Revolutionsbräuhof - Anarchistische Utopien heute (Langtext)

Einleitung

Und hier also eine weitere "Einführung in den Anarchismus", wobei sich der eine oder andere bestimmt fragt, ob nicht schon genügend solcher Texte existieren!? Nein, beileibe nicht! Es gibt zwar einige Einführungen in den Anarchismus, diese halten wir aber nur für bedingt brauchbar:

  • Die meisten sind einfach "maueralt" - zum Teil aus dem letzten Jahrhundert
  • Das Hauptaugenmerk der meisten Einführungen ist historisch: Geschichtsbücher
  • Praktische und theoretische Ansätze, die sich nicht explizit "anarchistisch" nennen, bleiben zumeist unberücksichtigt
  • Sie sind dem Denken der 20er und 30 Jahre nicht entwachsen


Geschichte kann nur insofern eine Rolle spielen, als sie zur Darstellung dient - egal ob als gutes oder schlechtes Beispiel. In Büchern - egal ob bürgerlicher, bolschewistischer oder sonstiger Provenienz - lässt sich genug über die Misserfolge der Anarchien nachlesen. Hier hingegen soll es um die zukünftigen Erfolge, um die Eroberung des befreiten Lebens gehen. Und was wir hierfür am aller wenigsten brauchen sind Ikonen, Heiligtümer und Märtyrer. Darum werden wir es anderen überlassen solche aufzustellen.

Etwas Anderes zu wollen setzt voraus, dass das was es gibt, nicht dem Gewünschten entspricht. Befreiung beginnt mit Kritik! Was wir nicht wollen, wissen wir sehr genau: denn der Beschiss ist allgegenwärtig. Und erst wenn wir wissen was wir nicht wollen, können wir erahnen was wir wollen. Sich der "besseren Moral" hinzugeben ist purer Unfug: man muss es weder besser wissen, d.h. eine konkrete Vorstellung haben wie es anders ginge, noch anders tun, d.h. "das Himmelreich auf Erden" leben. Solche Dinge überlassen wir gerne den Pfaffen. Zum Dagegen-Sein reicht das, was ist. Und es gibt eine ganze Welt zum Dagegen-sein - also auch eine ganze Welt zu gewinnen. Kritik wird so einen Großteil dieser Einführung einnehmen.

Die Vorstellung wie eine zukünftige anarchistische Gesellschaft aussehen könnte bleibt naturgemäß vage. Wir können und wollen nicht Vorstellungen und Bedürfnisse anderer (vor-)bestimmen. Das zeichnet den Anarchismus anderen linken Theorien gegenüber aus: wir basteln uns nicht irgendwelche Strukture, Institutionen und Apparate in unseren Hirnen aus, die dann eo ipso das Heil gebären werden.

Ohne Fressen geht gar nix - zur Ökonomie

Sowohl jegliche Form der Herrschaft, als auch jegliche Befreiung davon, fußt in der Ökonomie. Und die geht weiter als die leidige Frage nach dem schnöden Mammon. Dieser selbst ist nur eine Abstraktion der sozialen Verhältnisse, der Art und Weise wie Menschen zu dem nötigen Zeugs kommen, wie sie dafür und zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse mit den anderen Menschen umgehen.

Und wir behaupten: die Ökonomie ist die Grundlage allen Seins. Weder ein Gott, noch eine "Idee" oder ein Prinzip bilden die Basis des Seins. Unser Sein liegt einfach darin, dass wir unser Leben nur in der Auseinandersetzung mit unserer Umwelt leben können. Nichts anderes ist wesentlich! Eine der schon beinah ewigen Betrügereien denen die Menschen unterliegen ist, dass es eben nicht diese - im Grunde einfache und sehr praktische - Tatsache ist, die die Form des Lebens als auch des "Glückes" bestimmt, sondern eben irgendein Geistewesen, dessen zu Liebe man sich in der Entbehrung ergehen sollte.

Diese "Geisteswesen" sind dem Wandel der Zeit unterlegen: mal sind es die Götter, dann der Gott und ein anderesmal eine metaphysische Kategorie - Nation, Ehre, Familie etc. Die Grundlage des Wandels der ideologischen Abschmiererei ist wiederum die Art und Weise, wie die jeweilige Gesellschaft ihr Auskommen organisiert, welche Ressourcen und Methoden ihr zur Verfügung stehen - die Ökonomie.

Wenn wir heute von Ökonomie reden meinen wir den Kapitalismus, der schon seit gut 200 Jahren das gesamte Wirtschaften auf der Welt bestimmt. Der Kapitalismus ist die bisher einzige Ökonomieform, die universell und total das gesamte menschliche Leben in all seinen Ausformungen beherrscht. In der Jahrhunderte dauernden Blutgeschichte des Kapitals wurde auch noch der letzte Winkel dieser Welt erfasst, verwaltet und allenfalls mit Cola "beglückt". Und das ist nicht nur geographisch gemeint!

Der Kapitalismu ist mehr als nur "böse" Kapitalisten - egal ob klassisch, mit Zylinder und Zigarre oder hip-modern mit Notebook und Sonnenbrillen - die Arbeiter schinden. Der Kapitalismus ist ein systematisches Prinzip, das den ganzen Menschen umfasst, seine Beziehungen, Befindlichkeiten, Ausdrucksweisen - egal ob physisch oder psychisch. Und gerade darum ist die Frage nach den Mechanismen, die den Kapitalismus verursachen die wesentliche zur Befreiung.

So praktisch-banal der Kapitalismus die Arbeitskraft ausbeutet - und wenn er ungehemmt ist schickt er eben auch kleine Kinder in Bleiminen - so fatal ist das Prinzip auf dem er beruht: die Ware.

Die Ware ist die abstrakteste Form in der sich Ausbeutung und Herrschaft ausdrücken können. Nichts existiert, das nicht der Ware unterworfen ist.

  • Die Enteignung ist total: aus Subjektivität wird Individualität, wird Objekt fremder Begierde.
  • Das Leiden ist grenzenlos: Der Körper, der Geist, das Gefühl.
  • Das Eigene ist nichtig: niemand ist für sich selbst, jeder ist Nutzen.


Die Ware ist die absolute Form der Vermittlung. Sie entspringt dem gesellschaftlichen Verhältnis, dass die Verausgabung des Menschen, seine Auseinandersetzung mit der Natur einem anderen gehört. Die Umformung der Natur zum Zwecke des genusses ist die grundlegende Tätigkeit des Menschen. Diese wird zur Arbeit. Das Paradoxon der kapitalistischen Geschichte ist, dass die Ausbeutung durch Arbeit zunimmt - und zwar im selben Ausmass wie die Produktivität steigt, neue Maschinen entwickelt werden usw.

Da alles und jedes nur durch entfremdete Arbeit erzeugt wurde, da alle in solchen Verhältnissen leben ist das Ganze Ware. Und: die Ware ist alles, die Welt ist nichts. Und die Wirklichkeit der Ware ist nicht ihre dingliche Form, diese ist beliebig. Es ist Zufall wenn die Ware Brot ist: die Ware ist nur Brot, weil sie für die Ware Arbeitskraft einen Nutzwert hat. Ihre eigentliche Form ist, das sich die Arbeitskraft warenmässig verdingen muss um die für sie lebenswichtige Ware Brot erstehen zu können. Die Ware ist das gesellschaftliche Verhältnis, das Menschen zwingt sich zur Ware zu machen.

"Dagegen hat die Warenform und das Verhältnis der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellen, mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt." (MEW, Bd. 23, S. 86)

Die Ware trennt die Menschen von der Welt, von den anderen Menschen und von sich selbst. Die Ware zerstört den Zusammenhang der Welt und setzt sich selbst als Universum. Die Welt der Ware ist die Welt als Bilder. Und wer sich umsieht, sieht nichts als Ware. Die Menschen sind leere Hülsen, Träger von Ware, die nichts anderes tun als Waren herzustellen um Waren zu konsumieren. Die Ware ist für alles zuständig, sie frisst alles auf was es gibt und was geschaffen wird um es in den gleichförmigen Brei umzuwandeln.

Und sie verkauft sich selbst als Heilung von dem Leid, das sie selbst schafft. Sie zerstört die Subjekte und gibt ihnen Individualität. Jeder akzeptiert, dass alle Menschen verschieden sind und doch tun alle das Gleiche; es ist ein riesiger Ameisenhaufen in dem sich alle nach einem Plan bewegen, den sie selbst nicht kennen.

Und jeder wird seine Besonderheit behaupten, sich von den anderen Warenmenschen abgrenzen wollen - "alle san Dodl'n ausser dir und mir und bei dir bin i ma ned ganz sicher". Und sie können sich dadurch abgrenzen indem sie sich mit Objekten umgeben, behängen, die die anderen nicht haben - all diese Objekte können nachgerade nur Waren sein.

Die Ware findet ihren Ausgangspunkt in der Produktion. Der klassische Ort der Produktion ist die Fabrik und nur weil es jetzt plötzlich heisst wir lebten in der Informationgesellschaft, wo andere Dingen wichtig sind, heisst das noch lange nicht, dass der Kram der uns umgibt plötzlich vom Himmel fällt. Im Gegenteil, immer mehr wird in Fabriken produziert. Egal wieviel Maschinen in der Fabrik rumstehen, es sind noch immer Menschen, ArbeiterInnen, die die Maschinen bedienen, die die Rohstoffe rein- und die fertigen Waren rausschaffen.

Das Proletariat - ja das gibt's noch, mehr denn je - ist die eigentliche Existenzform im Kapitalismus. Das Kapital rottet dauernd andere Formen aus und transformiert alles Lebendige in die proletarische Warenform. Das Proletariat ist die verabscheuenswürdigste und elendste Lebensform die es gibt. Das Proletariat ist reine Ware, es hat nichts, nicht einmal den Leib, den es dem Kapital zur Verfügung stellen muss. Proletarisches Leben ist Prostitution in Reinkultur.

Und Proletariat ist natürlich mehr als die Hackler am Fliessband. Alle Bereiche der Warenproduktion, -zirkulation und -reproduktion sind kapitalisiert. Alle Personen, die dort arbeiten proletarisiert. Selbstverständlich ist einE KellnerIn bei McDonalds so was wie einE FliessbandarbeiterIn der Reproduktion. Die Verhältnisse sind trist. Und dafür, dass diee tristen Verhältnisse nicht über den Haufen geworfen werden, dass die Leute sehr wohl jeden Tag in die Arbeit fahren, den Ramsch auch wirklich kaufen, braucht es Strukturen und Personen, die dafür sorgen, dass alles so bleibt wie es ist.

Ware braucht Kommando - Staat und Herrschaft

Natürlich sind es reale Personen die diese gesellschaftlichen Verhältnisse wollen und von diesen profitieren. Dies sind gemeinhin die Mitglieder der Kapitalistenklasse und ihre Schergen und Büttel. Diese leben zwar auch in der ganzen Warenscheisse, sind aber wesentlich bersser gestellt, können sich sozusagen "die Rosinen aus dem Kuchen picken".

Die Staatsform und ihre Proponenten sind Resultat der Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klassen, wie die Ausbeutung am besten zu organisieren sei. Die Vertreter der bürgerlichen Demokratie meinen z.B., dass sich Ausbeutung dadurch am Besten organisieren kässt, indem man den Leuten vorspiegelt sie könnten selbst darüber entscheiden, wer ihnen am Schädl scheisst. Und man gibt den Leuten etwas von den Brosamen ab, die bei der Herstellung des grossen Reichtums abfallen. Das kurbelt die Produktion an, schafft Mehrwert und Profit und verstellt den Blick auf's Elend.

Der Kapitalismus ist aber durchaus flexibel genug, bei gegebener Sachlage andere Staatsformen zu kreieren. Insbesonders, wenn droht, dass sich die Leute nicht mehr so reinlegen lassen, beginnen sich zu wehren, sind die Kapitalisten sehr schnell mit autoritären Modellen bei der Hand. Von einer grossen Liebe für Freiheit und einen Sinn für Gerechtigkeit kann bei dieser Klasse im Allgemeinen nicht ausgegangen werden.

Natürlich steht ein Staat nicht mit seiner politischen Form, sondern mit den Gewaltmitteln über die er verfügt um seine Politik gegen den Willen anderer durchzusetzen. Die Anderen, das ist meistens die Bevölkerung. Auch wenn's oft nicht so aussieht sind die meisten Leute dennoch dagegen ihr ganzes Leben lang tagtäglich geschunden zu werden, um dann mit irgendeinem minderwertigen Krams abgespreist zu werden. Sie fügen sich diesem "Schicksal" weil sie ansonsten mit Repressalien zu rechnen haben. Die Leute kaufen die Sachen, die sie selbst in ihrer Arbeit hergestellt haben, anstatt sie sich einfach zu nehmen, weil es eine Polizeit gibt, die - recht oder schlecht - die Leute einknasten würde. Weil es eine Justiz gibt, die sich das Recht herausnimmt über die Leute zu verfügen - sie einsperren zu lassen oder auch umzubringen.

Einen Staat, egal welche politische Form er hat gibt es nur, weil er das Gewaltmonopol beanspruchen kann. Seine ganze Räson liegt darin, dass er allein über das Glück und das Leben der Menschen verfügen kann. Jedes Verbrechen ist immer auch eine Infragestellung dieses Gewaltmonopols und wird auch deswegen gestraft. Der Staat kann es nicht zulassen, dass etwas oder wer andere als er dieses gottgleiche Recht ausübt. Der moderne Staat ist eine Maschinerie, der seine Gewalt nur sehr dosiert einzusetzen braucht. Normalerweise begegnet einem das Gewaltmonopol in Form von irgendwelchen Bürokraten. Herrschaft wird ausgeübt, indem der Zugang zu Ressourcen über wohlfälliges Verhalten - im allgemeinen das richtige Formular auszufüllen - gesteuert wird. Nur wer sich den formalen Gegebenheiten fügt, kann damit rechnen Zugang zu den existenziellen Zuwendungen zu haben. Da bedarf es weder des Gummiknüppels noch des Pfeffersprays: die meisten Leute verhalten sich "richtig", weil sie sonst im Arsch sind. Und für die Zweifelsfälle gibt's noch immer die Keule in petto.

Und neben Gewalt, Ausbeutung und Entfremdung ist noch ein riesen Rattenschwanz an Ideologieproduktion tätig, der die Gehirne der Leute verkleistert, der Zustimmung produziert.

Das Lügensystem

Es sind ganze Heerscharen an Lehrern, Pfaffen, Wissenschaftlern, Werbefritzen, Medien- und Kulturschaffenden usw. die immerfort die verschiedensten Ideologien produzieren, die allesamt nichts anderes machen, als die wahren Verhältnisse in dieser Gesellschaft zu verschleiern. Sie machen für das Leid und das Glück der Menschen alles mögliche "verantwortlich": Gott, die Natur, die Anderen etc. Sie tun dies sowohl weil sie daran glauben, als auch weil sie dies wollen.

Jeden Schritt und Tritt, den wir uns bewegen, begleitet uns die Ideologieproduktion. Egal, ob es die allgegenwärtige Werbung oder Musikbeschallung ist. Kinder werden von klein auf vollgestopft mit Wissen, dass sich nur nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen orientiert.

All diese Bemühungen gipfeln darin, dass die Welt wie sie heute ist:

  • gut ist
  • so natürlich ist
  • Veränderungen demnach nicht statthaft sind, und
  • wir ausserdem dankbar dafür sein müssen.


Die Ideologie ist wie kriechenden feuchte Kälte, die alles durchdringt. Sie zeichnet die gesamte Vorstellungswelt, sie ist die Ware im Kopf.

Die totale Kritik

Der Anarchismus beschränkt sich in seiner Kritik nicht damit, die "Missstände" die er konstatiert, reformieren zu wollen. Der Anarchismus ist eine revolutionäre Anschauung, die die Verhältnisse umstürzen will. Das neue Leben kann kein Abklatsch des alten sein: nicht der Versuch, sich verklärend-romantisch auf eine heile Welt zuvor zu beziehen. Es gab kein "Goldenes Zeitalter", das nur wiedererschaffen werden müsste. Solche Anschauungen tummeln sich zu Hauf im Umfeld der kritischen Bewegungen:

Einerseits gibt es natur-romantische Ideen, die sich auf den quasi "Edlen Wilden" beziehen, der in seiner Einheit mit der Natur sozusagen "unschuldig" ist, den die Zivilisation nicht verdorben hat. Es ist die falsche Kritik an der Zivilisation, der die Anschauung hervor bringt, nur ein Wesen, das nicht durch Technik und Fortschritt sich der Welt vermittelt, kann frei sein. Nur ist die "Freiheit des Wilden" in der Natur eben nicht Freiheit, sondern völlige Fremdbestimmung durch eine feindliche Umwelt, der in einem permanenten Kampf das Lebensnotwenige abgerungen werden muss. Freiheit ist erst dann möglich, wenn der Kampf ums Überleben überwunden wird. Wer den ganzen Tag damit beschäftigt ist, sich die Bananen zusammen zu sammeln, ist von seiner materiellen Not bestimmt - das Schlaraffenland gibt's nicht, wo die Hendln in den Mund reinfliegen. Und mal abgesehen davon, dass die Naturvölker von den banalsten Infektionskrankheiten dahingerafft werden.

Freiheit verlangt materiellen Überfluss. Freiheit verlangt freien Zugang zum materiellen Überfluss. Die einzige Möglichkeit, diesen Überfluss herzustellen ist sich von der direkten Auseinandersetzhung mit der stofflichen Natur zu befreien. Durch den technischen Fortschritt erst wird es möglich, den Zugang zu den Gütern für alle zu gewährleisten. Jeder Mangel, jede Mühe und Plage, die heranzuschaffen ist Nährboden für Herrschaft. Wer Verfügungsgewalt über rare Ressourcen hat, verfügt über Gewalt, die er gegen andere in seinem Interesse einsetzen kann. Auch der Kapitalismus fusst darauf, dass eine Midnerheit die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel besitzt. Dass Maschinen gerichtet sind, dass sie Mittel zur Unterdrückung sind und die Umwelt zerstören liegt nicht daran, dass sie technisch sind, sondern in ihrem Verwendungszweck: zur Vermehrung privaten Profits, zur Anhäufung von Macht. Alle Forschung, Planung und Konstruktion unterliegt heute dem Primat der Profitmaximierung. Es kann nicht darum gehen, sich er Technik zu entziehen, freiwillig in die Steinzeit zurückzukehren, sondern die Technik durch den Menschen zu erobern, den Ausbeutern zu entreissen und zu beginnen, sie für die Bedrüfnisse und Interessen der Leute einzusetzen.

Heute werden neue Maschinen in der Produktion nicht dazu eingesetzt die Menschen von Mühe, Plage und Gefahr zu befreien, sondern um im kapitalistischen Wettbewerb einen Vorteil zu erringen. Was potentiell das Leben erleichtern kann, wendet sich gegen die Menschen. Rationalisierung bedeutet heute, ArbeiterInnen von ihren Lebensressourcen zu beschneiden, Arbeit und dadurch Ausbeutung zu intensivieren.

In einer anarchistischen Gesellschaft soll notwenige Arbeit, die immer auch Zwang ist, so gut es die technologische Entwicklung zulässt abgeschafft werden. Dies ist nur durhc konsequente Ausnützung der Maschinerie möglich. Was Maschinen automatisch erledigen muss kein Mensch machen.

Da in der anarchistischen Gesellschaft die Ausbeutung und Profitgier aufgehoben sind, bedarf es nicht mehr jenes gewaltigen Unterdrückungs- und Verwaltungsapparates, der heute notwndig ist um die Ausbeutung aufrecht zu erhalten. Was heute alles in Polizei, Vewaltung und Militär an Ressourcen verschwendet wird, ist dann zum Genuss frei. Ebenso werden viele "Berufe" verschwinden, die nichts anderes im Sinn haben als den Leuten irgendein Zeugs einzureden - Ideologieproduktion, Werbung und so weiter. Alleine dadurch würde sich bei gleichmässiger Aufteilung der notwenidigen Arbeit die Arbeitszeit radikal verkürzen. Bereits Studien aus den 20er Jahren belegen, dass unter solchen Umständen die notwendige Tagesarbeitszeit damals bei drei Stunden lag (Grossmann).

Im Anarchismus wird es aber keinen Arbeitszwang geben. Dieser ist auch gar nicht notwendig. Wenn man nur die technologische Entwicklung seit den 20er Jahren sich vor Augen hält, wird einem klar wie gering heute die Aufwendungen für notwenidige Arbeit sein werden.

Es wird keinen Verkauf und damit auch kein Geld geben. Denn Geld ist nichts anderes, als ein Berechnungsmittel um die gestohlene Arbeitszeit zu verwalten. Es ist der numerische Ausdruck für in den Waren materialisierte Ausbeutung. Die Verfügung über die Güter wird frei sein, jeder sich das einfach nehmen, das gebraucht/gewollt wird. Und diesbezüglich lehnen wir auch alle Arbeiten von "pädagogischen" Ansätzen ab, die zwischen wirklichen und aufgesetzten Bedürfnissen unterscheiden. Es weiss noch immer jeder für sich selbst am Besten, was gut tut und was nicht. Alle Bedürfnisse die geäussert werden, sollen auch erfüllt werden. Alle Moral, die hier zu walten müssen gedenkt, bedarf eines Zwangsmittels um diese auch durchzusetzen zu können. Und solche lehnen wir ab.

Wir lehnen ds Konzept einer Avantgarde ab, die vorgibt besser über die Leute bescheid zu wissen als sie selbst. Es braucht weder Pfaffen noch Berufsrevolutionäre um über die "richtige" Freiheit zu entscheiden. Wir werden keinen "Neuen Menschen" schaffen, denn ein solchen Unterfangen ist gleichbedeutend mit "chirurgischen" Eingriffen in der Gesellschaft um das "Krebsgeschwür" des Menschen, wie er heute nunmal ist, zu entfernen. Das heisst Umerziehungslager und Vernichtung der "Unwilligen". Befreiung lässt sich nicht oktruieren. Befreiung ist ein aktiver Akt, der selbst vollzogen werden muss. Geschaffen können nur Objekte werden, Subjekte setzen sich selbst.

Darum ist es auch unmöglich vorherzusagen oder gar zu bestimmen wie eine anarchistische Gesellschaft konkret aussehen wird. Der Anarchismus taugt nicht für Sandkastenspiele von Hobbystrategen und -politikern. Alle Menschen und selbstverständlich auch die Anarchisten sind in ihren Vorstellungen heute von der jetzigen Welt geprägt - alle keinnen nur ein Leben in Ausbeutung und Unterdrückung. Von Herrschaft und Entfremdung wird sich die Vorstellung erst dann befreien können, wenn die materiellen Grundlagen, die wirkliche, reale Befreiung von Herrschaft und Ausbeutung, vollzogen sind.

Also kann man nix genaues wissen nicht?

Also kann man nix Genaues wissen nicht? Doch. Ein bißchen was doch. Anarchie ist Abwesenheit von Herrschaft in all ihren Formen und Ausprägungen. Einerseits. Andereseits ist das zu ungenau.

Anarchie ist die Abwesenheit von faßbaren Zwängen, von greifbarer Herrschaft. Und zwar je greifbarer, benennbarer und kritisierbarer Macht ist, desto abwesender wird sie in einer anarchistischen Gesellschaft sein.

Das ist nebenbei schon ein guter Grund sich ein bißchen mit Theorie zu beschäftigen - etwas das viele Leute ungern tun. Theorie soltle nälmiche keine Domäne von Menschen sein, die sich für besonders gescheit halten - einmal davon abgesehen, dass es so etwas wie Intelligenz in Wirklichkeit nicht gibt. Aber das ist noch eine ganz andere Geschichte. Jeder der es wissen will, muss sich die Sache schon antun: Nachdenken, sich eine Meinung bilden.

Theorie, wenn sie was taugen soll, braucht sich nicht bestimmter Verfahrensregeln, bestimmter Methoden, Wörter und Begriffe zu bedienen. Theorie soll mir helfen die Welt in der ich lebe zu verstehen. Zu allgemein? Ja, zu allgemein.

Sie soll mir helfen zu verstehen warum mein Leben schön oder unerträglich ist. Die zentrale Behauptung der anarchistischen Theorie ist - und da sind sich "die Anarchisten" in all ihren verschiedenen Strömungen ziemlich einig - dass unter Herrschaft die Beherrscten leiden. Dass auch die Herrschenden dabei nicht gücklich werden ist hier vergleichsweise kein wirklicher Trost. Die Theorie muss mir also behilflich sein zu begreifen was das für eine Art Herrschaft ist, unter der ich lebe - was ihre zentralen Momente sind. Sie muss erklären, welche Zwänge für Herrschaft in ihrer Totalität unverzichtbar sind, sie muss mir weiter einen zarten Hinweis darauf geben welche Zwänge leichter auszuhebeln sind als andere.

Nix mit Haupt- und Nebenwiderspruch

Dass es wahrscheinlich leichter ist die Steuern abzuschaffen als den Rassismus in der Gesellschaft spricht weder dafür noc dagegen, das eine wie das andere zu tun. Es sagt auch nichts über die Dringlichkeit aus. Den Autoren kommt nämlich rein subjektiv der Hass auf ausländische Menschen viel grausiger vor, als die Probleme des Vorsteuerabzugs bei Firmenwagen. Für eine befreite Gesellschaft wird beides nicht mehr sein dürfen, bloss wird das eine leichter gehen als das andere.

Der Arbeitszwang als etwas das jeden und jede gleichermassen betrifft, lässt sich durch politische Willensentscheidung einer Gesellschaft beseitigen, der Staat samt Finanzamt, Polizei und Justiz gleich mit dazu. Die Menschen bleiben dieselben - und sind doch solche, die unter völlig anderen gesellschaftlichen Bedingungen leben. Sie zahlen keine Steuern mehr - und trotzdem wird es unter ihnen freundliche und unfreundliche, umgängliche und unerträgliche geben. Und immer noch "Ausländer"feine geben.

Denn die rassistische Gesetzgebung kann eine aufgeklärtere Gesellschaft beseitigen, eine anarchistische wird es ganz bestimmt tun. An der Hirnscheisse, die in manchen Köpfen existiert ändert das kein Jota. Eine anarchistische Gesellschaft wird es nur geben wenn viele Menschen ganz anders denken. Einerseits.

Andererseits wird es viel von dem, was uns schon heute nicht gefällt, in der befreiten Gesellschaft allemal geben. Sie ist nämlich kein Paradies, diese befreite Gesellschaft. Wer das verspricht, ein politischer Scharlatan. Was sie leisten kann ist nicht alle Zwänge und Ungelegenheiten zu beseitigen und auch nicht einmal alle fassbaren und greifbaren: sondern die, die gleichzeitig möglichst viele Menschen betreffen. Wenn ich kein Gefängnis haben will - weil das unverhältnismässiges Leid produziert - muss ich mir überlegen wie es anders weniger "Verbrechen" gibt. Das ist schwierig, aber mit ein wenig Nachdenken geht's.

Wenn nun ein Mensch den anderen verprügelt, ist das etwas, das es wahrscheinlich immer geben wird. Auch in einer anarchistischen Gesellschaft wird es es Wirtshausraufereien geben. Wahrscheinlich weniger, aber das ist hier nicht der Punkt. Wenn nämlich es ein Mann ist, der eine Frau verprügelt dann ist das neben allem anderen Ausdruck realer Herrschaftsformen. Hat mit Frauenunterdrückung in der Gesellschaft zu tun.

Was also tun?

Was also tun? Zuerst dies: nachdenken. Dann was tun. Nämlich das auf was man gekommen ist. Wieder zu vage? Zu allgemein? Dann noch ein Hinweis zur Methode: Die Theorie die die Welt von vorn bis hinten erklärt gibt es nicht. Es gibt keinen Königsweg zur klassenlosen Gesellschaft. Schon gar keinen gegen Sexismus und Rassismus. Man kann lediglich eines tun: die Bedingungen und den Nährboden aus dem sie entstehen abschaffen. Dann verschwinden sie noch lange nicht automatisch aber die Chance, dass sie weniger werden ist schon deutlich grösser. Wieder zu ungenau? Im Falle von Frauen heisst das unter anderem, dass sie von niemandem mehr gezwungen werden können Drecksjobs zu mieser Bezahlung zu machen, weil es beides nicht mehr gibt.

Im Falle der "Ausländer" heisst das, dass zwischen ihnen und "Inländern" kein Unterschied mehr gemacht wird. Es keine Fremdenpolizei gibt und keine Abschiebungen. Auch kein "Bleiberecht für alle", sondern die selbstverständliche Möglichkeit für alle dort zu leben wo sie wollen. Was wäre das für eine befreite Gesellschaft, deren Freiheit teilbar ist?

Das ist nicht viel? Das stimmt. Es ist nicht viel und doch auch schon ein klein wenig. Es ist schon ein bisschen freier atmen - und das ist was eine anarchistische Gesellschaft leisten kann.

Das Allerwichtigste ist aber die Selbstorganisation der Betroffenen: dass sie ihre eigenen Formen suchen um mit dem was bleibt - und was nicht ist wie es sein soll - fertig zu werden. Eine anarchistische Gesellschaft ist nämlich keine beziehungslose - höchstens für die, die für sich bleiben wollen - sondern eine von Menschen, die sich für ihre Interessen sehr vehement engagieren; aber eben eine, wo sich jeder und jede an einer solchen gesellschaftlichen Auseinandersetzung beteiligen kann. Dieses "können" führt dann real dazu, dass es auch mehr Menschen tun, die Debatte eine ungleich unmittelbarere wird.

Eine Gesellschaft anders als die anderen

In der Anarchie gibt es kein Privateigentum an Produktionsmitteln. Auch die Verfügungsmacht einer bestimmten Gruppe darüber nicht. Sie "gehören" der gesamten Gesellschaft - und deshalb wird der Eigentumsbegriff belanglos. Sie sind deshalb nicht bestimmungslos, sondern sollen im Gegentum etwas leisten auf das sei verwiesen sind: möglichst viel nützliche Güter produzieren, ohne Arbeitszwang - und diese verteilen ohne dass sie etwas kosten. Dieser Prämisse sind sie untergeordnet. Dafür sind der Bagger und die Kohlengrube, die Fabrik mit ihren Fliessbändern und Maschinen, die Landwirtschaft, die Büros, die Warenlager und alles übrige gedacht. Über das "Wie" gibt es einerseits eine breite gesellschaftliche Debatte und andererseits nicht. Darüber wieviel jemand arbeitet und was er für den persönlichen Verbrauch benötigt entscheiden alle für sich. Wie die Güter produziert werden, was dafür notwendig ist, welche neuen Maschinen nötig sind, wieviel Arbeitszeit erbracht werden muss, all die vielen Folgeentscheidungen die daraus erwachsen: das entscheidet die Gesellschaft - im Konsens.

Wir nennen das mit Bauchweh: Planwirtschaft

Wir nennen das mit Bauchweh: Planwirtschaft. Nicht weil das was wir wollen irgendwas mit dem verblichenen Realsozialismus zu tun hat - davon grenzen wir uns im Gegenteil relativ scharf ab - sondern weil sehr viel von dieser Tätigkeit mit Planung zu tun hat. Das Zusammenführen von wirtschaftlichen Kennzieffern ist: wieviel von welchem Zeugs wird wann, wo gebraucht, wieviel Leute wollen in diesem Bereich wann, wieviel arbeiten, gibt es da eine Differenz usw.

Das soll nicht gehen? Wirtschaftliche Zusammenhänge sind viel zu komplex? Viele Leute können sich nie auf freiwilliger Basis organisieren? Ach ja? In einem "Kommunikationszeitalter", in dem wir ja angeblich leben, sollte ausgerechnet das leichter möglich sein als zu vorsinntflutlicheren Zeiten. Wo Telefon, Fax, Datenleitung, Computer und Internet es erleichtern Zugang zu Informationen zu erlangen und zu vermitteln. Wo Wissen immer mehr verallgemeinert wird zieht auch irgendwann die alte Ausrede, dass die "Köchin nicht in der Lage ist den Staat zu regieren" nicht mehr. Klar kann sie's heute wenn sie will.

Freiwillige Organisation braucht in jedem Fall ein wenig mehr an Diskussion und Debatte als das Anpflaumen der Untergebenen im Kasernenhofton.Die Zeit ist da. Alle Zeit der Welt. Wenn der Umfang der Arbeit deutlich geringer wird kann die Köchin den Staat regieren, weil sie nicht bloss kochen muss.

Das ist den Herrschenden gar nicht recht. Heute werden Riesenkonzerne zentral gesteuert. Mit strikten Hierarchien von oben nach unten. Und so gesehen kennt die Obrigkeit auch ihre Pappenheimer: da würden freiwillig nur wenige mitmachen.

Jede Arbeit wird sich anders organisieren müssen - von Grund auf. So, dass die Leute sie freiwillig machen, sie nicht mehr eine einzige Quälerei ist. Wir halten das für ein relativ gutes Regulativ.

Oder anders. Ein Kapitalismus funktioniert nur mit Chefs und mit Arbeitszwang. Dass das prinzipiell so sein muss, das hätten die Chefs recht gern. Es ist bloss nicht so.

Wenn und sobald die Menschen die Produktion als ihre Sache ansehen werden sie in einem Mass Anteil nehmen, von dem heute viele Firmen trotz jeder Menge innerbetrieblicher Motivationskursen und Selbsterfahrungsgruppen nur träumen können. Eine entfremdete Welt braucht entfremdete Hierarchien.

Über eine Fabrik in der ich mitbestimmen kann werde ich mitbestimmen. So sind die Menschen.

Und das "komplexe" an den Wirtschaftsbeziehungen kommt heutzutage auch nicht von ungefähr: es sind Verhältnisse, die auf Konkurrenz und Gegnerschaft aufbauen. Wieveil Hirnschmalz beschäftigt sich in der Marktwirtschaft mit dem "Mitbewerb" ... was uns die Ökonomenzunft weisszumachen versucht, dass nämlich das Gegeneinander von Menschen das Salz jedes wirtschaftlichen Handeln sei, der Urquell jeder aussergewöhnlichen Leistung sozusagen, stimmt praktischerweise bloss so lange sie eine Mangelwirtschaft ist. Und eine Mangelwirtschaft wird sie bleiben so lange es ein Privateigentum an Produktionsmitteln gibt. Eine Mangelwirtschaft wird sie bleiben, weil sie ein Bedürfnis nur anerkennt wenn es auch ein zahlungskräftiges ist. Und produzieren wird sie nur so viel wie es ungefähr der Zahlungsfähigkeit der Marktteilnehmer entspricht. Alles andere nennt der Fachmann nämlich eine formidable Wirtschaftskrise.

Da beisst sich die Katze selber in den Schwanz

Für alle Freundinnen und Freunde des Leistungsideals vielleicht noch dies: Etwas leisten zu wollen genügt in der Marktwirtschaft nicht. Es ist eine Voraussetzung sich darin zu bewähren. Die andere ist, dass irgendwer mit genügend Zahlungskraft diese Leistung haben will. Das gilt im Grossen, wie im Kleinen. Für irgendeine grosse Firma die ihren Ramsch anbringen will, wie für einen Langzeitarbeitslosen. In so einer Gesellschaft braucht es viel Zwang. In der Anarchie keinen.

Und dann wir keiner mehr arbeiten? Ja, wenn schon. Auch hier gilt: die Arbeitswelt wird sich drastisch verändern müssen. So dass sich genügend Leute finden. Genügend unangenehme Arbeit bleibt immer? Wer arbeitet dann noch freiwillig bei der Müllabfuhr oder der Kanalbrigade? Vielleicht mehr Leute als heute die Fanatiker der Marktwirtschaft gern hätten. Wenn die gesellschaftlich nötige Arbeitszeit drastisch sinkt stellt sich die Frage ganz anders. Fünf Stunden bei den Mistkübeln in der Woche würden selbst von den strikt arbeitsscheuen Elementen in der "Distel"-Redaktion einige abdienen.

Kein Staat

Den Staat als unmittelbarsten und wuchtigsten Zwangs- und Herrschaftsapparat gibt's nicht mehr. An seine Stelle tritt die Gesellschaft selber, das heisst sämtliche öffentliche Angelegenheiten werden durch Diskussion und freie Debatte geregelt ohne dass es noch irgendeinen Gewaltapparat zur Durchsetzung getroffener Entscheidungen gibt. Das Fehlen von politischer Gewalt ist ausserdem eine Garantie dafür, dass bis zum Ende gestritten wird - die Entscheidung wirklich für alle tragbar ist. Sonst ist sie nämlich nicht durchsetzbar. Das soll nicht gehen? Es werden sich niemals alle Menschen über alles einig sein? Das will auch niemand - und auch nicht die Anarchisten. Es ist ein Unterschied zwischen aktiver Zustimmung und nicht dagegen sein. Die Entscheidungsstrukturen in der Anarchie funktionieren - und zwar auf allen Ebenen und bei allen anstehenden Fragen - nicht nach dem Mehrheits-, sondern nach dem Konsensprinzip. Das heisst, dass am Schluss niemand mehr in einer bestimmten Sache Einspruch erhebt.

Auf das Konsensprinip bestehen wir deshalb so sehr, weil in jedem anderen Fall erst wieder Macht und Gewalt gegen die Minderheit nötig und das der erste und auch schon wichtigste Schritt zur Etablierung einer neuen Herrschaft wäre.

Vom basisdemokratischen Prinzip und dessen Übertragung auf die Gesellschaft halten wir eben aus diesem Grund nicht viel. Aber auch rätedemokratische oder anarchosyndikalistische Modelle mit ihrer strikten Wählbar- und Verantwortlichkeit von oben nach unten, ihren Branchenverwaltungen usw. eignen sich unserer Ansicht nach für eine anarchistische Gesellschaft nicht. Weil es da noch immer ein oben und unten gibt! Dieser Einwand ist einerseits zutiefst wahr, greift andererseits zu kurz.

Weil eine anarchistische Gesellschaft nicht horizontal gegliedert sein darf, nicht vom Olymp bis in die Niederungen des Daseins. Sich jeder und jede bei jeder Entscheidung zu jeder Zeit einmischen können muss. Natürlich gibt es Fragen, die nur ein Grätzl betreffen, andere eine ganze Stadt, wiederum andere die ganze Welt. Und natürlich braucht das verschiedene Strukturen. Aber die unmittelbare Möglichkeit zur Anteilnahme muss trotzdem bestehen. Wahrscheinlich werden die Formen verschiedene sein: vielleicht wird die Frage ob man in der Gasse neue Strassenlaternen braucht in einer Versammlung aller Bewohner entschieden und über eine Stadtautobahn in vielen verschiedenen Treffen diskutiert wo man dann ungefähr eine Tendenz der Meinungen ableiten kann. Wahrscheinlich wird über ein neues Stahlwerk in den Spalten der Tagespresse entschieden, wo jeder schreiben kann und über ein neues Verkehrskonzept, das für die nächsten 20 Jahre gelten soll, alles das zusammen gemacht werden wird. Ziemlich sicher werden sämtliche Diskussionsbeiträge auch über das Internet zugänglich sein. Und wahrscheinlich werden die Leute über so etwas unsinniges und lebensbedrohliches wie ein Atomkraftwerk nicht einmal fünf Minuten reden, weil dessen Wahnwitz offensichtlich ist.

Vom Interesse

Die meisten Fragen sind weniger kompliziert als sie scheinen. Wenn nicht grosse Konzeren die Atomkraft forciert hätten gäbe es sie nicht. Man hätte in der BRD schon vor zwanzig Jahren bei nüchterner Betrachtung erkennen können, dass es sich hier um eine unausgereifte Technologie handelt. Damals wurden Ausstellungsstücke funktionierender Krafwerke gebraucht um sie in die 3. Welt exportieren zu können. Heute werden sie zugesperrt weil die 3. Welt endgültig pleite ist und der Atomkraft überhaupt die Geschäftsgrundlage entfallen ist. Damit wollen wir nicht sagen, dass es in der Anarchie keine politischen Konflikte geben wird, sondern völlig andersegeartete. Vor allem keine im Grunde unversöhnlichen Interessen.

Wenn es heute immer mehr Strassen braucht beispielsweise, wer stellt denn da die Frage woher das Bedürfnis nach immer mehr "Mobilität" kommt? Die Fahrten aus Jux und Tollerei sind ja eher die Ausnahme als die Regel. Die meisten fahren in die Arbeit. In der Früh eineinhalb Stunden mit dem Auto hin und abends wieder retour. Mehr ist auch keine Seltenheit. Warum werden Arbeitsstellen nicht in die Wohnviertel integriert? Und da reden wir jetzt nicht davon eine Raffinerie mitten in einen Wohnbezirk hineinzuknallen, aber bei vielen anderen Betrieben wäre es problemlos möglich Wohnen und Arbeiten möglichst nahtlos zu verbinden. Immer ist das Firmeninteresse, das über den Standort entscheidet. Und das ist selten eines, das auch nur entfernt volkswirtschaftlich Sinn macht. Firmen siedeln sich nicht weit ausserhalb grosser Städte an, weil es dort so schön ist, sondern weil die Grundstückspreise und die Gemeindesteuern niedriger sind. Firmen ballen sich in der Stadtmitte weil das für's Renommee und Geschäft dienlich ist. Grosse Geschäfte erhoffen sich in den Fussgängerzonen immer höheren Umsatz und Gewinn, in den Wohnvierteln bricht die Nahversorgung weg. Eingekauft wird im Zentrum.

In einer anarchistischen Gesellschaft wird nicht mehr eingekauft und es wird deutlich weniger Autobahnen brauchen.

Keine Polizei und Justiz

Eine anarchistische Gesellschaft kennt weder Strafe noch Gefängnis. Sie muss ihre Konflikte anders lösen. Sie muss die Ursachen beseitigen aus denen heute "Verbrechen" entstehen. Das ist von zentraler Wichtigkeit: wenn heute 80% Gefängnisinsassen wegen Eigentumsdelikten inhaftiert sind muss sie die Armut abschaffen. Und: welches Gewaltdelikt hat sich je durch Einsperren wieder gutmachen lassen? Wer fragt überhaupt danach wieviel Lieblosigkeit, Stress und Hetze es widerspiegelt? Wieviel Unvermögen mit dieser Welt fertigzuwerden, das Drogenelend!? Der fatale Kreislauf von Schuld, Sühne und Strafe muss durchbrochen werden.

Niemand hat es verdient, die ganze gewalttätige Routine bei der Polizei. Niemand hat es verdient eingesperrt zu werden. Niemand. Völlig egal was er getan hat. In einer Gesellschaft die ihren Reichtum unter den Menschen verteilt wird wohl niemand stehlen gehen.

In einer Gesellschaft die Drogen legalisiert, werden nicht mehr Menschen für den nächsten Schuss eine alte Frau umbringen. Vielleicht werden auch nicht mehr so viele Süchtige jämmerlich krepieren: an den verdreckten Spritzen, den ganzen Lebensumständen. Vielleicht ist auch hier die Wahrheit eine ebenso einfache, wie traurige: wer Drogen nimmt weil er unglücklich ist, der wird damit nicht glücklicher. Und wer sich in seinem Leben relativ wohlfühlt für den sind sie keine Drogen. Vielleicht wird in einer herrschaftslosen Gesellschaft das Unglück nicht ganz so gross sein.

Die Gewaltdelikte werden wahrscheinlich in einer Gesellschaft die nicht so verrückt wie unsere ist deutlich weniger, aber ein gewisses Quantum wird es weiterhin geben? Auch gegenüber Frauen?

Ja, aber gerade hier gilt, dass nur und genau das seitens der Gesellschaft statthaft ist, was weitere Gewalttätigkeit oder eine Wiederholung der Tat verhindert. Ohne sinnlose Quälerei. Beispielsweise wenn einzelne Personen eine andauernde gewalttätige Bedrohung darstellen, Beschränkung der Freizügigkeit nur bei grösstmöglichem Komfort und nur so lange diese Bedrohung dauert.

Überbau

Ein Leben mit weniger Zwängen - ein anderes Leben: das was Marxisten verharmlosend den Überbau nennen, ist ein unendlich weites Feld. Es umfasst Kunst und Kultur ebenso wie weite Bereiche des Alltagslebens. All das wird sich komplett verändern; wenn das Leben nicht mehr "Arbeit" ist, Zeit für "alles Übrige" sein. Wahrscheinlich hat in einer herrschaftslosen Gesellschaft Mode einen viel geringeren Stellenwert als heute. Ganz sicher wird der Schönheitswahn von vielen in Frage gestellt werden, weil niemand sich mehr selbstbestätigen muss - jeder und jede sowieso ist - und nicht in Frage gestellt werden kann.

Wahrscheinlich wird der Zulauf zu sinnstiftenden Religionsgemeinschaften abnehmen: wenn's im Diesseits ziemlich leiwand ist, wer will sich da noch auf's Jenseits vertrösten lassen!? Wahrscheinlich verliert die Kultur den Status des Aussergewöhnlichen und wird Kunst etwas das ganz einfach viele machen.

Und ganz sicher wird es zu einem anderen Umgehen der Menschen miteinander kommen. Vielleicht auch einem Mehr an Nähe, weil der ganze Druck und die Hetze nicht mehr existieren. Eines ist sicher: auf diesem Terrain wird es die grösstmögliche Freizügigkeit geben, alles was niemand anderen behelligt, gebilligt werden.

Der Vollständigkeit halber - eine nötige Abgrenzung

Eine Anarchie ist kein Kommunismus. Mit dem verblichenen realsozialistischen Modell haben wir nichts am Hut. Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Anarchismus, die er ausdrücklich auch seinen Gegnern einräumt. Jeder muss jederzeit alles sagen und schreiben dürfen, sich mit anderen zusammen organisieren können, Zugang zu den Medien haben. Im Anarchismus gibt es keine herrschende Partei auch und gerade nicht die Anarchisten. Eine anarchistische Gesellschaft hat keine imperialistischen Interessen gegenüber anderen Nationen. Auch nicht im Namen von Revolution und Volksbefreiung. Sie hat kein Heer, kein Aussenministerium, führt keinen Krieg.

(Kein) Schluss

Das ist erst der Anfang. Der Anfang einer Theorie. Über all das mus möglichst genau diskutiert und gestritten werden. So wie wir es angedacht haben muss es letztlich nicht sein. Wir hoffen auf vielfältigste Reaktionen.

Denn eines ist gewiss: Die Welt ist veränderbar. Und diese Veränderung lohnt!

Aus: "Die Schwarze Distel" - Ausgabe Dez. 1998 / Jan. 1999

Originaltext: http://members.landshut.org/Flexhead/Kolumnen/Anarchie/Anarchiedistel.html


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