Grenzen sprengen. Ein Interview mit einem Aktivisten der "Anarchists against the wall"
Der israelisch-palästinensische Konflikt ist in der deutschen Linken ein kontroverses Thema. Sich zwischen den Fallstricken bedingungsloser Solidarität mit der einen oder der anderen Seite durchzuschlängeln ist ein schwieriges, aber nötiges Unterfangen. Denn auch wenn Nationalismus, Antisemitismus und Islamismus auf palästinensischer Seite ein ernstes Problem sind – wie antideutsche Linke zu Recht bemerken – , sollte man auch die negativen Folgen der israelischen Besatzung für die palästinensische Bevölkerung nicht übersehen. Die simple Freund-Feind-Logik des bewaffneten Konflikts einfach zu übernehmen, bietet keinen Ansatzpunkt für emanzipatorisches Handeln und konstruktive Lösungen. Diese Logik hat das Geschehen die letzten 40 Jahre lang bestimmt und ebenso wenig positive Folgen gezeitigt wie die immer neuen Anläufe zu Friedensverhandlungen und einer Zwei-Staaten-Lösung. Die Arbeit der israelischen Anarchists Against The Wall (AATW) könnte hier eine Perspektive bieten, da sie mit ihren gewaltfreien Aktionen gegen den Mauerbau, die sie zusammen mit palästinensischen AktivistInnen durchführen, die simple Logik des „Wir-gegen-die“ überschreiten. Das macht sie für uns interessant. Yossi von den Anarchists Against The Wall erläuterte in einem per Mail geführten Interview Hintergründe und Ziele der Arbeit der Gruppe.
Die Feierabend!-Redaktion
FA!: Zunächst mal: Seit wann gibt es die AATW, wie habt ihr euch gegründet?
Yossi: AATW wurde im April 2003 von einigen größtenteils anarchistisch orientierten israelischen AktivistInnen gegründet, die schon zuvor in unterschiedlicher Form in den besetzten Gebieten aktiv waren. Der Anlaß war ein Protestcamp in Mas´ha. Die Mauer näherte sich dem Dorf, letztlich hätten sich dadurch 96% der Ackerfläche auf der „israelischen“ Seite befunden. Das Camp, an dem sich auch palästinensische und internationale AktivistInnen beteiligten, bestand aus zwei Zelten auf dem Gelände, das konfisziert werden sollte. Die AktivistInnen waren vier Monate vor Ort, in der Zeit war das Camp ein Zentrum für die Informationsverbreitung und für basisdemokratische Entscheidungsfindung, direkte Aktionen gegen den Mauerbau wurden dort vorbereitet. Ende August 2003, als die Mauer um Mas´ha fast fertig war, zog das Camp in den Garten eines Hauses um, der auch weg sollte. Nach zwei Tagen, in denen wir die Bulldozer blockierten und viele verhaftet wurden, mussten wir aufgeben. Aber die Idee des Widerstandes blieb erhalten.
FA!: Was für Leute machen bei euch mit?
Y.: Die meisten sind junge Israelis, meist aus Oberschichts- oder Mittelklassefamilien europäischer Herkunft. Es gibt aber auch ältere AktivistInnen, viele arabisch-jüdischer Herkunft und aus der früheren Sowjetunion, auch Leute aus der Unterschicht. Ideologisch und kulturell ist die Gruppe ziemlich vielseitig: Es gibt Punks und Hippies, Queers, Veganer und Straight Edger, Pazifisten und Nicht-Pazifisten, und viele würden sich nicht mal als Anarchisten bezeichnen.
FA!: Kannst du etwas zu eurer Arbeit sagen, wie sehen eure Aktionen aus?
Y.: Seit ihrer Gründung hat die Gruppe an Hunderten Demonstrationen und direkten Aktionen – gegen die Mauer und die Besetzung allgemein – in der West Bank teilgenommen. Mit unserer Arbeit in Palästina wollen wir in erster Linie die Leute vor Ort unterstützen. Meist gibt es einen Demonstrationszug vom Dorf dorthin, wo die Mauer gebaut wird, und wir versuchen, die Bulldozer und Arbeiter zu blockieren. Wir versuchen auch oft, zusammen mit palästinensischen und internationalen AktivistInnen die Mauer oder die Checkpoints zu sabotieren. Es gibt auch fokussiertere Aktionen – nicht in Form von Demonstrationen – gegen den Mauerbau, die Checkpoints oder die „Apartheids-Straßen“ (Straßen, die von PalästinenserInnen nicht benutzt werden dürfen). Wir nehmen auch an vielen Demonstrationen in Israel teil und machen direkte Aktionen gegen Unternehmen, die von der Besatzung profitieren. Unsere Aktionen in der West Bank werden meist sehr gewalttätig unterdrückt. Friedliche Gummigeschossen, Gummigeschossen, manchmal sogar scharfer Munition zerschlagen. Bei rein palästinensischen Demonstrationen gibt es noch ein weit höheres Maß an Gewalt als bei den Demos, an denen wir uns beteiligen. Die Anwesenheit von Israelis bietet einen gewissen Schutz. Die israelischen Soldaten verhalten sich deutlich anders, wenn wir dabei sind, und die Gewalt läuft auf niedrigerem Level ab. Obwohl viele israelische AktivistInnen bei diesen Demonstrationen verletzt wurden, haben die PalästinenserInnen den höchsten Preis zu zahlen. Bis heute sind zehn palästinensische Demonstranten getötet und Tausende verletzt worden. Die Armee und die israelische Regierung wollen den palästinensischen Widerstand mit allen Mitteln brechen und israelische AktivistInnen daran hindern, sich daran zu beteiligen. Die Repression ist auch deshalb für die palästinensischen AktivistInnen wesentlich härter, weil es zwei Systeme bei der Justiz gibt. Wir werden nach dem Zivilrecht behandelt, während für die Palästinenser Militärrecht gilt. Deren Haftstrafen sind also viel länger, sie bekommen auch mehr und höhere Geldstrafen.
FA!: Was sind eure Ziele, unmittelbar und auch langfristig?
Y.: Wir haben kein Manifest oder eine klare Ideologie. Wir sind gegen Rassismus, Apartheid und Krieg, wir wollen eine freie Gesellschaft, in der Juden und Palästinenser gleichberechtigt zusammenleben. Ich denke, unsere Aktionen zeigen, was wir erreichen wollen. Gegen eine Mauer, die die Leute voneinander trennt, arbeiten wir mit Palästinensern zusammen. Gegen Besetzung und staatliche Herrschaft, die dazu da sind, die Leute ihrer Logik zu unterwerfen, kommen wir und brechen ihre Gesetze mit einer nicht-hierarchischen Gruppe.
FA!: Wie sollte eurer Meinung nach eine Lösung des Konflikts aussehen?
Y.: Wir haben keine klare Lösung. Viele von uns unterstützen die Kein-Staaten-Lösung, andere denken, dass es zuerst eine Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung geben muss. Mir ist egal, wie viele Staaten es gibt, solange wir Freiheit und Gleichheit für alle Einwohner dieses Landes erreichen. Eine wirkliche Lösung sollte auf sozialer Gerechtigkeit und der Überwindung von Nationalismus und Kolonialismus basieren, d.h. dem Ende von Israel als ein „jüdischer“ Staat und dem Aufbau einer neuen bi-nationalen Gesellschaft. Uns wird immer gesagt, das sei unrealistisch, aber derzeit gibt es ohnehin keine „realistische“ Lösung. Die Zwei-Staaten-Lösung ist ein Apartheidsplan, welcher von Bush und (Israels Ministerpräsident) Olmert gegen den Willen der Palästinenser durchgesetzt wurde. Was von der israelischen Regierung als Frieden verkauft wird, ist nur die Fortsetzung der Okkupation mit anderen Mitteln. Der Konflikt ist auch nicht von allein da. So lange europäische und amerikanische Interessen die israelische Politik und die Lage in der Region bestimmen, wird es keine Versöhnung geben.
FA!: Die israelische Friedensbewegung (Gruppen wie Peace Now und so weiter) ist derzeit ziemlich schwach, soweit ich weiß. Kannst du dazu etwas sagen? Wie ist euer Verhältnis zu diesen Gruppen?
Y.: Wir sehen uns nicht als Teil der „Friedensbewegung“. Wir sind eine Bewegung gegen die Besatzung. Der Frieden wird oft benutzt, um den Status quo zwischen Unterdrückern und Unterdrückten zu erhalten. Der Hauptunterschied in der israelischen „Linken“ besteht zwischen den Zionisten und den Nicht- oder Antizionisten. Für die meisten von uns sind Gruppen wie Peace Now, One Voice, das Peres-Center für Frieden und andere sogenannte „Friedens“-Gruppen irrelevant oder sogar eine Gefahr. Israelische Gruppen, die einen Frieden in Form von Freihandelszonen und unter Beibehaltung der meisten Siedlungen wollen, sind nicht links und werden keinen Frieden bringen. Diese Art von „Friedens“-Gruppen sind viel schwächer, als sie vor der zweiten Intifada waren. Das liegt an dem Traumgebilde einer „Pax Americana“ im Nahen Osten, das sie der israelischen Öffentlichkeit verkaufen wollten – ein Traumgebilde, das ihnen nun auf die Füße gefallen ist. Wir arbeiten eng mit Anti-Besatzungsgruppen wie Gush Shalom, Taayush, Coalition of Women for Peace zusammen. Die Zahl dieser Gruppen ist seit der zweiten Intifada stark gestiegen.
FA!: Hier hört man meist nur etwas über die Hamas oder die Fatah. Gibt es auf palästinensischer Seite linke Gruppen, die dem Nationalismus der Fatah oder dem Islamismus der Hamas etwas entgegensetzen, habt ihr da Kontakte?
Y.: Wir arbeiten nicht mit Parteien zusammen, also auch nicht mit Hamas oder Fatah. Unsere Arbeit läuft vor allem über die Kommitees in den Dörfern, wo die ganzen Familien vertreten sind, aber natürlich auch Vertreter der Parteien – oft Leute von der Fatah, auch von kleinen linken Parteien. Es sind auch Hamas-Leute dabei, mit denen wir dann auch zusammenarbeiten. Es gibt auch Unterschiede zwischen den Parteimitgliedern in den Dörfern und der Führung der Hamas. Wir werden als Israelis akzeptiert – die Basis ist, dass wir gewaltfreie Aktionen gegen die Besetzung machen. Die Hamas-Leute arbeiten natürlich nicht so gern mit Israelis zusammen, aber wenn sonst alle dafür sind, widersprechen sie auch nicht. Wir selber schließen keinen aus – wir sind auch nicht in der Position, jemand ausschließen zu können.
FA!: Gibt es auch palästinensische AnarchistInnen?
Y.: Wenige. Es gibt Leute auf palästinensischer Seite, mit denen wir eng zusammenarbeiten, aber die sehen sich nicht unbedingt als AnarchistInnen. Wir haben auch eine gute Zusammenarbeit mit palästinensischen Marxisten, Trotzkisten usw. Wir haben Kontakt zu Anarchisten im Libanon und versuchen, mit anderen anarchistischen Gruppen im Nahen Osten Kontakte zu knüpfen.
FA!: Und wie würdest du die Hamas beurteilen?
Y.: Die ist mir natürlich nicht so sympathisch. Aber Fakt ist, dass die Hamas anfangs sehr von Israel unterstützt wurde, ähnlich wie die Taliban durch die USA. Die Hamas hat keine Waffen bekommen, wurde aber politisch unterstützt. Man wollte sie als Gegenpol zur PLO stärken, weil man dachte, die Islamisten wären besser zu kontrollieren. Die Hamas ist antiimperialistisch, antiwestlich, sie macht auch viel soziale Arbeit, und sie ist sicher weniger korrupt als die Fatah. In gewisser Weise haben sie sich auch mit der Demokratie abgefunden – sie akzeptieren, dass Wahlen nicht gegen den Islam sind. Sie akzeptieren die Demokratie, weil sie ihnen nützt. Wenn es nur die Wahl zwischen Hamas und Fatah gibt, ist es schwer, sich zu entscheiden. Die Hamas will einen islamischen Staat, in dem Schwule, Frauen, Juden usw. unterdrückt werden. Aber die Fatah würde Palästina zur Freihandelszone machen, was auch auf Ausbeutung und Unterdrückung hinausläuft. Wir gehen damit so um, dass wir nicht mit den Parteien kooperieren, sondern mit den Leuten an der Basis.
FA!: Ihr seid wegen eurer Arbeit starker Repression ausgesetzt, Prozessen usw. Wie ist da die Lage?
Y.: Die Repression gegen uns findet vor allem bei den Demonstrationen statt, bei denen regelmäßig Gummigeschosse eingesetzt werden. Viele von uns wurden schon angeschossen, haben Kopfverletzungen davongetragen und mitunter immer noch mit den Folgen zu kämpfen. Das ist härter als bei Demonstrationen hier in Deutschland. Andererseits werden bei uns seltener Verfahren eröffnet, wenn man festgenommen wird. Ich wurde schon zehnmal verhaftet, andere zwanzig oder dreißig mal. Meist wird man am selben Tag wieder freigelassen. Wenn es Verfahren gibt, dann Monate später. Zur Zeit laufen 70-80 Verfahren. Man muss dazu sagen, wir sind etwa 200 Leuten, also sind fast 50% betroffen. Das ist hart, aber es gibt auch viel Solidarität und Spenden, so dass wir die Anwaltskosten zahlen und weitermachen können. Das Problem besteht aber weiter.
justus
Mehr Informationen zur Arbeit der Gruppe und Spendenmöglichkeiten findet ihr unter: xttp://www.awalls.org
Aus: Feierabend Nr. 28 (2008
Originaltext: http://www.feierabendle.net/index.php?id=265