz beruht, im Auge behält.

Die Generalversammlung ist die oberste Instanz des Kibbuz. Sie hat das Recht, über sämtliche Angelegenheiten des Kibbuz zu entscheiden und die Pflicht, dessen Grundprinzipien zu respektieren.

In dieser Versammlung werden alle Chargen und Delegationen des Kibbuz gewählt. Die Beschlüsse werden mit Stimmenmehrheit gefasst, gleichgültig, wie gross die Zahl der Stimmenden ist. Nur in seltenen Fällen wird ein qualitatives Mehr verlangt.

Politische Tendenzen

Der Kibbuz ist weder eine gewerkschaftliche, noch eine politische Organisation. Jedes Mitglied ist frei, der politischen oder gewerkschaftlichen Organisation anzugehören, die es wünscht.

Immerhin sind die Kibbuzim von politischen Ideologien beeinflusst, welche ihre Wurzeln in der jüdischen Bewegung in der Diaspora haben. Aus diesen erwuchsen die Pioniere, die später die Gründer der Kibbuzim wurden. Ihre politischen Ideen lebten in Palästina und später in Israel weiter und kristallisierten sich dort in drei Parteien: dem Mapai, Mapam und Ajut Havoda (Dror).

Unter ihrem Einfluss formierten sich die Kibbuzim in drei Zweigen unter den Namen: Hijud Hakibbuzim Vekebbuzot, unter dem politischen Einfluss des Mapai (Gemässigte Sozialisten), Kibbuz Hartsi, unter dem Einfluss des Mapam (Marxisten) Kibbuz Hamehujad, unter dem Einfluss des "Dror" (Zionistische Sozialisten)

Jeder dieser Zweige umschliesst eine ungefähr gleiche Anzahl von Einheiten, deren Gesamtzahl für Israel heute 212 Kibbuz-Kommunen ausmachen.

Das Eindringen der Politik in den Kibbuz führte zu scharfen Konflikten und im Laufe der Jahre zu bedeutenden Veränderungen. So ist speziell das Jahr 1952 als das "Jahr der Spaltung" gekennzeichnet. Zäune und trennende Mauern wurden an Orten aufgerichtet, die vorher in voller Harmonie gelebt hatten. Und doch erwies sich der Kibbuz nicht als ein ideales Feld zur Ausbreitung der politischen Konflikte. Man merkte bald, dass sich ein fremdes Element in seinen Körper infiltriert hatte. Allem Misstrauen, das sich eingeschlichen und allem Hass, der sich breitgemacht hatte zum Trotz begannen die Kibbuzniks ein Milieu der Versöhnung und der Zusammenarbeit zwischen den Kibbuzim aufzubauen, wie die gemeinsame Teilnahme an Chören und Orchestern, Kinderkolonien, Ausleihe von landwirtschaftlichen Maschinen u.s.w. So entstand allmählich von neuem eine freundschaftliche Atmosphäre unter der Kibbuz-Familie in Abwehr gegen die Einmischung von kibbuzfremden Elementen von aussen.

Es war eine Reaktion der Basis, die sich gegen die Politik und deren verderbliche Folgen für die Gemeinschaft des Kibbuz wandte.

Diese Versöhnungsbewegung vermochte allerdings nicht die Kibbuzim, die sich 1952 gespalten hatten, wieder zu vereinigen. Neue Interessen und Besonderheiten hatten sich inzwischen gebildet. Viele Kibbuzmitglieder, die sich getrennt hatten, waren inzwischen in neuen Kibbuzim etabliert. Trotzdem gelangte man zu einer neuen Eintracht, welche die ganze Kibbuzbewegung umfasste.

1963 versammelten sich die drei Zweige der Kibbuzbewegung zu einem Kongress, der ein Generalkomitee der vereinigten Kibbuzbewegung konstituierte, das bis heute existiert. Dieses beschäftigt sich mit allem, was die Bewegung der Kibbuz-Kommune im allgemeinen interessiert, ohne jedoch die autonome Entwicklung eines jeden der drei Zweige, die sie zusammensetzen, zu reglementieren. Die Versöhnung in der Kibbuzbewegung strahlte auf die Gesamtheit der israelischen Bevölkerung ausserhalb des Kibbuz aus.

Dieser Einfluss des Kibbuz auf das Leben des ganzen Landes erklärt sich nicht durch die Quantität seiner Mitglieder, die 5 % der Bevölkerung des Landes nicht übersteigt, sondern daraus, dass er in der Seele des Volkes tiefe Wurzeln besitzt.

Es ist darum nicht verwunderlich, dass die politischen Parteien den allgemeinen Stimmungswechsel zur Kenntnis nehmen mussten und sich beeilten, eine neue politische Linie einzuschlagen, die diesm Umstand Rechnung trug.

So beschloss die Mapai (gem. Sozialisten) und die Ajut Havoda (zion. Sozialisten) sich zu vereinen und gründeten 1968 mit Einschluss des Mapam (Linkssozialisten) die "Arbeiterpartei". Trotz der erwähnten Vorgänge ist seit 1952 kein Hang des Kibbuz zur Politisierung festzustellen.

Der Kibbuz betrachtet sich als untrennbaren Bestandteil des Volkes und seiner Existenz- und Entwicklungsprobleme und nicht als ein eigentlicher Organismus des Klassenkampfes. Seine Mitglieder sind jedoch frei, überall teilzunehmen und einzugreifen, wo es ihnen für das Interesse des Landes als wichtig erscheint, so auch in Politik und Militär. So ist die paradoxe Tatsache entstanden, dass man Kibbuzmitglieder an den höchsten Stellen des sozialen, politischen und militärischen Lebens in Israel findet.

Die Arbeiten des Kibbuz

Landwirtschaft:

Es ist eine unbestreitbare Tatsache, das der Kibbuz die Landwirtschaft Israels trotz ungünstigem Boden zu einer der blühendsten und entwickeltsten der Welt gemacht hat. Zu seinen wesentlichen Produkten gehören die Orange, die Zitrone und die Kartoffel, die Tomate und die Baumwolle. Seine Produktion von Milch und Geflügel deckt 80% des nationalen Konsums.

An sich könnte der Kibbuz alle Sektoren der Landwirtschaft bewältigen. Praktisch aber beschäftigt er sich speziell mit bestimmten Produktionszweigen, die ihm gestatten, technische und wissenschaftliche Mittel, über die erverfügt, rentabel auszunützen. Er wendet sich darum den ausgedehnteren Kulturen zu, die ein Minimum an menschlichen Arbeitskräften benötigen.

Die kleineren Kulturen, wie Gemüsebau, sind im allgemeinen Sache der Moshavim, d.h. der Dörfer, in denen jede Familie ein kleines privates Besitztum bebaut, und die mit dem Kibbuz ökonomisch nicht konkurrieren können.

In der Industrie:

Obwohl die ursprüngliche Basis des Kibbuz die Landwirtschaft war und diese bis heute die wichtigste Grundlage geblieben ist, besitzt der Kibbuz heute eine ansehnliche und sich aufwärtsentwickelnde Industrie. Ihre hauptsächlichen Erzeugnisse sind: Maschinen und landwirtschaftliche Werkzeuge, Gewinnung von Steinen und anderem Baumaterial, Schuhe, Haushaltungsgeräte, Frucht- und Fischkonserven, synthetische und chemische Produkte, Bewässerungsgeräte, Erholungszentren etc.

Schifftransport:

4 kleine Transportschiffe von 2500 Tonnen verkehren zwischen Israel und den Ländern der Mittelmeerküste. So füllt der Kibbuz in Israel eine wirtschaftlich lebenswichtige Stelle aus.

Probleme des Zusammenlebens

Seit der Gründungszeit hat sich das wirtschaftliche Niveau des Kibbuz stark verändert. Heute sichert er reichlich alle wirtschaftlichen Bedürfnisse seiner Mitglieder. Das Lebensniveau im Kibbuz ist höher als das der unter dem Lohnsystem lebenden Menschen. Gleichzeitig aber muss man feststellen, dass das Gesellschaftsbewusst sein und die Ideologie, welche die geistige Basis des Kibbuz und seines Weiterlebens ausmachen, neue Formen annehmen.

Die Entwicklung der technischen Mittel der Kommunikation und die mechanische Überwindung der Distanzen vermindert automatisch die Intimität in den sozialen Beziehungen zwischen den Individuen. Da der Kampf um die wirtschaftliche Existenz leichter geworden ist, ist das Individuum weniger auf Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe mit seinesgleichen angewiesen. Als Folge davon wird der persönliche Individualismus immer prononcierter und egozentrischer. Trotz seiner inneren Struktur, dank welcher sich im Kibbuz gesellschaftliche und wirtschaftliche Beziehungen verbinden und vereinen, kann auch dieser den Konsequenzen des modernen Lebens nicht entrinnen.

Der Kibbuz wird aus Individuen gebildet, die durch einen kollektiven Rahmen zusammengehalten werden.

Die Frage ist, ob die technische und wissenschaftliche Entwicklung es erlauben wird, den Kibbuz als integrale Lebensform zu erhalten oder ob sie diesen in eine nur ökonomische Einheit verwandeln wird, die kein gesellschaftliches und gesellschaftsbildendes Band mehr kennt.

Der Moshav Chitufi

Wie wir schon gesagt haben, ist der Kollektivismus nicht für alle auf dieselbe Art annehmbar. Wer nicht eine entsprechende Ideologie besitzt oder nicht im Sinne eines integralen Kollektivismus erzogen wurde, wird im Kommune-Kibbuz schwerlich ein System finden, das mit seinen Neigungen und Wünschen konform geht.

Zu seiner Wesensart passt der Moshav Chitufi besser als der Kibbuz. Dieser ruht auf der Basis eines relativen Kollektivismus, der sich von dem des Kommune-Kibbuz wesentlich unterscheidet, der aber mit diesem zusammen möglich gemacht hat, dass 80% des Bodens des Landes ohne private Grundeigentümer ausgebeutet werden können.

Nach hebräischem Wortsinn ist der Moshav Chitufi auch ein Kibbuz, aber als Form kollektiver Produktion wird in Israel nur der Kommune-Kibbuz als solcher anerkannt.

Trotz direkter Geldzuteilung und anderen Faktoren, welche den Moshav Chitufi vom Kommune-Kibbuz unterscheiden, hat jener nie die gleiche Attraktion noch Entwicklung besessen wie dieser.

Moshavim Chitufim gibt es im Lande nicht mehr als 14. Auch sind diese kaum in den industriellen Sektor eingedrungen. (Auf Grund der allg. Tendenz zur Individualisierung, Folge von wirtschaftlicher Entwicklung und Immigration neuer Elemente seit dem 6-Tage-Krieg hat der Moshav einen neuen Aufschwung genommen. Im Oktober 1974 bestanden nach dem Bulletin der Histadrut 39 Moshavim Chitufim. Anm. des Übersetzers.)

Im Moshav Chitufi sind nur die Arbeit und die allgemeine Verwaltung kollektiv geregelt. Dagegen bewahren hier die einzelnen Haushaltungen ihren privaten Charakter. Hauswirtschaft, Kindererziehung usw. bleiben Sache der Familie. Im Unterschied zum Kibbuz erhält hier jede Familie einen einheitlichen Arbeitslohn, dessen Höhe von der jährlichen Bilanz der Kolonie abhängt.

Die Arbeit der Mütter ist im Verhältnis zur Kinderzahl und zu ihrem Arbeitsaufwand für deren Pflege und Erziehung limitiert.

Eine Verteilungsgenossenschaft steht den Mitgliedern zur Verfügung. Diese sind jedoch nicht gezwungen, ihre Lebensmittel dort zu beziehen, obwohl dies dank der Vorteile, die sie bietet, meistens geschieht. Das Heim für jedes Mitglied besteht aus einem Haus und einer Parzelle von 500m Land, das zur privaten Nutzniessung durch die Familie bepflanzt werden kann.

Geschäfte und Verwaltung führt ein Administrativrat, der aus einem Sekretariat und Beisitzern, die in der allgemeinen Versammlung gewählt werden, besteht.

Der Moshav Chitufi ist der nationalen Bewegung der Moshavim angeschlossen, der auch die Moshavim Ovdim angehören.

(Moshav Ovdim: verbreitetste landwirtschaftliche Genossenschaftssiedlung. In diesem Moshav ist das Land, das wie im Kibbuz und im Moshav Chitufi der Gemeinschaft gehört, in Parzellen eingeteilt, die jeder Familie zur individuellen Bearbeitung und Nutzniessung zugeteilt werden. Jeder einzelne kann so über die Früchte seiner Arbeit selbst verfügen, doch kann er das ihm zugeteilte Land weder verkaufen noch vererben. Auch darf er keine fremden Arbeitskräfte einstellen. Genossenschaftlich geregelt sind im Moshav Ovdim der Einkauf von Werkzeugen und Maschinen, Samen etc. sowie der Verkauf des grössten Prozentsatzes der Produkte nach aussen. An vielen Orten sorgt der Moshav für Schulen. Anm. d. Übersetzers.)

Der religiöse Kibbuz

Der religiöse Kibbuz gleicht in allem dem Kommune-Kibbuz. Er unterscheidet sich von diesem allein darin, dass hier, während die Religion in den anderen Gemeinschaften jedem freigestellt ist, die jüdischen religösen Gebräuche strikt eingehalten werden. Der Wille, diese zu praktizieren, ist Grundbedingung zur Aufnahme in diesen Kibbuz. Natürlich werden hier die Kinder religiös erzogen.

Der technische und ökonomische Fortschritt unserer Tage hat die religiösen Vorschriften und Praktiken nicht unbeeinflusst gelassen. Im Einklang mit den Notwendigkeiten der Kollektivität sah sich das Rabbinat dazu veranlasst, seine Vorschriften zu lockern.

José Ribas, Israel 1971

Originaltext: Akratie Nr. 5, Frühjahr 1976. Digitalisiert und bearbeitet (ae zu ä usw.) von www.anarchismus.at


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