Erich Fliegenbein - Anarchokommunismus: Eine Welt zu gewinnen!
"Ich bin Anarchist!
Warum?
Ich will nicht herrschen, aber auch nicht beherrscht werden!"
(John Henry Mackay)
Anarchokommunismus: Haarspalterei?
Der Anarchismus stellt ein sehr heterogenes Gebilde dar, sowohl was Theorie als auch Praxis anbelangt. Es gibt nicht DEN Anarchismus schlechthin, sondern es existieren mehrere, sich zum Teil ergänzende, überlappende oder auch widersprechende anarchistische Theorien, Ansichten und Modelle. Eine dieser zahlreichen Entwürfe stellt der Anarchokommunismus dar. Es handelt sich hierbei um die wohl weit verbreitetste Form des Anarchismus. Zu seinen klassischen und bekanntesten VertreterInnen gehören z.B. Kropotkin, Mühsam, Goldman, Berkman, Most, Malatesta oder Reclus.
Die Ursprünge des Anarchokommunismus gehen auf die Zeit der Ersten Internationale (1861-1871) zurück, also jene Zeit wo noch antiautoritäre (der Flügel zu welchem auch Bakunin zählte) und autoritäre (Marx & Co.) SozialistInnen gemeinsam in der Internationalen vertreten waren. Sehr oft wird der Begriff Anarchokommunismus synonym benutzt mit antiautoritärer Sozialismus, libertärer Kommunismus, anarchistischer Kommunismus oder schlicht und einfach Anarchismus.
Einige werden sich jetzt wohl am Kopf kratzen und fragen wieso ich hier auf diese scheinbare Haarspalterei poche. Nun, ich selber bezeichne mich auch als Verfechter des Anarchokommunismus, das heißt sehe in dieser anarchistischen Richtung die besten Möglichkeiten die Welt zu verändern und jene Gesellschaft herbeizuführen in welcher ich gerne leben möchte. Ich finde es wichtig auf dem Begriff Anarchokommunismus zu bestehen, um klar und deutlich zu kennzeichnen, daß ich mich von IndividualanarchistInnen oder sogenannten AnarchokapitalistInnen abgrenze.
Jedenfalls scheint es mir sehr wichtig zu betonen, daß Kommunismus nicht gleich Kommunismus ist. Ich selber habe die Bezeichnung (oder Etikettierung, wie mensch es halt nimmt) Anarchokommunismus lange Zeit nicht verwendet. Einfach aus dem Grund, daß der Begriff Kommunismus stets in Beziehung zum Marxismus und seinen diversen Schulen (Trotzkismus, Leninismus usw.) gesehen wird, also zum sogenannten Staatskommunismus oder autoritären Parteikommunismus. Der Anarchokommunismus hat mit marxistischen oder marxschen Spielereien rein gar nichts am Hut, und ist auch keine Mischung aus Anarchismus und Marxismus, wie es leider immer noch gerne geglaubt wird. Es handelt sich vielmehr um eine gänzlich andere Form des Kommunismus. Diese beiden Formen des Kommunismus sind zum Teil derart unterschiedlich, daß die VertreterInnen beider Richtungen oft nicht einmal zusammen arbeiten können, da es ständig zu Streitereien bezüglich Ziel und Mittel des politischen Kampfes kommt. Wenn ich im nachfolgenden also von Kommunismus sprechen werden, so ist dies stets in anarchistischer Hinsicht gemeint.
Ich möchte den Begriff und die Ansichten des Anarchokommunismus in zwei separaten Teilen behandeln. Einmal unter dem Aspekt des Anarchismus und einmal unter dem Gesichtspunkt des Kommunismus. Wobei ich aber erwähnen möchte, daß diese scheinbare Trennung rein rhetorischen Ursprungs ist, das heißt nur des Verständnis und der Anschaulichkeit wegen dient. Anarchismus und Kommunismus sind für mich nicht voneinander trennbar. Das eine bedingt das andere, wie ich etwas später noch darlegen werde.
Was ist Anarchismus?
"Anarchismus ist die Lehre von der Freiheit als Grundlage der menschlichen Gesellschaft" (Mühsam, 1978, Seite 8)
Der Anarchismus als Idee und Bewegung strebt die Herstellung der Anarchie an, also die nicht-hierachische, herrschaftslose, sich selbst regulierende, freie und egalitäre Gesellschaft. Ziel ist es daher die Klassengesellschaft und jegliche Form der Ausbeutung und Unterdrückung, wie wir sie heute leider immer noch kennen, abzuschaffen. Wir streben also eine gerechte Gesellschaft an, in welcher alle Menschen gleich sind und die künstlich konstruierten Grenzen und Unterschiede (Rasse, Klasse, Nationalität usw.) verschwunden sind. Kurz, eine Menschengesellschaft, um es mit Erich Mühsam zu sagen.
Zentraler Dreh- und Angelpunkt des anarchistischen Denkens und Handelns ist stets die Freiheit. Diese kann nur hergestellt werden, wenn jedwede Form der Machtausübung über Menschen verschwindet, aus diesem Grund verneinen AnarchistInnen die Macht und die Autorität in der gesellschaftlichen Organisation. Macht und Freiheit schließen sich gegenseitig aus. Macht ist unweigerlich an Autorität gebunden. "Wo Autorität Eingang hat, kann, sich Macht festsetzen, wo Macht waltet, schafft sie der Autorität immer neue Zugänge" (Mühsam, 1978, Seite 39). Damit Autorität überhaupt wirken kann, muß das Selbstbewußtsein und das Rechtsgefühl der Menschen gebrochen werden. Wir leben derzeit immer noch in einer Welt, wo dies eindeutig der Fall ist. Von klein auf werden wir unterdrückt und derart sozialisiert und manipuliert, daß wir unsere Selbstverantwortung und unser Selbstvertrauen verloren haben, ja erst gar nicht erlernt haben. Die Herrschenden und alle erzieherischen Institutionen wollen uns glauben lassen, daß wir ohne Autoritäten (sogenannte Fachkräfte) nicht leben können. Sie existieren anscheinend nur zu unserem eigenen Wohl. Alles Lüge!
Wir AnarchistInnen hingegen sind der Auffassung, daß der Mensch als soziales Wesen, sehr wohl weiß wie er zu leben hat und auch vollkommen in der Lage ist dies zu tun. Lediglich die herrschende Autorität hindert ihn daran, sein Leben eigenständig und nach seinen Regeln und Wünschen zu gestalten. Sobald es keine repressiven Organe und Institutionen mehr gibt, die nur darauf aus sind ihre Macht zu erweitern und aufrechtzuerhalten, werden die Menschen anfangen aufzuatmen, befreit vom Jahrtausende langen Joch der Ausbeutung, Unterdrückung und Unmündigkeit. Der Anarchismus geht davon aus, daß es eine gesellschaftliche Ethik gibt, die jedem Menschen inne ist, aber unter den derzeitigen gesellschaftlichen Gegebenheiten, nicht zum Ausdruck kommen kann. Hierin unterscheiden wir uns auch grundsätzlich vom Marxismus, welcher zwar auch die Anarchie als Endziel anstrebt, jedoch die Übernahme des Staates unter Führung der Proletariats als Ziel ansieht. Der Marxismus glaubt, daß die Menschen noch nicht fähig sind, ohne Autorität und Herrschaft leben zu können. Dem widersprechen wir AnarchistInnen grundsätzlich. Das Gefühl für Recht und Unrecht gehört zum sozialen Bewußtsein des Menschen. Selbstverständlich verstehe ich unter Recht und Unrecht etwas komplett anderes als es die bürgerliche, herrschende Auffassung (z.B. Gesetzbuch usw.) propagiert und vertritt. Nämlich einfach das Wissen wie mensch in einer freien, egalitären Gesellschaft leben kann, ohne dabei andere Menschen zu mißbrauchen.
Aus diesen Gründen lehnen AnarchistInnen auch jegliche Form der Ausbeutung und Unterdrückung ab, egal ob unter dem Deckmantel der Religion, des Staates, des Kapitals, der Schule, der Armee oder was auch immer. Der einzelne Mensch ist selbst verantwortlich für sein Leben. Autoritäten und sogenannte StellvertreterInnen (weil PolitikerInnen sind dies ja) dienen in der Regel nur der Abgabe der Verantwortung an andere. Dies dann allerdings mit der Einbuße, daß die eigene Entscheidungsfreiheit arg eingeschränkt wird. Meines Erachtens nach sollen alle Menschen an den gesellschaftlichen und politischen Entscheidungen teilnehmen können und dürfen. Solche Mitbestimmungen sollen tagtäglich und auf jeder Ebene möglich sein, und nicht nur alle 4 Jahre per Stimmzettel und Kreuzchenmalen. Deshalb lehnen wir autoritäre FührerInnen strikt ab.
Ich möchte aber erwähnen, daß es dennoch sowas wie anarchistische FührerInnen gibt. Allerdings mit dem großen, entscheidenden Unterschied, daß diese nicht FührerIn sind, weil sie Macht, Geld oder was auch immer besitzen, sondern Kompetenzen und von allen Mitgliedern der Gesellschaft geschätzt werden. Außerdem sind sie jederzeit absetzbar und austauschbar. Sie dienen nicht ihren eigenen Interessen, sondern ausschließlich dem Allgemeinwohl. Autoritäre FührerInnen hingegen treten, einmal auf dem Thron sitzend, ihre Macht nur sehr ungern wieder ab und werden alles daran setzen, daß es nicht dazu kommen wird.
Es besteht allerdings absolut keine Garantie, daß die höchste Autorität auch die fehlerloseste, tadelloseste, beste und alles wissende ist, weil ihre Autorität nicht auf Kompetenzen basiert, sondern auf absoluter Macht und meistens zugleich auf Besitztum. Bestes Beispiel stellen die PolitikerInnen dar, die meistens nur gewählt werden, weil sie die weißesten Zähne haben, die buntesten Wahlplakate oder am Besten zu Lügen wissen, nicht aber weil sie sich wirklich für die Interessen der Bevölkerung einzusetzen vermögen.
In der Anarchie werden die Menschen ihr Leben selber in die Hand nehmen und deshalb zum ersten Mal wirklich frei sein. Weil die Herrschenden alles zu tun beabsichtigen um die Macht zu erhalten und die großen Menschenmassen unter ihrer autoritären Führung zu halten, sind wir in ihren Augen Aufsässige und eine Bedrohung für ihre scheinheilige "Ordnung" (die in Wirklichkeit überhaupt keine ist). Wir wollen nicht wie etwa die StaatskommunistInnen, das gegenwärtige System übernehmen oder reformieren, sondern wir wollen es ein für allemal abschaffen und durch eine freie Gesellschaft ersetzen, welche auf Solidarität, Eigenverantwortung und gegenseitiger Hilfe basiert. Aus diesem Grund ist der Anarchismus in seiner Weltanschauung und Zielsetzung unbedingt revolutionär. Es gibt drei Grundwerkzeuge und -mittel des Anarchismus: Werbung (anarchistische Propaganda, eben genau was wir hier gerade tun), Selbsterziehung und Klassenkampf. Wir können uns nur selbst befreien! Deshalb lehnen AnarchistInnen auch jegliche Politik ab, die nicht unmittelbar und direkt die Befreiung der Menschheit zum Ziele hat. Wie es eben der Fall bei jeglichem Reformismus ist.
Viele AnarchistInnen glauben heute nicht mehr so recht an den revolutionären Klassenkampf, und setzen vielmehr auf Evolution statt Revolution. Ich finde, diese strikte Dichotomisierung einfach absolut falsch. Das eine schließt das andere keinesfalls aus. Dennoch bin ich persönlich der Meinung, und darin stimmen mir wohl die meisten AnarchokommunistInnen zu, daß es an uns ist die Gesellschaft zu verändern, und wir uns nicht gemütlich zurücklehnen sollten und auf evolutionäre Veränderungen warten sollten, weil die Evolution ist nun mal ein sehr langsamer und darüber hinaus sehr fragwürdiger Prozeß. Ergänzend dazu läßt die Evolution oder zumindest die Hoffnung an sie, den Herrschenden genügeng Spielräume offen, die Bevölkerung wieder zu manipulieren und neue Taktiken auszuhecken. Die Revolution hingegen geht rasch von statten und läßt keinen Platz für reformistisches Übel.
Es gibt in der gegenwärtigen Gesellschaft zwei große Klassen von Minoritäten: die Herrschenden und die Revolutionäre. Der Großteil der Normalbevölkerung bewegt sich irgendwo dazwischen. Die Revolutionäre wollen die Macht und all ihre Instrumente abschaffen. Ziel der Herrschenden ist es die Normalbevölkerung dahingehend zu instrumentalisieren, manipulieren und sozialisieren, daß diese sich auf ihre Seite stellen und das Vorhaben der Revolutionäre zu Nichte machen. Dies passiert maßgeblich mittels Diffamierung und Fehlinformationen. So zum Beispiel durch die Verbreitung der Lüge, daß der Mensch von Natur aus schlecht ist und, daß die diversen Interessen der Menschen einander dermaßen entgegengesetzt sind, daß nur höhere Gewalt sie in Einklagn bringen kann. Wer hat nicht schon das Vorurteil gehört, daß ohne Polizei ein einziges Riesenchaos ausbrechen würde, und alle nur noch am Plündern und Morden wären. Eben genau durch solche Fehlannahmen findet der Staat und auch die Religion ihre Daseinslegitimation.
Es gibt zwei Grundarten um das Leben sicher und angenehm zu gestalten: entweder durch Kampf oder durch gegenseitige Hilfe. Derzeit und so war es leider die letzten Tausend Jahre auch der Fall, herrscht der Kampf vor. Es ist dies ein egoistischer Ellbogenkampf. Übersehen wird dabei, daß Solidarität und gegenseitige Hilfe ein wahrhaft menschliches und gesellschaftliches Prinzip ist, mit welchem wir weit mehr erreichen können als mit indivuellem, egoistischen Kampf. In der Menschheitsgeschichte wurde bisher sehr selten an die edlen "Instinkte" der Massen apelliert, deshalb erscheint es mir lächerlich und grotesk davon auszugehen, daß der Mensch von Natur aus böse sei und zu einer herrschaftslosen Gesellschaftsform nicht fähig sei.
"Kein Mensch ist von Natur aus böse, er wird es nur, wenn es ihm zum Vorteil gereicht, es zu sein" (Ramus, 1921, Seite 67)
Nicht der Mensch ist schlecht, sondern die Umstände machen ihn erst so. Ist der Mensch nämlich böse und schlecht, so müssen die Herrschenden dies ja notgedrungen auch sein, und weshalb nehmen sie sich dann das Recht über andere zu herrschen. Irgendwie ein Widerspruch in der herrschenden Logik, die davon ausgeht, daß Unterwerfung und Beherrschung der Menschen die einzige Grundlage für Frieden und Ordnung ist. Der Anarchismus hingegen entzieht dem Bösen seine Närquellen, nämlich die Ursache von Untertänigkeit und Autorität: der Vorteil. In der Anarchie ist gut und gerecht sein vorteilhafter. Der Widerspruch zwischen Individuum und Klasse wird gänzlich aufgehoben, weil das Prinzip der gegenseitigen Hilfe zur Anwendung kommt und die Menschen in der Gemeinschaft aufgehen können. Im Kapitalismus (egal welcher Form) herrscht das Prinzip der individualistischen, egoistischen Tätigkeit, und nicht Solidarität und Liebe.
Der von Sigmund Freud postulierte Todestrieb (Thanatos), also die angeborene Destruktivität, lehnen AnarchistInnen schärfstens ab. Destruktivität ist entweder eine Folge von Frustration oder aber sie das Resultat eines Lernprozesses. Sie kommt in der gegenwärtigen Welt nur deshalb so oft zum Tragen, weil wir schon als Kleinkind ihre Anwendung lernen. Schließlich basiert das gesamte Herrschaftssystem auf der Ausübung von Gewalt und Destruktivität. Wer die Macht hat, hat eben das Sagen und kann diktieren wo es lang geht. In der Anarchie wird es keine Macht mehr geben, deshalb auch keine Möglichkeit der Unterdrückung und Ausbeutung. Gewalt und Destruktivität müssen dann notgedrungen erfolglos ins Leere schlagen und auf diese Weise wird ihre Anwendung verschwinden, weil keine Vorteile mehr damit zu erzielen sind.
"Wir verstehen unter Kommunismus die auf Gütergemeinschaft beruhende Gesellschaftsbeziehung, die jedem nach seinen Fähigkeiten zu arbeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen zu verbrauchen erlaubt" (Mühsam, 1978, Seite 9).
Wieso gerade kommunistisch?
Ich beabsichtige mit diesem Artikel oder kleinen Einführung in die Theorie des Anarchokommunismus, den Begriff "Kommunismus" von einigen negativen Vorurteilen zu bereinigen, die maßgeblich vom Marxismus und der bürgerlichen Anwendung herrühren.
Die Freiheit jedes einzelnen Menschen gilt als oberstes, primäres Ziel all unserer politischen Tätigkeiten. Diese Freiheit des einzelnen ist nur gewährt wenn alle anderen auch frei sind. Freiheit ist ohne Gleichheit nicht möglich. Eine Voraussetzung für diese Gleichheit ist unseres Erachtens nach das kommunistische Wirtschaftssystem, in welchem es auf Grund des Fehlens von Privateigentum und Monopolstellung keine Unterschiede mehr zwischen den Menschen gibt. Das Wesen der Gleichheit besteht für den Anarchokommunismus in gleichen Rechten für alle Menschen, das heißt vor allem gleiche Entwicklungs- und Betätigungsmöglichkeiten. Dies ist keinesfalls mit Gleichmacherei zu verwechseln, wie es irgendwelche reaktionären, bürgerlichen Schreiberlinge immer gerne darstellen. Wir wissen schon, daß es intradindividuelle Unterschiede gibt, ja wir ersehen diese sogar als wünschenswert, bereichern sie doch unser Leben. Allerdings sollten diese Unterschiede, nicht zum Vorteil für die einen und zum Nachteil für die anderen werden.
Freiheit (Anarchismus) und Gleichheit (Kommunismus) gehen Hand in Hand und bedürfen und bedingen einander gegenseitig. "Freiheit ohne Sozialismus bedeutet: Vorteile für wenige, also Ungerechtigkeit! Sozialismus ohne Freiheit bedeutet: Sklaverei, also Kadavergehorsam!" (Bakunin, 1876). Das heißt der Kommunismus alleine ist für uns nicht wünschens- und erstrebenswert, weil es sich dann schlußendlich nur um eine neue Form des Kapitalismus handelt, den sogenannten Staatskapitalismus. Der Anarchokommunismus hingegen erstrebt die Vereinigung der politischen mit der ökonomischen Freiheit. Der Kommunismus ist für die AnarchokommunistInnen keine Gesellschaftsform, wie es die MarxistInnen postulieren, sondern lediglich ein Wirtschaftsmodell. Freiheit ist unmöglich ohne entsprechende ökonomische Grundlage, und eben diese liefert der Kommunismus. Erst durch die Hinzunahme von anarchistischen Ansätzen, kann daraus eine Gesellschaftsform werden.
Das momentane kapitalistische System und mit ihm jegliche Staatsform basiert auf Klassengesellschaft, Monopolstellung und Privateigentum. Die Menschen müssen einen erheblichen Teil ihres Lebens am Arbeitsplatz verbringen. Da bleibt sehr wenig Zeit für die persönliche Entfaltung. Außerdem wirkt die Arbeit in der Regel entfremdend und bringt nicht wirklich Erfüllung. Darüberhinaus werden sie noch schlecht bezahlt, während die Reichen und Herrschenden groß absahnen können. Das Kapital regiert immer noch die Welt, und ohne Kohle läuft halt wenig bis gar nichts mehr. So werden wir abhängig von unseren SchächterInnen gehalten. Wir verdienen nie genug um nicht mehr arbeiten zu müssen, aber gerade noch genug, damit wir uns reproduzieren können. Das Lohnsystem hält uns bewußt und gezielt in Abhängigkeit. So kommt es, daß wir uns einschränken müssen, einfach weil unser Geld zu knapp und die Preise zu hoch sind. Je ärmer desto abhängiger und um so leichter zu beherrschen. Was ja genau die Absicht der Herrschenden und Reichen ist, weil sie nur auf diese Weise dieses neofeudale System aufrechterhalten können. "Wer nach Macht strebt, kann sein Ziel nur erreichen, indem er andere ohnmächtig macht" (Mühsam, 1978, Seite 36).
Die Voraussetzungen und Bedingungen in dieser Gesellschaft sind nicht für alle gleich. Je nachdem in welcher Region ich geboren werde oder welchen sozialen Statuts meine Eltern inne haben, bin ich besser oder eben halt schlechter dran. Der Reichtum entsteht nicht etwa durch persönliche Arbeit oder Fähigkeiten, sondern einzig und alleine durch die Ausbeutung der Arbeit anderer. Durch die Monopolstellung, welche Kapital und Eigentum verleihen, ist es möglich die Abhängigkeit der Massen aufrecht zu erhalten und ungleiche Voraussetzungen herzustellen. Eben weil es im Kapitalismus durchführbar ist über Dinge zu herrschen, und andere Menschen von deren Benutzung auszuschließen. Diese Monopolisierung ist allerdings nur möglich, weil die Menschen glauben, sie wäre auch für sie selbst zweckdienlich. Hierbei handelt es sich um eine weitere Strategie der Herrschenden. Sie wollen uns glauben lassen, daß doch alles nur zu unserem Besten passiert. In Wirklichkeit werden aber Gegensätze zwischen den Individuen geschaffen, was wiederum der Solidarität entgegenwirkt und die Freiheit unmöglich macht (da Freiheit eben Gleicheit voraussetzt).
Worin aber besteht nun der Kommunismus? Er beinhaltet vor allem 3 grundlegende Elemente und Forderungen: keine Monopolisierung; Lebensbedingungen für alle, so daß keine Ausbeutung nötig und möglich ist; und schlußendlich freies Zutrittsrecht zu allen Arbeitsstätten, freies Benützungs- und Nutznießerrecht.
Das Recht auf Leben, Nahrung, Unterkunft, medizinische Versorgung, Bildung usw. stellt unserer Ansicht nach ein primäres Bedürfnis des Menschen dar. Und eine Gesellschaft, welche diesem Recht nicht nachkommen kann, hat in unseren Augen eindeutig versagt, und gehört abgeschafft. Allerdings sind wir nicht der marxistischen Ansicht, daß es alleine genügt die materiellen, sprich wirtschaftlichen Umstände zu ändern, um dann die ersehnte Gesellschaft herbeizuführen. Es ist nicht ausschließlich das Sein welches das Bewußtsein bestimmt, sondern auch andersherum.
Die drei, eben kurz erwähnten Forderungen werden im Kommunismus durch die Abschaffung des Privateigentums und die Überführung in Gemeineigentum (nicht zu verwechseln mit Staatseigentum) erfüllt. Im Anarchokommunismus bewirtschaften die Menschen das Gemeineigentum zusammen. Es herrscht also Selbstverwaltung, wo jedermensch ein Mitspracherecht hat und alle Stimmen gleich viel wert sind. Hierdurch fallen VertreterInnenposten und all dergleichen hinderlichen Krims Krams weg. Wo immer die Zuständigkeit von AuftraggeberInnen und Beauftragten getrennt ist, kann von gemeinschaftlichem Nutzen nie die Rede sein. Das Privatinteresse eines/einer jeden einzelnen stellt eine ungeheure "Triebfeder" dar. Deckt sich dieses private Interesse mit dem gesamtgesellschaftlichen, so wird der/die einzelne alles daran setzen, daß die Gemeinschaft nur si aufblühen wird.
Ich möchte noch kruz ausholen und den Unterschied zwischen Eigentum und Besitztum anführen. Proudhon hat es mit der Formel "Eigentum ist Diebstahl" auf den Punkt gebracht, daß der gesellschaftliche Reichtum eigentlich gesellschaftlich produziert ist, also aus diesem Grund nicht von einzelne vereinnahmt werden kann oder sollte. "Alles soll allen gehören!" (Kropotkin). Unter Eigentum verstehen wir all jene Güter und Wertobjekte, die nicht dem direkten Gebrauch dienen, sondern einzig und alleine der Kapitalanhäufung und somit der Monopolherstellung dienen. Besitztum hingegen umfaßt jene Dinge, die wir alltäglich gebrauchen. Diese Verbrauchsgegenstände zu vergesellschaften maßt sich keineR an, weil sie oft Teil der individuellen Persönlichkeit darstellen. Anders verhält es sich mit dem Eigentum. Dieses findet oft keine Verwendung (z.B. leerstehende Häuser oder brachliegende Felder), obschon viele andere Menschen es dringeng zum Überlebene benötigen würden. Eben genau diese Art des Eigentums wollen wir abschaffen und dem Gemeinwesen zur Verfügung stellen. Dadurch wir das Monopol des Besitzes und der Macht gebrochen werden. Durch die Entmonopolisierung und Enteignung kommt es zu einer Aufhebung der Trennung zwischen Individuum und Gesellschaft. Das Wohl aller wird durch den Reichtum der Gemeinschaft gesichert. Gemeinschaftseigentum und Privatbesitz statt Monopoleigentum!
Der kommunistische Grundsatz lautet "JedeR nach seinen/ihren Fähigkeiten, jedem/jeder nach seinen/ihren Bedürfnissen". Im Anarchokommunismus haben die Menschen selber das Recht zu bestimmen wie der erwünschte Wohlstand aussehen soll. Das Recht auf Wohlstand stellt somit eine der wichtigsten Forderungen des Anarchokommunismus dar. Es ist dies die Möglichkeit als menschliches Wesen zu leben. Während das Recht auf Arbeit nur weitere LohnsklavInnen hervorbringt. "Fort also mit jenen zweideutigen Forderungen, wie 'das Recht auf Arbeit' oder 'Jedem der vollständige Ertrag seiner Arbeit'. Was wir proklamieren, das ist das Recht auf Wohlstand, den Wohlstand für alle" (Kropotkin, 1989, Seite 9). Das sozialistische Ideal "Wohlstand für alle" ist also das Ziel, die Expropriation hingegen das Mittel.
Das freie Genußrecht stellt eines der wichtigen Momente der freien Gesellschaft dar. Nur auf diese Weise ist Freiheit wirklich umsetzbar. Ein Mensch kann nur frei sein, wenn er keine ökonomischen Sorgen hat und sich nicht in einer Lohnabhängigkeit befindet. Wenn aber alle Grundgüter frei verfügbar sind, das heißt die Menschen gesättigt sind, ist es automatisch viel schwierigersie zu beherrschen. Nur jene sind beherrschbar sind, die auch abhängig sind (egal ob Lohn oder Religion). Nur wer keine Angst vor Hunger oder Armut hat, ist wirklich unabhängig und frei. Da in einer anarchokommunistischen Gesellschaft die Basis für diese Angst eliminiert ist, wird es keine Abhängigkeit mehr geben, und aus diesem Grund nur noch Freiheit.
Einhergehend mit der Expropriation geht die gleichzeitige Abschaffung des Lohnsystems und des Kapitals (Geldakkumulierung und -verkehr) schlechthin. Wir wollen nicht, wie etwa die sogenannten AnarchokapitalistInnen (z.B. Silvio Gesell) das Lohnsystem reformieren. Nein! Wir wollen das Geld gänzlich abschaffen, weil Geld immer automatisch als Synonym für Machtausübung und Monopolstellung steht. Wir wollen den Geldverkehr durch einen freien Warenaustausch auf freiwilliger Vereinbarung und durch das freie Genußrecht ersetzen.
Die Abschaffung des Eigentums, also die Durchsetzung des Kommunismus schlechthin, geht unweigerlich einher mit der Beseitigung des Staatssystems. Jegliche Form der Autorität muß zerschlagen werden. Das Möglichkeitsfundament, wie Pierre Ramus es ausführt, eines jeden Monopols liegt im Wesen des Staates selbst. Aus diesem Grunde muß die Abschaffung des Eigentums gleichbedeutend sein mit der Zerschlagung des Staates. Kommunismus kann also immer nur antistaatlich sein. Staat und Kommunismus widersprechen sich einfach. Das Wesen des Staates besteht aus Bürokratie und VertreterInnentums, also Prinzipien welche dem Kommunismus diametral entgegenstehen. Infolgedessen stellt der Staatskommunismus einen Widerspruch in sich dar.
Arbeit und Ökonomie aus anarchokommunistischer Sicht
Das heute vorherrschende Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, also der neoliberale Kapitalismus, basiert immer noch auf Lohnsklaverei und Profitmaximierung. Grundziel ist das Wachstum des Kapitals, und zu diesem Zwecke sind den Herrschenden und Reichen nun mal alle erdenklichen Mittel recht. Durch übermäßigen Konsum wird bei uns die Illusion der Freiheit aufrechterhalten. So sind Produktion und Konsum mittlerweile zum Hauptlebensinhalt des Menschen in der westlichen Welt geworden. Während im letzten Jahrhundert die Entfremdung ausschlaggebend durch die Lohnarbeit bedingt war, kam im Laufe dieses Jahrhunderts der Massenkonsum hinzu. Mittels Werbung und Medien werden wir dahingehend manipuliert, daß wir glauben im Konsum Erfüllung und Trost finden zu können. Oft konsumieren wir Artikel, die wir eigentlich gar nicht benötigten, wenn wir nur etwas selbstkritischer wären, würden wir dies sehr rasch erkennen. Weil der Mensch, oder wie Erich Fromm es so schön formuliert der "homo consumens" absolut entfremdet ist, ist er zugleich apathisch. Er läßt sich somit fast alles von den Herrscheden gefallen und unterwirft sich deren Diktat.
Der Anarchokommunismus möchte die Produktion und die Industrie reorganisieren, so daß nur das produziert wird, was sozial sinnvoll ist. Der Massenkonsum und der enormen Umwelt- und Resourcenverschleiß wird auf diese Weise automatisch abnehmen. Nicht der "maximale Konsum", sondern vielmehr der "optimale Konsum" ist unser Ziel. Unter diesem Begriff, der übrigens auch von Erich Fromm stammt, verstehen wir nichts anderes als das freie Genußrecht. Die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse steht im Vordergrund, allerdings nicht auf Kosten von Mitmenschen, Fauna und Flora.
Derzeit gibt es im Bereich der Produktion eine bewußte und direkte Einschränkung, nämlich dadurch, daß wenige Personen viel besitzen. Hinzukommt noch eine unbewußte und indirekte Einschränkung, und zwar durch die Herstellung von unnützen Produkten. Auf diese Weise gehen nicht nur Ressourcen und Energie verloren, sondern auch sehr viel Arbeitszeit wird beansprucht. AnarchokommunistInnen streben eine erhebliche Reduzierung der Arbeitszeit und des Arbeitsaufwandes an. Der heutige Mensch verbringt immer noch 1/3 seiner Tageszeit mit Arbeiten. Da bleibt am Ende wenig Zeit für die eigenen Entfaltung, künstlerische Bedürfnisse usw. Es gibt einige Modelle der Arbeitszeitreduzierung , die auf wenige Stunden pro Woche kommen. Der Mensch lebt schließlich nicht alleine für die Arbeit. Wir wollen das Paradies ja auf Erden erschaffen und lassen und nicht auf eine spätere Welt trösten. Wenn die Menschen mehr Freizeit haben, werden sie auch mehr Zeit für die Gemeinschaft opfern können und dies auch gerne tun.
Die Abschaffung der Lohnarbeit geht einher mit der Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit. Beide Arten der Arbeit sind durchaus vereinbar. Ja, eine Kombination erhöht sogar die Möglichkeit der Identifizierung und wirkt der Monotonie entgegen. Gleichzeitig wollen wir die dichotome Trennung zwischen ProduzentInnen einerseits und KonsumentInnen andererseits abschaffen. Nur wer selber auch konsumiert, weiß was benötigt wird und kann dies nach Bedarf herstellen. Dadurch ist es möglich, daß die Arbeit wieder einen Sinngehalt enthält und somit der Entfremdung entgegengewirkt werden kann. Aus diesem Grund, und weil die Arbeitszeit stark reduziert ist, wird auch die Arbeitsunlust verschwinden. Dadurch wird die Erzeugungsmotivation und -fähigkeit automatisch in die Höhe schnellen.
Die ökonomischen Verhältnisse müssen auf freiwilligen Produktions- und Verbrauchsgemeinschaften basieren. Eine Dezentralisation der Industrie und eine Arbeitseinheit ist in diesem Zusammenhang dringend geboten. Nur auf diese Weise ist die Produktion den menschlichen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten.
Die anarchokommunistische Gesellschaft
Eng in Zusammenhang mit der Dezentralisation der Industrie steht auch die Aufhebung der strikten Trennung zwischen Stadt und Land. Der Anarchokommunismus beabsichtigt, die Städte freundlicher und natürlicher zu gestalten und dem Land wieder mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Derzeit sind Wohn- und Arbeitsplatz oft weit von einander entfernt. Durch die Zusammenlegung beider Bereiche, könnten wir viel an Zeit und Energie (Benzin) sparen, und darüber hinaus die Umwelt schonen.
In der Anarchie werden sich die Menschen freiwillig zusammentun, und zwar auf Grund von Gesinnung, Aufgaben oder Örtlichkeit. Überall werden autonome Kommunen entstehen, die sich ganz selbständig organisieren. Wie die Strukturierung dieser Kommunen genau aussehen wird, bleibt den einzelne Mitgliedern überlassen (z.B. anarchokommunistische oder kollektivistische Gemeinden).
Ich persönlich strebe jedenfalls ein System von amorphen Verbindungen auf freier Vereinbarung an. Einzelne anarchokommununistische Kommunen werden in freiwilligen Austausch von Waren und Produkten treten. Dabei wünsche ich mir persönlich keine Strukturierung von unten nach oben, wie es Bakunin in etwa vorgeschlagen hat, weil dies nur eine andere Form der Hierarchisierung ist, wenn auch eine demokratischere. Sondern ich plädiere vielmehr für eine föderative Struktur, also ohne VertreterInnen und Delegierte. Der Föderalismus steht dem Staatsprinzip diametral entgegen, weil die Zusammengehörigkeit zu den einzelnen Kommunen auf freiwilliger Basis passiert, und nicht durch gesetzlichen Zwang. Das heißt die natürlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen machen die Zusammensetzung dieser Kommunen aus.
Daß diese autonomen Kommunen nicht mehr nach Ländern und Nationen ausgerichtet sind, glaube ich nicht mehr erwähnen zu müssen. Der Anarchokommunismus kennt weder Nationalitäten und noch Staatsgrenzen an.
"Tausend Gesellschaften werden entstehen, entsprechend ebenso vielen Geschmacksrichtungen und allen denkbaren Bedürfnissen." (Kropotkin, 1989, Seite 84).
In der anarchokommunistischen Gesellschaft müssen alle sozialen Bereiche einer Wandlung unterzogen werden (Gleichstellung von Frauen und Kinder, Tierrechte, Gefängnisse, Landwirtschaft usw.), weil nur auf diese Weise eine wirklich freie Entfaltung des Individuums möglich ist. Entscheidungen werden von allen Mitgliedern der Kommune gleichzeitig getroffen, und zwar nicht mehr nach dem Mehrheitsprinzip (egal ob absolut oder tendenziell), sondern nach dem Konsensusprinzip. Das heißt es wird so lange diskutiert und debattiert, bis alle sich mehr oder weniger mit dem Ergebnis identifizieren können. Nur auf diese Weise ist es möglich Herrschaft ganz auszuschalten. Ich weiß selber, daß das Prinzip des Konsensus sehr zeit- und energieaufreibend ist. Allerdings haben wir diese Art der Entscheidungsnahme nie wirklich erlernt und tun uns wohl deshalb so schwer damit.
Alles nur Utopie?
"Sowürde es einem Menschen ergehen, dessen Füße seit seiner Geburt gefesselt wären, aber so, daß er doch ein wenig gehen könnte; er würde vielleicht sagen, daß er sich darum bewegen kann, weil er Fesseln anhat, obgleich im Gegenteil die Fesseln ihn am freien Bewegen hindern." (Malatesta, 1977, Seite 8).
Wie heißt ein alter Sponti-Spruch der Pariser 68er Bewegung "Seid realistisch, fordert das Unmögliche!" Sehr oft wird uns AnarchokommunistInnen vorgehalten, unser erwünschtes Gesellschaftsbild sei zwar schön und wünschenswert, aber eben nicht in die Tat umsetzbar. Für Kropotkin jedenfalls steht fest, daß "(...) die Trägheit des Geistes die Klippe ist, an der alle Revolutionen bis zum heutigen Tage gescheitert sind" (1989, Seite 173). Einfach aus Mangel an mentaler Flexibilität und Vorstellungskraft. Wie kann ich von vornherein der Ansicht sein, daß der Anarchismus/Anarchokommunismus nicht durchführbar ist, wo er in der langen Menschheitsgeschichte noch nie so wirklich zum Blühen gekommen ist. Die wenigen Beispiele (freie Ukraine 1919, Spanien 1936), wo die Anarchie umgesetzt werden konnten, wurden nach kurzer Zeit wieder von der autoritären Herrschaftslogik heimgesucht und zerstört. Allerdings sind diese Modelle nicht an der Undurchführbarkeit des Anarchismus gescheitert, sondern wurden gewaltsam von außen gekippt.
Ich lehne es strikt ab die anarchistische Theorie als eine utopische darzustellen. An Utopien haftet immer der Hauch von unerreichbaren Träumen und Phantastereien gleichgesetzt. AnarchistInnen hingegen sind fest überzeugt von der Durchführbarkeit des Anarchismus. Nicht wir sind UtopistInnen, sondern jene die glauben, mit Kriegen den Frieden herstellen zu können und daß Kapitalismus Wohlstand für alle bedeutet. Der Anarchismus ist keine Theorie der Zukunft, sondern der Gegenwart. Den Trost auf eine spätere, bessere Welt überlassen wir ruhig den ReligioonsanhängerInnen.
Der Anarchokommunismus wirkt als lebendige Kraft in unserem alltäglichen Leben und schafft sich ständig neue Bedingungen. Der Anarchismus ist kein gewagtes Experiment, sondern eine Doktrin der sozialen Revolution. Die anarchistische Doktrin kann und soll nie fertig sein, sondern sie ist ständigen Modifizierungen unterlegen, weil die herrschenden Zustände auch einer dynamischen Veränderung ausgesetzt sind. Aus diesem Grunde sind etliche klassische, anarchistische Theorien und Ansichten längst überholt und nicht mehr zeitgemäß. Allerdings gibt es heutzutage immer weniger neue, aktuelle anarchokommunistische Ansätze (eine Ausnahme wäre z.B. der libertäre Kommunalismus von Bookchin). "Endgültigkeiten sind für Götter und Regierungen, nicht für den menschlichen Verstand" (Goldman, aus "Was ich denke"). Aus eben genau diesem Grund ist es auch nicht möglich und wünschenswert eine präzise Skizzierung der erstrebten anarchistischen Gesellschaft darzulegen. Dies kann immer nur individuell getan werden. Die jeweiligen Kommunen und Menschen müssen schon selber entscheiden wie sie sich organisieren möchten und welche Vereinbarungen sie zu treffen wünschen. Die föderative Struktur entspricht dabei am meisten den anarchokommunistischen Ansichten.
Ich möchte noch einmal kurz zusammenfassen, daß der Anarchismus eine Doktrin der sozialen Revolution ist, und nicht eine philosophische Lehre des Individuums oder des Menschen an sich. Dem Individuum kommt in seiner Theorie und Praxis eine wichtige Bedeutung zu, allerdings immer im Rahmen des gesamtgesellschaftlichen Kontextes. Der Mensch ist halt ein soziales Wesen und nur in diesem Zusammenhang zu verstehen.
Den Anarchismus als puren Lebensstil (life-style anarchism) lehne ich ab. Der Anarchismus ist eine sozialrevolutionäre Massenbewegung, deren Ziel nicht die Reform des alten Systems ist, sondern dessen Zerstörung und die Errichtung einer freien, egalitären, herrschaftslosen Gesellschaft. Eben eine Gesellschaft wo die Wurzeln des Übels und des Bösen beseitigt sind.
Der Weg dorthin führt über Werbung, Selbsterziehung und Klassenkampf (Revolution). Wobei ich aber anführen sollte, daß ich unter dem Begriff Klasse nicht mehr die alte Vorstellung subsumiere, sondern davon ausgehe, daß die Grenzen zwischen den Klassen von den Herrschenden bewußt schwammig gehalten werden. Es ist nicht der Lohn, welche die Zugehörigkeit zu einer Klasse determiniert, wie dies früher der Fall war, sondern vielmehr die Einstellung und die Beschäftigung.
Eine der Grundideen des Anarchokommunismus ist, daß die unterdrückten Klassen bereits heute die Fähigkeit haben die Gesellschaft eigenständig zu "leiten". Im Gegensatz zum Staatskommunismus, wo die Partei die Menschen erst erziehen muß. Wir glauben an die Selbstverantwortung des Menschen und seine soziale Ethik zwischen Recht und Unrecht entscheiden zu können, ohne daß ihm dabei eine Autorität im Nacken sitzen muß. Deshalb lehnen wir jegliche Form der Unterdrückung und Ausbeutung ab (Rassismus, Ageism, Sexismus, Faschismus usw.). Wir glauben ebenso an das menschliche Solidaritätsgefühl und das Prinzip der gegenseitigen Hilfe, welches im gegenwärtigen System unterdrückt wird. Wir brauchen keine Herrschenden, um unser Leben zu gestalten. Wenn wird uns gegenseitig helfen, können wir weit mehr erreichen, als wenn wir alle getrennt vorgehen.
Die Freiheit ist das höchste menschliche Gut. Der Kampf um diese Freiheit ist die Hauptaufgabe des Anarchokommunismus. Damit Freiheit möglich ist brauchen wir absolute Gleichheit. Letztere ist nur über den Weg des Kommunismus möglich. Fast alle Arten von Ungleichheit, Abhängigkeit und Unterdrückung in der gegenwärtigen Welt basieren auf der Lohnsklaverei und der Monopolstellung. Mit der Expropriation und der Einführung des Gemeinwesens, werden die Wurzeln jeglicher Ausbeutung und Unterdrückung eliminiert. Weil allen Menschen die Benutzung der Produktionsstätten und der Verbrauch von Waren frei zur Verfügung steht, wird niemensch sich mehr in Abhängigkeit begeben müssen. Das Wohlstand für alle ist das wichtigste Ziel des Kommunismus, und dieser kann nur durch ein freies Genußrecht gewährleistet werden.
Sehr wichtig in einer anarchokommunistischen Gesellschaft ist der Aspekt der Dezentralisation und der Autonomie. Die entstehenden Kommunen werden sich nicht mehr nach Gesetzen oder anderen Zwängen zusammensetzen und strukturieren, sondern nach den Wünschen und Vorstellungen ihrer Mitglieder. Heim und Arbeit sollen wieder zusammengelegt werden, zumindest näher als dies bisher der Fall gewesen ist. Das Leben der Menschen findet wieder in der Gemeinschaft statt, was zu einer stärkeren Verbundenheit mit der betreffenden Kommune führt. Auf diese Weise haben die Menschen auch Interesse daran, daß ihre Kommune oder Gemeinde funktioniert. Entscheidungen werden dabei nach gemeinsamer Übereinstimmung getroffen, einem grundlegenden anarchistischem Prinzip. Auf diese Weise wird die Gesellschaft von der Bevölkerung selber gestaltet werden, und nicht von irgendwelchen politischen VertreterInnen. So können sie in ihrem eigenen Interesse handeln, weil es ja schließlich sie selbst sind, die davon betroffen sind. Ausbeutung und Unterdrückung wird es keine mehr geben, weil alle damit verbundenen Vorteile und Mittel aufgelöst sind. Und die Menschen werden erstmals in wirklicher Freiheit leben können. Frei von jeglicher Bevormundung und Unterdrückung. In einer solchen Gesellschaft wird das Individuum erstmals seine Persönlichkeit voll und frei entfalten können und die Bedürfnisse eines jeden/einer jeden werden erfüllt werden können.
"Die staatlose Gemeinschaft freier Menschen, das ist Kommunismus, die Verbundenheit Gleicher in Freiheit, das ist Anarchie!" (Mühsam, 1978, Seite 68).
Laßt uns nach den schwarzen / schwarz-roten Sternen greifen!
Sie hängen tiefer als immer gedacht wird.
Verwendete Literatur:
- Anarcho-Communist Federation (Hrsg.) (1997). Resistance: A Revolutionary Manifesto for the Millenium. ACF: London
- Cantzen, R. (1987). Weniger Staat - mehr Gesellschaft. Freiheit - Ökologie - Anarchismus. Fischer: Frankfurt am Main
- Fontenis, G. Manifesto of Libertarian Communism. ACF: London
- Fromm, E. (1993). Über den Ungehorsam. DTV: München
- Goldman, E: Widerstand. Anarchistische Vereinigung Norddeutschland / Packpapier Verlag & Versand: Osnabrück
- Karin Kramer Verlag (Hrsg.) (1986). Was ist eigentlich Anarchie? Einführung in Theorie und Praxis des Anarchismus bis 1945. Karin Kramer Verlag: Berlin
- Kropotkin, P. (1989). Die Eroberung des Brotes. Trotzdem Verlag: Grafenau
- Malatesta, E. (1977). Anarchie. EMS: Meppen
- Mühsam, E: (1978). Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus? Klaus Guhl Verlag: Berlin
- Ramus, P. (1921). Die Neugestaltung der Gesellschaft durch den kommunistischen Anarchismus. Verlag Erkenntnis und Befreiung: Wien
- Reclus, E. (1984). Evolution und Revolution (3. Völlig neu bearbeitete Auflage). Libertad Verlag: Berlin
Aus: Libertad O Muerte! #8
Originaltext: http://members.landshut.org/Flexhead/Svaveldioxid/Ankom.html