"Kaufen für die Müllhalde" - über geplante Obsoleszenz

Der Dokumentarfilm "Die Wegwerfer - Kaufen für die Müllhalde" ist dem Konzept der geplanten Obsoleszenz auf der Spur, dem "geheimen Motor unserer Konsumgesellschaft". Darunter versteht man die bewusste Verringerung der Nutzungsdauer eines Produktes.

Am Beispiel der Glühbirne lässt uns der Film eine Station in der Geschichte der geplanten Obsoleszenz nachvollziehen: 1924 formierte sich das erste Kartell zur Kontrolle des Weltmarkts an Glühlampen. In den folgenden Jahren arbeiteten Ingenieure der beteiligten Konzerne daran, die Lebensdauer ihrer Lampen auf etwa 1000 Stunden zu limitieren. Überschreitung dieser Norm wurde durch das Kartell mit hohen Bußgeldern belegt. Die Bemühungen waren von Erfolg gekrönt - in den 1940ern hatte man die durchschnittliche Lebensdauer auf die erwünschte Kürze optimiert.

Ob bei iPods, Druckern oder Nylonstrümpfen, diese Form der "Optimierung" begegnet uns als Konsumenten alltäglich. Es ist nachvollziehbar, dass ein Unternehmen nicht riskieren möchte die Nachfrage der Konsumenten so nachhaltig zu bedienen, dass diese in Zukunft als Kunden ausbleiben. Das ist ein strukturelles Problem der kapitalistischen Marktwirtschaft. Während diese bisher ungekannten technischen Fortschritt hervorgebracht hat, stößt sie dabei an Grenzen. Es ist dysfunktional, die Langlebigkeit von Produkten so weit zu steigern, dass es zu einer Sättigung des Marktes und einem Versiegen der Nachfrage kommt. Geplante Obsoleszenz schafft Abhilfe, und kann insbesondere dann umgesetzt werden, wenn oligopolistische Bedingungen mit wenigen großen Anbietern am Markt herrschen.

Das konventionelle Bild einer kapitalistischen Marktwirtschaft ist, dass die Produktion von Nachfrage am Markt getrieben wird. Findet ein Unternehmen eine Marktlücke, also unerfüllten Bedarf von Konsumenten mit Kaufkraft, kann es dort Profite realisieren, Investitionen anziehen und die Produktion expandieren. Dabei garantiert Konkurrenz, dass sich der Anbieter durchsetzt, der die Nachfrage der Konsumenten bestmöglich erfüllt.

Nun ja, theoretisch. Vor allem unterschätzt diese Darstellung die Macht und Trägheit konzentrierten Kapitals. Hier wird unterstellt, dass sich teure Maschinen, nicht minder teure Bürokratien ("Management"), Investoren sowie ein Heer abhängiger Arbeitskräfte einfach so den unsteten Launen der Konsumenten ausliefern möchten. In Wirklichkeit kehrt sich die Reihenfolge von Angebot und Nachfrage um: Die Maschinerie läuft erstmal, und wenn du deinen Return on Investment, deinen Job im Management oder in der Produktion, deine wachsende Nationalökonomie mit geringer Arbeitslosigkeit auch morgen noch haben möchtest, sorgst du besser dafür, dass ihr Output auch morgen noch garantiert gekauft wird.

Eine Tatsache des real existierenden Kapitalismus ist also, dass viele Märkte sozialtechnisch geschaffen und aufrechterhalten werden müssen. Es muss also nicht bloß die Fabrikation von Konsumgütern, sondern auch die "Fabrikation" von Konsumenten professionell stattfinden. Zu den wichtigsten Werkzeugen gehören Werbung, Mode, und geplante Obsoleszenz. Es lohnt sich zu untersuchen, wie sehr die aktuelle Gesellschaft von der Erzeugung künstlicher Bedürfnisse (der Konsumenten) und künstlicher Bedürftigkeit (der Arbeitskräfte) abhängt, was vielleicht an anderer Stelle noch ausführlicher passieren kann.

Geplante Obsoleszenz gehört nicht nur zur Firmenpolitik einzelner Konzerne, sondern auch zur Politik im Großen. Einer der interessantesten Teile der Dokumentation befasst sich mit einem radikalen Vorschlag des amerikanischen Immobilienmaklers Bernard London. Londons Programm zur Zeit der "Great Depression", der schweren Wirtschaftskrise der USA in den 1930ern: "Ending the Depression through Planned Obsolescence". Zukünftig sollte jedes Produkt mit einem "Verfallsdatum" versehen werden, nach dessen Ablauf es zur Zerstörung abgegeben werden musste. Gegenstände über dieses Datum hinaus zu behalten sollte illegal werden. Es ist völlig plausibel, dass London nicht bloß auf staatlich garantierte Profite für private Unternehmen aus war, sondern sich angesichts der Wirtschaftskrise ernsthafte Sorgen um Wohlstand und gesellschaftliche Stabilität machte, sollte anhaltender Konsum nicht auf diese Weise garantiert werden.

Heute kommt uns eine derartige Maßnahme wohl extrem und abwegig vor. Eine solche Idee konnte nur einer Zeit entstammen, als wir den Planeten noch für eine unerschöpfliche Rohstoffquelle und eine bodenlose Müllhalde hielten.

Doch Erinnern wir uns an 2009, als eine erneute Wirtschaftskrise mit dem Ende der Welt wie wir sie kannten drohte. Politiker eilten zur Hilfe, schworen dem ungezügelten privaten Profitstreben ab und betonten die gemeinsame Verantwortung für das Wohl unserer Wirtschaft (ergo, die Notwendigkeit zur Sozialisierung der Krisenverluste). Nun trat die deutsche Bundesregierung gewissermaßen in die Fußstapfen von Bernard London: Auf Anregung der SPD (wen wundert es?) gewährte der deutsche Staat eine Prämie von 2500 Euro für die Verschrottung alter PKWs beim gleichzeitigen Kauf eines Neuwagens. Zwar hatten die gekauften Neuwagen teilweise einen geringeren Schadstoff- und CO2-Ausstoß, dennoch attestierten Kritiker der "Umweltprämie" (so die offiziöse Bezeichnung) eine beschämend schlechte Ökobilanz, vor allem da ein beträchtlicher Teil des Energieverbrauchs eines Autos beim Herstellungsprozess anfällt. Eine Nachrüstung alter Fahrzeuge mit Schadstofffiltern wurde hingegen nicht subventioniert. Hinzu kommt, dass die Altfahrzeuge verschrottet statt ins Ausland exportiert wurden, wo diese häufig noch umweltschädlichere Fahrzeuge hätten ersetzen können. Diese vom Staat durch das Setzen finanzieller Anreize geplante Obsoleszenz lief also bloß auf eine Subvention der Automobilindustrie hinaus, eine unter vielen erheblichen Subventionen für den Neustart des krisengeplagten Systems.

Wir müssen uns besser heute als morgen die Frage stellen, wie wir den Übergang zu einer nachhaltigen Ökonomie gestalten können, die all das nicht nötig hat. Insbesondere geht diese Frage an diejenigen, die eine minimale, "grüne" Anpassung des aktuellen Systems propagieren und damit gerade einige Wählerstimmen einsammeln konnten.

Wie kann man sich eine solche nachhaltige Ökonomie vorstellen? Dafür gibt es ein paar Anhaltspunkte: Mit großer Sicherheit wird sie nicht verschwenderisch mit knappen Ressourcen umgehen, während sie in Fülle Vorhandenes künstlich verknappt (nicht zuletzt all das Wissen und die Kreativität, die aktuell unter Berufung auf "geistiges Eigentum" von wenigen monopolisiert werden). Sie wird Ökosystemen und Gesellschaften weltweit nicht länger Müllberge aufbürden können, sondern wird es sich zur Aufgabe machen müssen den angerichteten Schaden zu reparieren. Sehr wahrscheinlich wird sie den Wachstumszwang über Bord werfen, der uns mit einer sozialen Krise bedroht, sobald die Menge an produzierten Gütern einmal nicht wächst. Sie wird stattdessen die Produktion an menschlichen Bedürfnissen ausrichten, statt die Bedürfnissen nach den Zwängen der Produktionsweise zu formen. Sie wird uns langlebige, modulare, und leicht reparierbare Werkzeuge zur Verfügung stellen. Und wahrscheinlich wird sie auch eine Ökonomie sein, in der geplante Obsoleszenz schlicht obsolet ist.

Es ist nicht allein der ökologische Aspekt, der uns zu einem Nachdenken über eine solche Ökonomie anregen sollte: Was würdet ihr mit der Zeit anfangen, die ihr nicht damit zubringt, per Design defekte Dinge zu entwerfen, zu produzieren oder zu arbeiten um sie euch immer wieder leisten zu können? Womit wir beim Thema Zeit sind: Ich habe euch lange genug vom Film abgehalten und empfehle ihn ausdrücklich.

Originaltext: http://www.systempunkte.org/blog/kaufen-f%C3%BCr-die-m%C3%BCllhalde-%C3%BCber-geplante-obsoleszenz


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