Die IAA 1922 bis 1937

Rocker, Souchy, Lehning, Rüdiger und der Konflikt um Souchy

1922 wurde in Berlin die „Internationale Arbeiterassoziation“, kurz IAA, gegründet. Der Name wurde in direktem Bezug auf die 1. Internationale gewählt. Bestrebungen, eine antiautoritäre Internationale zu gründen hatte es schon vorher gegeben, wie z.b. die Kongresse der Anarchistischen Internationalen, die sich jedoch über längere Zeit nicht hatte durchsetzen können. Die IAA existiert bis heute weiter, wenn auch ihre Rolle und Bedeutung sich über die Jahrzehnte stark gewandelt hat. Die größte Bedeutung in Europa hatte sie während ihrer Anfangsjahre, bis zum Sieg Francos in Spanien. Das Sekretariat war Dreh- und Angelpunkt der IAA und während jener Jahre besetzt mit Leuten, die auch heute noch nicht vergessen sind: Neben anderen waren Rudolf Rocker, Arthur Müller Lehning, Augustin Souchy und Helmut Rüdiger vertreten und nicht nur ihre Differenzen und Übereinstimmungen in politischen Fragen sondern auch ihr persönliches Verhältnis zueinander spielte eine größere Rolle für die Geschicke der IAA bis 1937.

Dieser Artikel ist aus einer Hausarbeit entstanden und erscheint aufgrund der Länge der Darstellung in mehreren Teilen (Anm.: bislang erschien nur dieser Teil). In diesem ersten Teil soll die Geschichte der IAA von ihrer Gründung bis 1937, als der Vormarsch des Faschismus in Europa die Arbeit der IAA größtenteils lahmlegte in einem Überlick erzählt werden. Folgen werden Portraits der vier genannten Protagonisten im Sekretariat der IAA und eine genauere Betrachtung der Konflikte, die seit der Gründung im Sekretariat schwelten und ebenfalls 1937 ihren Höhepunkt fanden.

Rote Gewerkschaftsinternationale oder IAA?

Für die Gründung der „Berliner Internationalen“ war vor allem das Verhältnis zwischen Anarchisten bzw. Anarchosyndikalisten und den Anhängern der russischen Revolution ausschlaggebend. Die FAUD hatte bereits auf ihrem Gründungskongress im Dezember 1919, aus den Erfahrungen mit der Internationalen in der Vergangenheit, die Gründung einer eigenen Internationalen gefordert. Gleichzeitig erklärte man sich aber auch solidarisch mit den Bolschewiki. Vor dem Hintergrund dieser Solidaritätserklärung mit der russischen Sowjet-Republik hatte Augustin Souchy 1920 den Beitritt der FAUD zum „Internationalen Sowjet der Gewerkschaften“ erklärt. Auch hatte er versprochen, in Deutschland Werbung für die Gründung einer revolutionären Gewerkschafts-Internationalen zu machen, wie sie einem Beschluss des zweiten KomIntern-Kongresses zufolge gegründet werden sollte.

Knapp ein Jahr später, als die revolutionäre Gewerkschaftsinternationale, als Rote GewerkschaftsInternationale, zu ihrem ersten Kongress zusammentrat, hatte sich das Verhältnis zwischen KomIntern und den Syndikalisten extrem verschlechtert. Zum einen hatten Lenins 21 Aufnahmebdingungen für die KomIntern für Unmut in den Reihen der Anarchosyndikalisten gesorgt. Für sie stellten Lenins Bedingungen das „auf die Spitze getriebene Autoritätsprinzip“ dar, für Rudolf Rocker wäre ihre Annahme „einem Selbstmord gleichgekommen“.

So lud die FAUD im Dezember 1920 zur ersten Internationalen Syndikalistenkonferenz nach Berlin. Dieser Einladung folgten Vertreter der US-amerikanischen Industrial Workers of the World (IWW), der englischen „Shop Stewards and Workers Councils“, der französischen Confédération générale du travail (CGT (hier handelte es sich jedoch um die Delegation einer Minderheit innerhalb der CGT, des Comité des Syndicalistes Révolutionaires) und der syndikalistischen Organisationen Schwedens, der Niederlande, Norwegens, Spaniens, Italiens, Portugals und Argentiniens. Die Forderung nach einer eigenen Internationale teilten aber nur die Schweden mit der FAUD. Stattdessen forderte man zur Teilnahme am Gründungskongress der RGI auf. Im Juli 1921 fanden sich dann dort außer der portugiesischen CGT und der FAUD auch alle syndikalistischen Organisationen, die auf dem Kongress der FAUD in Berlin gewesen waren, ein. Die Teilnahme an diesem Kongress trübte zwar die Stimmung bezüglich einer Mitgliedschaft in der RGI und die auf dem ersten Internationalen Syndikalistenkongress eingerichtete Informationskommission wurde mit der Einberufung einer weiteren Internationalen Syndikalistenkonferenz in Berlin beauftragt, verschiedene Länder traten dennoch der RGI bei, so zum Beispiel Frankreich, Spanien und Italien, die sich auch an der Komintern beteiligten. In den Niederlanden führte die Frage nach der Mitgliedschaft in der RGI zu einer Spaltung der Anarchosyndikalisten, die US-amerikanische IWW hielt sich ganz heraus und wollte weder der RGI beitreten noch an einer syndikalistischen Internationalen teilnehmen.

1921 veröffentlichte Rudolf Rocker „Das Bankerott des russischen Staatskommunismus“, in dem er seine Sicht der Bolschewiki und ihrer Revolution darlegte. Die anfängliche Begeisterung für Lenin und die Sowjet-Republik führte er auf ein Missverständnis der Leninschen Intentionen zurück, die vor allem durch dessen Schrift „Staat und Revolution“ , laut Rocker eine „sonderbare Mischung marxistischer und anscheinend anarchistischer Ideengänge“ verursacht worden war, und natürlich dadurch, dass endlich eine Revolution erfolgreich gewesen war. Nach dem Bekanntwerden von Lenins 21 Aufnahmebedingungen für die KomIntern sei es jedoch nach Rockers Meinung an der Zeit, nicht länger zu schweigen und die Missachtung der individuellen Freiheitsrechte in der Sowjetunion nicht weiter zu dulden. Ansonsten befürchtete er eine Diffamierung der Idee des Kommunismus durch den „Staatssozialismus in seiner schlimmsten und abschreckendsten Gestalt“. Ebenfalls in dieser Schrift beschrieb er detailliert die einzelnen Unterdrückungsmaßnahmen der Bolschewiki gegen die russischen Anarchisten, und aufgrund dieser sollte schließlich die Stimmung unter den Anarchosyndikalisten bezüglich einer eigenen Internationale kippen.

Am 12.04.1918 hatten die Bolschewiki mit einer blutigen Säuberungsaktion ihren Feldzug gegen die russischen Anarchisten begonnen. 1921 saßen zahlreiche Anarchisten und Syndikalisten in russischen Gefängnissen. Fragen der syndikalistischen Organisationen zu diesem Thema auf dem Gründungskongress der RGI blieben jedoch unbeantwortet.

Auf dem 2. Internationalen Syndikalistenkongress im Juni 1922 in Berlin kam es vor diesem Hintergrund zur Gründung eines provisorischen Büros der syndikalistischen Internationalen. Dessen Sekretär wurde Rudolf Rocker, der auch mit dem Verfassen einer Prinzipienerklärung für die neue Internationale beauftragt wurde. Für Dezember 1922 wurde zum ersten Weltkongress der syndikalistischen Internationale aufgerufen.

Die Gründung der IAA

Nach Angaben der FAUD(Syndikalisten) folgten der Einladung Delegierte folgender syndikalistischer und anarchosyndikalistischer Organisationen: Argentinien, Chile, Dänemark, Deutschland, die Niederlande, Italien, Mexiko, Norwegen, Portugal und Schweden. Gemeinsam vertraten sie 643.100 Menschen. Die größte europäische syndikalistische Organisation, die CNT aus Spanien, war ein Sonderfall. Sie hatte sich zunächst 1919 der KomIntern angeschlossen, später der RGI und schließlich, laut Rocker, auf einer geheimen Konferenz in Saragossa der IAA. Ähnlich verhielt es sich mit den italienischen Genossen. Der Kongress nahm die von Rudolf Rocker verfasste Prinzipienerklärung, die der der FAUD(S) sehr ähnlich war, an, und das Sekretariat wurde mit Rudolf Rocker, Alexander Schapiro, und Augustin Souchy besetzt. Damit war die freiheitlich- sozialistische Internationale gegründet, die in Rückbezug auf die erste Internationale IAA, Internationale Arbeiter Assoziation getauft wurde. Rudolf Rocker war glücklich und zufrieden: „In Anbetracht dieser Vorgänge (die Erlebnisse der Anarchosyndikalisten mit KomIntern und RGI) war dann auch der Gründungskongress der IAA in Berlin eine entschiedene Absage an die Komintern und die Diktatur der Bolschewisten und ein offenes Bekenntnis zu den Grundsätzen des freiheitlichen Sozialismus“ schrieb er in seinen Memoiren. „Der neuen IAA fällt die Aufgabe zu, das Werk der Ersten Internationalen [...] weiterzuführen zum endgültigen Sturz von Staat und Lohnherrschaft, zur Errichtung einer freien, staatenlosen Gesellschaft“ schrieb er 1923 im „Syndikalist“.

Nach der Gründung traten der IAA bis 1929 noch die belgischen „Cercles Syndicalistes Fédéralistes“, die anarcho-syndikalistischen Gruppen Bulgariens, die polnische anarcho-syndikalistische Gewerkschaftsopposition, die Propagandagruppe der FAU in Österreich, dersyndikalistische Gewerkschaftsbund Japans und die Kontinental-Amerikanische Arbeiter-Assoziation bei. Nun vertrat sie ca. 2,5 Mio. Menschen. Ihrer Organisationsstruktur nach war sie extrem föderalistisch organisiert, in der Umsetzung aber lag die meiste Arbeit und damit auch ein gewisses Maß an Macht beim Sekretariat, und hier insbesondere bei Rudolf Rocker. Die IAA hielt weitere Kongresse in Amsterdam (1925), Lüttich (1928) und Madrid (1931) sowie zahlreiche Vollversammlungen an wechselnden Orten ab. Neben den theoretischen Fragen des Anarchosyndikalismus und dem Kampf gegen den Faschismus beschäftigte sie sich hauptsächlich mit praktischen Fragen wie der Stellung der IAA zu den Betriebsräten, ihre Position zum Dawesabkommen, die Folgen der Rationalisierung der kapitalistischen Wirtschaft für die Arbeiterbewegung, den Übergang vom Privat- zum Kollektivkapitalismus und die wachsende Gefahr des Militarismus. Mit zunehmender Bedrohung durch den Faschismus konzentrierte sich die IAA auch mehr und mehr auf den Kampf gegen diesen.

Das Sekretariat

Zunächst wurden Alexander Schapiro, Augustin Souchy und Rudolf Rocker in das Sekretariat der IAA gewählt. Bei seiner Erweiterung 1932 kamen Arthur Müller Lehning und Eusebio C. Carbo hinzu. Carbo und Schapiro kümmerten sich fortan um den Kontakt zu den mitgliederstärksten Organisationen in den romanischen Ländern, Souchy, Rocker und Müller Lehning nahmen die eigentlichen Sekretariatsaufgaben wahr. Zu diesen gehörte neben den Koordinationsaufgaben zwischen den einzelnen Landesorganisationen, so zum Beispiel die Übermittlung von Solidaritätsgeldern und die Planung und Ausrichtung der Kongresse, die Herausgabe eines wöchentlichen Pressedienstes, einer zweimonatige „Internationale Revue“ sowie der „Internationale“, dem Organ der IAA.

Das organisatorische Tagesgeschäft lag dabei hauptsächlich auf den Schulternvon Souchy und Lehning, während Rocker sich vor allem um die theoretischen Aspekte kümmerte, angefangen von der Prinzipienerklärung zum Gründungskongress der IAA, über das Bakunin-Gedenken zu dessen 50. Todestag 1926, Einführungs- und Grundsatzreferaten auf Kongressen und Vollversammlungen der IAA usw. Nach dem Lexikon des Anarchismus formulierte er in den 1920er Jahren die wesentlichen theoretischen Grundlagen des Anarchosyndikalismus, sorgte für die Ausrichtung der FAUD hin zu einem kommunistischen Anarchismus und auch die Gründung der IAA gilt als sein persönlicher Erfolg. Auf persönlicher Ebene war er das verbindende und streitschlichtende Element im Sekretariat, was sich sowohl dort als auch in der gesamten Organisation der IAA zeigte.

Konflikte im Sekretariat entzündeten sich immer wieder an der Person Augustin Souchys, mit dessen „Amtsstil“ viele nicht einverstanden waren. Max Nettlau benutzte einmal die Formulierung, Souchy „regiere“ die IAA, was aus einem anarchistischen Blickwinkel heraus sicherlich kein Lob darstellt, auch Rocker geriet mit ihm 1931 wegen allzu eigenmächtigen Vorgehens aneinander. Besonders im Streit lag Souchy mit Helmut Rüdiger, 1932 schließlich weiteten sich die Querelen im Sekretariat auf die gesamte IAA aus, als eine Folge von Rücktrittsangeboten begann. Zunächst drohte Arthur Müller Lehning mit dem Rücktritt, Souchy wollte ihm folgen. Kaum hatte sich dies halbwegs geklärt, bot Alexander Schapiro seinen Rücktritt an, und immer kreisten die Konflikte um Augustin Souchy. Bis zu seiner Emigration in die USA und der damit verbundenen Niederlegung seines Amtes als Sekretär der IAA 1933 gelang es Rocker, die IAA dazu zu bewegen, sich auf den Kampf gegen die Machtübernahme der Nazis zu konzentrieren, anstelle auf persönliche Streitereien, nach dem Rocker jedoch ausgewandert war, spitzen sich die Konflikte und internen Kämpfe weiter zu und fanden auf dem außerordentlichen Kongress im Dezember 1937 in Paris ihren Höhepunkt.

Nach der Niederlage der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg wurde das Sekretariat von Madrid noch einmal nach Schweden verlegt, die Arbeit der IAA wurde jedoch durch die Zerschlagung und Verfolgung der diversen Mitgliedsorganisationen zunehmend schwieriger bis unmöglich. Schließlich beschränkten sich die Handlungsoptionen des Sekretariats bis zum endgültigen Zusammenbruch der IAA auf die Aufrechterhaltung der wenigen verbliebenen Kontakte.

Anmerkungen:
1) Diverse Streitigkeiten zwischen Kommunisten und Anarchisten wie beispielsweise der Konflikt Marx - Bakunin und das Verhalten der Bolschewiki gegenüber Anarchisten und Anarchosyndikalisten nach der Oktoberrevolution
2) Rocker, Rudolf: Der Bankerott des russischen Staatskommunismus. - Hrsg. vom anarchosyndikalistischen Kollektiv und situationistischen Kollektiv, Mittelwort von ULRICH. - Neudruck (als Typoskript) der 1921 in Berlin erschienenen Erstausg. - Berlin (W.): Anarsch Verlag, 1968
3) Lenin, V.I.: Staat und Revolution, z.B. Dietz, 1970
4) http://www.trend.infopartisan.net/trd0308/t050308.html

Aus: Schwarz-rote Feder, anarchosyndikalistisches Magazin Nr. 3


Creative Commons - Infos zu den hier veröffentlichten Texten / Diese Seite ausdrucken: Drucken



Email