Ökonomische Voraussetzungen für eine freie Gesellschaft – ein kurz gehaltener anarcho-kommunistischer Standpunkt

„Solange Millionen von Menschen in jedem Land ihre Arbeitskraft einer kleinen Minorität von Besitzenden verkaufen müssen und in die erbärmlichste ökonomische Lage geraten, wenn sie keinen Käufer finden, bleibt die sogenannte Gleichheit vor dem Gesetz eine Farce,...., Aber in demselben Zusammenhang kann auch nicht vom Recht des Menschen auf seine Person gesprochen werden, da dieses Recht dort endet, wo jemand gezwungen ist, sich dem ökonomischen Diktat eines anderen zu unterwerfen.“ (Rudolf Rocker)

Nennen wir einmal den gesellschaftlichen Zustand der Anarchie ein zu erreichendes Gesellschaftssystem, das die größtmögliche Freiheit des Individuums unter der Bedingung der Solidarität, der gleichen Freiheit und sozialen Gleichheit aller garantiert.

Wie eine „Ordnung ohne Herrschaft“ genau aussehen soll/wird, kann niemand bis ins Detail sagen. Die Meinungen darüber gehen in der anarchistischen Diskussion auseinander. Sie lässt sich lediglich aus unserer heutigen – durch unsere einschlägigen Erfahrungen mit einem hierarchischen Gesellschaftssystem eingeschränkten - Sicht vorskizzieren.

Zuallererst gilt, dass es nicht wir (alleine) sind, die erklären, wie Menschen in Zukunft zu leben haben. Das werden die schon selbst entscheiden müssen. Außerdem werden nur konkrete Erfahrungen vieler verschiedener Menschen ermöglichen, ein gut funktionierendes Gesellschaftssystem aufzubauen. Deshalb werden die sozialen Strukturen, auch und gerade in einer anarchistischen Gesellschaft höchst verschiedenartig sein. Sie müssen auch veränderbar bleiben, da ansonsten das Recht eines jeden Menschen, etwa das der jeweils jüngeren Generation oder „Neuankömmlingen“ auf Mitgestaltung der Gesellschaft eingeschränkt würde.

Eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass möglichst viele Menschen bewusst an den gesellschaftlichen Entscheidungsprozeßen teilhaben können und wollen, ist, dass sie dafür genügend Zeit und Muße haben, ihnen alle Informationen zu Verfügung stehen, sämtliche Bildungsmöglichkeiten offen stehen und die ökonomische Absicherung garantiert ist.  Ebenso darf es zwischen den einzelnen Regionen,  Kommunen und Gemeinschaften kein eklatantes ökonomisches Gefälle geben, damit ein Konsensföderalismus funktioniert.

Nicht Konkurrenz und Privatbesitz an Produktionsmitteln sondern Solidarität und Gemeinbesitz werden eine anarchistische Wirtschaft kennzeichnen. Die anarchistische Wirtschaft soll (zumindest nach der anarchokommunistischen Theorie) nicht nur in ihrer Produktion, sondern auch ihrer Konsumption vergesellschaftet sein. Das heißt, die Produktionsmittel (Rohstoffe, Maschinen, Transport- und Kommunikationsmittel....) aber auch die Früchte der gesellschaftlichen Arbeit, stehen allen je nach Bedarf zu Verfügung, gehören also allen.

Die Bedürfnisproduktion ermöglicht jedem Gesellschaftsmitglied die Teilnahme am Konsum, das Recht auf alle zur Verfügung stehenden Annehmlichkeiten und  soziale Absicherungen.

Andererseits ist sie bedacht, für eine freie Gesellschaft unsinnige Produkte und Dienstleistungen, und damit erheblich viel Arbeit und Arbeitszeit einzusparen. Das wäre unter den oben beschriebenen Gesichtspunkten kein Nachteil für die Menschen, wie es das bei Arbeitszeit- und Arbeitskräfteersparnis im Kapitalismus der Fall ist (Folge: Arbeits/Erwerbslosigkeit).

Zahlreiche Studien gehen davon aus, das die heutige Bevölkerung bei konsequenter Bedürfnisproduktion, gerechter Warenverteilung und gleichmäßiger Verteilung der Arbeit ausreichend versorgt wäre - bei einer gleichzeitigen enormen Arbeitsersparnis.

Einige Beispiele:

Gebrauchsgegenstände können, wenn sie nicht unter kapitalistischen Konkurrenzbedingungen hergestellt werden, anstatt wie heute mit Verschleißteilen ausgestattet, langlebiger hergestellt werden. Die Lebensdauer von Maschinen, Motoren, elektronischen Geräten oder auch nur Haarkämmen kann mit heutiger Technik weit ausgedehnt werden, wenn dies nicht durch das Streben nach mehr Absatz  bewusst verhindert würde.

Die Arbeitszeit könnte verkürzt werden, indem die Arbeit unter allen arbeitswilligen Gesellschaftsmitgliedern aufgeteilt würde. Heute stehen weltweit mindestens ein Drittel aller Menschen ohne Lohnarbeit da.

Sinnlose Überproduktion, Prestigeprodukte, Finanzgeschäfte, Werbung, Medienkonzerne... wären unnötig. Bürokratie, BerufspolitikerInnentum, riesige Verwaltungsapparate, Polizei, Militär wären in einer anarchistischen Gesellschaft abgeschafft.

Ältere Menschen, die nicht ein Leben lang durch Arbeit zerschunden würden, könnten wie z.B. auch Behinderte, wenn sie das selbst wünschen, ebenfalls für einige Wochenstunden in den Produktions- und Dienstleistungsprozess eingebunden werden.

Verkleinerte, dezentralisierte Wirtschaftskomplexe könnten erhebliche Transportwege einsparen. Eine Tomate müsste nicht mehr von Spanien quer durch Europa gekarrt werden, weil die Produktion dort „billiger“ ist. Produktionsverfahren könnten vereinfacht und vollautomatisiert werden....

Tatsächlich würden, je nach Berechnung, 5-10 Wochenstunden/ Person dessen, was heute Arbeit genannt wird, übrigbleiben. Die Arbeit würde enthierarchisiert und automatisiert – also angenehmer – werden. Die Arbeitenden könnten gleichberechtigt an Produktion und Entwicklung mitbestimmen – was die Tätigkeit zweifellos motivierender machen würde. Mit kapitalistischer Lohnarbeit hätte das nicht mehr viel zu tun. 

Die Menschen hätten unglaublich mehr Zeit sich um Dinge zu kümmern, die ihnen heute größtenteils fremd sind. Sie hätten Zeit sich zu bilden, künstlerisch zu betätigen oder sich eben mit gesellschaftlichen Problemen zu befassen und an Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Sie könnten sich ohne Existenzangst entspannen und die frei werdenden Energien anderweitig einsetzen.

Ein solches Wirtschaftssystem würde jegliches Lohn – und Geldsystem überflüssig machen und ad absurdum führen. Genau das halte ich auch für eine grundlegende Voraussetzung für eine effektive Überwindung sozialer Ungleichheit, ökonomischer Abhängigkeiten, Ausbeutung, Entfremdung, Zerstörung des Ökosystems ...  mit einem Wort: des Kapitalismus.            

Flash G.

Aus: Anarchie Nr. 0

Originaltext: www.schwarzwurzeln.org


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