Anarchistoteles - Was ist Anarchismus?
Bier trinken, Häuser besetzen, Faschos verhauen, Bomben legen, Drogen konsumieren, Mauern verschmieren, Bonzen erschießen, das System umstürzten, Punkrock hören und www.waf.ch lesen. Das alles passt in das gängige Bild über Anarchismus. Und das alles hat nichts oder nur im entferntesten mit Anarchie zu tun!
Ja was bedeutet denn dieses Wort, das die Gemüter erhitzt, das Faschisten zum Zuschlagen und Politiker zum Kopfschütteln verleitet? In einem Satz erklärt: "Anarchie ist die sehnsüchtige Suche nach der unendlichen Freiheit".
Nun gut, soweit mal der Grundsatz. Nur bringt der die Neugierigen nicht viel weiter, denn dieser Satz lässt so viele Interpretationsmöglichkeiten offen, dass die einen wohl bereits wieder an Chaos, Zerstörung, Mord und Totschlag dachten. Ich möchte in diesem Text aufzeigen, dass Anarchie mit dem Durcheinander nichts zu tun hat. Im Gegenteil: Sie ist die höchste Form der Ordnung.
Schon in den allgemein gültigen Lexiken und dem offiziellen Sprachnachschlagewerk "Duden" wird der Begriff Anarchie nur mit "Gesetzlosigkeit" übersetzt. Dies ist jedoch nur bedingt richtig: Zwar wollen die Anarchisten den Staat und somit auch alle Gesetze abschaffen, dies bedeutet jedoch noch lange nicht, dass es keine Regeln mehr gibt. Diese werden jedoch als mündliche Vereinbarungen gehalten. Sie mögen denken, dass dies keinen Unterschied machen würde, denn schließlich ist eine Regel eine Regel, ob dies nun ein Gesetz oder eine Vereinbarung sei. Doch es gibt da einen enormen Unterschied: Ein Gesetz wird von den einen Leuten festgelegt und muss von den anderen befolgt werden. Eine Vereinbarung hingegen ist eine Abmachung zwischen zwei oder mehreren Leuten, die damit einverstanden sind, sich so oder eben anders zu verhalten. Sie beschlossen diese Abmachung in gegenseitigem Einverständnis und nach Möglichkeit so, dass sich alle Beteiligten möglichst wohl fühlen und möglichst wenig von ihren Standpunkten und ihren Gewohnheiten abweichen müssen.
Doch von Anfang an. Was ist Anarchie überhaupt? Die ersten (offizielle festgehaltenen) Gedanken an eine staatenlose Zukunft wurden bereits am Ende des 17. Jahrhundert vom englischen Philosophen Godwin getätigt, der auf der Suche nach der perfekten Gesellschaft war. Genaugenommen war dies zwischen 1789 und 1800 zur Zeit der Französischen Revolution. Der Begriff Anarchie selber entstand jedoch erst vor rund 150 Jahren. Die Erfinder? Das Volk. Oder Besser gesagt das revolutionär gesinnte Volk des Proletariats. Im Gegensatz zum Kommunismus gibt es bei der Anarchie keinen klaren Erfinder (wie Karl Marx beim Kommunismus). Zwar gibt es berühmte Anarchistische "Vordenker" (hässliches Wort) wie Bakunin, Proudhon oder Kropotkin. Sie alle hatten ihre eigenen Theorien und ihre eigenen anarchistischen Grundrichtungen (der Anarchismus besteht aus vielen unterschiedlichen Strömungen), aber der Gesamtbegriff des Anarchismus hat sich immer wieder mit neuen Erfahrungen aus Revolutionen und anderen Ereignissen angereichert, und sich so weiterentwickelt.
Im Unterschied zu andern Gesellschaftsformen, wie zum Beispiel dem Kommunismus, wollen die Anarchisten den Staat nach einer Revolution nicht ersetzen sondern abschaffen. Sie wollen auf eine Regierung, auf die Polizei, auf die Bürokratie etc. verzichten, und den ganzen Staatsapparat dem Volk überlassen. Dieses soll dann Räte bilden, welchen sämtliche Personen angehören, die vom entsprechenden Thema betroffen sind. So soll dann also zum Beispiel ein Produktionsrat, ein Güterverteilungsrat, ein Bauern- und Bäuerinnenrat, der Rat der LehrerInnen und so weiter entstehen. In diesen Räten ist jeder und jede gleichberechtigt. Jede Region hat ihre eigenen Räte und ist absolut unabhängig. Um überregionale Probleme, wie zum Beispiel das Postwesen oder den öffentlichen Verkehr zu lösen, finden Versammlungen statt, an welchen VertreterInnen aus allen betroffenen (regionalen) Räten teilnehmen. Diese VertreterInnen werden von mal zu mal neu gewählt, und haben gegenüber den PolitikerInnen in einer Demokratie den Vorteil, dass erstens jedes Ratmitglied den oder die VertreterIn kennt, und zweitens die VertreterInnen sich klar an die Vorschriften und Interessen des Rates zu halten haben. Solche "Abgeordnete" müssen an überregionalen Sitzungen also ihre privaten Interessen zurückstufen und EINZIG die zuvor abgeklärte und durch Diskussionen und Abstimmungen ermittelte Meinung des regionalen Rates vertreten. Dies und der Umstand, dass einE RatvertreterIn nur für eine Sitzung gewählt wird, verhindert einen Machtmissbrauch. Einen Rat vertreten kann, wer über das nötige Know-How verfügt und von den übrigen Mitgliedern gewählt wird.
Die Abschaffung des Staats und die Anschaffung von Räten ist der wichtigste Punkt der Anarchie. Alles weitere sind noch Folgen dieses Schrittes. So auch die Abschaffung der Grenzen, die Abschaffung des Geldes und die Abschaffung der jetzigen Familienformen wie der Ehe (Zitat Godwin: "Die Ehe ist ein Gesetz und das schlechteste überhaupt"). Klar steht es jedem Menschen weiterhin frei, einen Lebenspartner zu suchen und mit ihm / ihr zusammen Kinder groß zu ziehen. Doch auch mehr oder weniger neue, interessante Familienformen würden möglich. So zum Beispiel große Wohngemeinschaften, Wahlverwandtschaften oder Großfamilien. Ein weitaus interessanterer Schritt als die Abschaffung der Ehe ist jedoch die Abschaffung des Geldes. Viele werden nun denken: "Was? Und dann sollen wir wieder mit Ziegen und Kühen tauschen, wie in der Uhrzeit?" "Nein natürlich nicht", ist darauf meine Antwort. Nehmen wir mal an, der Bauer könnte in die Bäckerei gehen, ein Brot holen und ohne zu bezahlen wieder gehen. Andererseits kann jedoch der Bäcker gratis Milch beim Bauern beziehen. In regionalen Kommunen ist geregelt, wer was bei wem bezieht. So kann man auf das Geld, ohne die Einführung des Tauschhandels, verzichten. Nun werden Sie wieder sagen: "Was? Da geht doch niemensch mehr freiwillig arbeiten? Muss dann die Gemeinschaft weiter für ihn aufkommen?" Ich persönlich glaube jedoch nicht, dass es viele Leute geben wird, die auf kosten anderer Leben würden. Denn erstens währe diejenige Person wohl bald nicht mehr sehr angesehen im Dorf und würde ein ziemlich einsames Leben führen. Zweitens ist eine Kommune (Gemeinschaft) nicht dazu verpflichtet, jemanden aufzunehmen. Ebenso wie es jedem Menschen freigestellt ist, ob er / sie einer Kommune angehören will oder lieber auf eigene Faust leben möchte, so kann auch eine Kommune Mitglieder ausschließen, wenn die Gemeinschaft der Meinung ist, dass das Mitglied - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr tragbar ist. Doch es wird auch nicht mehr ein so großes Verlangen bestehen, nicht zu arbeiten. Seien wir mal ehrlich. Die meisten Menschen gehen nicht gerne zur Arbeit. Dies gilt vor allem für Menschen mit monotoner, langweiligen Arbeiten wie FabrikarbeiterInnen, KassiererInnen in Warenhäuser oder je nachdem auch diverse Büroangestellte. FabrikarbeiterInnen beispielsweise können nichts von Anfang bis Ende produzieren, sondern machen immer nur die eine Bewegung am Fliessband. Tag ein, Tag aus. Viele dieser Arbeiter könnte man heute bereits durch Maschinen ersetzen. Die so freigesetzten ArbeiterInnen könnten dann anderen Tätigkeiten nachgehen. Die meisten Angestellten in Büros, in erster Linie BuchhalterInnen sowie PolitikerInnen oder jene, die ihr Geld nur mit der Planung oder Verwaltung der Arbeit anderer verdienen, könnten ebenfalls anderen Tätigkeiten nachgehen. So kann der Arbeitstag jedes Einzelnen auf wenige Stunden am Tag Stunden reduziert werden - bei gleichbleibendem und steigendem industriellen Niveau.
Eingangs dieses Textes habe ich erwähnt, die Anarchie sei die höchste Form der Ordnung. Dies trifft zu, weil sie die natürlichste Form der Ordnung ist, da jegliche Form der Autorität und der Unterdrückung abgeschafft ist. Wenn Sie das auch nicht glauben, so hoffe ich jedoch, Ihnen wenigstens aufgezeigt zu haben, dass Anarchie nicht das Chaos bedeutet. Das sei Wunschdenken, sagen Sie? Dann wissen Sie wohl nicht, dass große Teile Spaniens drei Jahre und die Ukraine vier Jahre als Anarchie funktionierten. Wieso nur so kurz? In Spanien wurden die Fabriken etc. während des Bürgerkriegs anarchistisch verwaltet. Trotz dem Krieg konnte die Produktion erhöht und die Arbeitszeit gesenkt werden. Von den Kommunisten im Stich gelassen, vermochten sich aber diese Kollektive im Kampf gegen Franco nicht zu behaupten. Die Ukrainische Anarchie wurde von der UdSSR zu Nichte gemacht.
Anarchistoteles
Originaltext: www.waf.ch