Revolte in Griechenland - Hintergründe zum Aufstand der Deklassierten 2008
Aus spontanen Protesten gegen die tödlichen Schüsse auf den 15-jährigen Alexandros Grigoropoulos in Athen entwickelte sich binnen weniger Tage eine landesweite Protestbewegung. Wer glaubt, allein eine angeblich verirrte Polizeikugel habe die am 6. Dezember entflammte "soziale Revolte" in Griechenland angefacht, irrt: Dahinter verbergen sich die größten Proteste seit dem Ende der Militärdiktatur in Griechenland 1974, die spontane Aufkündigung des Konsens mit den Herrschenden und die ersten tastenden Schritte hin zu etwas Neuem.
Der Polizist Epaminondas Korkoneas hat nicht nur einen Schüler erschossen, sein Projektil hat auch die Vitrine des "modernen Hellas" zersplittern lassen. Ohne es zu wissen, brachte der Todesschütze Korkoneas eine tiefere Wahrheit zum Ausdruck: Der Beamte einer Sondereinheit, der den 15-jährigen Schüler Alexandros Grigoropoulos erschossen hat, ließ eine schriftliche Erklärung verbreiten, die dem Opfer ein sozial auffälliges Verhalten unterstellte und behauptete, dieser sei von der Schule verwiesen worden. Ein Wort des Bedauerns fand Korkoneas nicht. (1)
Nichts von seinen Behauptungen trifft freilich zu: Grigoropoulos war nur zufällig mit einem Freund am Tatort, er hatte keine Beziehungen zu irgendwelchen politischen Gruppen, schon gar nicht zu anarchistischen. Warum der Todesschütze überhaupt seine Waffe gezogen hat, um - nach eigenen Angaben - drei Warnschüsse abzugeben, ist bisher ungeklärt. Ebenso unklar ist, wie ein Warnschuss in die Luft zu einem Querschläger werden kann.
Alle der gut 20 Zeugenaussagen von AnwohnerInnen und von Nikos R., der Grigoropoulos begleitete, sagen aus, Korkoneas habe aus 20 Metern Entfernung geschossen, und zwar geradeaus, nicht in die Luft. (2) Das Video, das ein Anwohner aufgenommen hat, zeigt, wie die beiden Polizisten nach den Schüssen in aller Ruhe zu ihrem Dienstwagen zurückgehen. Für eine unübersichtliche Situation, gar für eine der vermeintlichen Notwehr, gibt es keinerlei Hinweise.
Aufstand der Prekarisierten gegen Perspektivlosigkeit
Der Proteststurm, den die Erklärung Korkoneas' auslöste, lässt sich in der Aussage zusammenfassen, nun sei Alexis Grigoropoulos zum zweiten Mal erschossen worden. Die "dreiste" und "provokative" Stellungnahme des Polizisten (so die linksliberale Tageszeitung To Ethnos) hätte jedoch nicht treffender zum Ausdruck bringen können, mit welcher Ignoranz und Realitätsverweigerung Regierung und Behörden auf die gesellschaftlichen Verwerfungen des heutigen Griechenland reagieren: Wer sich nicht konform verhält, und sei es nur durch den Aufenthalt im "falschen" Stadtteil, offenbart ein abnormes Verhalten, ist ein potenzieller Chaot und Staatsfeind. (3) Gegen ihn muss die Staatsmacht mit aller Härte vorgehen, um die Normalität zu sichern.
Diese Forderung nach Normalität war freilich immer fragwürdig, mittlerweile sind jedoch die gesellschaftlichen Verhältnisse, auf die sie sich bezog, längst Geschichte. Den Jugendlichen in Griechenland von heute ist die Möglichkeit, sich durch Bildung einen Platz in der Gesellschaft zu erobern, längst genommen. Die Mehrheit der griechischen SchülerInnen befindet sich in einer Tretmühle zwischen Schule und privaten Nachhilfeeinrichtungen, für die manche Eltern bis zu 500 Euro im Monat aufbringen. Der Ausdruck "Papagallia" bringt die Anforderungen dieses Bildungssystems auf den Begriff: Papagallo ist der Papagei, der alles auswendig lernt, um es hinterher wiederzugeben.
Dass sich viele Eltern für die Ausbildung ihrer Kinder verschulden, ebnet diesen jedoch immer weniger den Weg in eine auskömmliche Zukunft. Selbst wer die Universität, die im Rahmen des Bologna-Prozesses immer mehr den Schulen angeglichen wird, durchläuft, findet oftmals nur Aushilfsjobs. Mittlerweile hat sich der Begriff der "700-Euro-Generation" verbreitet. Es ist daher auch nicht ein veraltetes Bildungssystem, das SchülerInnen und Studierende auf die Barrikaden treibt, wie Christiane Schlötzer in der Süddeutschen Zeitung mutmaßt (SZ, 11.12.08), sondern im Gegenteil dessen zunehmende "Modernisierung" unter den europäischen Maßgaben.
Diese Entwicklung ist in ihrer Grundstruktur keineswegs spezifisch griechisch; das Phänomen der Prekarisierung ist ein Kennzeichen des globalen Kapitalismus. (4) Die strukturelle Arbeitslosigkeit ist die Knute, mit der überall die Rechte der lohnabhängigen Mehrheit der Bevölkerung demontiert werden und systemkonformes Verhalten erzwungen wird. Dies ist ein Grund dafür, warum die riots in Griechenland weltweit Besorgnis in den Oberschichten ausgelöst haben. (5) Denn obwohl sich die Weltökonomie erst am Beginn einer langen Depressionsphase befindet, ist die soziale Krise längst da. Es ist nicht der "griechische Sonderweg", der sich in der Revolte zeigt. Vielmehr handelt es sich bei der Rebellion um einen Ausdruck der griechischen Form der neoliberalen "Modernisierung".
Selbstbedienungspolitik der griechischen Oberschicht
Die Kehrseite der Prekarisierung, die mit der Politik der "Modernisierung" verbunden ist, bildet die Selbstbedienungspolitik der griechischen Oberschicht. Aufgrund einer Kette von Skandalen, in die neben ranghohen Regierungsmitgliedern die orthodoxe Kirche verwickelt ist, galt das Kabinett Karamanlis als Regierung auf Abruf. (6) Bedeutsamer ist freilich der Fall Siemens Hellas: Mit - laut Presseberichten - bis zu 100 Millionen Euro sollen seit den 1990er Jahren die griechischen Regierungsparteien - sowohl die sozialdemokratische PASOK als auch die konservative Nea Dimokratia - geschmiert worden sein.
Die These von dem spezifisch griechischen Charakter der Korruption, wie sie nun in den deutschen Medien Verbreitung gefunden hat, ist daher zwar richtig, blendet aber die Verwicklung globaler Konzerne - Vodafone wäre ein weiterer Fall - vollkommen aus. Die griechische Oberschicht und ihre politischen VertreterInnen agieren gerade nicht unabhängig vom "außenpolitischen Faktor", wie die relative Abhängigkeit Griechenlands von internationalen Interessengruppen bezeichnet wird.
Zweifellos hat die politische Klasse Griechenlands ihre Legitimität bei der prekarisierten Jugend wie in der Bevölkerung weitgehend eingebüßt. Aber selbst die Linksparteien, traditionell von der Regierungsbildung weitgehend ausgegrenzt, sind kaum in der Lage, eine weitergehende Perspektive zu eröffnen. (7) Das hängt nicht allein mit der Krise der Linken im weitesten Sinne zusammen, sondern mit der Aushöhlung der demokratischen Partizipationsmöglichkeiten schlechthin.
Wie in allen anderen Industrieländern ist mit der Entwicklung einer privaten Medienindustrie das gesellschaftspolitische Deutungsmonopol auf national und international agierende Konzerne übergegangen. Die Möglichkeiten demokratischer Willensbildung sind in allen gesellschaftlichen Bereichen dadurch in zunehmendem Maße zugunsten neoliberal-kapitalistischer Imperative eingeschränkt worden. Es ist kein Zufall, dass die Medien in der breiteren Linken einen denkbar schlechten Ruf haben und JounalistInnen bei Besetzungen in der Regel der Zugang verweigert wird.
MedienvertreterInnen und PolitikerInnen haben versucht, aus dem Polizeiopfer einen Anarchisten zu machen; der Umstand, dass Alexis Grigoropoulos' Mutter ein Juweliergeschäft hat und vom Vater getrennt lebt, wurde herangezogen, der Revolte ihren sozialen Charakter abzusprechen und die "Anarchisten" zu einem Phänomen überdrüssiger Kinder aus Mittelschichtfamilien umzudeuten. Schon Mitte der 1990er Jahre kursierten in der griechischen Öffentlichkeit derartige Thesen. Ironisierend unterschrieb damals eine anarchistische Gruppe ihre Flugzettel daher mit "Kinder aus kaputten Familien".
Nun sind alle Versuche, die gesellschaftlichen Widersprüche zuzudecken, gescheitert: Es sind keine Migrantenkinder wie in Frankreich oder fehlgeleitete subkulturelle Minderheiten, sondern ganz normale Jugendliche aus der Arbeiter- und Mittelschicht, die dagegen rebellieren, dass man ihnen die Zukunft geraubt hat. Weitere Manipulationen werden kaum erfolgreich sein; die Anweisung von Bildungsminister Evripidis Stylianidis, die Lehrer sollten nun den Druck aus dem Lehrbetrieb nehmen und zur Entspannung mit ihren Schulklassen spazieren oder ins Museum gehen (Elevtherotypia, 12.12.08), hat die Welle von Schul- und Hochschulbesetzungen nicht stoppen können.
Die Heftigkeit, mit der die griechischen Jugendlichen auf den Tod von Alexis Grigoropoulos reagiert haben, speist sich aus spezifisch griechischen Traditionen. Der dem deutschen umgangssprachlichen Ausdruck "Bulle" entsprechende griechische Ausdruck "Batsos" bedeutet soviel wie "Schläger". Die türkische Wurzel des Wortes verweist nicht nur auf die jahrhundertelange Erfahrung der Fremdherrschaft, sondern auch auf den Klassencharakter des Staates: Es sind die Schläger einer Obrigkeit, die keine Legitimität beanspruchen kann, sondern die Privilegien einer schmalen Oberschicht gegen die Mehrheit der Bevölkerung sichern muss. Willkürliche Gewalt staatlicher Organe hat in Griechenland eine lange Tradition. (8)
Das autoritäre Nachkriegsregime fußte auf dem Terror der faschistischen Sicherheitsbataillone (Tagmata Asfalias) gegen die Linke, die im Bürgerkrieg von 1946 bis 1949 aufgrund der anglo-amerikanischen Intervention eine traumatische Niederlage erlitten hatte. Der Slogan anarchistischer Gruppen "Wir sind kein Gesindel, Gesindel sind die Batsi-Asfalites" verweist auf die strukturelle und personelle Kontinuität der Sicherheitsorgane zu den faschistischen Kollaborateuren. (9)
Jugendliche der Arbeiter- und Mittelschicht in Aktion
Der Versuch einer Demokratisierung des Nachkriegsregimes auf parlamentarischem Wege in den 1960er Jahren scheiterte am Putsch der Obristen, die sich der Rückendeckung durch die USA und Westeuropas sicher sein konnten. (10) Die Wahlerfolge der linksliberalen Zentrumsunion fußten freilich auf den außerparlamentarischen Kämpfen der sogenannte Iouliana 1965, die sich ebenso wie jede demokratisch-soziale Bewegung zuvor umfangreichen polizeistaatlichen Verfolgungen ausgesetzt sah. (11) Vassilis Vassilikos hat in seinem von Constantin Costa-Gavras verfilmten Roman "Z" über die Ermordung des linken Parlamentsabgeordneten Grigoris Lambrakis den Geist jener Jahre treffend eingefangen.
Die Junta der Obristen von 1967 bis 1974 stellt eine der dunkelsten Perioden der neueren griechischen Geschichte dar. Das Regime konnte sich nur durch exzessiven Polizeiterror gegen alle innenpolitischen GegnerInnen behaupten. Ein Großteil der griechischen Kultur fiel der Zensur zum Opfer und wurde durch Marschmusik und einen dumpfen Antikommunismus ersetzt, der sich gegen jegliche soziale oder politische Abweichung richtete. (12)
Das Ende der Diktatur läutete der Aufstand der Studierenden der Polytechnischen Hochschule ein, der schnell auf die gesamte Hauptstadt übergriff und von den Obristen mit Panzern blutig niedergeschlagen wurde. Zur Erinnerung an dieses Ereignis ziehen jedes Jahr am 17. November Tausende Menschen von der Polytechnischen Hochschule zur US-Botschaft. Es ist auch ein Erbe dieser Erfahrungen exzessiver staatlicher Gewalt, dass die Polizei die Universitätsgelände außer bei unmittelbarer Verfolgung von schweren Straftaten nicht betreten darf.
Dieses universitäre Asyl ("panepistimiako asylo") war insbesondere in den letzten Jahren umkämpft, wurde es doch im Falle von Auseinandersetzungen bei Demonstrationen dazu genutzt, vor der Polizei Zuflucht zu suchen. Doch solange die Erfahrungen mit der Junta tief im kollektiven Gedächtnis verankert sind, wird es kaum eine Abschaffung dieses Rechtes geben.
Die Ohnmacht, mit der die Regierung auf die Unruhen nach dem 6. Dezember reagiert hat, war der Unmöglichkeit geschuldet, die Revolte ohne Blutvergießen zu unterdrücken. Eine offensive Repression hätte die Unruhen weiter eskalieren lassen und den unmittelbaren Zerfall des politischen Systems eingeleitet. Keine griechische Regierung hätte den exzessiven Einsatz der Sondereinheiten der Polizei (MAT) oder gar der Armee gegen die eigene Bevölkerung riskieren können, ohne ihr eigenes Ende und eine Systemkrise heraufzubeschwören. Dennoch kam es zu einem selten da gewesenen Polizeieinsatz. In wenigen Tagen nach dem Todesschuss wurden vier Tonnen (!) Tränengas und Blendgranaten gegen die revoltierende griechische Jugend eingesetzt.
Willkürliche Staatsgewalt hat eine lange Tradition
Die in bundesdeutschen Medien vertretene These, die griechische Polizei hätte den "Anarchisten" nur konsequent entgegentreten müssen, um die Revolte zu verhindern, ist daher abwegig. (13) Generell ist diese These ohnehin falsch, von einer nachgiebigen Polizei kann in Griechenland keine Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall. In den letzten Jahren hat es eine ganze Reihe von Toten durch die immer hemmungsloser operierende Polizei gegeben. (14)
Militante Zusammenstöße zwischen der MAT und protestierenden ArbeiterInnen, SchülerInnen, Studierenden oder Bauern gehören mittlerweile wieder zur politischen Kultur Griechenlands. Einheiten der MAT sind 1995 sogar gegen protestierende RentnerInnen mit Schlagstöcken vorgegangen. Der damalige Innenminister Stelios Papathemelis rechtfertigte dieses Vorgehen seinerzeit mit der grotesken Behauptung, die RentnerInnen hätten eine Polizeikette durchbrechen wollen, und machte sich damit zum Gespött der öffentlichen Meinung. Unter dem Eindruck der Revolte verurteilen nun auch Teile des Establishments wie der Senat der Panteion-Universität die "Willkür der Polizeiorgane" und fordern eine "Demokratisierung der staatlichen Institutionen" und eine "gesellschaftliche Kontrolle" der Polizei.
Gegen die zunehmende Prekarisierung hat sich in Griechenland ein breiter Widerstand entwickelt. Seit Mitte der 1990er Jahre waren die Schulen und höheren Bildungsanstalten immer wieder Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen. "Mit der MAT und Gewalt gibt es keine Bildung" - dieser Slogan trifft im Kern die Methoden, mit denen die staatlichen "Reformen", etwa die Privatisierung der Hochschulbildung, durchgesetzt werden sollten.
Die Regierungen - und das gilt nicht nur für die gegenwärtige konservative Regierung Karamanlis, sondern ebenso für die PASOK-Regierungen - antworteten auf die Proteste an Schulen und Hochschulen stets mit Diffamierungen und polizeilicher Repression. Selbst gegen SchülerInnen, die ihre Schulen besetzt hatten, wurde mit teilweise außergesetzlichen Mitteln vorgegangen. Häufig spielen bei derartigen Auseinandersetzungen organisierte parastaatliche faschistische Banden wie die "Chrisi Avgi" eine Rolle, die als "aufgebrachte Bürger" einen zweifelhaften Ruhm erlangt haben. Der innerhalb der Linken verbreitete Schlachtruf "Und jetzt ein Slogan, der uns alle vereint: Batsi (Bullen), Schweine, Mörder" hat in diesen Erfahrungen mit den staatlichen Sicherheitsorganen seine Wurzel.
Von einer nachgiebigen Polizei kann keine Rede sein
Diese Entwicklungen haben in der westeuropäischen Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit gefunden, handelt es sich doch um die Umsetzung der europäischen Bildungsziele. Exemplarisch dafür ist der Fall des deutschen Studenten Timo B., der im letzten Jahr am Rande eines Konzerts auf dem Campus der besetzten Universität von Thessaloniki unter Missachtung rechtsstaatlicher Standards verhaftet und für viereinhalb Monate eingesperrt wurde. Die Verhaftung erfolgte auf Basis willkürlicher Behauptungen von Angehörigen der MAT. Timo B. wurde Zeuge mehrerer Gefängnisrevolten, bis er schließlich gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt wurde. (15) In den bundesdeutschen Medien ist über diesen Skandal praktisch nicht berichtet worden, ganz im Gegensatz zum Fall Marco W., der mit dem Vorwurf der versuchten Vergewaltigung in der Türkei inhaftiert war. Bis heute beschäftigen sich die Gazetten mit dem Fall Marco W., während der Fall Timo B. nicht zu existieren scheint.
In diesem Desinteresse wurzeln die Fehlinformationen und Fehldeutungen, welche die Berichterstattung im Großteil der bundesdeutschen Medien kennzeichnet. Da ist - wie bei Gerd Höhler, der verschiedene Medien mit Berichten aus Griechenland beliefert - von "Anarchisten", "Autonomen" und "Randalierern" die Rede, ohne dass überhaupt die Frage auftaucht, worin die Wut auf die Polizei wurzelt. (16) Dabei hätte allein der zahlenmäßige Umfang der Protestierenden und die Heftigkeit der spontanen Proteste selbst in Provinzstädten wie Ioannina, Mytilini oder Kosani Anlass geben müssen, die Urheber der Revolte nicht nur unter den "gnostoi agnostoi" zu suchen (den "Bekannten-Unbekannten", wie die anarchistische Szene in Griechenland bezeichnet wird). (17)
Da wird der an die Polytechnische Hochschule grenzende Stadtteil Exarchia als rechtsfreie Zone bezeichnet (18), während in der griechischen Presse von einem "kathestos stratokratias" (wörtlich: Regime Militärherrschaft) die Rede ist. (To Ethnos, 12.12.08) Dass eine lokale Bürgerinitiative seit Längerem den Abzug der Sondereinheiten der Polizei fordert, weil diese für die ständige Unruhe im Stadtteil verantwortlich gemacht werden, hat bisher keine Erwähnung gefunden. Die Tatsache, dass es schon zu Beginn der Revolte Jugendliche auf Korfu waren, die eine Polizeiwache attackierten, hätte ebenso zu genauerer Recherche Anlass geben können, wie der Umstand, dass sich protestierende SchülerInnen vor Polizeiwachen in zentrumsfernen Stadtteilen versammelten und es auch dort zu Ausschreitungen kam.
Im Deutschlandfunk wurde noch Tage später bedenkenlos kolportiert, das Opfer sei mit einer Gruppe Autonomer unterwegs gewesen und damit die Version des Todesschützen übernommen. Dieser wurde dagegen vom DLF von einem Angehörigen einer Sondereinheit zu einem Hilfspolizisten degradiert. (DLF, 13.12.08) In der FAZ war fälschlicherweise vom tragischen Tod "eines randalierenden Jugendlichen" die Rede. (FAZ, 11.12.08) "Der Vorfall", so Michael Martens über die tödlichen Schüsse auf Alexis Grigoropoulos, "bot nur den Anlass für die Gewalt, indem er der durch Fernsehbilder angestachelten Lust am Randalieren und vor allem dem herbeigeredeten Zorn gegen ,das System` einen Märtyrer spendierte." (19) Einen derartigen Zynismus hatte sich nicht einmal die konservative Kathimerini erlaubt, auf die sich die FAZ in ihren Einschätzungen gerne stützt.
Fehldeutungen und Fehlinformationen
Dass die Regierung Karamanlis polizeilicher Willkür bis hin zum Einsatz von Schusswaffen bedenkenlos Tür und Tor geöffnet hat (Prin, 13.5.207), so dass die wichtigste linksliberale Tageszeitung Elevtherotypia in Bezug auf die tödliche Polizeikugel von einem "statistisch zu erwartenden Ereignis" sprach (Elevtherotypia, 11.12.08), wurde in der deutschen Presse nicht zur Kenntnis genommen. Die These von einer schlecht ausgebildeten Polizei ist daher mehr als schief; vielmehr ist die Polizei durchaus "professionell" der Logik der Eskalation der Regierung gefolgt. Eine objektivere Berichterstattung war dagegen durchaus möglich, wie etwa der Beitrag von Werner von Gent in der taz (10.12.08) oder ein Interview mit den Leitern der Goethe-Institute in Athen und Saloniki auf tagesschau.de zeigen.
Vollkommen ausgeblendet blieb die Frage der an der Revolte beteiligten politisch-sozialen Kräfte. Nicht nur die beiden großen Parteien, die regierende Nea Dimokratia, und die ehemals sozialistische PASOK, sondern auch die Kommunistische Partei (KKE) verurteilten die Ausschreitungen scharf, auch wenn diese im Wesentlichen durch die Versuche der Polizei verursacht waren, Besetzungen zu beenden und Demonstrationen zu verhindern. Von den im Parlament vertretenen Parteien verteidigte nur die Koalition der Radikalen Linken (SYRIZA) die revoltierende Jugend. Die drei Parteien des politischen Establishments und die rechtsradikale LAOS warfen der SYRIZA daraufhin vor, den "Koukouloforoi" "die Ohren zu streicheln" und die Randale zu unterstützen.
Charakteristisch für die widersprüchliche Linie der KKE war ihre doppelte Frontstellung gegen die "Randalierer" einerseits und gegen die Polizeirepression andererseits. Beispielhaft ist dafür ein Interview von Manolis Glezos, einer der historischen Protagonisten des Parteikommunismus in Griechenland, ausgerechnet auf der Website der konservativen Kathimerini: Glezos sprach von berechtigten Interessen der revoltierenden Jugend, betonte jedoch, KommunistInnen würden unvermummt dem Klassenfeind entgegentreten - ganz so als wäre er am hellen Tag auf die Akropolis spaziert, um die Hakenkreuzfahne herunterzuholen. (20)
Widersprüchliche Haltung der Kommunistischen Partei
Im Gegensatz zur orthodox-marxistischen, ehemals "moskautreuen" KKE gab es innerhalb der undogmatischen parlamentarischen marxistischen Linken und der SYRIZA eine weitgehende Unterstützung der Proteste. Die SYRIZA ist ein Bündnis aus der in eurokommunistischer Tradition stehenden Linkskoalition Synaspismos sowie kleineren trotzkistischen und maoistischen Gruppen. Die Synaspismos hat sich in den letzten Jahren von der strategischen Option einer parlamentarischen Zusammenarbeit mit der ehemals sozialistischen PASOK verabschiedet und sich der Antiglobalisierungsbewegung geöffnet. (21) An den Universitäten ist die SYRIZA - wie alle anderen Parlamentsparteien auch - mit einem eigenen Studentenverband vertreten. Innerhalb der Schülerschaft gruppierten sich die SympathisantInnen der SYRIZA um die Schülerkoordination "Alexandros Grigoropoulos".
Die SYRIZA ist Ausdruck einer Abkehr von traditionellen Organisationsvorstellungen vieler linker AktivistInnen, die sich in den letzten Jahren parteiunabhängig in verschiedenen Gruppierungen der Antiglobalisierungsbewegung zusammengefunden haben, von attac bis zum Netzwerk für die Politischen und Sozialen Rechte. Viele Fragen, die von der "alten" Linken vernachlässigt wurden, etwa feministische und ökologische Themen, werden von diesen Gruppierungen aufgegriffen.
Die zweite wichtige Stütze der Bewegung bildete das breite Spektrum der außerparlamentarischen marxistischen Linken, von denen die bedeutendste Gruppierung die Neue Linke Strömung (Neo Aristero Revma, NAR) ist. Die NAR besteht im Kern aus der ehemaligen kommunistischen Jugend, die sich Anfang der 1990er Jahre von der KKE abgespalten hat, als diese zusammen mit den Eurokommunisten in eine Koalition mit der Nea Dimokratia eintrat. In den 1990er Jahren hat die NAR den in der griechischen Linken traditionell starken Leninismus relativiert und sich u.a. mit operaistischen Ansätzen auseinandergesetzt. An den Universitäten ist die NAR mit starken studentischen Gruppen vertreten, den EAAK (Alternative Unabhängige Linke Bewegungen). Während der Revolte im Dezember bildeten die EAAK sowie die Studenten der SYRIZA das organisatorische Rückgrat in der besetzten juristischen Hochschule, die zum koordinierenden Zentrum der Bewegung in Athen avancierte.
Die Rolle der unabhänigen Linken und der Anarchisten
Das dritte und wichtigste Element der Dezember-Revolte sind die verschiedenen anarchistischen Gruppen, die als "Anti-exousiastes" (etwa: gegen die Staatsgewalt) bzw. in den griechischen Medien meist als "Koukouloforoi" bezeichnet werden. Gruppen aus diesem heterogenen Spektrum waren maßgeblich an der Besetzung der Polytechnischen Hochschule, der Hochschule für Wirtschaft, der Zentrale des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE und vor allem der Theaterhochschule in Thessaloniki beteiligt, die als zweites wichtiges Zentrum der Bewegung fungierte. (22)
Die anarchistische Strömung richtet sich gegen alle Dimensionen einer kapitalistischen Politik und Kultur, die alle Lebensprozesse dem Prinzip des Warentausches und der Profitmaximierung unterwerfen will. Es war deshalb von großer symbolischer Bedeutung, dass der Weihnachtsbaum auf dem Platz der Verfassung zuerst abgebrannt und ein Ersatzbaum von Studierenden der Hochschule der Schönen Künste mit Schlachtereiabfällen und Müll behängt worden ist. Diese Aktionen gegen die "Tanne des Nikita" (Nikitas Kaklamanis ist der Bürgermeister von Athen) war durchaus populär, traf sie doch einen zentralen Widerspruch der regierenden Politik ins Mark. Die Elevtherotypia zitierte einen Passanten, der in Bezug auf die Waldbrände bemerkte (23): "Vorletztes Jahr haben sie ganz Griechenland brennen lassen und jetzt schützen sie mit zwei Polizeizügen einen Plastikbaum." (Elevtherotypia, 22.12.08)
Beim Anarchismus handelt es sich jedoch nicht nur um eine soziokulturelle Strömung. Die AnarchistInnen richten sich gegen die hierarchischen Strukturen des parteiförmigen bürgerlichen Politikbetriebes und seiner massenmedialen Vermittlung und treten für direktdemokratische Organisationsformen ein. Besonders verhasst ist den anarchistischen Gruppen die äußerst autoritär geführte KKE, deren Führungsanspruch, die Avantgarde der Arbeiterklasse zu repräsentieren, nachdrücklich infrage gestellt wird.
Die Stärke des Anarchismus resultiert vor allem aus der einfachen, aber zugkräftigen Idee der Besetzungen und einer alternativen Kultur, die vor allem in der Popmusik und in der Nutzung des Internets ihre Basis hat und keineswegs politischen Gruppen im engeren Sinne zugeordnet werden kann. Selbst die in der von der KKE dominierten Schülerkoordination SAS organisierten SchülerInnen schritten ganz selbstverständlich zu Besetzungen von Schulen, ohne irgendwelche Direktiven aus der Parteizentrale abzuwarten.
Besetzungen als massenhaftes Kampfinstrument sind in Griechenland ein vergleichsweise neues Phänomen, das seine Wurzeln im Kampf gegen die Diktatur hat. Seit den 1990er Jahren haben SchülerInnen und Studierende mit diesem Mittel der direkten Aktion experimentiert. Die Verwirrung, die dadurch im politischen Establishment ausgelöst worden ist, verdeutlicht ein Beitrag in der konservativen Kathimerini, der sich anlässlich der Welle von Schulbesetzungen im Oktober 2008 mit dem Phänomen befasste. (Kathimerini, 19.10.08)
Besetzungen als Form der Wiederaneignung
Die SchülerInnen, so der Tenor, würden Nonsens-Forderungen wie die Reparatur eines Fahrstuhles in einem zweigeschossigen Gebäude aufstellen und während der Besetzungen Unsinn treiben, etwa mit einer umgedrehten Schulbank auf den Treppen Schlitten fahren. Auf die Frage, warum sie denn ihre Schule besetzen würden, antwortete ein Schüler einem konsternierten Journalisten, sie wollten lernen, wie man eine Besetzung macht. Fernsehbilder von verwüsteten Schulsekretariaten machten die Runde, während der politische Kern der Schülerbewegung - eine umfassende Reform des staatlichen Bildungswesens - ebenso ausgeblendet blieb wie die polizeiliche Repression gegen die SchülerInnen.
Ein Blick ins Internet konnte jeden, der es wissen wollte, davon überzeugen, dass der "Unsinn" Teil eines umfangreichen Aneignungs- und Bildungsprozesses darstellte, der neben der Entwicklung von Theaterstücken, Videofilmen und Websites auch politische Manifeste umfasste. Es handelte sich nicht einfach darum, "verhandelbare" Forderungen aufzustellen, für die sich das Bildungsministerium ohnehin nicht interessiert.
Im Kern stellen die Besetzungen die Entfaltung einer eigenen soziokulturellen Gegenöffentlichkeit gegen die vollkommen kommerzialisierte Alltagskultur dar. Der Versuch, bei der Besetzung von öffentlichen Gebäuden auch die lokale Bevölkerung in die Debatte einzubeziehen, verweist ebenso wie die zeitweise Besetzung von Radio- und Fernsehsendern auf eine zentrale Stoßrichtung der Revolte: der intellektuell verwahrlosten, von den privaten Medienunternehmen weitgehend zerstörten bürgerlichen Öffentlichkeit eine alternative Öffentlichkeit entgegenzusetzen, in der die Fülle von sozialen Erfahrungen thematisiert wird, die sonst unsichtbar bleiben.
Neue-klassische Fragen wieder auf der Tagesordnung
Die Besetzung der GSEE-Zentrale hatte in diesem Zusammenhang eine große Bedeutung, weil sich hier AktivistInnen aus der Masse der prekarisierten ArbeiterInnen, zu denen auch die MigrantInnen gehören, öffentlich zu Wort meldeten. (24) Dass es sich dabei um keinen Einzelfall handelt, belegen weitere Besetzungen: So wurde nach Weihnachten das Gebäude der Athener Verkehrsgesellschaft ISAP besetzt, nachdem auf die Reinigungskraft und Gewerkschaftsaktivistin Konstantina Kouneva ein Säureanschlag verübt worden war. (25) Besetzt wurde zudem das Arbeiterzentrum in Saloniki. (26)
Mittlerweile dämmert auch der linksliberalen Presse, dass mit den Besetzungen etwas Neues in die Welt gekommen ist, das auf eine weitverbreitete Unzufriedenheit verweist. (Elevtherotypia, 31.12.08) Das Experimentieren mit neuen Aktions- und Organisationsformen ist dabei nur die Kehrseite des Untergangs einer alten Welt, deren Institutionen den globalen wie lokalen Problemen nicht mehr gewachsen sind. Mit dem Zerfall der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie sind weitreichende Fragen verknüpft, auf welche die unterschiedlichen politischen Strömungen eine Antwort zu geben versuchen.
Während die anarchistischen Gruppen Formen der direkten Demokratie propagieren und praktizieren, versucht die außerparlamentarische marxistische Linke ihre Aktionen an das imperative Mandat der Basisversammlungen in Betrieben, Schulen und Hochschulen zu binden. Beide Strömungen vertreten überwiegend antiparlamentarische Positionen, während die SYRIZA sich - ähnlich wie die Linkspartei in Deutschland - als Repräsentant außerparlamentarischer Bewegungen im Parlament begreift.
Damit ist die klassische Organisations- und Transformationsfrage nicht nur in Griechenland wieder auf die historische Tagesordnung zurückgekehrt. Es wird sich zeigen, wie weit dieser Prozess unter Bedingungen einer weltweiten Krise reichen wird.
Gregor Kritidis
Anmerkungen:
1) Im Folgenden bezeichnete Korkoneas' Anwalt Alexandros Kougias die ZeugInnen als "angebliche Augenzeugen" und stellte Grigoropoulos Freund Nikos R. in die Nähe von Hooligans. (Elevtherotypia, 16.12.08)
2) An der tödlichen Kugel sind Spuren von Zement oder Außenputz gefunden worden, wodurch der Schütze mehr be- als entlastet wird. Einer der diensthabenden Gerichtsmediziner hat das gerichtsmedizinische Gutachten indirekt infrage gestellt, da er nicht zur Obduktion hinzugezogen worden sei. (To Ethnos, 16.12.08)
3) Ministerpräsident Kostas Karamanlis bezeichnete den Todesschuss auf den 15-Jährigen als "tragisches Ereignis", die dadurch ausgelöste Zerstörung von Banken und Geschäften dagegen als "rohe Gewalt". (Prin, 14.12.08)
4) Bemerkenswerterweise ist der Begriff der Prekarisierung in Griechenland noch weitgehend ungebräuchlich. Makis Balaoura: Stous dromous vgike to prakariato (Das Prekariat ging auf die Straße). In: Elevtherotypia, 23.12.08
5) Steffen Vogel: Die Wut einer enttäuschten Generation. In: Telepolis, 15.12.08. Hans Olaf Henkel merkte in einer Diskussion im Deutschlandfunk im Hinblick auf die griechischen Ereignisse an, man dürfe auf keinen Fall das erfolgreiche "Modell Deutschland" schlechtreden. (DLF, 17.12.08)
6) Über diese Skandale, in deren Zentrum Grundstücksspekulationen und vermutlich mafiose Aktivitäten des Klosters Vatopedio stehen, ist in bundesdeutschen Medien praktisch nicht berichtet worden.
7) Die Linkskoalition Synaspismos hat mit der Öffnung zur Antiglobalisierungsbewegung zumindest versucht, die Probleme der Prekarisierung ins Zentrum der Diskussion zu rücken. Vgl. Julian Marioulas: Die Kommunisten und die radikale Linke in Griechenland. In: Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung, Nr. 75, 9/2008
8) Die historisch-sozialstrukturellen Hintergründe dieser spezifischen Traditionen sind von Nikos Kotzias treffend analysiert worden. Nikos Kotzias: Die Linke im politischen System Griechenlands und ihre Krise. In: Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung, Nr. 9, 3/1992
9) Vgl. hierzu und im folgenden Erik Eberhard: Revolution und Konterrevolution in Griechenland. Wien 2005
10) Stephen Rousseas: Militärputsch in Griechenland. Oder: Im Hintergrund der CIA. Reinbek 1968
11) Fontas Ladis: Iouliana 1965. 100 meres pou synklonisan tin ellada. Athina 1985. (Die Juli-Ereignisse 1965. 100 Tage, die Griechenland erschütterten).
12) Den Widerstand gegen die Diktatur und den Versuch einer umfassenden Demokratisierung nach 1974 schildert eindrücklich die italienische Journalistin Oriana Fallaci, die Lebensgefährtin des 1976 von Geheimdienstkreisen ermordeten Papadopoulos-Attentäters Alekos Panagoulis. Oriana Fallaci: Ein Mann. Frankfurt/Main 1985
13) Die Frankfurter Allgemeine Zeitung etwa behauptete, in Griechenland werde der Polizei "Versagen" vorgeworfen. (FAZ, 15.12.08) Das trifft allerdings nur auf die griechische Rechtspresse zu.
14) Die Prin spricht von acht Toten durch Polizeigewalt seit 1996. (Prin, 14.12.08) Eine Erklärung der Vollversammlung der besetzten Theaterschule in Saloniki listet fünf Tote für den gleichen Zeitraum auf. (Vgl. die Website der FAU www.fau.org/artikel/art_081209-141610) Lediglich der 17-jährige Student Marko Bulativic wird in beiden Quellen genannt. Die in der Ägäis zu Tode gekommenen MigrantInnen sind dabei noch nicht mitgezählt.
15) Der Fall war bisher vor allem von der Berliner Gruppe Unistreik International und StipendiatInnen der Hans-Böckler-Stiftung bekannt gemacht worden. Vgl. http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/393539
16) Vgl. z.B. die Berichterstattung in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, die durch eine gegenüber Fakten unempfindliche Vorurteilsstruktur gekennzeichnet ist.
17) Eine weitere Bezeichnung ist "koukoulofori" (Kapuzenträger). In Griechenland gibt es bisher für Demonstrationen kein Vermummungsverbot; es würde sich wohl auch kaum jemand daran halten.
18) Der Stadtteil Exarchia, behauptete die FAZ, sei ein "Staat im Staate" geworden, indem DrogenhändlerInnen und AnarchistInnen die Szenerie beherrschten. Damit übernahm die FAZ lediglich Behauptungen einer Kampagne der Kathimerini, deren Wahheitsgehalt zweifelhafter Natur ist. (Kathimerini, 19.10.08) In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Presselandschaft in Griechenland - ähnlich wie das gesamte Leben in Griechenland - politisch immer noch stark polarisiert ist. Zu dieser Analyse wurden daher u.a. Elevterotypia (Freie Presse), To Ethnos (Die Nation), Kathimerini (Die Tägliche), Apogevmatini (Die Nachmittägliche) sowie die Wochenzeitung Prin (Zuvor) herangezogen, auch wenn nicht unbedingt alle Organe zitiert werden.
19) In einem Leserbrief stellte der in Athen lebende Heinrich Hall diese und andere Verdrehungen richtig. (FAZ, 15.12.08) In der FAZ darf sich der Vorsitzende des Athener Handelsverbandes auch unkommentiert darüber beklagen, seit 35 Jahren gäbe es kein Mittel gegen die RandaliererInnen. Wer rechnen kann, wird feststellen, dass sich hier jemand zum Terrorismus der Junta zurücksehnt. (FAZ, 11.12.08)
20) Glesos war einer der beiden Studenten, die während der Besatzung das Symbol des Faschismus vom Wahrzeichen der Stadt entfernten, allerdings "vermummt" von der Dunkelheit der Nacht. Er war in seinem Leben vielfach inhaftiert und wurde zweimal zum Tode verurteilt.
21) Synaspismos gehörte zu den maßgeblichen Unterstützern des Europäischen Sozialforums in Athen 2006. Ihr Vorsitzender Alekos Tsipras ist im Gegensatz zu den anderen Parteivorsitzenden mit Mitte 30 sehr jung.
22) Vgl. die erste Erklärung der Besetzer in deutscher Übersetzung: http://www.fau.org/artikel/art_081209-141610
23) Waldbrände treten fast jeden Sommer in Griechenland auf, häufig ist Brandstiftung die Ursache, da laut Verfassung in als "Wald" deklarierten Gebieten nicht gebaut werden darf. Die Regierung der Nea Dimokratia hat die rechtliche Umwandlung von Wald in Bauland erheblich erleichtert. Seit dem Zusammenbruch der new economy haben die Grundstücksspekulation und damit das Waldbrandrisiko erheblich zugenommen. Es ist bezeichnend, dass einer der größten Skandale der letzten Jahre, in dessen Zentrum neben der Regierung das Kloster Vatopedio steht, u.a. mit Grundstücks- und Immobilienspakulationen zu tun hat.
24) Auf der Seite der FAU gibt es eine deutsche Übersetzung der Erklärung der BesetzerInnen: www.fau.org/artikel/art_081217-132319. Die Originalseite war auch nach dem Ende der Besetzung noch online: http://gseefreezone.blogspot.com/
25) http://katalipsihsap.wordpress.com/ Dort findet sich auch eine deutsche Version der Erklärung der BesetzerInnen.
26) Die Arbeiterzentren ("Ergatika Kentra", EK) sind entfernt mit den DGB-Ortskartellen vergleichbar, also branchenübergreifende Dachverbände auf lokaler Ebene.
Aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 535 / 16.1.2009
Originaltext: http://www.akweb.de/ak_s/ak535/18.htm