Kurios? Auf alle Fälle! Über ein neues Selbstverständnis us-amerikanischer AnarchistInnen?
Jochen Knoblauch bringt in seiner Rezension des Buches "Curious George Brigade, Crimethinc und Co-Conspirators, DIY. Von Anarchie und Dinosauriern" einiges an Kritik an Crimethinc. & co auf den Punkt.
Nun, es gibt Bücher, die einem begeistern und die gerne weiterempfohlen werden, selbst wenn das Eine oder Andere vielleicht noch zu kritisieren wäre. Dann gibt es Bücher, die einem schon auf den ersten Seiten nicht gefallen, und beim Querlesen merkt man, dass hier einiges schief liegt – Thema verfehlt. Meine Divise: Am Besten nicht weiterlesen, weglegen und sich anderen Sachen, die ergiebiger scheinen, zuwenden. Und dann scheint es eben noch eine dritte Kategorie von Büchern zu geben, die – ansatzweise – richtige und gute Sachen enthält, durchaus ausbaufähig, aber gleichzeitig derartig ärgerlich sind, dass man nicht mehr ein noch aus weiß. Das Buch fliegt in die Ecke, dann wird es wieder aufgenommen um einige Seiten zu lesen, um dann wieder ärgerlich zugeklappt zu werden. Um ein solches Buch der dritten Kategorie handelt es sich bei dem hier besprochenen.
Es ist klar: wenn Bücher nur einem selbst gefallen sollen, dann muss ich es u.U. selbst schreiben, und ärgerliche Bücher sind Zeitverschwendung, aber in diesem Fall wollte ich mich schon mal mit den positiven und den negativen Seiten dieses Werkes etwas mehr auseinandersetzen, und es wird sicherlich noch einigen Diskussionsstoff liefern.
Wie im Titel bereits angedeutet – DIY = do it yourself – will das Buch zum selbständigen Handeln anleiten und das ist sicher positiv. Im maximalen Fall, sind es „Affinity-Groups“, die hier politische Arbeit leisten, wobei das Ideologische – wie es eben bei AnarchistInnen der Fall sein sollte – in den Hintergrund, und die Affinität (diese, wie auch immer definierte Zusammenhörigkeit) in den Vordergrund rückt. Hier wird u.a. (zurecht) mit dem Traum von der revolutionären Massenbewegung aufgeräumt, der immer wieder auch bei den kleinsten politischen Gruppierungen eine Rolle spielt, und dem vieles untergeordnet wird. Dass hier die Definitionen linker, meist junger, weißer Nordamerikaner zum Ausdruck kommt, lässt sich nicht nur am Titel ablesen, auch der Großteil der angesprochenen Probleme und ihrer Lösungen scheinen spezifische us-amerikanische zu sein, die eben nicht eins zu eins auf europäische, bzw. deutsche Verhältnisse zu übertragen sind.
Auf der Rückseite des Buches heißt es vollmundig: „Wenn du dich für Anarchie interessierst, dann vergiss den Spanischen Bürgerkrieg und all die alten Männer mit ihren langen Bärten und ermüdenden Theorietraktaten!...“ Sicher, dies ist das Privileg der Jugend arrogant zu sein und auf Theorie zu verzichten, wenngleich die spanischen GenossInnen 1936 i.d.R. weder lange Bärte hatten, noch alt waren, und schon gar nicht nur „ermüdende Theorietraktate“ verfassten – die Spanische war eine durchaus praktische und realorientierte Revolution. Aber lassen wir die „Kleinigkeiten“ beiseite. Richtig ärgerlich – ja geradezu dumm und gefährlich – wird es u.a. in den Kapiteln „Diese Granate ist für den Truppenchef“ (S. 105ff), oder in „Die DIY-Metropole – anarchistische Stadtmodelle“ (S. 127ff)
Hier wird z.B. weniger die US-Armee als solches in Frage gestellt, sondern das Meutern innerhalb der Armee glorifiziert: „Viele PazifistInnen argumentierten, dass man doch nicht zum Militär gehen solle, aber es gab auch AktivistInnen, die den Mut hatten, ihre Ideale innerhalb der Armee, also unter den Armeeangehörigen zu verbreiten und die auch couragiert genug waren, einem Offizier in den Kopf zu schießen. Das war mindestens genauso effektiv wie eine weitere Friedensdemonstration in Washington D.C. Man konnte sich also keineswegs über mangelnde Vielfalt bei den Taktiken beklagen.“ (S. 108) Wer derart menschenverachtend, zynisch und dumm anarchistische Politik machen will, stellt den Anarchismus an sich in Frage. In (West-) Deutschland wurden derartige kuriose Diskussionen in den 1970er und 80er Jahre von K-Gruppen geführt, die neben dem nationalen Eifer für ein vereinigtes (sozialistisches) Deutschland den Aufbau einer „Roten Armee“ propagierten. Heute empfinde ich derartige Thesen nur noch als haarsträubend. Gefährlich wird es aber dahingehend, wenn derartige Texte mit einem „Anti-Copyright“ versehen in SchülerInnen-Zeitungen kursieren, die sich dann vielleicht vom „Landser“ nicht mehr unterscheiden lassen. Und dafür, dass sich die AutorInnen nicht mit der anarchistischen Theorie und Geschichte „belasten“ wollen, scheinen sie sich doch eher mit einer 2000jährigen Militärgeschichte zu beschäftigen. Ein Widerspruch? Ein anderes Beispiel für den Zynismus jener Leute spiegelt sich in dem Kapitel über „anarchistische Stadtmodelle“ wieder. Hier werden etwa Favelas zu Vorzeigeprojekte „anarchistischer Urbanität“ verklärt, die eben jenes Prinzip verwirklicht haben: „...freiwillige Assoziation, Dezentralisation, Nachhaltigkeit, direkte Demokratie, gegenseitige Hilfe, Tauschhandel und DIY-Ethik.“ Dies mag es in den Elendsvierteln dieser Welt sicherlich geben, aber es ist doch wohl nur eine Seite der Medaille (wenn überhaupt). Hierarchie, Ausbeutung, Gewalt, Prostitution usw. spielen bei den SozialromantikerInnen scheinbar keine Rolle. Die Favelas werden gar als Bollwerke gegen den Neo-Liberalismus gepriesen, dem aber in Wahrheit die Menschen und ihre Lebensumstände doch wohl eher egal sind, solange er nicht den Grund und Boden für sich beansprucht. Und wenn die AutorInnen über die ökologische Bauweise von Elendssiedlungen ins Schwärmen geraten, bekommt diese „Do it yourself-Ethik“ doch eine ganz neue Bedeutung. Vielleicht hätte sich der Verlag das Buch von einem Baumarkt sponsern lassen sollen.
Auch sonst zeichnet sich das Buch durch eine Reihe von Widersprüche aus, so wird das zapatistische Dorf gepriesen samt seinen Konsensbeschlüssen, aber der/die US-AnarchistIn gehört natürlich in den urbanen Raum und nicht in den ländlichen Mief, der für sich strikt abgelehnt wird. Konsensbeschlüsse sind eine feine Sache, aber politische Versammlung sind langweilig, was sicherlich zutrifft, auch deren Kritik an einer „professionellen“ Politarbeit, oder ominösen Bündnissen, die nicht um jeden Preis geschlossen werden sollten, aber um einen Konsens zu finden, bedarf es nun mal der Auseinandersetzung mit anderen. Und nach dem „wir-sind-die-Stärksten-der-Partei“-Muster erklären sich diese jungen FreundInnen zum Hüter des Steins der Weisen; Gegen eine Spaltung wird gewettert, aber auf der anderen Seite wird sich gegen anarchistische Gruppierungen abgegrenzt, von denen ich zuvor nicht mal wusste, dass diese existieren (Richtungen und/oder Gruppen wie z.B. Anarchoprimitivismus, Folk-Anarchy, Tranarchy oder Big-Tend-Anarchy???)
Vieles, was hier vorgetragen wird, klingt weder neu noch originell. Es klingt eher nach Hakim Bey’s T.A.Z. (ID-Verlag Berlin 1994), nur eingeschränkter, dogmatischer und engstirniger. Oder etwa Jerry Rubin’s „Do it! Szenarios für die Revolution”(Reinbek b. Hamburg 1971), welches immerhin der damaligen Sponti-Bewegung der 1970er Jahre schon die amerikanischen „Sonderwege“ mit der Yippi-Philosophie bereicherte. Und für die Ethno-Freaks und Kleingruppenstrategen unter den Libertären wurde bereits 1976 das Buch von Vine Deloria jr. „Nur Stämme werden überleben“ (München) veröffentlicht.
Aber wie Marianne Enckell vom CIRA, dem internationalen anarchistischen Archiv in Lausanne, in dem Interview mit Bernd Drücke (B. Drücke (Hg.); „Ja! Anarchismus“, Berlin 2006), auf S. 206 ausführt: „Aber es gibt auch junge Leute, die vielleicht Schwierigkeiten haben, die klassischen Texte zu lesen, weil es nicht so spannend ist. Es ist Zeit für neue „Agitationsbemühungen“, neue Erklärungen, neue Geschichten, etwas Eigenes, Neues zu schreiben, das den Leuten Lust macht, mehr zu recherchieren.“ Was die „Agitationsbemühungen“ angeht, mag Marianne Enckell sicherlich recht haben, aber wenn es nur noch um „Spannung“ geht, sollte man vielleicht lieber Krimis empfehlen. Ein Bewusstsein, eine libertäre Haltung muss sich erarbeitet werden – sicherlich nicht nur durch lesen, klar – aber ohne dem bleibt es vermutlich unpolitischer Punk: „Don’t know what I want but / I know how to get it“ (Sex Pistols, „Anarchy in the U.K.“, 1977). Neben den positiven Effekten dieses Buches sollten AnarchistInnen vielleicht mehr erklären, was sie wollen, statt ständig Anti’s runter zu beten. Sicherlich, das ist schwieriger, aber vielleicht auch sinnvoller. Und ich würde mir wünschen, dass neue Ideen und neue „Agitationsbemühungen“ in die Bewegung eingebracht werden, ohne dass gleichzeitig alle anderen für bescheuert erklärt werden. In diesem Sinne hoffe ich auf eine intensive, aber – wie es unter AnarchistInnen sein sollte – von gegenseitigem Respekt getragene Diskussion.
Jochen Knoblauch
Aus: CONTRASTE Nr. 265 / Oktober 2006