Geschichte des Anarchismus in Chile

Angefangen hat alles mit dem „Mutualismus“! „Mutualismus“ ist eine Strömung des „solidarischen Anarchismus“ und entstand aus der gegenseitigen Hilfe der Arbeiter*innen. Einer der Hauptvertreter war Proudhon , der die künftige freie Gesellschaft auf der Gründung von Genossenschaften sah. Der „Mutualismus“ war dabei die lokale Organisationsform, der Föderalismus die Koordination der verschiedenen „mutualistischen“ Kommunen.

Viele der chilenischen Arbeiter, organisiert in so genannten Innungen, gehörten zu den Radikalsten im Unabhängigkeitskampf gegen Spanien (1808- 1817), doch die postkoloniale Regierung dankte es ihnen nicht. Ihre Gilden wurden aufgelöst und schuf so eine starke Verarmung der vorwiegend als Handwerker organisierten Mitglieder.

Die Drucker, die bis dahin wohl zu den Aktivsten gehörten, waren in dieser Zeit schon stark von den revolutionären Ereignissen in Frankreich und den Ideen eines Proudhon beeinflusst.

Auch wenn die ersten spanischen Übersetzungen von seinen Schriften erst 1870 erschienen, waren sie im Buchhandel leicht erhältlich und wurden eifrig diskutiert.

„El Pueblo“, eine Zeitschrift für den „freien Geist“ , wurde auf Grundlage dieser Diskussionen gegründet. Eine „Sociedad de la Igualidad (SI)“ folgte, eine Gründung von Intellektuellen, die ihre Zeitschrift wiederum „El Amigo del pueblo“ nannten. Für sie war die Freiheit ohne Gleichheit keine richtige Freiheit.

Die Repression ließ nicht lange auf sich warten. Polizeispitzel tauchten bei der Sociedad auf, Schlägertrupps beendeten oft ihre Versammlungen, die Kirche hetzte gegen die „Sündhaftigkeit der Gleichheit“. Im Gegenzug wuchs die Zahl der Mitglieder auf 30.000 an.

Die Repression wurde heftiger. Festnahmen und Folterungen mehrten sich. Im April 1859 war dann das Ende der SI, eine kurze, aber höchst fruchtbare Periode, denn die Saat der „gegenseitigen Hilfe“ war aufgegangen. In der Stadt La Sirena entstand eine Zweigstelle der SI.

Bis 1870 wuchsen die „Mutuals“, die in Zeiten wirtschaftlicher Depression zumindest das schlimmste Elend lindern konnten. In über einem Dutzend Städten bildeten sich die einzelnen Gemeinschaften. Neben den Gesundheits- und Wohlfahrtssektoren entstanden nun auch eigene Kultureinrichtungen, eine eigene Welt der Arbeiter und Handwerker – sozusagen eine „Parallelgesellschaft“, die zumindest diesen Teil in eine Welt der Freiheit, Gegenseitigkeit, Solidarität, Bildung und Selbsthilfe verwandeln.

Anderes Datum, 1872. In der Hafenstadt Valparaiso, nahe der Hauptstadt Santiago, gründete sich die chilenische Sektion der „Internationalen Arbeiterassoziation“. Ihr wurde jedoch kein langes Leben zu teil. Vorwiegend bedingt durch den Streit zwischen Marx und Bakunin, zwischen der „Diktatur des Proletariats“ und der kategorischen Herrschaftslosigkeit wurden die Anarchisten ausgeschlossen. Allerdings war der Funke für eine starke libertäre Bewegung in Chile schon gelegt. Überall entstanden Syndikate und andere Organisationen. Am stärksten waren diese Ideen in den Nitratbergwerken im Norden des Landes.

Aber diese Entwicklung wurde durch den Ausbruch des „Pazifischen Krieges“ (auch „Salpeterkrieg“ genannt) 1879 unterbrochen. Chile hatte Antofagasta im Norden auf bolivianischem Territorium und reich an Nitrat besetzt, und erklärte sowohl Bolivien als auch Peru den Krieg.

England wiederum hatte während dieses Krieges Hauptanteile dieser Bergwerke preiswert aufgekauft und das Ende dieses Krieges brachte dann auch den englischen wie den chilenischen Besitzern gleichermaßen viel Wohlstand, dem Staat selber Einkünfte über die Nitratsteuern – und für den großen Rest der chilenischen Bevölkerung Elend und Tod.

1887 wurde die Vereinigung „ Union Republicana del Pueblo“ mit einer klaren anarchistischen Plattform gebildet. Es folgten kurze Zeit später dann eine Reihe von größeren Streiks der Eisenbahner, Bergarbeiter und anderen, die dann 1890 in den ersten großen Generalstreik führten. Der Streik wurde brutal niedergeschlagen.

Im gleichen Jahr gründete sich das erste „Mutual“ ausschliesslich für Frauen in Valparaiso. In den nächsten drei Jahren entstanden weitere in Concepción und Santiago, um „bei der Emanzipation aller Arbeiter die Quelle des Elends zu entfernen, die Diskriminierung von uns Frauen. Die Ziele, die wir verfolgen, sind nicht nur die Einheit, bessere und gerechtere Löhne, sondern auch die Emanzipation und Entwicklung der Frauen.“

Juana Roldán de Alarcón, die Gründerin der “ La Sociedad de Socorros Mutuos” in Santiago, nannte als deren Motiv “ die Arbeit für das Wohl, den Fortschritt und die Kultur der Frauen in Chile“.

Der Beginn der Industrialisierung in Chile (1890-1910) sah einen enormen Zuwachs der arbeitenden Bevölkerung. Während die Löhne stiegen, wuchs die Inflation parallel dazu, was wiederum zu einem Rückgang der realen Löhne und zur steigenden Verarmung führte. Die Arbeiter verbrauchten fast 97 % ihres Einkommens für Grundbedürfnisse.

Die sich entwickelnde Gesellschaft setzte auf das Konzept des Bürgers – das freie Individuum, frei in der Maximierung seiner Vorteile, mit der Gewähr für Leben, Eigentum und Sicherheit --- erwirtschaftet von Arbeitern, die in steigender Armut, Slums, hoher Sterblichkeit als „menschliches Vieh“ gesehen wurde – falls diese begänne, irgendwelche Rechte einzufordern, sie mit Gewehren zur Räson gebracht werden müssen. Gleich zu Beginn wurden dann auch mal so eben 100 Nitratarbeiter erschossen, deren unverzeihliches Verbrechen darin bestand „zu streiken.“ Beim Protest der Hafenarbeiter 1903 mindestens 30.

„In der Sonne getrocknet, getrocknet im Wind, dünn wie dein Land, still wie die Wüste. Vom El Niño bis Calama (Stadt im Norden von Chile), vom Chiu Chiu (Dorf in der Nähe von Calama) und Quillagua (Dorf in der Nähe von Antofagasta) folgen deine Füsse dem Fluss und seinen einsamen Gewässern. Schwefel, Nitrat und Jod, Kupfer, Mangan und Silber nehmen deine harten Hände aus den Hügeln und der Pampa. Mann vom Loa (Fluss im Norden Chiles) mit traurigen Augen, hartem Bart, Fingern aus Salz und Schiesspulver. Ein Anderer nimmt das Geld, dessen Reichtum du produzierst. Du bleibst mit deinem Fluss, deiner Einsamkeit und deiner Armut“ (Hombre del Loa, Manuel Rojas)

Zwischen 1892 und 1897 wurden viele libertäre Organisationen gegründet. Es erschienen Zeitungen und Zeitschriften wie „El Oprimido“ (Der Unterdrückte) und „El Proletario“ . 1898 gab es einen Generalstreik in Iquique, begleitet durch die Entstehung neuer Organisationen und die erste Maidemonstration.

Das war eine Zeit der starken sozialen Bewegungen, die 1900 in die erste antimilitaristische Demonstration mit dem Slogan „ Die Armee ist die Akademie des Verbrechens“ mündete. Diese Manifestation war ausschließlich von Anarchist*innen organisiert, die durch einen Besuch von Pietro Gori 1901 weiteren Zulauf hatten. Ein Jahr zuvor war die Zeitschrift „El Acrata“ erschienen. Am stärksten organisiert waren die Anarchisten im Druck-und Schuhgewerbe, militant die Hafenarbeiter von Valparaiso. Auch in den Bergwerken gab es anarchistische Treffen.

Im Oktober 1905 hatten die Arbeiter wieder einmal genug von den unmenschlichen Bedingungen, in die sie gezwungen wurden, genug von den weiter steigenden Lebenshaltungskosten. Ein Komitee rief alle Arbeiter auf, sich einem Streik anzuschließen. Am 22.Oktober gingen 30 000 Menschen auf die Strasse, begeistert durch die revolutionären Ideen. Bei ihnen Metzger, Schuhmacher, Gerber, Tabakarbeiter, Bäcker und Eisenbahnarbeiter.

Hier nun setzten die Unternehmer neben der Polizei auch die paramilitärischen Gruppen der„Guardias Blancas“ ein.Trotz der 250 toten Streikenden wuchs die Bewegung und gründete 1906 die „Federacion de Trabajadores de Chile“ und die „Federacion de Estudiantes de Chile“.

Der Generalstreik wurde langsam zu einer von den meisten akzeptierten Waffe der Arbeiter. 1907 gingen über 30.000 von ihnen mit ihren Familien durch die Strassen von Santiago.

Die Bewertung des anschließenden so genannten Bürgerkriegs von 1891 ist in Chile bis heute sehr verschieden. Präsident Balmaceda überwarf sich damals mit dem Kongress. Es ging schlichtweg um die Einkünfte aus der Salpetergewinnung. Balmaceda operierte gegen die Interessen des Parlaments und auch gegen die des englischen und deutschen Kapitals, das sich inzwischen im Norden eingekauft hatte. Jeder kämpfte für seine eigenen Interessen. Die Auseinandersetzungen zwischen diesen „Bürgern“ endete im August 1891 mit einer Niederlage der Balmacedagruppen und führte zur Einführung von so etwas wie einer „parlamentarischen Demokratie“, die bis 1916 andauerte. Pedro Montt Montt wurde 1906 deren Präsident.

Am 21. Dezember 1907 geschah dann einer der tragischen Momente in der Geschichte der anarchistischen Arbeiter in Chile. Im Norden, in der Hafenstadt Iquique, streikten die Nitratbergwerkarbeiter für grundlegende Verbesserungen ihrer Lebens-und Arbeitssituation.

Die Bergwerkslager waren von den Chefs auschliesslich zum Zweck der Produktion eingerichtet. Sie bauten die kleinen Unterkünfte, besorgten die einzelnen Läden, bezahlten die Arbeiter mit Gutscheinen, einlösbar allein in den besagten Läden und kontrollierten streng das alltägliche Leben in den Lagern.

Schnell erfasste die Streikbewegung andere Arbeiter aus anderen Städten. Ein Streikkomitee wurde gegründet – mit dabei die Anarchisten Joseph Briggs und Luis Olea. Die Zentrale befand sich in der Schule Santa Maria.

Insgesamt gab es ungefähr 4500 in der Schule und weitere 1500 auf den Plätzen drum herum. Die Chefs, englische und deutsche Firmen, wandten sich an Pedro Montt Montt. Dieser erklärte daraufhin das Kriegsrecht und ließ die Armee aufmarschieren. Die Lager wurden geschlossen und am 21. Dezember 1907 begann das Abschlachten.

Die ersten, die erschossen wurden, waren die vom Streikkomitee. Luis Olea – wie alle anderen unbewaffnet – von dem Offizier Roberto Silva Renard erschossen (Beiname: „Der Schlächter von Iquique“). Am Ende des Tages wurden 3600 Tote gezählt.

„Stehend erhielten die Arbeiter des Streikkomitees die Schüsse, wie von einem Blitz geschlagen, fielen sie um. Es gab einen Moment der Stille, bei dem die Maschinengewehre gesenkt wurden. Um dann auf dem Schulhof und in den Saal zu schießen.“

Dieses Massaker führte in den nächsten beiden Jahren zur Gründung der „Federación de Obrera de Chile“ mit dem Ziel, möglichst viele Arbeiter*innen und ihre Organisationen zu vereinen – Anarchist*innen , Marxisten, Sozialist*innen.

Am 14. Dezember 1914 versucht der Anarchist Antonio Ramón Ramón, Bruder des in Iquique ermordeten Manuel Vaca, den inzwischen zum Generalmajor beförderten Roberto Silva Renard zu töten. Dieser übersteht das Attentat leicht verletzt.

Nach dem Massaker von 1907 wurden die Streiks militanter. In den Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden Barrikaden gebaut und die Straßenkämpfe mehrten sich. 1917 wurde in Valparaiso von Dockarbeitern die chilenische Sektion der „Industrial Workers of the World“(IWW) gegründet. Nordamerikanische Transportarbeiter unterstützten sie dabei. Bald gab es Ableger in Iquique und Antofagasta. 1919 wurde der chilenische IWW offiziell und breitete sich rasch in 19 Städten aus.

Die Lebenshaltungskosten blieben das große Problem für die meisten. Aus diesem Grund entstand nun eine beispiellose oder besser beispielhafte Bewegung. Die „Federación Estudiante de Chile“ gründete ein “Assemblea Obrera de Alimentación“ (AOA). Die “FOCH”, die IWW und die 1912 gegründete “Partido Obrero Socialista” (POS) schlossen sich an. Sie forderten die Abschaffung von Steuern und Abgaben auf Lebensmittel und die Bildung freier Bauernmärkte in den Städten. 1919 zogen 100.000 durch die Strassen von Santiago, 50.000 in Valparaiso.

Die Nitratbergwerke warfen immer weniger Gewinne ab. Viele Arbeiter waren entlassen worden . Die „Wobblies“ führten daher 1920 einen fast dreimonatigen Streik an, um gegen den Export von Getreide während der entstandenen Hungersnot zu protestieren.

Die Regierung antwortete mit den Mitteln des „Weißen Terror“.

„Wir gehen durch eine Periode der Unterdrückung. Die herrschenden Kräfte des Landes kehren zu den Instinkten der Höhlenbewohner zurück. Die Parole scheint zu lauten: Macht alle Syndikalisten platt. Wobblies und Anarchisten, egal ob als Arbeiter oder Student, werden überfallen, unsere Büros zerstört , unsere Zeitungen beschlagnahmt. Die Gefängnisse sind voll von unseren Kameraden und Gefährt*innen. Es gibt Folterungen. Andere werden deportiert.“ (aus einem Brief der IWW vom 28.September 1920).

Aber die Regierung schaffte es nicht, den Widerstand zu brechen. Im Gegenzug schloss sich die chilenische Sektion der IWW 1922 der „Internationalen Arbeiterassoziation“ an.

Aber es drohte Ungemach aus den eigenen Reihen. Die chilenische Arbeiter*innenföderation „FOCH“ war so etwas wie ein Schirm, unter dem sich alle Mutualist*innen, Anarchist*innen und Sozialist*innen versammelten. Sie war die erste nationale Arbeiter*innenföderation, die nun einer harten Probe ausgesetzt wurde – und daran zerbrach.

Die schon genannte POS unter der Führung von Luis Emilio Recabarren hatte schon einige Zeit versucht, Kontrolle über die Arbeiterbewegung zu bekommen und sie in Richtung „Staatskapitalismus“ zu lenken. Innerhalb der FOCH griff sie nun vor allem die Mutualisten an, nannte sie „konterrevolutionär“ und „gelbe Gewerkschaften“ und spaltete dadurch die „FOCH“. Die so genannte „militante Fraktion“, die aus Anarchosyndikalisten und der POS bestand, behielten die Oberhand. Wenn es bis dahin zwischen den Anarchist*innen und den Anarchosyndikalisten keine klaren Trennungslinien gab, nun wurden sie evident. 1922 nannte sich dann die POS in „Kommunistische Partei Chiles“ um und schloss den syndikalistischen Rest aus der FOCH aus.

Die verschiedenen Gewerkschaftsbewegungen außerhalb der FOCH waren grössenteils von Anarchisten organisiert und hatten auf Grund ihrer praktischen und militanten Haltung bis dahin mehr Ansehen und Einfluss als die Marxisten. 1923 näherte sich diese Auseinandersetzung dem Höhepunkt. In der inzwischen „vertrauten“ Art wurden nun die Libertären als „Polizeispitzel“ und „Faschisten“ bezeichnet. Eine weitere Zusammenarbeit dadurch unmöglich gemacht.

Den Chefs und der chilenischen Regierung war dies eigentlich alles völlig gleichgültig. Sie liquidierten Kommunisten und Anarchisten gleichwertig. So im Februar 1921 in den Nitratbergwerken von San Gregorio. Doch die Arbeiterbewegung wurde eigentlich intern zerstört. Kämpften zuvor Wobblies, Syndikalisten, Demokraten und Sozialisten zusammen und begriffen sich, trotz aller Unterschiede als eine Bewegung, besetzten dies nun die Kommunisten durch Missbrauch, Verrat und Hass.

1920 wurde der eher liberale Arturo Allessandri zum neuen Präsidenten von Chile gewählt. Nachdem versprochene Reformen nicht eintraten, putschte sich das Militär an die Spitze der Regierung und bestimmte 1927 General Carlos Ibáñez del Campo zum Präsidenten. Dieser erklärte am 23.Februar 1927 formell die Arbeiterbewegung „ für erledigt“. Die zwischenzeitlich von Anarchist*innen und Wobblies gegründete Federación Obrera Regional de Chile (FORCh) wurde verfolgt , ohne sie jedoch – einige Zeit später – an der Mitgründung der CGT hindern zu können.

Anfang der dreißiger Jahre wurde in Deutschland das synthetische Nitrat erfunden. Chile, dessen wichtigste Exportgüter Kupfer und Salpeter waren, geriet nun in eine tiefe Krise. Die Preise fielen ins Bodenlose. Die allgemeine „Weltwirtschaftskrise“ führte im Land zu Massenentlassungen und Hungersnöten. Über 60% der Bergwerksarbeiter waren arbeitslos und strömten in Richtung Süden in die immer voller werdenden Städte.

Der vom Militär eingesetzte Präsident Ibanéz genannt „Paco“ nannte sich selbst einen „Freund der Arbeiter“. Es gelang ihm, die meisten durch einige längst überfällige Sozialgesetze im Sinne eines so genannten „Korporatismus“ an den Staat zu binden.

Die Syndikalisten waren zu dieser Zeit in zwei Lager gespalten. Zum einen gab es die revolutionäre Gewerkschaftsbewegung, die Staat und Kapital bekämpfte, zum anderen „Syndicalismo puro“, denen es lediglich um Reformen und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen ging. Ibanez spielte geschickt die beiden Lager gegeneinander aus, wobei es ihm die „reinen Syndikalisten“ , die auf eine Sozialpartnerschaft hofften, auch sehr leicht machten. Wurden vorher Verbesserungen durch Streiks erreicht, so galt nun die „Harmonie der Interessen“.

Die Anarchisten erholten sich nur schwer von der Herrschaft eines Ibanez und seines korporatistischen Systems. Sie waren immer noch stärker als die Kommunisten, hatten aber ihre führende Rolle verloren. 1931 schufen sie mit Wobblies und einigen anarchosyndikalistischen Vereinigungen die CGT. Diese hatte dann an die 25.000 Menschen organisiert aus 35 verschiedenen Vereinigungen, dabei Zimmerleute, Drucker und Elektriker. Zwar versuchte die kommunistische Partei, die FOCH neu zu beleben, war aber nur mäßig erfolgreich.

Mehr Erfolg versprachen sich die Kommunisten von einer neuen Föderation, zu der sie dann auch Sozialisten, gewerkschaftliche und regierungsnahe Organisationen gewinnen konnten. Die CGT lehnte einen Beitritt ab.

Anfang der 3oerJahre gründete sich die „Movimiento Nacional-Socialista de Chile“ (Nationalsozialistische Bewegung Chiles) und Auslandsortsverbände der NSDAP.

Der CGT fiel dazu nicht viel ein. Auf ihrem Kongress verkündete sie den „Anarchokommunismus“ als Ziel ihrer Kämpfe, während sich das Gros der Arbeiter*innen reale Zielen zuwandte.

Drei Jahre später wurde die Frente aufgelöst, doch regierten die „Radikalen“ mit Präsident Juan Antonio Ríos Morales und Gabriel González Videla bis 1952 immer wieder mit Unterstützung der Linksparteien , bis sie die Kommunisten 1948 durch das „Ley Maldita“ verboten.

„Als Ley Maldita – verdammtes Gesetz“ wird das 1948 erlassene Verbot der Kommunistischen Partei durch Videla bezeichnet. In Pisagua, einer Hafenstadt im Norden Chiles, wird ein Konzentrationslager für alle politischen Gefangenen eingerichtet. Dieses wurde eine Zeitlang vom damaligen Offizier Augusto Pinochet geleitet, der es dann 25 Jahre später wieder eröffnete.

Viele Anarchisten verschwanden in diesem KZ. Andere mussten untertauchen und setzten ihre Arbeit illegal fort. Dabei auch das kulturelle Zentrum „Louise Michel“ , das sich in seiner Konzeption klar an die Arbeiterinnen wandte. Bis zu 70 studierende Frauen besuchten das Zentrum, das sich später in „Anarchistische Schule Louise Michel“ umbenannte und dann auch Kinder aufnahm.

Erst 1953 beteiligte sich die CGT wieder an einem breiten Bündnis. Diesmal bei der CUT (Central Unitaria de Trabajadores), wo alle Gewerkschaften zusammenkamen. Die CGT war hier vor allem durch die Schuhmacher, Drucker und Hafenarbeiter vertreten. Ziel und Prinzipien der CUT wurden von drei Anarchisten formuliert, unter anderem von Ernesto Miranda, von dem noch zu lesen sein wird.

Die Zusammenarbeit mit der CUT währte nicht lange. Als diese ihre Unterstützung und Mitarbeit bei dem Wahlbündnis FRAP (Frente Amplio Popular) bekannt gab, in dem u.a. die wieder zugelassene kommunistische Partei mitspielte, und Salvador Allende zum ersten Mal kandidierte, verließen die meisten Anarchist*innen die Organisation.

Miranda war unterdessen zu einem Gläubigen von Fidel Castro geworden und hatte das „Komitee zur Verteidigung Kubas gegründet. Auch wenn die anarchistische Föderation vor der Entwicklung in Kuba warnte, formierte sich am 15. August 1965 das Movimiento de Izquierda Revolucionaria (MIR) und Miranda gehörte zu ihrem Gründungskomitee.

Zwei Jahre später war die MIR auf marxistisch-leninistischen Kurs und Miranda und einige seiner Mitstreiter stiegen aus.

Erwähnenswert bleibt noch die Gründung der Vanguardia Organizada del Pueblo (VOP) die sich dem autoritären System der MIR widersetzte, und in der sich Rätekommunisten und auch einige Anarchisten organisierten.

VOP und MIR hatten inzwischen Einfluss auf die Arbeiter*innenbewegung und griffen auch zu Mitteln der „direkten Aktion“ (z.B. durch Banküberfälle, um ihre Arbeit zu finanzieren). Die VOP übernahm die Verantwortung für das Attentat auf den damaligen Innenminister Edmundo Pérez Zujovic, den sie als den Befehlshaber des „Massakers von Puerto Montt“ (9.März 1969) ansahen.

(„O.k, ich werde fragen, für dich, für dich, für jenen/für dich, die zurückblieb/und ihn, der starb/ohne zu wissen, warum/sie durchlöcherten die Brust/er kämpfte/um einen Platz zum Leben zu haben….. Victor Jara: Preguntas por Puerto Montt)

Als Allende 1970 dann Präsident wurde, war die Arbeiterbewegung mehr und mehr im Einfluss der marxistischen Parteien. Die einzige Opposition waren Splittergruppen innerhalb der Sozialisten sowie die christlich- demokratische Union. Die Kupferindustrie war bis dahin mehrheitlich in den Händen der US-amerikanischen Konzerne und wurde nun von der Allenderegierung verstaatlicht. Die USA verhängte daraufhin ein Handelsembargo , es kam zu einer „Wirtschaftskrise“.

Die Arbeiter*innen antworteten mit Besetzungen der Fabriken und Büros durch ihre „Cordones industriales“, Nachbarschaftskomitees bildeten sich, verteilten Nahrung.

Das anarchistische Prinzip der Selbstorganisation tauchte plötzlich in allen Ecken und Bereichen des täglichen Lebens auf. Die quasi über Nacht entstandene „Frente de trabajadores revolucionarios“ spielte eine wichtige Rolle in diesem Prozess und demonstrierte, dass die Arbeiter*innen durchaus in der Lage waren, eine Fabrik selbst zu verwalten und dass Regierung und Chefs nicht mehr notwendig waren.

Parallel dazu gründete sich die „Movimiento de Campesinos Revolucionarios“, bildete so genannte „consejos“, also Räte und setzte mit Landbesetzungen die Regierung mehr und mehr unter Druck. Diese war davon völlig überrascht und versuchte diese Entwicklung zu kontrollieren und am liebsten zu stoppen. So genannte „Beobachter“ wurden entsandt , die sich in die Rolle von Chefs hineinzudrängen versuchten.

Auf der anderen Seite wurde die rechte Opposition mit Millionen von USDollar in Stellung gebracht und am 29.Juni 1973 gab es so etwas wie einen „Test“.

Die Armee versuchte einen Putsch, der aber auf großen Widerstand in der Bevölkerung stieß. Barrikaden und Selbstverteidigungskomitees verhinderten das Eindringen in die Fabriken und Stadteile.

¡¡ NI CAGANDO IMPUNIDAD!!
¡¡ NUESTRA JUSTICIA SERÁ LA VENGANZA, QUE NO ES CIEGA Y CAMINA -CON EL ROSTRO ENCAPUCHADO- POR LAS CALLES Y LAS BARRICADAS!!
(„Wir scheissen auf die Straflosigkeit! Unsere Gerechtigkeit wird die Rache sein, welche nicht blind ist und nicht (ver-)geht – in den Strassen und auf den Barrikaden, unser Gesicht mit Kapuzen verdeckt)

In den 17 Jahren der Diktatur wurden 100.000 gefoltert, vergewaltigt und ermordet. In den Kellern des Geheimdienstes Dina, in den Gefängnissen der Carabineros oder in einem der KZ, die – ein Zynismus für sich – auf dem Boden der alten Bergwerksdörfer errichtet wurden.

Während in den unterirdischen Gängen Spinnen und Ratten in die Körperöffnungen der Gefangenen gesetzt wurden, jubelten auch in Deutschland Politiker und Konzerne, während Menschen aus Hubschraubern geworfen und Massenhinrichtungen in Steinbrüchen vollzogen wurden, sprachen die Farbwerke Hoechst zu Chile von einem „höchst interessanten Land“ das nun für ihre Produkte bereit sei.

Nach einigen Jahren der Lähmung und der Organisierung wuchs Ende der 70er Jahre der Widerstand wieder zusammen. Roger Vergara, der Chef des militärischen Geheimdienstes, wurde durch die MIR getötet, und 1983 streikten die Textilarbeiterinnen trotz Einschüchterung und Polizeibrutalität. Die Massenproteste wurden häufiger und militanter. Mit Brandflaschen, Steinen und Barrikaden wurde nun fast täglich den Carabineros getrotzt.

Die Anarchist*innen waren in all diesen Kämpfen beteiligt, aber entgegen sonstiger ideologischer Vorbehalte kämpften sie erst einmal mit allen gemeinsam gegen die Diktatur.

Trotzdem erschienen 1984 die ersten anarchistischen Zeitungen wieder, schwarze Fahnen wehten wenig später in Concepcion und Santiago de Chile. Soziale Zentren entstanden, die Zeitschrift „Acrata“ wurde vom „Anarchistischen Kollektiv Concepcion (KAS)“ herausgebracht. Wenig später dann die „Accion directa“ in Santiago.

Der wohl massivste Widerstand ging jedoch von den „Pobladores“ aus, den Bewohner*innen der „Poblaciones“, den Armenvierteln am Rande von Santiago. Wurden in den ersten Jahren der Diktatur noch alle Kräfte für das tägliche Überleben gebraucht, auch hier funktionierte problemlos die Selbstorganisation, so verschärften sich die Kämpfe der Pobladores gegen das Regime in den Jahren 1983- 1986. die Diktatur antwortete mit hemmungsloser Brutalität. In der Poblacion „ La victoria“ wurde sogar zur Bekämpfung „subversiver Kräfte“ die Luftwaffe eingesetzt. Zahllose gefoltert und ermordet. So die Brüder Toledo, Jugendliche aus der Poblacion „Villa Francia“, die von den Schergen des Regimes bei lebendigem Leib verbrannt wurden. An diesen Tag, den 29. März 1985, erinnert der „Tag des jungen Kämpfers“ in dem bis heute in den Poblaciones regelmässige Strassenschlachten zwischen Jugendlichen und Polizei stattfinden.

Zu einem Symbol der anarchistischen Bewegung wurde Claudia López Benaiges, Anarchistin, Poetin und Tänzerin, die bei einer Demonstration zum 25. Jahrestag am 11. September 1998 in einem dieser Poblaciones durch Carabineros erschossen wurde. Ein soziales Zentrum in Penco trägt heute ihren Namen.

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Nach den gefangenen Körpern

Heute streckte ich meine Hände durch diese Wände/die dazu verurteilt sind/ einsam und verlassen zu stehen/ um die Identität zu brechen/ welche nach Schmutz riecht/ um die grossartigen(„stellaren“) Ideologien zu entfernen/ welche in die Haut graviert ist/Heute schreibe ich die Gedanken auf die Wand/ die Gerüche/die freien, rebellischen, subversiven und aufständischen Geräusche/und beende die Wände der noch nicht gebauten, unvollendeten Mauern.


Und heute zünde ich/zünden wir tausende Häuser an/ich meutere, wir meutern tausende Male/Ich streike, baue eingebildete Tunnel und morgen komme ich zurück/und wir verbrennen deine Holzhäuser weiter/

Kein Strang ist unbefristet /und es wird kein Gefängnis der „Hochsicherheit“ für die Träume der Grillen/ und die Hoffnungen der Zikaden geben/ Diese subversiven und ummauerten Eizellen geben die Zündung für den nächsten Aufstand!“

(Tras Los Cuerpos amurallados – Gedicht von Claudia López Benaiges)


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Das Ende der Diktatur und die Wiederherstellung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie verlief ohne grosse Eruption. 17 Jahre lang hatten die Menschen in Chile nur sozialen Frieden und Normalität gewollt. Auf der anderen Seite entwickelte sich jetzt eine Vielzahl anarchistischer Gruppen und Zeitschriften. Ein regelrechter Aufschwung der libertären Ideen, ein reges Interesse an neuen Möglichkeiten der Organisation – vor allem bei und von jungen Leuten, die nach anderen Perspektiven suchten.

Dabei auch immer wieder Versuche, eine überregionale einheitliche Organisation zu schaffen. Hier sei vor allem der sich 1999 gegründete „Congreso unification anarcho-comunista“ (CUAC) genannt, ohne Illusion und „um aus den Fehlern der Anarchist*innen und Syndikalist*innen zuvor zu lernen“ versuchen sie dem Anarchismus eine politische und organisatorische Einheit zu geben und dadurch wieder einen grösseren Einfluss in der Gesellschaft zu gewinnen - neben der Arbeiter*innenbewegung vor allem in den breiten sozialen Bewegungen. Einige sahen darin den nächsten Fehler und lehnen dies als eine parteiähnliche Struktur ab – andere, und auch hier die jüngeren, glauben an die Möglichkeit der „sozialen Einfügung“ , also der Teilnahme an den täglichen Kämpfen aller Unterdrückten – ob Flüchtlinge, Aufbau von Nachbarschaftsorganisationen, Stadtteilkomitees, ob gegen Zwangsräumungen oder Kürzungen sozialer Leistungen. Und sie bauen auf die Möglichkeiten der internationalen Vernetzung mit den überall stattfindenden Kämpfen – in Süd-und Mittelamerika oder in Europa.

Die CUAC hat sich wohl 2002 aufgelöst, hat aber einen nachhaltigen Eindruck in der libertären Szene hinterlassen und zu ähnlichen Gründungen geführt.

In einer Szene, die in den letzten Jahren erstarkt ist. In dieser Szene erscheinen Zeitungen wie „El Surco“ (Die Furche“), mit ca. 1.000 Exemplaren alle zwei Monate. Gibt es anarcho-syndikalistische Organisationen genauso wie anarchofeministische und anitimilitaristische Gruppen.

Schlagzeilen jedoch liefern seit einiger Zeit die „aufständischen Anarchist*innen“, die sich in einer z.T. mörderischen Konfrontation mit dem chilenischen Sicherheitsapparat befinden. Im März 2008 , am „ Tag des jungen Kämpfers“, starb Jonhy Cariqueo Yañez während der Haft an den Schlägen der Polizei. Im gleichen Jahr wurde Juan Cruz Magna erschossen, der sich an Solidaritätsaktionen zu den Mapuche beteiligt hatte.

Tragisch endete der Versuch von Andres Mauricio Morales, als er in der Nähe einer Schule der Carabineros an einer selbstgebastelten Bombe starb. Ähnliches dann bei Luciano Pitronello Schuffeneger, der eine Bombe in einer Bank installieren wollte und dabei selber schwer verletzt wurde.

Dies alles wird jedoch von einem Grossteil der Anarchist*innen in Chile abgelehnt. Sie sehen dies als eine „Modeerscheinung“, „die (hoffentlich) bald vergehen mag und nur Unruhe und Unbehagen in die Szene bringe“ und erinnert an die Diskussionen, die wir hier in Europa z.B. zu den Aktionen der „FAI“ führen.

Zum Verhältnis bzw. der Zusammenarbeit eines Teil der Anarchist*innen mit den Kämpfen der Mapuche seht hier: http://radiochiflado.blogsport.de/2011/08/18/land-ja-staat-und-nation-nein

„Weg

sonst wohin
ganz woanders hin
ganz weit fort
und kann es doch nicht
blutiges Chile rebellisches Chile“

Text von: http://radiochiflado.blogsport.de/

Originaltext: https://linksunten.indymedia.org/fr/node/56417


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