Eusebio C. Carbo - Die IAA in Spanien
Geschichtliche Rückblicke
Die Auswirkungen der Reise, die Fanelli 1869 durch Spanien machte, waren höchst fruchtbarer Natur. Fanelli erschien in unserem Lande als der Vermittler jener starken sozialen Strömungen, welche damals die Mittelpunkte der jungen Arbeiterbewegung in Europa beseelten und die ihm in Spanien ohne weiteres den inneren Kontakt verschafften mit allen, die mit ihm in Berührung kamen. Das Ergebnis seiner Bemühungen war in der Tat viel umfangreicher und stärker, als er je zu hoffen gewagt hatte. Was Fanelli dem kleinen Kreise revolutionärer Kräfte in Madrid zu sagen hatte und den einzelnen mit viel Intelligenz und guter Methode zu vermitteln wusste, begeisterte die kleine Schar seiner jungen Anhänger aufs tiefste und bewirkte, dass sie sich mit voller Energie und ganzem Herzen für die Bestrebungen einsetzten, mit denen der Freund Bakunins sie bekannt gemacht hatte.
Die Ideen der Internationalen Arbeiter Assoziation gaben dem Widerstande gegen den politischen Despotismus und die elenden wirtschaftlichen Zustände in Spanien einen festen Halt und wurden die stark entwickelten revolutionären Instinkte, die in unsrem Lande stets vorhanden waren, sehr begünstigt. Deshalb fiel die Saat, die Fanelli ausgestreut hatte, auf einen fruchtbaren Boden. Die Kühnheit der neuen Lehre und die Unerschrockenheit, mit welcher die erste Gruppe in Madrid für die neuen Ideen in die Schranken trat, verschafften ihnen in kurzer Zeit viele Anhänger.
Der kühne Versuch, der Vorstellung eines freien Volksstaates entgegenzutreten, welche damals noch den vorgeschrittensten Teil der politischen Revolutionäre beeinflusste, wirkte wie eine befreiende Tat. An die Stelle der alten Auffassung trat die Idee der freien Föderation freier industrieller und landwirtschaftlicher Vereinigungen, ohne künstliche Grenzen und ohne jegliches Regierungswesen. Dieses Ziel wurde für die spanische Arbeiterschaft das Leitmotiv in allen ihren Kämpfen für eine bessere Zukunft. Man erkannte, dass das verderbliche Räderwerk der Staatsmaschine erst gründlich abgetragen werden musste, bevor von einer wirklichen sozialen Befreiung die Rede sein konnte. So wurde der spanischen Arbeiterklasse der Kampf für ihre wirtschaftliche Befreiung vom Joche des Kapitals in derselben Zeit ein Kampf gegen den Staat. Dadurch bekam die Bewegung jenen ausgesprochen antiautoritären Charakter, der ihr bis zum heutigen Tage verblieben ist und sie so energisch für die Verwirklichung des kommunistischen Anarchismus eintreten lässt.
Die Gründer-Gruppe in Madrid entfaltete eine außerordentlich rege Tätigkeit für die Verbreitung der neuen Ideen, und da der Boden gut vorbereitet war, so verbreitete sich die junge Bewegung mit ungeahnter Schnelligkeit im ganzen Lande. Zahlreiche schon bestehende Organisationen bekannten sich zu der neuen Lehre, neue Gruppen traten überall ins Leben, und bald war man in der Lage, zur Gründung der spanischen Landesföderation (Federación Regional Española) zu schreiten, die in kurzer Zeit einer der wichtigsten Bestandteile der Internationalen Arbeiter Assoziation wurde.
Männer wie Gonzáles Morago, Anselmo Lorenzo, Garcia Viñas, Farga Pellicer, Alerini, Soriano, Albarracin und viele andere verschafften der Bewegung immer größere Verbreitung. Eine Anzahl neugeschaffener Organe wie „El Obrero“ in Palma, „La Federación“ in Barcelona, „La Solidaridad“ in Madrid, „La Emancipación” und einige mehr dienten dazu, den Ideen der spanischen Sektion Ausdruck zu verschaffen, die in kurzer Zeit über sechshundert Ortsgruppen im ganzen Lande umfasst, unter denen Barcelona, Madrid, Valencia, Sevilla, Córdoba und Saragossa als Hauptpunkte der Bewegung galten.
Nach einer Periode fieberhafter Tätigkeit gewann der neue Organismus überall im Lande an Bedeutung und Aktivität, und der Kampfruf der Internationale „Keine Pflichten ohne Rechte, keine Rechte ohne Pflichten!“ durchbrauste die Städte und Dörfer von ganz Spanien. Am 19. Juni 1870 wurde in Barcelona der erste Kongress der spanischen Landesföderation eröffnete, auf dem die Grundsätze der ersten Internationale, wie sie die spanischen Arbeiter auffassten, in klarer und bestimmter Form zum Ausdruck kamen. In seiner Begrüßungsrede erklärte Farga Pellicer unter anderem: „Das Recht, die Pflicht, die gesellschaftliche Notwendigkeit vereinigen uns hier, damit wir uns über die Probleme der sozialen Wirtschaft klar werden. Die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selber sein, heißt es in den Statuten der Internationale, was nur zum Ausdruck bringen soll, dass für die Erreichung dieses großen Zieles keine Institution und keine andere Klasse in der Gesellschaft in Frage kommen kann. Alle die, welche vom Monopolismus und der Ausbeutung leben, haben ein Interesse daran, unsere Sklaverei zu verewigen. Das Kapital ist der große Tyrann, der die heutige Gesellschaft beherrscht; folglich gibt es für die Menschheit heute nur e i n e n Kampf von wahrhaft sozialer Bedeutung: den Kampf der Armut gegen den Kapitalismus. Der Staat aber ist der Wächter und Beschützer der gesellschaftlichen Vorrechte, und die Kirche segnet diese und bezeichnet sie als Ausdruck von Gottes Willen. Das einzige, was uns bleibt, ist, Mittel und Wege zu finden, uns vom Joche der Lohnsklaverei zu befreien, auf welcher unsre Knechtschaft begründet ist. Deshalb besteht für uns die Notwendigkeit, die Herrschaft des Kapitals, des Staates und der Kirche zu zerstören und auf ihren Ruinen die Anarchie, die freie Föderation der freien Arbeitergruppen aufzurichten.“
Auch die Frage der politischen Beteiligung an den Institutionen des bürgerlichen Staates kam zur Sprache. Die Konferenz von Valencia vom 18. September 1871 und der Kongress von Córdoba haben mit allem Nachdruck die politische Betätigung abgelehnt, nachdem die Londoner Konferenz der Internationale unter dem Einfluss von Marx und Engels die Landesorganisationen des großen Arbeiterbundes zur Beteiligung am parlamentarischen System zwingen wollte. Auf den internationalen Kongressen von Saint Imier (1872), Genf (1873), Bern (1876) und Verviers (1877) vertrat die spanische Delegation die antiparlamentarischen Prinzipien stets am energischsten und entwickelte den Charakter der großen Kämpfe der Zukunft in einer sehr klaren und wohldurchdachten Weise.
Unter den zahlreichen Kundgebungen der spanischen Landesföderation zur Vertiefung der Grundsätze der Internationale sind einige von ganz besonderer Bedeutung. Am klarsten aber treten die Ideen der spanischen Internationalisten in jenen Manifesten hervor, deren Aufgabe es sein sollte, der Tätigkeit der Internationale auch in Portugal Eingang zu verschaffen.
Die Ideen und Organisationsmethoden Bakunins, des mächtigen Vertreter der freiheitlichen Ideen und der revolutionären Aktion, gaben der Internationale in Spanien jenen ausgesprochen aktiven Charakter, der die Regierung zu heftigen Verfolgungen anregte und die Frage eines Verbotes der Gesamtorganisation in den Cortes[1] zur Sprache brachte. Damals richtete der Föderal-Rat der spanischen Landesorganisation jenes kühne Schreiben an den Minister des Innern, das nachdem es die Ideen der Internationale in klarer und würdiger Form entwickelt hatte, mit den Worten endete: „Dieses sind die Bestrebungen und Ziele der Internationale, Bürger Minister. Um diese Ziele zu verwirklichen, hat sich die Arbeiterklasse in der richtigen Erkenntnis ihrer Interessen und des hohen Ideals der menschlichen Befreiung zusammengeschlossen. Sie wird ihre Fahne nicht niedriger hängen, angesichts der Unbequemlichkeiten und Verfolgungen, die man gegen sie plant. Verstehen Sie wohl! Die Internationale wird Gerechtigkeit schaffen, und wenn das Gesetz sich ihr entgegenstellt, so wird es gegen das Gesetz geschehen!“ Auf diese Art trotzen die spanischen Internationalisten der Gefahr, die sie bedrohte. Sie nahmen Teil an den Aufständen der katalonischen Bewegung von 1873 – 74, und während Marx und seine Parteigänger sie mit ihrem Hasse und ihren Verleumdungen begeiferten[2], kämpften sie in Cartagena, in Alcoy und in Andalusien mit heldenmütiger Entschlossenheit mit den Waffen in der Hand. Bald nachdem wurde die spanische Internationale außerhalb des Gesetzes erklärt; in vielen anderen Ländern erlebte sie dasselbe Schicksal. Alle Regierungen verschworen sich gegen sie und versuchten, ihre Bestrebungen zu ersticken. Allein die Internationale nahm nur eine andere Form der Organisation an, die den Verfolgungen gegen ihre Anhänger angepasst war, und setzte den Kampf fort, ohne je ihre Bestrebungen zu ändern, die bereits zu tief in die Massen des spanischen Proletariats eingedrungen waren, als dass man sie hätte beseitigen können. Die Internationale erwies sich in jenen furchtbaren Jahren der Reaktion als unzerstörbar.
In den Jahren unausgesetzter Verfolgungen verloren die Kämpfe der Arbeiterschaft den inneren Zusammenhang mit dem ihrer Brüder jenseits der Grenzen. In vielen Ländern mussten die Zentren der Internationale dem politischen Ehrgeiz der staatssozialistischen Parteien dienen. Trotzdem konnten die Ideen und Bestrebungen der ersten Internationale nicht mehr ausgetilgt werden. Sie lebten weiter, hauptsächlich unter der Arbeiterschaft der lateinischen Länder, die sie verteidigte und schützte gegen die verräterischen Anschläge derjenigen, die sich im Kampfe um die politische Macht im Staate und dem Kapital mit Haut und Haaren verschrieben hatten. In diesem Sinne hielt das Werk der Internationale allen Fährnissen[3] stand und besiegte alle Hindernisse, die ihm von den Ausbeutern und Henkern der Arbeiterklasse entgegengestellt wurden.
Der Kongress in der „Comedia“ (1919)
Der Kongress in der Comedia gehörte aus mannigfachen Gründen zu den glänzendsten Seiten in der Geschichte der „Confederación Nacional del Trabajo“. Doch gibt es unter den zahlreichen Arbeitern dieser großen Vereinigung des revolutionären Proletariats einen Punkt, der später zur Reue Anlass geben sollte. Die Notwendigkeit internationaler Beziehungen machte immer dringender bemerkbar. Tausende Gründe drängten zu einem revolutionären Zusammenschluss mit den Arbeitern jenseits der spanischen Grenzen. Der gewaltige Eindruck der russischen Oktoberrevolution von 1917 schlug alles in seinen Bann, obwohl die Nachrichten, welche damals aus Russland zu uns drangen, sehr unbestimmt und widerspruchsvoll waren. Obzwar uns jede Möglichkeit fehlte, die Dinge nachzuprüfen, versicherte man uns, dass die Erhebung in Russland viel Gemeinschaftliches mit unsern eigenen Prinzipien und Bestrebungen habe. Die hasserfüllten Angriffe einer verkauften Presse und der Ring, den die Regierungen um Russland schlossen, um jede Ansteckungsgefahr in ihren Ländern zu vermeiden, bestärkten uns in dieser Überzeugung. Man erzählte uns, dass der gewesene Großfürst X in einem Moskauer Hotel Teller reinige, dass der Grundbesitzer Y, den die Revolution enteignet hatte, als Laufbursche in einer Druckerei angestellt sei, dass der ehemalige General Z in einer Tischlerei arbeite, und anderes mehr. Was uns anbetraf, so fühlten wir zwischen der Ausübung dieser Praxis und unsren Prinzipien keinen Widerspruch, um so weniger, als wir ja stets den Standpunkt vertraten, dass eine Beteiligung an dem allgemeinen Verbrauch der notwendigen Bedarfsgegenstände ganz von selbst eine Beteiligung an der Produktion voraussetze, ohne welche an eine Befriedigung menschlicher Bedürfnisse überhaupt nicht gedacht werden konnte. Zwar vertraten wir nach wie vor den Standpunkt, dass der Einzelne über die Art seiner produktiven Tätigkeit selbst zu bestimmen habe und in der freien Wahl nicht beschränkt sein sollte; aber wir begriffen auch, dass angesichts der furchtbaren Notlage, in der sich das russische Volk befand, nicht jeder Wunsch erfüllt werden konnte, da es ja vor allem darauf ankam, dass Notwendigste zu beschaffen, um das Gemeinwesen am Leben zu erhalten. Solange die Initiative zur Regelung dieser Dinge vom Volke selbst ausging, waren unsrer Meinung nach eventuelle Fehler und Irrtümer der Geschicklichkeit bestimmter Leiter vorzuziehen. Ein Volk konnte seine gemachten Fehler einsehen und später wieder verbessern, aber die Geschicklichkeit des Einzelnen, dem jede Leitung anvertraut ist, wächst sich gewöhnlich zum Mandarinentum[4], zum Bürokratismus aus. Von diesen Erwägungen getragen, standen wir den Vorgängen in Russland, die uns in ihrem vollen Umfange unbekannt waren, sympathisch gegenüber.
Noch mehr! Wir sahen in dem, was die Presse als die „Diktatur des Proletariats“ bezeichnete und mit Klauen und Zähnen bekämpfte, nur den Weg, auf welchem das russische Volk sein Ziel zu erreichen suchte, und viele stimmten einer solchen Diktatur zu. Das russische Proletariat war der Dritten Internationale angeschlossen. Diese versuchte durch ihre Agenten die CNT auf hinterlistige Weise zu fangen. Die autoritären Bestrebungen der Dritten Internationale waren zu offensichtlich, als dass man sie hätte übersehen können. Allein wenn es sicher war, was man uns von Russland erzählte, so war die russische Organisation der Zentralmotor der Dritten Internationale und ihre wichtigste Kraftquelle. Dann aber war es auch klar, dass die autoritären Gepflogenheiten der Dritten Internationale lediglich auf die gegenwärtigen schweren Bedingungen in Russland zurückzuführen waren und sich mit diesen ändern mussten. Unsere Erwägungen waren logisch, aber die Voraussetzungen, von denen wir ausgingen, waren falsch. So erfolgte, um es kurz zu machen, der Anschluss der CNT an die Dritte Internationale. Man hat später erklärt, dass dieser Anschluss nur provisorisch gewesen sei. Ich habe den stenographischen Bericht jener Debatte nicht vor mir, aber es ist sicher, dass der Kongress seinen Anschluss nur bedingungsweise vollzog, was nicht dasselbe ist.
In was aber konnte dieses „bedingungsweise“ bestehen, wenn der Kongress der Meinung der vollzogenen Abstimmung Rechnung tragen wollte? Doch nur darin, dass man sich davon überzeugen wollte, ob das bestehende Regime in Russland nur vorübergehender Natur sei oder einen bestimmten Charakter trage. Im letzten Falle musste sich der Anschluss der CNT an die Dritte Internationale automatisch lösen.
Im Laufe der Zeit und mit Hilfe besserer und zahlreicherer Informationen erkannten wir endlich, wohin wir geraten waren. In dem Glauben, der Vereinigung der revolutionären Kräfte dienstbar zu sein, hatten wir die Revolution mit einer politischen Partei verwechselt, die alle Macht des Staates in ihren Händen vereinigte und die die wahrhaften russischen Revolutionäre mit einem Despotismus verfolgte, der in keinem anderen Lande seinesgleichen findet; und das alles unter dem Vorwand, den proletarischen Interessen zu dienen.
Die Konferenz von Saragossa (1923)
Im Jahre 1923, nach einer blutigen Unterdrückungsperiode von über zwei Jahren, in welcher viele der besten Kämpfer der CNT von den Reaktionären ermordet wurden, fand in Saragossa eine allgemeine Landeskonferenz statt. Während des Jahres 1922 hatten wir Nachricht von dem Bestehen der IAA und der internationalen Konferenz in Innsbruck erhalten, die von Delegierten verschiedener Länder besucht wurde, und an der auch unsere Genossen Borghi, Santillan, Souchy, Virgilia d’Andrea und Rocker teilgenommen hatten. Die IAA war im Dezember 1922 auf dem Kongress in Berlin ins Leben gerufen worden. Aus ihrer Prinzipienerklärung und ihren Statuten entnahmen wir, dass die IAA sich bemühte, die großen Überlieferungen der Internationalen Arbeiter Assoziation fortzusetzen und in der Arbeiterschaft wach zuhalten. Die Ideen und Methoden der CNT waren völlig im einklang mit denen der IAA, und wir erkannten, dass, obwohl wir der Dritten Internationale angeschlossen waren, unser Platz nirgends anders sein konnte als in den Reihen der IAA.
So kam es, dass die Konferenz von Saragossa einstimmig und fast ohne Debatte den Anschluss der CNT an die IAA vollzogen hat. Seitdem gehört die spanische Landesorganisation der IAA an, durch die sie mit dem revolutionären Proletariat der ganzen Welt verbunden ist. 1931 ratifizierte der Kongress von Madrid die Prinzipien, welche der Kongress von 1919 angenommen hatte, indem er erklärte: „Die auf diesem Kongresse vereinigten Delegierten geben der Meinung Ausdruck, dass sich im Schoße der Arbeiterorganisationen aller Länder immer stärker das Bedürfnis nach einer vollständigen Befreiung der Menschheit von jeder moralischen, politischen und wirtschaftlichen Unterdrückung geltend macht; der Kongress ist der Meinung, dass ein solches Ziel nur durch den gemeinschaftlichen Besitz der Erde und der Arbeitsinstrumente und durch die völlige Ausschaltung jeder wie immer gearteten Staatsorganisation erreicht werden kann. In diesem Sinne erklärt der Kongress in voller Übereinstimmung mit der Internationalen Arbeiter Assoziation, dass das Ziel der spanischen CNT nur die Verwirklichung des freiheitlichen Kommunismus sein kann.“
Diese Erklärung widerspricht nicht nur in jedem Punkte dem heuchlerischen Gebaren der Leute von Moskau, sie spiegelt auch den wahren Geist der IAA wieder, wie er sich in allen Ländern bemerkbar macht. Für die spanische Arbeiterschaft ist die IAA nur ein neuer Versuch für die großen Aufgaben der ersten Internationale. Das spanische Proletariat ist diesen ehrenhaften Überlieferungen treu geblieben und hat in allen seinen Kämpfen, von 1880, als die Bewegung nach den langen Jahren der Unterdrückung wieder in die Öffentlichkeit treten konnte, bis zu den täglichen Erhebungen unsrer Tage, seine antikapitalistischen und antistaatlichen Bestrebungen kundgetan. Was die spanische Arbeiterschaft erstrebt, ist die Abschaffung jeder Herrschaft von Mensch über Mensch, Volk über Volk und Verwirklichung einer wahrhaft freien Gesellschaft über die Grenzen der Staaten hinaus auf der Basis der freien Föderationen und Assoziationen.
Die IAA proklamierte in der Einführung zu ihren Statuten: „Die Internationale erstrebt nicht die Eroberung der politischen Macht, sondern die Ausschaltung jeder staatlichen Funktion aus dem Leben der Gesellschaft. Ihre Anhänger sind der Meinung, dass zusammen mit dem Monopol des Besitzes auch das Monopol der Herrschaft verschwinden muss und dass jeder Staat in jeder Form, auch in der Form der sogenannten Diktatur des Proletariats, niemals ein Werkzeug für die Befreiung der Arbeit, sondern immer nur der Schöpfer neuer Monopole und neuer Vorrechte sein kann.“ Das ist der Standpunkt, den die spanischen Arbeiterschaft im Verlaufe ihrer ganzen Geschichte stets vertreten hatte. Aus diesem Grunde ist sie mit der IAA organisch verbunden zur Verteidigung derselben Interessen, zur Verfolgung desselben Zieles.
IAA, CNT und die Kommunisten
Der Kampf der Moskauer Parteikommunisten gegen die IAA kennt keinen Waffenstillstand, keine Unterbrechung; trotz alledem war ihm bisher keinerlei Erfolg beschieden. In diesem Kampfe sind „offizielle“ und „oppositionelle“ Kommunisten in holder Eintracht verbunden, denn sie unterscheiden sich nur wenig voneinander, und ihre Waffen sind von derselben unwürdigen und minderwertigen Art. Die Gebieter in Moskau hofften seit Jahren immer wieder, dass ihnen die CNT mit einem Schlage in die Hände fallen würde. Sie haben aus diesem Grunde nicht gespart und kein Mittel unversucht gelassen, um ihre Pläne zur Reife zu bringen. 1921, als die aktiven Anarchisten alle in den Gefängnissen begraben oder als Verbannte verschickt waren, glaubten die Agenten Moskaus, dass ihre Stunde endlich gekommen sei, und es gelang ihnen in der Tat, die wichtigsten Stellungen der CNT zu besetzen. Es waren dies dieselben Leute, die später in Russland während einiger Jahre Schutz und Unterkunft gefunden hatten.
Für diese Elemente war es von größter Wichtigkeit, jede Annäherung der CNT an die IAA mit allen Mitteln zu hintertreiben. Wie sie ihre Ziele zu erreichen suchten? Indem sie vor keiner Erbärmlichkeit, keiner Schändlichkeit zurückschreckten: kein Mittel war ihnen zu gemein, um die IAA in den Augen der spanischen Arbeiterschaft herabzusetzen und ihre Bekenner moralisch zu brandmarken. Doch die IAA fand in den Reihen der CNT machtvolle und überzeugte Verteidiger, welche die dunklen Pläne der Kommunisten zunichte machten und völlige Grundlosigkeit ihrer dumm-dreisten Verleumdungen ans Licht brachten. In der Tat hat kein Ereignis die Söldlinge Moskaus so außer Fassung gebracht, als diese geschlossene und prinzipielle Opposition, die ihnen plötzlich von allen Seiten entgegentrat und den Anschluss der CNT an die IAA bewirkte. Was die Agenten Moskaus und ihre wenigen Anhänger am meisten erhofft hatten, war ihnen zum Unheil ausgeschlagen. Doch sie gaben deshalb den Kampf nicht auf; sie änderten nur ihre Methode und versuchten als Zellen in verschiedene Syndikate einzudringen, diese von innen heraus auszuhöhlen und ihre tätigsten Kräfte in Verruf zu bringen. Aber diese Methode hatte ebenso wenig Erfolg wie die erste. Die IAA behielt ihren Grund, trotzdem die Kommunisten sich alle Mühe gaben, ihre Anhänger als „kleinbürgerliche Elemente“ zu verschreien und ihre „Bedeutungslosigkeit als internationale Organisation“ immer wieder darzutun. Ihre Saat brachte ihnen keine Ernte. Die spanischen Arbeiter gaben ihre alten Grundsätze nicht preis; sie widersetzten sich mit aller Kraft der Diktatur einer kleinen politischen Gruppe über die kämpfende Arbeiterbewegung und verwarfen die Hegemonie des autoritären Kommunismus als neue Form eines politischen Cäsarismus, welcher der gesamten Bewegung nur zum Verhängnis werden konnte. Alle Versuche, die CNT von der IAA zu trennen oder sie im ganzen zu zerstören, erwiesen sich als aussichtslos. Nun hängte man den diplomatischen Mantel nach einer anderen Seite: Man sprach sehr viel von einer „Demokratisierung der Syndikate“; man forderte das Recht als „respektable Minderheit“, sich in die Angelegenheiten der CNT einzumischen, nicht um die Organisation zu kapern oder innerhalb ihrer Reihen eine „Partei zu bilden“, sondern lediglich, um ihr zu helfen, „eine Ära großer Siege einzuleiten, damit sie ihr verlorenes Prestige zurückgewinne“. Besonders bemüht man sich, den Anarchisten gegenüber seine Überlegenheit als „Vorhut“ der Bewegung darzutun. Alles vergeblich: die Arbeiter der CNT kennen ihre Klassiker zu genau, als dass sie sich auf Abwege führen ließen.
Die steten Misserfolge und die Unmöglichkeit, der CNT einen kommunistischen Stempel aufzudrücken, haben bewirkt, dass man heute in kommunistischen Kreisen etwas kleinlaut geworden ist. Man hat es aufgegeben, mit den alten Mitteln zu operieren, und bemüht sich, seine Absichten unter sanfteren Gebärden zu verstecken. „Die IAA – so konnte man vor einiger Zeit in kommunistischen Blättern lesen – hat zwar keinen bedeutenden Einfluss auf die allgemeine Arbeiterbewegung, aber es lässt sich nicht bestreiten, dass sich in ihrem Schoße eine Gruppe von ausgezeichneten Revolutionären befindet.“ Dieser Umschwung kam, als man erkennen musste, dass man die CNT nicht von der IAA trennen und in eine Planetenbahn von Moskaus Sonne abdrängen konnte. In der Tat schrieb eine von Kommunisten geleitete Zeitschrift schon 1930: „Man nennt die CNT die Seele der IAA, was wirklich zutrifft, denn mit ihren klaren Richtlinien und ihrer ernsthaft revolutionären Einstellung gehört die CNT zu den wertvollsten Bestandteilen der IAA.“ In den weiteren Betrachtungen kommt der Verfasser zu dem Schluss, dass ohne die „Eroberung“ der CNT die IAA einfach verkümmern müsste. Und man tröstet sich mit dem Gedanken, dass „die radikale und revolutionäre Einstellung der CNT den moralischen und ideologischen Bruch mit der IAA herbeiführen müsse, dass aber dieser moralische und ideologische Bruch keineswegs den sofortigen organischen Bruch bedinge.“ Das alles spiegelt die Ansichten von Moskau wider, denn man kennt dort den Preis, der für gewisse Hoffnungen gezahlt wurde. Die Kommunisten haben heute die Hoffnungen aufgegeben, die sie jahrelang genährt hatten. Zwar bekämpfen sie noch immer die Anarchisten mit wütenden Ausfällen, aber der Traum, dass sie jemals die Eroberer unsrer revolutionären Organisation werden könnten, ist auch für sie ausgeträumt. Indem man der CNT den Titel zusprach, die „Seele der IAA“ zu sein, machte man sie zur Seele der gesamten revolutionären Arbeiterbewegung und sprach damit aus, in welcher Richtung die Revolution sich bewegen müsse, um das Proletariat von jeder Vormundschaft zu befreien und auf seine eigenen Füße zu stellen.
Seitdem ist das Band, das die CNT mit der IAA verbindet, immer fester geworden. Alle Konferenzen und regionalen Zusammenkünfte bis zum allgemeinen Kongress von Madrid im Juni 1931 haben den Beweis erbracht, dass sogar in den kompliziertesten und delikatesten Fragen eine innere Übereinstimmung besteht, die ein brüderliches Zusammenarbeiten zur Verteidigung der gemeinschaftlichen Interessen auf internationalem Wege möglich macht.
Die CNT findet ihren natürlichen Mittelpunkt in der IAA, und solange diese ihren jetzigen Prinzipien treu bleibt, wird das spanische Proletariat nicht von ihrer Seite weichen; eine Änderung der Prinzipien aber bleibt für uns eine mathematische Aufgabe, die nicht gelöst werden kann …..
Die heutige Lage und die CNT
Die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb der CNT haben sie vielfach behindert an der vollen Entfaltung ihrer Kräfte. Trotzdem besitzt die CNT heute einen Mitgliederstand von über einer Million. Die wirtschaftliche Lage des Landes, die große Zahl der Arbeitslosen und die wilden Verfolgungen der Regierung bilden ein großes Hindernis in allen Kämpfen, die uns durch die Verhältnisse aufgezwungen werden und die heute wieder das ganze Land von einem Ende zum andern erschüttern. Trotzdem hat die CNT keinen einzigen dieser gewaltigen Kämpfe der letzten Monate verloren. Sie hat sogar in Saragossa, Alcoy und anderen Orten Siege von einer außerordentlichen Bedeutung erfochten, die selten ihresgleichen gehabt haben. Und dies geschah trotz der skandalösen Parteilichkeit der Regierungsorgane, die bei jedem Kampf die Arbeiter-Zentren gewaltsam schließen und die aktiven Genossen massenweise verhaften. In der Tat sind die Verfolgungen heute schlimmer als unter der Monarchie.
Welche Aussichten eröffnen sich uns, wenn die Krise immer schärfere Formen annimmt und der herrschenden Klasse immer weniger Auswege offen lässt? Die Aussichten sind für uns äußerst günstig, obwohl wir nicht verkennen, dass die Aufgabe, welche die Zukunft uns stellen wird, nicht leicht ist. Und doch muss die CNT diese Aufgabe übernehmen, da außer ihr in unserem Lande keine andere Organisation besteht, die ihr gewachsen wäre. Getreu ihren Prinzipien und den großen Überlieferungen ihrer Geschichte wird sich die spanische Arbeiterschaft der großen Aufgabe, die ihr gestellt ist, unterziehen. Die heutige Krise ist für die Massen beklagenswert, doch vergessen wir nicht, dass ihre außergewöhnlichen Auswirkungen uns auch die Kraft geben werden, sie zu bezwingen.
Eusebio C. Carbo
Fußnoten:
[1] Cortes = Volksvertretung in Spanien
[2] begeifern = verleumden, schmähen
[3] Fährnis = Gefahr
[4] Mandarinentum = kastenartiger Abschluss der Beamtenschaft (im alten China, was sich über den Staatssozialismus Mao’s bis zum heutigen Staatskapitalismus der KP Chinas fortsetzte)
Aus: "I.A.A. 10 Jahre internationaler Klassenkampf / Gedenkschrift zum zehnjährigen Bestehen der Internationalen Arbeiter-Assoziation" / Berlin, 1932
Originaltext: http://syndikalismus.wordpress.com/2011/05/29/geschichte-der-iaa-teil-7/