Unsere spanische Bewegung. Die größte Organisation der IAA - im Brennpunkt des Kampfes für die Zukunft

Die Ereignisse, die sich im Jahre 1930 im politischen Leben Spaniens abspielten, waren auch für die syndikalistische Bewegung von weittragender Bedeutung. Sieben Jahre lang, von 1923 bis Anfang 1930, seufzte das Land unter der Militärdiktatur Primo de Riveras, die sich in erster Linie gegen den revolutionären Syndikalismus gewandt hatte. Unter dem Schutze der Diktatur hatte sich die reformistische Gewerkschaftsbewegung unbehindert entwickelt, während die syndikalistischen Organisationen verboten, eine große Anzahl von Genossen ermordet und eine noch größere Zahl in den Gefängnissen waren. Anfang 1930 mußte Primo de Rivera unter dem Drucke der Bevölkerung zurücktreten. Die revolutionäre syndikalistische Bewegung konnte sich wieder an die Öffentlichkeit wagen. Die Confederacion Nacional del Trabajo blieb gesetzlich immer noch verboten, denn die neue Regierung wurde auch von einem Militär, General Berenguer, gebildet. Doch sie war nicht stark genug, um es zu wagen, die revolutionären Arbeiterorganisationen zu verbieten.

In Barcelona bildete sich das neue Landeskomitee der CNT. Zu Tausenden strömten die Arbeiter in die revolutionär-syndikalistischen Gewerkschaften, die immer noch ungesetzlich blieben. Neue Zeitungen erschienen in allen Teilen des Landes, und in Barcelona wurde die „Solidaridad Obrera“, die bereits vor der Diktatur Primo de Rivera täglich erschien, wieder als Tageszeitung herausgegeben. Die Auflageziffer der Zeitung schwankt zwischen 25.000 und 40.000 Exemplaren täglich. Im Laufe des Jahres 1930 wuchs die CNT dauernd, so dass sie im Jahresende annähernd 250.000 Mitglieder zählte.

Kämpfe

Die Arbeiter Spaniens sehen in der CNT die glorreiche Organisation, die in der Vergangenheit ungezählte mutige Kämpfe für die Besserstellung des Proletariats und für die soziale Befreiung geführt hat. Es war daher durchaus verständlich, dass das Wiedererscheinen der CNT als Anfang neuer Kämpfe begrüßt wurde. Die Arbeiter, die 7 Jahre lang nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich unterdrückt waren und deren Verteidigung gegen die Anmaßungen des Unternehmertums von der Diktatur unmöglich gemacht wurde, gingen sofort wieder unter dem Banner der CNT zum offenen Angriff über, um ihre während der Diktatur verloren gegangenen Positionen wieder zurückzuerobern. (Der 8-Stundentag, den die spanischen Arbeiter schon vor der Diktatur errungen hatten, blieb auch während der Diktaturperiode bestehen.) In allen Teilen des Landes, besonders aber in Katalonien und Andalusien, traten die Arbeiter in Streiks, um den Forderungen auf Erhöhung der Löhne und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen Nachdruck zu verschaffen. In einigen Städten, wie Valencia, Sevilla und Barcelona, wurde im laufe des Jahres teils um wirtschaftlicher, teils um politischer Forderungen willen der Generalstreik proklamiert, der stets einige Tage durchgeführt wurde. Fast alle Kämpfe für wirtschaftliche Forderungen waren erfolgreich. Die politischen Kämpfe waren nicht nur von den Arbeitern, sondern auch noch von anderen Faktoren abhängig. Beim Militäraufstand in Jaca, an dem sich auch die militärischen Luftkräfte in Madrid beteiligt hatten, haben die syndikalistischen Arbeiter ebenfalls durch Erklärung des Generalstreiks teilgenommen, während die reformistischen Gewerkschaften unter dem Einfluß von Parteipolitikern nur zögernd und nur in geringem Maße daran teilnahmen. Durch die Halbheiten der Politiker und durch den Umstand, dass die revolutionären Arbeiter unbewaffnet waren, kam diese Bewegung letzten Endes doch zum Scheitern.

Bei allen Kämpfen, die das spanische Volk im letzten Jahre um seine politischen Freiheiten geführt hat, standen die Syndikalisten an erster Stelle.

Stellungnahme zu den politischen Kämpfen

Die politischen Kämpfe, die sich im Jahre 1930 in Spanien abrollten, forderten von den Syndikalisten eine klare Stellungnahme. Diese wurde zu gewissen Zeiten dadurch erschwert, dass die bürgerlichen Republikaner und Sozialdemokraten nach Sturz Primo de Riveras für die demokratischen Freiheiten eintraten, die in den Rechten der Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Redefreiheit usw. bestanden. Da auch nach Riveras Sturz die syndikalistischen Organisationen noch verboten blieben, waren unsere Genossen gezwungen, Aufhebung der drückenden Verbote zu fordern. Diese Forderung brachte sie in eine Front mit den bürgerlichen und sozialistischen Demokraten. Das ergab sich ganz zwangsläufig aus den gegebenen Verhältnissen. Die Folge dieser Zwangsläufigkeit war die Frage, ob sich die revolutionären Arbeiter nicht mit den Demokraten und Republikanern verbinden sollten, um für die Gegenwartsforderungen eine geschlossene Phalanx zu bilden, durch die die Kraft der Opposition gegen die Regierung zweifellos gestärkt worden wäre. Einige Genossen innerhalb der CNT waren für eine vorübergehende Zusammenarbeit, andere dagegen. Diese Frage war von so großer Bedeutung, dass sich auch die Syndikalisten anderer Länder damit beschäftigten. Die Bürositzung der IAA am 1. und 2. Juni 1930 beschäftigte sich mit den Verhältnissen in Spanien. Sie arbeitete einen Aufruf aus, der das spanische Proletariat aufforderte, in den Reihen der CNT für das Vereins-Versammlungsrecht und für die freie Meinungsäußerung in Wort und Schrift, und darüber hinaus für die Beseitigung der wirtschaftlichen Ausbeutung und politischen Unterdrückung zu kämpfen.

Die CNT stellte sich geschlossen ohne Schwanken auf diesen Standpunkt und blieb damit ihren freiheitlichen Traditionen treu.

Neuaufbau der Organisation

Die Voraussetzung für erfolgreiche Führung aller Kämpfe war die Reorganisation der Gewerkschaften. Das Jahr 1930 sah ein unaufhörliches Wiederauferstehen der revolutionären Gewerkschaften der CNT. In vielen Provinzen werden Konferenzen abgehalten, die örtlichen Gewerkschaften vereinigten sich zu Ortsverbänden, und diese zu Provinzialverbänden. Auf den Provinzialkonferenzen wurden Delegierte für den Landeskongreß gewählt, der möglichst bald zusammentreten und die organisatorische Aufbauarbeit vollenden sollte. Dieser Kongreß konnte leider nicht stattfinden. Zweimal war er vorbereitet und festgesetzt, doch beide Male wurde er von den Behörden verboten, die in dem raschen und mächtigen Anschwellen des Anarchosyndikalismus eine Gefahr erblickten. Der Landeskongreß wird erst im Jahre 1931 verwirklicht werden können.

Zum Neuaufbau gehört auch die Bildung von Industrieföderationen, die alle Gewerkschaften der gleichen Industrie über das ganze Land zusammenfassen. Zur Bildung derselben sind ebenfalls Landeskonferenzen notwendig, die noch nicht haben stattfinden können. Auch muß sich der Kongreß erst für die Bildung dieser Industrieverbände aussprechen, was bisher noch nicht hat vor sich gehen können. Ein genauer Bericht über die Stärke der syndikalistischen Organisationen in den einzelnen Industrien und Landesteilen Spaniens konnte am Ende des Jahrs 1930 noch nicht gegeben werden, weil die Aufbauarbeit noch nicht endgültig vollzogen worden war. Überblickt man jedoch am Ausgang des Jahres 1930 die syndikalistische Bewegung Spaniens, dann kann man feststellen, dass sich ein ungeheurer Fortschritt vollzogen hat.

Kampf für die Freigabe der politischen Gefangenen

Eine der wichtigsten Gegenwartsaufgaben unserer spanischen Sektion war im Jahre 1930 der Kampf für die Freigabe der politischen Gefangenen. Während die bürgerlichen Gegner der Monarchie, die für ihren Kampf für die Republik verhaftet waren, größtenteils amnestiert worden sind, hat man die revolutionären Klassenkämpfer in Haft behalten. Hunderte unserer Genossen sind trotz Sturz der Diktatur Rivera immer noch der Freiheit beraubt. Eine der Hauptforderungen, die die CNT bei der Regierung stellte und die sich auch durch öffentliche Protestaktionen erhärtete, war auf die Freilassung der sozialen Klassenkämpfer gerichtet. Einige unserer Genossen sind im laufe des Jahres freigelassen worden, während ein großer Teil bei Ausgang des Jahres 1930 immer noch in den Gefängnissen schmachtet.

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 16/1931 (April)


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Revolution in Spanien. Der revolutionäre Syndikalismus auf Vorposten!

Die Dinge in Spanien haben den Lauf genommen, den sie nehmen mussten. Die Republik ist zur Tatsache geworden. Es wäre indessen falsch, diese Entwicklung auf das Konto des Stimmzettels zu setzen, wie es die Sozialdemokratie allgemein tut. Die spanischen Gemeindewahlen vom 12. April bildeten nur den letzten äußeren Anlaß zum Zusammenbruch der Monarchie. In diesen Wahlen erreichten die republikanischen Parteien in den Städten ungefähr eine Zweidrittelmehrheit, während die Monarchisten in der Minderheit blieben. Das war ein Barometer für die Monarchie, an dem sie den Stand ihrer Unpopularität messen konnte. Was den König zu seiner Abdankung zwang, war die Furcht vor dem unmittelbaren revolutionären Druck der proletarischen Massen. So erfolgte die freiwillige – wie es nachträglich hieß: vorläufige – Abdankung des Monarchen unmittelbar nach den Wahlen. Es bildete sich eine neue Regierung aus sozialdemokratischen und republikanischen Politikern. Arbeitsminister wurde der Vorsitzende der keineswegs sehr bedeutenden reformistischen Gewerkschaften Spaniens, Largo Caballero. Die neue Regierung erließ ein vorläufiges Statut, in dem sie ihre demokratischen Prinzipien verkündete. In diesen Prinzipien wird feierlich das Privateigentum, andererseits die Gewissens- und Glaubensfreiheit sanktioniert und von einer offiziellen Anerkennung der Gewerkschaften gesprochen. Wenn wir uns auch über den Charakter der spanischen Republik durchaus nicht im unklaren sind, so halten wir es doch für dringend notwendig, daß die revolutionäre Arbeiterschaft die Freiheit der gewerkschaftlichen Organisation und Propaganda, die ihr bisher noch versagt blieb, erzwingt. Sache der spanischen Anarcho-Syndikalisten wird es sein, die Regierung beim Wort zu nehmen, volle Freiheit für die gewerkschaftliche Arbeit zu verlangen und diese Freiheit in aller Öffentlichkeit für die Gewinnung und Erziehung der Massen zum sozialrevolutionären Kampfe im Sinne des freiheitlichen Sozialismus zu nutzen. Es eröffnet sich für den spanischen Syndikalismus eine neue Epoche revolutionärer Tätigkeit. Die politischen Rechte, deren die spanische Arbeiterklasse für ihren Kampf bedarf, sind ihr nicht freiwillig in den Schoß gefallen, sondern sind das Resultat monatelanger revolutionärer Kämpfe; sie werden der Arbeiterklasse und besonders unseren Organisationen des Anarcho-Syndikalismus auch nur dann für die Dauer garantiert sein, wenn sie ständig in revolutionärer Kampfbereitschaft stehen. Diese Aufgabe erfüllt unsre spanische Bewegung. Alle Versuche der Regierung, die ihr unbequeme antiautoritäre proletarische Bewegung abzuwürgen und zurückzudrängen, stoßen von Anfang an auf den heftigsten Widerstand. Offene revolutionäre Kämpfe in den verschiedensten Städten sind aus diesen Gründen bereits ausgebrochen. Stark ist auch der Widerstand gegen die neue Madrider Regierung, die die Republik straff zentralistisch von Madrid aus regieren will, während z.B. in Katalonien und anderen Teilen Spaniens stürmisch der Wille nach föderalistisch-regionaler Gliederung und Autonomie zum Ausdruck gebracht wird.

Wir begrüßen unsere spanischen Kameraden, erklären uns mit ihnen solidarisch und fordern sie auf, in diesem bedeutenden Augenblick der Geschichte Spaniens und der internationalen Arbeiterbewegung stets die Ziele des revolutionären Anarcho-Syndikalismus fest im Auge zu behalten und als Avantgarde unserer Internationale für die freiheitliche Sache eine Gasse zu bahnen!

Wie uns das Sekretariat der IAA mitteilt, hat es sofort nach dem Umschwung in Spanien an unsere spanische Bruderorganisation, die CNT, ein Telegramm folgenden Inhalts gesandt:

„Beglückwünschen zur Befreiung politischer Gefangener. Hoffen auf baldige Abhaltung des nationalen Kongresses der CNT und des internationalen Kongresses der IAA in Spanien.“

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 17/1931.


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Die spanische Revolution und die Aussichten des freiheitlichen Sozialismus

Ein Brief aus der katalonischen Republik. Aus Barcelona schreibt uns Genosse M.N. (Max Nettlau):

Am 18. April in Barcelona eingetroffen, finde ich hier die Menschen in einem Zustand ruhiger Freude und wirklichen Glücksgefühls, der so gänzlich von der krankhaften Aufgeregtheit oder abgestumpften Verdrossenheit im Sinne eines „Zu spät!“ verschieden ist, mit der wenigstens in den mir bekannten Milieus seinerzeit im Oktober-November 1918 die großen mitteleuropäischen Umwälzungen aufgenommen wurden. In Katalonien brach ein seit Jahrhunderten diesem Ziel zustrebendes Volk im freigewählten Augenblick mit einer eleganten revolutionären Geste das Joch eines despotisch nivellierenden zentralistischen Systems, und wünscht sich nur ein eigenes inneres Leben aufzubauen und seine Beziehungen zu den benachbarten regionalen Gruppierungen auf eine jedem zentralen Zwang unabhängige Grundlage zu stellen. Von dieser Idee ist alles durchdrungen, und, was mehr ist, bis jetzt sind alle bereit, diese Idee Teile ihrer Sonderwünsche zu opfern, nachzugeben und vor allem eine dauernd gesicherte Grundlage neuer freier Entwicklung zu schaffen. In diesem Sinne ist der „Katalonische Staat“ bereits ein Ding der Vergangenheit, und nach freundlichen Besprechungen mit Madrider Ministern nennen sich die vier katalonischen Provinzen heute anders: die Generalitat de Catalunya (spanisch Generalidad de Cataluna), d.h. die katalonische Allgemeinheit, tatsächlich der Name einer im alten selbständigen Katalonien seit 1323 bestehenden Vertretung der damaligen drei Stände, des geistlichen, militärischen und königlichen oder des Volkes zur Aufrechterhaltung des zwischen den Königen, der Nation und den Freiheiten aller Katalonier geschlossenen Vertrags während der Zeit, in der die Cortes (das damalige Parlament) nicht tagten. Diese Daten zeigen schon etwas von dem Alter gewisser Beziehungen unter den Gesellschaftsklassen in Spanien, durch welche die Rechte jeder derselben vertragsmäßig festgesetzt und garantiert wurden. Daran rüttelten dann die Jahrhunderte des Absolutismus immer mehr, und der moderne demokratische Staat im Sinne der Französischen Revolution tat des gleichen, er nivellierte und zentralisierte, wodurch vieles Alte zweckmäßig weggeräumt wurde, wodurch aber ein allgemeiner Zwang und Druck entstanden, die niemand – wenigstens das spanische Volk nicht – wirklich mit dieser leeren Form, dem auf allen lastenden Staat befreundeten. Darum fand der Föderalismus seit hundert Jahren solch glänzende Vertreter in Spanien, ebenso der föderalistische Proudhonismus, der assoziative Anarchismus Bakunins und ebenso der dezentralisierte Syndikalismus: alle bedeuteten einen Weg von der Staatsknechtschaft weg zur autonomen und sich vertraglich assoziierenden Gruppierung der so mannigfaltigen und intim so stark differenzierten Teile der iberischen Halbinsel.

Das harte, moderne Leben, die Feindseligkeit aller Staaten gegeneinander verstärkten das Staatsprinzip und hinderten humanitäre, soziale und freiheitliche Entwicklungen.

Da war und ist wirklich Spanien das einzige geistig freie Land gewesen, das an den hundert Jahren europäischen Staatswahnsinns und amerikanischer Kapitalanbetung am wenigsten teilnahm, sich von dem europäischen Kriegstreiben seit 1815 gänzlich fernhielt, und dessen beste Männer immer die erwähnten alten freiheitlichen Grundsätze geistig und oft mit den Waffen in der Hand vertraten. Daher war hier diese glänzende Ernte in wenigen Stunden möglich, und ist seitdem diese heitere, freundliche Ruhe möglich gewesen, weil man eben dem jetzt mit einer Geste Weggeschobenen innerlich so gänzlich entwachsen war. Zu dieser geistigen Reife gehörte auch die Einsicht, dass es aller Klassenkampfideologie zum Trotz noch immer zahlreiche menschliche Gemeininteressen gibt, in erster Linie eben Freiheit, die Möglichkeit der vielartigsten freiheitlichen Betätigung, und daneben freundliches Zusammenleben anstelle des Lebens stachliger Igel, das die parteigestempelten Menschen untereinander führen.

Das sehen hier die Anarchisten ein, die länger und ausdauernder unterirdisch oder auch durch aufopfernde Einzelhandlungen gewirkt haben als in fast jedem anderen Land, die aber jetzt der großen Öffentlichkeit möglichst nahe treten wolle, um ihre Ideen der Isoliertheit zu entreißen. Ebenso sehen es die Syndikalisten, die sich vom Staat fernhalten, die aber jetzt in der Lage sind, eine Menge notwendiger und nützlicher sozialer Arbeit zu leisten, die geschaffen werden kann, sollte und muß. Die Nationalisten scheinen einzusehen, dass ein Nationalismus auf Kosten des ökonomischen Lebens und des freundlichen menschlichen Zusammenlebens eine unfruchtbare Sache ist, und die sind himmelweit entfernt von der entsetzlichen Verrohung der Nationalisten, die 1918-1919 die mittel- und osteuropäischen Nationalstaaten gründeten, die (…) sich moralisch aus der Menschheit selbst ausschalteten und unvermeidlich meist schon vernichtenden Diktaturen verfielen. Wenn ich von diesem 1918-19 nationalistischen „Geist“ hier einer Spur begegnet wäre, würde ich in der nächsten Stunde dieses Land hier verlassen und zu den Toten schreiben, wie jene Länder von 1918-19, aber ich wusste aus der kleinen Erfahrung meiner beiden früheren Reisen (1928, 1929), dass ich hier Menschen finden würde, die fähig und wert sind, frei und glücklich zu sein, und ich habe mich nicht getäuscht.

Dies sind freilich erst die Flitterwochen, die ersten Flittertage des neuen Spanien, aber gerade in solch erster Zeit hat man 1918-19 oft bestialisch gewütet, hier wüsste ich keinen Missklang zu nennen. Während ich diese Worte schreibe, legt mir Federica Montseny die „Solidaridad Obrera“, das Organ der Syndikalisten, vom 19. April hin, in deren Leitartikel ich lese: „Das katalonische Volk wird nie erlauben, dass Begrenzungen und Grenzen zwischen es und seine Brüder der übrigen Regionen gesetzt werden. Besonders werden die Arbeiter nie zustimmen, dass politische Barrieren das spanische Proletariat trennen“.

Das haben die Arbeiter von 1918-19 nicht gesagt und haben die mitteleuropäischen Zerstückelungen geschehen lassen oder sich sogar darüber gefreut: dafür ist ihr Sozialismus heute im Nationalismus untergegangen, oder der Faschismus hat sie am Kragen, oder sie sind im Bann eines ohnmächtigen aufgeregten Kommunismus oder gar eines tollwütigen „Nationalsozialismus“, oder sie schlummern unter der großen Schlafmütze der Sozialdemokratie!

Gewiß ist Spanien weder vom Kapitalismus, noch von den Politikern, weder von der Armee, noch von den Pfaffen befreit, aber die besseren Elemente haben überall das Wort, und ihre Erfahrung lehrt sie, sich ihr Glück nicht zu verscherzen und ihren lauernden Feinden keine Angriffspunkte zu geben. Keine Diktatur, d.h. Alleinherrschaft einer Partei, sondern Eintracht und gegenseitige Rücksicht – in diesem Zeichen steht man heute und möge noch lange bleiben; ein schöner und vernünftigerer Tag nach der Revolution ist nicht zu denken. Für alles andere müssen erst wirkliche Kräfte durch ausdauernde Arbeit begründet werden. Denn mit Arbeitermassen kann man unmittelbare, wirkungsvolle Siege erringen und muß dies tun, aber nur die außerordentlich viel kleinere Zahl freiheitlicher Sozialisten könnte etwas Sozialistisches dauernd aufbauen. Daher muß diese Zahl durch Propaganda sehr vergrößert werden, und hierzu gehört eine allgemein freisinnige Atmosphäre, wie sie jetzt geschaffen wurde und einen kostbaren Schatz bildet. Glücklich sind die spanischen Arbeiter, denn sie konnten aus allen seit 1914 und 1917 im übrigen Europa gemachten unzähligen Fehlern viel lernen und haben dies auch, soviel ich sehe, getan. Die ergreifendsten Ereignisse waren überall die Befreiungen der Gefangenen, denen kein Widerstand entgegengesetzt wurde, die aber vielfach vom Volk durch direkte Aktionen beschleunigt wurden. So ist endlich der junge Pedro Mateo wieder in Freiheit, der seit 1921 anläßlich der Tötung des Ministers Dato, der die Arbeiterermordungen in Barcelona geduldet hatte, in Gerona und dann in Valencia in lebenslänglichem Kerker saß. Er wurde direkt aus dem Kerker zu der tausendköpfigen Volksmenge vor demselben gebracht und mußte Reden halten, dann ließen ihn die Arbeiter von Valencia zwei Tage nicht fort, am 18. kam er nach Hause, von einer Station vor Barcelona direkt zu seiner Familie. Seine Mutter hatte ihm seinerzeit das Leben gerettet, indem sie mit seiner minderjährigen Schwester resolut nach Madrid zu Primo de Rivera fuhr und so zu ihm zu sprechen wusste, dass lebenslänglicher Kerker ihn vor dem sicheren Tode bewahrte. Jetzt findet er seine Schwester als blühendes junges Mädchen wieder, ganz den Ideen ergeben. Sie hatte ihn gestern früh zuerst wieder gesehen, sie war auch unter den Freunden, die mir am Bahnhof begegneten, und ich habe wohl nie ein von Glück durchleuchteteres Gesicht gesehen als das ihrige – außer am Abend, als wir Pedro Mateo brachten, das seiner guten Mutter. Er selbst ist das Bild heiterer und sicherer Festigkeit, derselbe Mann wie früher. Solche Wiederbegegnungen gab es im ganzen Land, und Freude strahlt förmlich aus von diesen kleinen Gruppen glücklicher Familien und Freundeskreise.

Dieser große Umschwung in Spanien ist „unter einem glücklichen Stern geboren“, was man heute eugenisch nennt. Das gehört dazu, und wenn wir aus den anderen Ländern nicht auf der Stelle Ähnliches tun können, sollte uns dies nicht daran hindern, unermüdlich die Vorbedingungen zu schaffen, Stimmungen und Einsichten, die solche allgemeinen Bewegungen erst ermöglichen. Anders mag es in dem Land sein, an das neben Spanien wir alle in erster Linie denken – in Italien. Für dieses Land könnte vom freien Spanien eine Welle der Ermutigung und tatkräftiger Entschlossenheit ausgehen, die den Faschismus als Sturmflut hinwegspült. Selbst das hoffnungslose kleine Österreich setzte dieser Verknechtung im November 1930 einen Damm entgegen, und auch in Deutschland, nach meinen Eindrücken wenigstens erhebt sich gegen die Reaktion Widerstand, nun könnte die kräftige Tat in Spanien dem Faschismus Flügel geben, sich hinwegzuheben… Und der Kommunismus? Für den ist in Spanien kein Boden, dazu schüttelt man nicht Diktatur und Monarchie ab, um sich ein kommunistisches Joch aufzulegen! Wann werden die Bretter vor den Köpfen dieser Diktaturschwärmer fallen?

Dies sind so meine ersten Eindrücke nach gerade einem Tag in diesem mich immer neubelebenden sympathischen katalonischen Milieu. 19. April 1931 M.N.

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 18 vom 02. Mai 1931


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Zur Lage in Spanien

Wir wissen alle, dass man nicht von Freude allein leben kann, aber in den seltenen Augenblicken wirklich großer Freude tut man es doch. Das spanische Volk, nach der kurzen Fortschrittszeit 1854-1856 von neuem den reaktionärsten Regierungen unterworfen, erlebte solche Freude im September 1868, als Alfons’s Großmutter Isabella vertrieben wurde, und im Februar 1873, als nun endlich die Republik proklamiert wurde, und im Juni jenes Jahres, als mit Pi y Margall eine Verwirklichung des Föderalismus bevorzustehen schien. Seitdem nur traurige Ereignisse mit nur kümmerlichen Momenten der Genugtuung, jedes Mal wenn Canovas, der konservative Minister, fiel, und als er getötet wurde. Schließlich die Hoffnungen der Jahre 1917 bis 1920, als neben die russische und die erwartete italienische soziale Revolution eine spanische zu treten schien. Mörderische Unterdrückung und die Diktatur von 1923 lasteten seitdem auf dem Volk, das erst im Januar 1930, Primos Sturz, aufatmete. Dann folgten noch die 15 Monate eines grenzenlos unaufrichtigen Regimes, das bis zuletzt die Frage offenließ, ob es versuchen würde, sich durch das Blutbad eines Kriegs gegen das ganze Volk aufrechtzuhalten, oder ob es dem Volkswillen weichen würde. Nun, alle Kräfte entzogen sich allmählich diesem System, und es verzog sich am 14. und 15. April durch schleunige Abreise mit längst gepackten und wohlgefüllten Koffern. Sollen da nicht dem Volk Tage und Wochen reiner Freude gegönnt werden?

Das sind die seltenen Zeiten, in denen alle anständigen Leute sich zuerst als Menschen unter Mitmenschen fühlen, und die Interessenpolitik nicht in die erste Reihe stellen. So auch die Arbeiter, in denen, soweit sie von freiheitlichen Ideen überhaupt berührt sind, diese Ideen sehr intensiv leben, intensiver als in manchen anderen Ländern. Sie blieben sozial weder untätig, noch uninteressiert, aber es gab und gibt so viel zu tun, dass trennende Fragen nicht in den Vordergrund gestellt wurden. Das Wesentliche in einer solchen Zeit ist, eine allgemeine breite und feste Grundlage zu schaffen, die späterem sozialen Vorgehen den Weg erleichtert. So ist die bisher von Regierungen nie anerkannte, nur geduldete Organisation, die sich ihrerseits nie um eine solche Anerkennung bemühte, nun ein grundsätzlich anerkannter freier Organismus. So zerstoben in alle Winde die nichtswürdigen sogenannten Sindicatos libres, „freie Gewerkschaften“, Polizei- und Diktaturgründungen, in denen die Mörder der aktiven Syndikalisten saßen, die dann in den Diktaturjahren in die Fabriken gingen und die Arbeiter mit dem Revolver zwangen, in diese Schandgewerkschaften einzutreten. Im November 1930 richtete sich die Volkswut gegen die Häuser dieser Mord- und Erpressungsgewerkschaften. Ein solches Haus steht an der Rambla, der belebtesten Promenade von Barcelona, da zogen sie noch im November aus den angreifenden einen jungen Anarchisten heraus und schleppten ihn die Stiege hinauf, um ihn oben zu quälen und zu töten. Damals war schon die Polizei, die früher diese Werkzeuge der Diktatur geschützt hatte, etwas erschüttert und drang in das Haus ein und entriß ihnen dieses Opfer, um ihn dann zu verhaften; aber es gelang ihm, nach Frankreich zu flüchten, und er ist nun längst zurück. Drei dieser Führer der „freien Gewerkschaft“ flüchteten in einen Weinschank in einer der volksdurchwogten, ganz engen Straßen des alten Barcelona und wurden nach langem Hin- und Herschießen erschossen, ein anderer wurde auf der Straße gelyncht. Solche Zustände gab es vor einem halben Jahr noch, und trotzdem war die Freude, war der Enthusiasmus so groß, war die Befreiung der Gefangenen das dem Herz der Arbeiter nächste Ziel, so dass unterlassen wurde, diesen Vipern nachzujagen und sie zu zertreten; sie haben sich von selbst verkrochen. In einem ihrer Häuser fand man ein Dutzend Bomben und Waffen usw., und dieses Haus ist ziemlich hergenommen worden, und noch jetzt stehen Soldaten zwanglos in seiner Nähe herum, und ebenso eine Feuerspritze. In einem ausländischen Blatt las ich, dass bei Syndikalisten Bomben gefunden wurden und Verhaftungen stattfanden, und das betraf das Haus dieser Arbeitermörder, und so wird die europäische Öffentlichkeit durch ihre Presse unterrichtet! Diese Personen werden ihrem Schicksal nicht entgehen, aber einstweilen wünschen die Arbeiter selbst keine Zwischenfälle durch individuelles Vorgehen. Von diesen Hindernissen befreit, stehen die Arbeiter in den Betrieben dem Unternehmertum ganz anders gegenüber als bisher, und diese wird sich natürlich sozial auswirken. Vieles, was anderswo längst eine Selbstverständlichkeit ist, muß in Spanien auf diesem Gebiet erst begründet werden. Maßnahmen, die durch Gesetzgebung, Vertrag und direkte Aktion eingeführt werden wie überall. Die Lage der Arbeiter ist sehr differenziert, in Barcelona kann in kürzester Zeit versucht werden, den Sechsstundentag durch direkte Aktion (Verlassen der Fabrik nach 6 Stunden) einzuführen, während in nicht weit entfernten katalonischen Industrieorten noch 9 Stunden gearbeitet wird. Der 1. Mai wurde Nationalfeiertag, das internationale Achtstundenabkommen wurde ratifiziert, eine fortschrittliche Frau, Victoria Kent, wurde Generalinspektorin der Gefängnisse, die erste Frau in öffentlicher Stellung. Die katalonischen Arbeiter betonen auf das stärkste ihr Festhalten an der spanischen Einheit (keine inneren Grenzen); nur die Kommunisten, die sich überall dort einnisten, wo Konflikte zu verschärfen und zu vergiften sind, erklären sich als Separatisten. Für die Arbeitslosen fehlt es noch an jeder öffentlichen Fürsorge, und sie beginnen vorhanden zu sein durch die nicht geringe ökonomische Krise, und das Zurückströmen vieler Tausender von Arbeitern aus Frankreich, Belgien, Nordamerika, den Diktaturstaaten Kuba und Argentinien usw. wird das Problem der Arbeitslosen immer akuter machen.

Es geschieht, was möglich ist, um den Verfügungen der provisorischen Regierung durch kollektiven Druck einen fortschrittlichen Charakter zu geben und reaktionäre Entgleisungen zu beseitigen. So wurde von den zahllosen Deserteuren jetzt absurderweise verlangt, dass sie, um amnestiert zu werden, einige Zeit nachdienen, und dagegen wendet sich heute (Solidaridad obrera, 28. April) das katalonische Regionalkomitee der Confederacion (CNT). Ein Streik der Schuhmacher von Barcelona tritt in die dritte Woche. Das Metallarbeitersyndikat reorganisiert sich, doch ist all dies provisorisch bis zum Kongreß der CNT im Juni in Madrid, dem der Kongreß der IAA folgen wird. Die sozialdemokratische Gewerkschaftsinternationale begann schon ihren Kongreß in Madrid am 27. April, mit den spanischen sozialistischen Ministern und Emil Vandervelde aus Belgien usw. Viele Syndikate in Barcelona halten ihre Versammlungen, die mit Rekonstruktionsarbeit beschäftigt sind. Ein Geschichtsblatt in dieser heutigen „Solidaridad“ ist die Schilderung des letzten Zusammentretens der Mörder des Sindicato libre in ihrem unheilvollen Haus in der Calle de la Union am 14. April unter ihrem Chef Ramón Sales, mit all ihren Reserven, zuerst mit der Absicht, blutig aggressiv vorzugehen, dann durch die Nachrichten vom Sieg der Republik erschüttet und schließlich in Todesangst sich verflüchtigend. So sind die Nachrichten eines Tages im revolutionären Barcelona, und man sieht daraus, dass es an fleißiger, wenn auch unscheinbarer Arbeit nicht fehlt.

Im übrigen Spanien kann nur dasselbe sein, mit bedeutender Abschwächung an Zahl und Intensität, und von Madrid ab nordwärts, mit Ausnahme des Nordwestens (Galicien), wo freiheitliche Elemente sind, beginnt das Reich der politischen Sozialisten. Die sozialpolitische Geographie Spaniens ist wirklich von der Bodenform und dem Klima im äußersten Grade abhängig. Das wenig fruchtbare Binnenland und der rauhe Norden brachten immer die religiös fanatischen und militärisch fügsamen Kräfte hervor, die den fruchtbaren Süden mit seinem ,milden Klima, wo freiheitliches Denken in den reichen und arbeitsamen Städten sich schneller entwickelte, im Zustand staatlicher Unterdrückung hielten. Daher blühten im Süden der republikanische Föderalismus und der Anarchismus, während im Norden das Staatstum, der Carlismus, die Sozialdemokratie, der Kommunismus vorwogen, und dies erklärt die vielhundertjährige Spannung – eine eigentlich jedem Land eigenen Disharmonie zwischen den in naturbegünstigten und den in rauheren Gegenden lebenden Teilen der Bevölkerung, die weder die Vorherrschaft eines dieser Teile, noch Trennung und Absperrung beseitigen können, sondern nur solidarischer Föderalismus, und diesen Standpunkt vertreten die spanischen Arbeiter (die Kommunisten immer ausgenommen).

Man kann wohl sagen, dass bis zum Kongreß der CNT im Juni eine große Reorganisation stattgefunden haben wird, und dann wird sich zeigen, welche Richtung die große Organisation nehmen wird, die eines vom Anarchismus durchdrungenen Syndikalismus, die heute die der besten Kämpfer ist und bleibt, oder ob durch die schnelle Ausbreitung der Organisation in diesen zwei Monaten wenige entwickelte Elemente zahlreicher werden. Es ist dies eine Lebensfrage des Syndikalismus, und sie wird hier jedenfalls ernst und gründlich behandelt werden, und man hofft, dass die freiheitliche Richtung durchdringen wird.

In diesem Sinn den vollen Wert des organisierenden Syndikalismus des täglichen Kampfes und den Wert des erziehenden, Kopf und Herz der Menschheit mit neuen Idealen erfüllenden Anarchismus gleicherweise betonend, sprachen die Redner der ersten großen Versammlung anarchistischer Affirmation (Geltendmachung der anarchistischen Ideen) am 21. April im Riesensaal des Palacio de Bellas Artes, vor zirka 10.000 Zuhörern. Dies war die erste große, gänzlich freie Versammlung seit 1873, ohne Polizei im Saal und draußen, und sie verlief mit der Ruhe der großen englischen Versammlungen; die Redner sprachen klar und energisch, ohne Rhetorik, kein Wort zu viel. (1)

Nun freuen wir uns auf einen Ausflug in die Berge am Sonntag, dem 8. Mai, an dem nur engere Kreise teilnehmen wollten, etwa 50. Da man aber weiß, dass Pedro Mateu und andere der Freiheit wiedergegebene dort sein werden, scheint es, dass aus der ganzen Umgebung die Genossen zusammenströmen werden, vielleicht tausend, und man fürchtete, dass der einzige Brunnen, der dort sein soll, ausgeschöpft wird – und was dann? Denn mit Wein und Bier geben sich die frugalen Spanier nicht viel ab. So idyllisch verlaufen noch diese schönen Wochen, und lassen bessere Eindrücke zurück als Äußerungen von Hass und Zorn und physischem Kampf. Denn gekämpft auf jede Weise hat man in Barcelona seit hundert Jahren mehr als irgendwo sonst in Europa, das währenddem meist in tiefer Stille lag, und so wird man auch jetzt weiter nach dem eigenen Rhythmus vorgehen, und jedes andere Volk tue dasselbe.

M.N. Barcelona, 28. April 1931

(1) Das Ehrenpräsidium dieser großen Versammlung erhielt der Genosse Nettlau selbst, der den Versammelten eine Eröffnungsansprache hielt. Sie wurde in der Presse der CNT abgedruckt. D. Red.

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 19 vom 09. Mai 1931


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Die letzten Vorgänge in Spanien. Die CNT bewaffnet die Arbeiterklasse!

Blutige Zusammenstöße am 1. Mai in Barcelona

Am 1. Mai demonstrierten etwa 100.000 Arbeiter in Barcelona unter der Führung der syndikalistischen Confederacion Nacional del Trabajo und der anarchistischen Föderation Iberiens für die proletarischen und revolutionären Forderungen. Von mehreren Stellen wurde zur Arbeiterschaft gesprochen. Die Hauptdemonstration wurde im Theaterpalast de Bellas Artes abgehalten. Nach Schluß der Versammlungen begab sich die Menge zum Platze der Republik, wo provokatorische Elemente und die Polizei auf die friedlichen Demonstranten schossen. Mehrere Demonstranten und einige Polizeibeamte wurden verwundet, ein Sicherheitsagent wurde getötet. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Polizeikräften.

Nach kurzer Zeit trafen Truppenabteilungen auf dem Kampfesplatz ein. Die Soldaten stellten sich zwischen Arbeiter und Polizei und nahmen eine freundliche Haltung für die Arbeiter ein. „Solidaridad Obrera“ schrieb von Fraternisierung zwischen Arbeitern und Soldaten. Die Polizei war machtlos und zog sich zurück. Sie konnte nicht im entferntesten daran denken, Verhaftungen vorzunehmen obwohl einer der ihrigen getötet wurde. Hieraus geht hervor, dass die Arbeiter siegreich waren und die Straße behaupteten.

Die Demonstranten zogen vor das Regierungsgebäude, wo erst Staatsrat Casanovas und dann Präsident Macia zu der Menge sprach. Macia erklärte, dass er niemals gegen die Arbeiter vorgehen würde, solange er seinen Posten innehabe. Er verurteilte das Auftreten der Polizei und fügte hinzu, dass er, wenn er anwesend gewesen wäre, dafür gesorgt hätte, daß die Polizei keine Brutalitäten hätte begehen können.

Die syndikalistische Organisation gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Sie erklärt in ihrer Zeitung „Solidaridad Obrera“, dass diese Ereignisse noch einmal beweisen, wie notwendig es für die Arbeiter ist, sich zu bewaffnen. Die Situation in Spanien erfordert, dass die Arbeiter nicht mit verschränkten Armen dastehen und ruhig zusehen, wie ihre Gegner bis zu den Zähnen bewaffnet sind. Wären die Arbeiter am 1. Mai bewaffnet gewesen, dann hätten es die Provokateure nicht gewagt, in die Massen zu schießen. Auf ihrer Reichskonferenz am 23. April in Madrid haben die syndikalistischen Organisationen beschlossen, Verteidigungskader innerhalb der CNT zu bilden.

Die CNT erklärt außerdem noch, dass die verantwortlichen Elemente für diese blutigen Zusammenstöße vom 1. Mai zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Das Proletariat Barcelonas war von einem prächtigen Geist der der Solidarität und des Edelmuts beseelt. Es hat sich von keiner Seite provozieren lassen, sondern mit eleganter Geste jede Provokation von sich gewiesen. Die Haltung der Soldaten zeigt, dass bei kommenden ernsthaften Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Kapitalisten die Soldaten sich auf die Seite der Arbeiter stellen werden.

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 20/1931


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Außerordentliche Reichskonferenz der syndikalistischen Organisation in Madrid

Die syndikalistische Confederacion Nacional del Trabajo hielt eine außerordentliche Reichskonferenz in Madrid ab, wo wichtige Fragen für die Organisierung des spanischen Proletariats und für die Stellung zur gegenwärtigen Lage im Lande behandelt wurden. Es wurde beschlossen, einen außerordentlichen Kongreß vom 10. bis 13. Juni in Madrid abzuhalten, und im Anschluß daran soll der Internationale syndikalistische Kongress stattfinden.

Bis zur Abhaltung des Reichskongresses der spanischen Syndikalisten hat die Reichskonferenz zu den dringenden Tagesfragen folgende Stellung eingenommen:

Um zu verhindern, dass sich die Reaktion wieder festsetzt und um ihre Organisation, die Confederacion Nacional del Trabajo, zu verteidigen, ist es erforderlich, dass Verteidigungskader gebildet werden. Diese sollen örtlich, provinzial und national gegliedert sein, aus den Reihen der Arbeiterschaft hervorgehen und unter der Kontrolle der Condederacion Nacional del Trabajo stehen.

Von der gegenwärtigen republikanischen Regierung wird erwartet, dass sie allen proletarischen Organisationen vollste Freiheit für ihre Organisation, Propaganda und Presse gewährleistet.

Alle Organisationen, die der Monarchie gedient haben und die Arbeiter und deren Organisationen verfolgten und zahlreiche Genossen mordeten; die für den Sturz der Bourbonenherrschaft kämpften, sollen entwaffnet werden.

Die öffentliche Meinung soll bearbeitet werden, damit von den vorherigen Regierungen und Mächten, die Hunderte von Genossen in der Unterdrückungsperiode mordeten. Rechenschaft gefordert werden kann.

Auf wirtschaftlichem Gebiete wurden folgende Dringlichkeitsforderungen gestellt:

  • Einführung des Sechsstundentages, um die Erwerbslosigkeit einzudämmen.
  • Enteignung der Großgrundbesitzer, damit die Landarbeitergewerkschaften das Land kollektiv bearbeiten, bis die Sozialisierung des Bodens erreicht ist.
  • Einführung von Mindestlöhnen, die den Forderungen des Tages entsprechen.


Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 20/1931


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Sonderbericht

In Barcelona haben die Genossen ein freiheitliches Korrespondenzbüro organisiert, das sich die Aufgabe gestellt hat, im Inland und vor allem auch im Ausland der Wahrheit entsprechende Nachrichten über Spanien und über die Kämpfe des Proletariats zu verbreiten. Eine proletarische Nachrichtenstelle für die ausländische Presse ist umso erforderlicher, als gerade über Spanien die unglaublichsten Falschmeldungen von bürgerlicher und von sozialdemokratischer sowie kommunistischer Seite im Ausland verbreitet werden. Wir begrüßen daher die Initiative der spanischen Genossen und hoffen, dass es ihnen gelingen wird, die proletarische Öffentlichkeit über die wirklichen Verhältnisse in Spanien aufzuklären. Die Adresse der Nachrichtenstelle ist: Rafael Martinez (U.C.), Calle Guardia 12 pral. Barcelona.

Soeben traf der erste Bericht des Nachrichtenbüros ein, den wir nachfolgend zum Abdruck bringen:

Die Regierung von Madrid ist vollauf damit beschäftigt, das neue politische Regime zu verankern. Die katalonische Regierung muß sich außerdem noch mit einer neuen Regelung des Wirtschaftslebens befassen. In Katalonien ist nämlich die Industrie am weitesten fortgeschritten. Daraus ergeben sich andere Probleme als im übrigen Spanien, wo die bisherigen Bodenbesitzverhältnisse jede fortschrittliche Entwicklung gehemmt hatten. Angesichts der fast mittelalterlichen Verhältnisse, die bisher in Spanien auf dem Lande geherrscht hatten, wird es eine längere Zeit dauern und energischer Erziehungsarbeit bedürfen, um die Verhältnisse und die Bevölkerung dem Fortschritt zugänglich zu machen. In Katalonien dagegen kann die Entwicklung zur Freiheit rascher vor sich gehen.

Während sich die neuen Regierenden mit einer Fülle von organisatorischen Staatsaufgaben beschäftigen, sind die siegreichen Parteien und Volksteile drauf und dran, ihre Errungenschaften auszubauen.

Am stärksten tritt die Aufbautätigkeit der freiheitlichen Confederacion Nacional del Trabajo in Erscheinung. Diese Organisation, die den stärksten Teil der Arbeiterbewegung des Landes darstellt, war während der Diktatur verboten und bestand nur in Geheimbünden weiter. Sie hat es indessen verstanden, sich intakt zu halten. Seit Ausrufung der Republik und seit Bestehen der freien Meinungsäußerung, der Presse- und Koalitionsfreiheit drängen sich die Massen zu dieser Organisation. Täglich kommen die Arbeiter in Massen, um sich in ihre Industriegewerkschaften aufnehmen zu lassen.

Die Mächte der Vergangenheit werden immer mehr zurückgedrängt, während die Kräfte, die einer neuen, freien Zukunft zustreben, immer stärker anwachsen. All das geht in scheinbarer Ruhe vor sich, da die politischen Freiheiten von den Behörden nur wenig eingeschränkt werden. Ein Beleg hierfür ist das große Meeting, das im größten Theater Barcelonas abgehalten wurde, an dem gegen 10.000 Personen teilnahmen. Die Einberufer waren die syndikalistische Organisation und die anarchistischen Gruppen, und die Reden der Anarchisten und Syndikalisten wurden durch Radio verbreitet. Anwesend war auch der gelehrte Bibliograph des Anarchismus, Dr. Max Nettlau.

Die Anarchisten arbeiten gemeinsam mit der CNT, um alle Angriffe gegen die Organisation zu verteidigen und um den revolutionären Geist in den Gewerkschaften aufrechtzuerhalten. In allen Orten bilden sich zahlreiche Gruppen von gut bewaffneten Anarchisten, die bereit sind, im gegebenen Zeitpunkt in den Kampf für die Enteignung der Bourgeoisie und der Kapitalisten zu treten, um die reaktionären Kräfte zu entwaffnen und eine neue freiheitliche Gesellschaftsordnung zu errichten. Diese anarchistischen Gruppen bilden über ganz Spanien die Anarchistische Föderation Iberiens, die sich bis nach Portugal erstreckt

Doch der Zersetzungsprozeß der alten Gesellschaft geht langsam vor sich und stellt an die Geduld der Revolutionäre harte Proben. Zieht man indessen in Betracht, dass man Gebräuche, Sitten und Einrichtungen mit tausendjähriger Vergangenheit zerstören und neue Gesellschaftsformen an deren Stelle setzen muß, dann wird man begreifen, dass eine gewisse Zeit hierfür erforderlich ist.

Freiheitliches Nachrichtenbüro

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 20/1931


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Erich Mühsam - Spanien (1931)

Einmal reift die Saat der Rache,
einmal muß der Morgen tagen,
da für unsre heilige Sache
himmelauf die Flammen schlagen.

Einmal schafft der Zorn sich Raum,
weckt zur Tat den Freiheitstraum.
Finsternis und Ketten löst er.
Seht, in Spanien brennen die Klöster!

Schwaden ziehn in düstrer Wolke
Glutgerötet übers Land.
Stürme, aufgepeitscht vom Volke,
schüren den Zerstörungsbrand.

Seht, das Strafgericht, das rasche,
ist am Werk, die Schmach zu rächen,
und die Stätte der Verbrechen
Torquemadas sinkt in Asche.

Ob Sevillas Kathedrale
hehrer Küste Schätze berge,
schert euch nicht um Goldpokale!
Feuer an der Freiheit Särge!

Mag ihr Prunk in Trümmer poltern!
Denkt an ihre Ketzerfoltern!
Denkt an ihre Scheiterhaufen!
Feuer soll die Freiheit taufen!

Feuer sei des Volkes Tröster!
Seht, in Spanien brennen die Klöster!

Rote Glut in düstern Schwaden-
Könige flüchten, Pfaffen zittern.
Einmal muß sich in Gewittern
jedes Volkes Zorn entladen.

In die Schlösser schlagen Blitze,
in Altar und Beichststuhl ein.
Auch der Gutsherrn Räubersitz
rötet schon ein Feuerschein.

Bischofsmütze, Möncheskutte
gebt den Flammen zum Verzehr!
Ach, die Heiligen unterm Schutte
wirken keine Wunder mehr!

Wunder wirkt aus andern Sonnen
als aus hölzernen Madonnen.

Wo das Volk sein Land bestellt,
wo der Kinder Zukunftswelt
Glaube ist und Zuversicht,
da bedarfs der Götter nicht.

Ferrers Saat ist aufgegangen.
Er ist nicht umsonst getötet.
Freiheit ist des Volks Verlangen.
Spaniens Nacht, vom Brand gerötet,
kämpft dem Freiheitstag entgegen.

Löscht nicht vor der Zeit die Flammen!
Rettet keine Zwingruinen!
Pfaffenherrschaft bricht zusammen.

Aber ihr – im Morgenregen
Nehmt das Land und die Maschinen!

Dieser Tag wird euer größter.
Seht, in Spanien brennen die Klöster!

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 22/1931


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Spanien, seine Revolution und der Anarchosyndikalismus

Aus einem Vortrag von C(arl) Windhoff

Über Spanien, seine Revolution und den Einfluß des Anarcho-Syndikalismus, sowie über den Kongreß der „Confederacion Nacional del Trabajo de Espana“ (CNT) und den 4. Weltkongress der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) soll ich hier Bericht erstatten. Zum besseren Verständnis der spanischen Verhältnisse halte ich es für notwendig, zunächst die geographischen, wirtschaftlichen, geschichtlichen und religiösen Verhältnisse dieses Landes kurz zu beleuchten.

Das heutige Spanien ist nahezu so groß wie Deutschland, es umfasst 506.000 qkm. Die Einwohnerzahl beträgt 23 Millionen. Von der Bodenfläche des Landes sind zirka 25 Millionen Hektar unter Kultur. Die übrigen 25 Millionen Hektar sind Steppen, Ödland und kahles Gebirge.

An Erzen und Mineralien ist Spanien das reichste Land Europas. Die systematische Ausbeutung der Naturschätze fehlt, so dass nur ein kleiner Teil dieser ungeheuren Naturschätze gefördert wird.

Von dem kulturfähigen Boden liegen zur Zeit große Strecken unbearbeitet da, und tausende Landarbeiter sind in den letzten Jahrzehnten ausgewandert, vornehmlich wegen der in Spanien bezahlten niedrigen Löhne.

Diese hier kurz geschilderten Verhältnisse waren nicht immer so, wie wir noch sehen werden.

Die Geschichte Spaniens ist sehr wechselreich. Die Völker der Kelten, Römer und Westgoten stritten sich viele Jahrhunderte um den Besitz des reichen Landes. In den Jahren 700 bis 710 fielen die Araber in Andalusien (Südspanien) ein, eroberten das Land und zerschlugen das Reich des letzten Gotenkönigs. Die Araber eroberten dann nach und nach fast die gesamte pyrenäische Halbinsel.

Die arabischen Eroberer übten einen gewaltigen Einfluß auf die Kultur des Landes aus. Kunst und Wissenschaft blühten überall auf wie nie zuvor. Großartige Leitungen vollbrachten die Araber, insbesondere auf dem Gebiete der Architektur und des Städtebaues. Erwähnen möchte ich hier den alten Stadtbau von Toledo. Nicht nur diese Stadt selbst mit ihren gewaltigen Mauern, sondern auch eine Anzahl Gebäude innerhalb Toledos sind Zeugen der arabisch-mohammedanischen Baukunst.

Besonders zu erwähnen sind hier die Kathedrale in Toledo, erbaut 1227, dann die Brücke über den Tajofluß und insbesondere auch das Sonnentor.

Aber nicht nur in Toledo, sondern auch in vielen, vielen anderen Städten Spaniens finden wir heute noch stolze Zeugen arabischer Baukunst, so z.B. die Kathedrale in Sevilla, den Palast Alcazar in Sevilla.

In Cordoba steht eine der schönsten Moscheen, die zu den prachtvollsten Bauwerken der Welt zählt. Diese Moschee, erbaut 786-794, hat im Innern 1.200 Mamorsäulen, worauf die Gewölbe ruhen. Innerhalb dieser gewaltigen Moschee ist im 16. Jahrhundert, nachdem die Araber aus dem Lande herausgedrängt worden waren, eine katholische Kirche eingebaut worden.

Die Stadt Cordoba zählt heute etwa 70.000 Einwohner. Nach mohammedanischen Angaben soll Cordoba im 10. Jahrhundert eine Million Einwohner gezählt haben, ferner sollen dort vorhanden gewesen sein: 200.000 Häuser, 8.000 Paläste, 600 Karawansereien (Unterkunftshäuser), 900 öffentliche Bäder, 300 Moscheen, 80 öffentliche Schulen und eine großartige Bibliothek mit 600.000 Bänden.

Allem Anschein nach sind diese Angaben übertreiben, immerhin aber legen sie Zeugnis davon ab, dass die Stadt zur Zeit der Araberherrschaft in hoher Blüte stand.

Die Stadt Granada, im Süden Spaniens, im Jahre 756 von den Arabern erbaut, erlangte ebenfalls eine hohe Blüte und zählte damals schon einige Hunderttausend Einwohner, 50 hohe Schulen und 70 Bibliotheken waren vorhanden. Bei der Stadt Granada steht der von den Arabern aufgeführte, in architektonischer Hinsicht hochkünstlerische Wunderbau der „Alhambra“, der Weltruhm erlangte.

So könnte man noch viele alten Städte und stolze Bauten aus der Araberzeit anführen. Das arabische Volk legte im Lande auch viele Wasserleitungen an und bewässerte große Strecken der Ödländereien. Zur damaligen Zeit nannte man Spanien die Kornkammer Europas. Die arabische Periode bezeichnet man im allgemeinen heute als mohammedanisch-arabische Kulturperiode. Am Ausgang des Mittelalters wurde die Herrschaft der Araber mehr und mehr gebrochen, und sie war um das Jahr 1.500 überall erledigt.

An Stelle der niedergebrochenen Araberherrschaft dringt nun das Christentum vor. Die christliche Kultur zieht ins Land ein.

Es macht sich eine Anzahl christlicher Fürsten- und Königreiche breit, die durch ihre vielen, immerwährenden Kriege das Land mehr und mehr dem Ruin entgegenführten. Große, stolze Städte zerfielen und fruchtbare Länderstreiche verödeten mehr und mehr.

Viele Höhenzüge und Berge wurden abgeholzt und nicht wieder aufgeforstet. Das hatte zur Folge, dass der Humusboden mehr und mehr von den Höhen abgespült wurde, und die brennende Sonne Spaniens hat dann im Laufe der langen Jahre bewirkt, dass die ehemals bewaldeten Höhenzüge im Innern des Landes heute zum großen Teil weite, öde, kahle Gebirgszüge darstellen, wo jede Kultur abgestorben ist.

Mit dem Christentum machte sich nun auch der Klerikalismus, d.h. die politische und wirtschaftliche Herrschaft der Kirche und der Pfaffen breit. Hunderte Mönchs- und Nonnenklöster entstanden. Diese Klöster waren vielfach im Besitz des Grund und Bodens und betrieben die Ausbeutung der Bauern und Landarbeiter genau so, wie es die katholische Kirche und deren Vertreter zur Zeit des Mittelalters in Deutschland gemacht haben. Im Jahre 1887 wurden die Klöster in Spanien aufgehoben, aber einige Jahre später wiederum freigegeben.

Wie die katholische Kirche und ihre Klöster sich in Spanien breitgemacht haben, dafür nachstehend einige wenige Beispiele. In Sevilla, heute 160.000 Einwohner, befinden sich 74 Kirchen und Klöster, eine große Kathedrale mit 5 Hauptschiffen, 37 Seiten Kapellen, 83 Altären und einer Orgel mit 5.000 Pfeifen. Dieser Prachtbau wurde aufgeführt vom Jahre 1.400 bis 1.500. In Toledo, etwa 25.000 Einwohner, befinden sich: eine große Kathedrale, 25 Kirchen, 19 Nonnenklöster (früher waren auch noch 87 Mönchsklöster vorhanden), 10 Hospitäler, 8 Erziehungsanstalten für adlige Mädchen, ein Bischhofspalast, ein Priesterseminar und ein Lehrerseminar.

Im ganzen Lande Spaniens befinden sich augenblicklich 95 religiöse Orden, über 3.000 Klöster und über 18.000 Kirchen.

Auch heute sind Kirchen und Klöster noch im Besitze von viel Grund und Boden und Kapital. Die Erzbischhöfe und Bischöfe erhalten jährlich 30.000 bis 60.000 Pesetas Gehalt ohne ihre Nebeneinkünfte.

Der König und die Regierung waren immer der Kirche untertänig und dokumentierten dies bei jeder sich darbietenden Gelegenheit, insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen wie Prozessionen und dergleichen mehr.

Der Klerus hat es immer verstanden, in all den Jahrhunderten in das politische Leben des Landes tonangebend einzugreifen.

Im Staatsbudget Spaniens waren in der Neuzeit die Ausgaben für den Klerus dreimal so hoch wie für das spanische Gerichtswesen. Auch für den öffentlichen Unterricht, für das Schulwesen wurde im Staatsbudget bedeutend weniger ausgeworfen als für den Klerus. Selbst die Kosten für die spanische Armee waren lange nicht so hoch wie die für den Klerus.

Mit dem Christentum war auch die Inquisition ins Land gezogen. Das Christentum resp. die katholische Kirche duldeten keine Zweifler und keine Andersdenkenden. Jeder Zweifler und jeder Andersdenkende wurde als Ketzer verschrieben, und die „heilige“ Inquisition ging dann gegen die Ketzer vor. Auch die Juden und die noch massenhaft im Lande verbliebenen Mohammedaner (Araber) wurden als Ketzer von der Inquisition verfolgt. An Strafen wurden von der Inquisition verhängt: Die Güterkonfiskation, das Prangerstehen, die körperliche Züchtigung, die grausamsten Folterungen, lebenslängliche Gefängnisstrafen, die lebendige Einmauerung und der Feuertod bei lebendigem Leibe.

Die Inquisition bediente sich bei dem Vorgehen gegen die sogennnten Ketzer der gemeinsten Mittel. Übel beleumdete Personen wurden gegen die Ketzer als Zeugen herausgeholt, wobei Meineide an der Tagesordnung waren, nur um die Ketzer überführen und verurteilen zu können. Die verhängten Strafen führten die Vertreter der katholischen Kirche aber nicht selbst durch, sondern insbesondere bei den schweren Strafen überließ man die Durchführung der weltlichen Macht. Die Inquisitoren und der Klerus erklärten. „Die Kirche lechst nicht nach Blut“.

Die Anfänge der „heiligen“ Inquisition datieren weit zurück. Einer der schlimmsten Inquisitoren in Spanien war der Augustinerpater Peter Arbues. Diesem Manne wurde im Jahre 1484 das Amt des Inquisitors im Bezirk Aragonien übertragen. In 1 ½ jähriger Tätigkeit hat dieser Augustinerpater es fertig gebracht, 8.800 Menschen zum Feuertode zu verurteilen. 90.000 sogenannte Ketzer wurden mit anderen, teils schweren Strafen bedacht. Dieses brutale Vorgehen des Inquisitionshäuptlings hatte zur Folge, dass er am 17. September 1485 in seiner Kirche von seinen Gegnern ermordet wurde.

Die katholische Kirche in Spanien hat diesen grausamen Inquisitor Arbues ständig als Märtyrer verehrt und ins Gebet eingeschlossen. Dem Papst Pius IX. blieb es vorbehalten, den Inquisitor Arbues im Jahre 1867 heilig zu sprechen.

Nach den im Jahre 1884 veröffentlichten Berichten sind in Spanien in den Jahren von 1481 bis 1834 durch die Inquisition insgesamt 34.658 Menschen hingerichtet und 288.214 Menschen zu anderen schweren Strafen verurteilt worden.

Auch in den Niederlanden (Holland), die damals unter spanischer Herrschaft standen, sind unter Philipp II. von Spanien in den Jahren 1550 bis 1566 insgesamt 50.000 Menschen durch die Inquisition gemordet worden. Es waren dies zum größten Teil Anhänger der Reformation, also nach Ansicht der katholischen Kirche sogenannte Ketzer.

Im Jahre 1808 wurde die Inquisition in Spanien durch Napoleon aufgehoben. Einige Jahre später aber, im Jahre 1814, stellte Ferdinand VII. von Spanien die Inquisition wieder her. Das katholische Volk widersetzte sich dem aber scharf, aber immerhin dauerte es bis 1834, dass die Inquisition dann endlich aufgehoben wurde.

Mit dem bisher Gesagten habe ich ein Stück aus der Kultur- und Blutgeschichte des spanischen Volkes dargelegt.

Und nun wollen wir dazu übergehen, einmal Umschau zu halten in der Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung.

Der Arbeiterschaft in Deutschland ist zum größten Teil die Geschichte der Arbeiterbewegung in den einzelnen Ländern Europas sowie auch in der gesamten Internationale ganz unbekannt. Insbesondere aber trifft dies zu auf die Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung. Auch die deutsche marxistisch-sozialistische Literatur weiß von der Geschichte der spanischen Arbeiterbewegung im großen und ganzen gar nichts. Die Geschichte der spanischen Arbeiterschaft, insbesondere der CNT, ist ein immerwährender Kampf gegen Kirche, Reaktion, Staatsgewalt und Kapital und hat sehr viel Blut und Menschenleben gekostet.

Die spanische Arbeiterbewegung besteht seit 1840. Die ersten Gewerkschaften wurden von dem Weber Munts in Barcelona gegründet.

1855 erfolgte der erste Generalstreik der Industriearbeiter in Katalonien für die Anerkennung des Koalitionsrechtes. Dieser Generalstreik dehnte sich zum bewaffneten Aufstand aus. Die Bewegung wurde zwar durch den General Zapatero blutig unterdrückt, allein die Gewerkschaften existierten im geheimen weiter und konnten nie unterdrückt werden.

Im Jahre 1866 kam Guiseppe Fanelli, ein Freund Bakunins, nach Spanien, um dort die ersten Sektionen der I. Internationale zu gründen. Die Aufgabe fiel ihm sehr leicht, weil er in Spanien bereits eine entwickelte Arbeiterbewegung mit freiheitlichem und föderalistischem Charakter vorfand. Infolgedessen verbreitete sich die Internationale wie ein Wildfeuer über das ganze Land und zählte in kurzer Zeit über 70.000 Mitglieder, war also numerisch die stärkste und praktisch die aktivste Landesorganisation der I. Internationale.

Nach dem Haager Kongreß 1872, der die Spaltung der Internationale zur Folge hatte, schlug sich die ganze spanische Föderation, mit Ausnahme einer kleinen Lokalgruppe in Madrid, geschlossen auf die Seite Bakunins. Nach der Unterdrückung der kantonalistischen Revolution von 1873 und dem Siege der monarchistischen Reaktion wurden alle gewerkschaftlichen und kulturellen Organisationen der Arbeiter unterdrückt. Allein die Internationale lebte im geheimen weiter, hatte ihre geheimen Kongresse und publizierte während der ganzen Periode der Unterdrückung regelmäßig ihre geheimen Blätter, trotz der furchtbarsten Verfolgungen durch die Regierung.

1880 fielen die Ausnahmegesetze, und sofort lebten die Gewerkschaften wieder auf. Noch im selben Jahre fand der Kongreß von Barcelona statt, auf dem 60.000 Arbeiter vertreten waren, die sich für die direkte Aktion und zu den Ideen des anarchistischen Sozialismus bekannten.

Die Periode von 1881 bis 1886 war eine Zeit verhältnismäßiger Freiheiten für die Arbeiterbewegung, die sich damals stark entwickelte.

1886 traten wiederum große Verfolgungen gegen die organisierten Landarbeiter in Andalusien in Szene. Die Großgrundbesitzer ließen die Nachricht verbreiten, dass eine geheime Gesellschaft, die „mano negra“ (Schwarze Hand), gegen sie an der Arbeit sei. Unter einem Feldstein hätte man angeblich die geheimen Statuten der Gesellschaft entdeckt, aus denen hervorging, dass man es auf die Ermordung der Gutsbesitzer und die Plünderung ihrer Güter abgesehen hätte. Alle diese Gerüchte wurden in späteren Jahren als planmäßiger Schwindel entlarvt. Aber auf Grund dieser Fälschungen wurden acht Mitglieder der Feldarbeiterorganisation, darunter der Lehrer Ruiz, der Sekretär dieser Körperschaft, hingerichtet.

In den achtziger Jahren spielen sich dann auch große Kämpfe für die Durchführung des Achtstundentages ab. Zuerst waren es die Arbeiter in Barcelona, die den Achtstundentag eroberten. Im Jahre 1888 setzten dann die Maurer, Zimmerer, Schlosser und Ziegeleiarbeiter mittels direkter Aktion den Achtstundentag durch. Die Mamorarbeiter und Anstreicher erkämpften damals schon den Siebenstundentag.

Hierbei ist zu beachten, dass, nachdem die spanischen Arbeiter bereits den Acht- und Siebenstundentag durchgeführt hatten, im Jahre 1889 in Paris der Internationale Marxisten- und Sozialdemokratenkongreß zusammentrat und Stellung nahm zur Achtstundentag-Bewegung. Die in Paris versammelten Marxisten beschlossen, den 1. Mai als Weltfeiertag zur Propaganda für den Achtstundentag einzusetzen. Sie dachten nicht daran, den Achtstundentag mittels Kampf durchzuführen, wie es die spanischen Arbeiter und wie es auch schon ebenfalls in den achtziger Jahren die Arbeiter in Chikago getan hatten, sondern sie hofften, dass der Achtstundentag zu erreichen sei mittels Teilnahme an den Parlamentswahlen usw.

Nun wieder zurück zu Spanien. Im Jahre 1888 fand in den Kupfergruben von Rio Tinto ein Streik von 12.000 Bergleuten statt. Bei diesem Streik kam es zu blutigen Kämpfen mit dem Militär, wobei 57 Arbeiter erschossen und über 200 verwundet wurden. Die neue Periode der Unterdrückung führte zu einer ganzen Serie von Attentaten seitens der Arbeiter, die sich damit energisch gegen die Unterdrückungen zur Wehr setzten. Die Regierung antwortete mit Erschießungen.

Nach dem Attentat im Liceo Theater in Barcelona im Jahre 1894 wurden die Genossen Archs, Bernart, Codina, Cerenela, Sabat und Sogas erschossen. Bald darauf stellte sich heraus, dass sie vollständig unschuldig waren und mit den Attentaten nichts zu tun hatten. 1893 fand in Jerez de la Frontera (Andalusien) ein Aufstand zur Befreiung der politischen Gefangenen statt. Die Hauptführer der Bewegung, Cerenela, Lebrijano, Bisqui und Zarzuela wurden garottiert. Zur Erklärung des Wortes „garottiert“ sei kurz folgendes gesagt: Der Verurteilte wird an einen starken Pfahl angebunden, an Händen und Füßen gefesselt. In Halshöhe sind die sogenannten Halseisen angebracht, die dann mittels Schrauben angezogen werden und so zur Erdrosselung des Delinquenten führen. Diese Hinrichtungsmaschinerie nennt man „die Garotte“.

Fermin Salvochea, der frühere Bürgermeister von Cadiz, der zu den Anarchisten übergetreten war und von den Bauern Andalusiens wie ein Heiliger verehrt wurde, wurde, trotzdem er zur Zeit des Aufstandes im Gefängnis saß, für diesen Ausstand als geistiger Leiter verantwortlich gemacht, und zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt.

1896 fand die furchtbare Tragödie von Montjuich statt. Über 300 der besten Genossen wurden arretiert und in der „verfluchten“ Festung, die der Spanier Montjuich nennt, auf entsetzliche Weise gefoltert. Man riß den Gefangenen die Zunge aus, ließ andere verdursten, riß ihnen die Geschlechtsteile mit Zangen ab, brannte ihre Körper mit glühenden Eisen usw. Die Genossen Ascheri, Mas, Molas, Nogues und Alsina wurden unschuldig im Festungsgraben von Montjuich erschossen. Die ganze Welt erbebte vor Entsetzen, als diese Greueltaten bekannt wurden. In derselben Zeit unterdrückte die Regierung des Henkers Canovas del Castillo alle Gewerkschaften und sonstigen Organisationen der Arbeiter. Ein furchtbares Ausnahmegesetz bestimmte, dass jeder, der für die anarchistische Arbeiterbewegung durch Wort, Schrift oder Zeichnung Propaganda macht, zu 20 Jahren Kerker verurteilt werden sollte.

Am 6. August 1897 erschoß Angiolillo den Ministerpräsidenten Canovas de Castillo im Bade von Santa Agueda. Angiolillo verteidigte sich mit unerhörter Kühnheit vor dem Kriegsgericht von Vergara und starb wie ein Held auf der Garotte. Bald darauf trat die Bewegung, trotz der bestehenden Ausnahmegesetze, wieder in die Öffentlichkeit. Der Tod Canovas de Castillos hatte das Eis gebrochen, und die Reaktion war eingeschüchtert und wagte keinen Vorstoß gegen die Arbeiterbewegung, die dann auf ihrem Kongreß in Madrid im Jahre 1900 bereits wieder 56.000 organisierte Mitglieder zählte.

Im Jahre 1892 fand der große Generalstreik von Barcelona statt, der aus Solidarität mit den streikenden Metallarbeitern erklärt wurde und das Leben der ganzen Stadt vollständig lahm legte. Es war das erste Mal in der modernen Geschichte Europas, daß sich die ungeheure Macht des Generalstreiks so wunderbar manifestierte. Die Arbeiter siegten auf der ganzen Linie.

Die Zeit von 1900 bis 1910 war eine sehr kampfreiche. Nach dem Attentat Mateo Morrals auf den König im Jahre 1906 setzte eine kurze Zeit der Reaktion ein, die aber von den revolutionären Arbeitern mit aller Energie überwunden wurde.

1909 löste der Krieg in Marokko den Generalstreik der Arbeiter in Katalonien aus, der sich dann wiederum zum bewaffneten Aufstand entwickelte. Die Folge dieser Ereignisse war die Erschießung Francisco Ferrers.

Die Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten hatten in Spanien jahrzehntelang eine intensive Agitation gegen Militarismus und Krieg betrieben. Als nun gelegentlich des Marokkokrieges die Regierung wiederum Zehntausende junger Menschen als Kanonenfutter nach Marokko senden wollte, widersetzten sich dem die Arbeiter. Die Arbeiterfrauen aber mit ihren Kindern belagerten die Bahnhöfe und verhinderten die Abfahrt der Militärzüge. Es kam dabei zu Zusammenstößen mit der bewaffneten Macht. Für alle diese Erscheinungen machte man neben vielen anderen Genossen den Gründer der freien Schulen, Francisco Ferrer, verantwortlich, und machte ihm auf Betreiben der Kirche den Prozeß, der dann mit der Erschießung endete. Von 1915 bis 1919 entwickelte sich die Confederacion Nacional del Trabajo mit ungeheurer Kraft und zählte bald wieder über eine Million Mitglieder. Eine revolutionäre Periode begann. Im Jahre 1920 setzte die Reaktion wieder ein.

1921 wurde die Verfassung in Spanien aufgehoben, und wiederum gab es neue Verfolgungen. Im Jahre 1922 leichte Besserung. Im Jahre 1923 kam die Militärdiktatur Primo de Riveras, die dann bis zum Jahre 1930 dauerte. Der Zweck dieser neuen Militärdiktatur war, den Anarcho-Syndikalismus, die Massenbewegung des spanischen Proletariats gegen Kirche, Staat und Kapital niederzuringen. Sofort wurden die Organisationen der CNT, deren Zeitungen und Versammlungen unterdrückt und im ganzen Lande streng verboten. Die Gewerkschaftshäuser wurden geschlossen. Die Reaktionäre aller Schattierungen standen stramm zusammen und gründeten unter dem Schutz der Polizei die Verbrecherorganisation „Camisas blancas“ (Weißhemden). Die systematischen Ermordungen unserer Genossen werden von dieser Verbrecherorganisation mit Hochdruck inszeniert. Zunächst wurden die Genossen Borrel und Segui, die geistigen Leiter der Bewegung, erschossen. Über dreihundert der besten Kämpfer der CNT fallen im Laufe der wenigen Jahre als Opfer der Meuchelmörder. Die CNT wehrt sich energisch, und es beginnt nun eine Zeit der Blutrache. Etwa zweihundert Reaktionäre fallen der Rache der Arbeiter zum Opfer, darunter der Ministerpräsident Dato und der Erzbischof von Saragossa, beide fanatische Arbeiterfeinde.

Während dieser schweren Kämpfe, die die spanische Organisation durchkosten musste, bot das Sekretariat der Internationalen Arbeiter-Assoziation der CNT in Spanien finanzielle Unterstützung an. Die CNT lehnte diese Unterstützung ab mit folgender Erklärung: Wir danken euch für die Anerkennung, die ihr uns zollt, und für das Angebot der Unterstützung, aber wir müssen diese Unterstützung ablehnen. Wenn auch unsere Organisation unter der Herrschaft der Diktatur verboten ist, so lebt sie trotz alledem im geheimen weiter und ist vor wie nach in der Lage, die Opfer unserer Bewegung und deren Familien selbst zu unterstützen.

Während der Diktatur Primo de Riveras waren die sozialdemokratische Partei und deren Gewerkschaften, die immer nur kleine bedeutungslose Gruppen waren, nicht verboten, konnten sich frei bewegen, Versammlungen abhalten, und ihre Presse durfte erscheinen. Ja, noch mehr, die marxistische Bewegung in Spanien wurde von der Diktatur nach jeder Richtung hin unterstützt und aufgepäppelt, mit dem Erfolg, dass am Schluß der Diktatur 1930 die Sozialdemokratische Partei 30.000 Mitglieder und die sozialistischen Gewerkschaften 220.000 Mitglieder mustern konnten. Am stärksten war die sozialdemokratische Bewegung in der Hauptstadt Madrid, und es ist charakteristisch, dass gerade in Madrid auch die niedrigsten Löhne an Arbeiter gezahlt wurden. Der Durchschnittslohn beträgt in Madrid täglich fünf Pesetas. Anfang des Jahres 1930 folgte der Sturz Primo de Riveras. An seine Stelle trat General Berenguer. General Berenguer sah sich gezwungen, eine andere, etwas liberalere Taktik einzuschlagen. Die linksstehenden Politiker, die Demokraten-Republikaner erhielten Bewegungsfreiheit zugesichert, ihre Inhafierten wurden aus den Gefängnissen entlassen usw. Die CNT aber und deren Organe bleiben vor wie nach im ganzen Lande verboten. Die CNT störte sich daran aber nicht mehr, hielt Konferenzen ab in den verschiedensten Landesteilen, ließ ihre Wochenzeitungen wieder erscheinen und gab in Barcelona ihre Tageszeitung heraus, die es in kurzer Zeit auf einige zehntausende Leser brachte.

Dann wurde in Barcelona ein neues Landeskomitee gebildet und die Agitation im ganzen Lande mit Hochdruck betrieben.

Am 1. Mai 1930 wurden in allen größeren Orten in Spanien insgesamt einige Hundert sehr stark besuchter Maidemonstrationsversammlungen abgehalten. Ende 1930 konnte die CNT bereits wieder 250.000 eingeschriebene Mitglieder zählen. Überall im Lande fanden dann große Streiks statt mit gewerkschaftlichen Forderungen, betreffend Erhöhung der Löhne und Verkürzung der Arbeitszeit. Besonders war dies in Katalonien und Andalusien der Fall.

Bei dem Militäraufstand in Jaka hat die CNT ebenfalls mitgewirkt durch Erklärung des Generalstreiks. Dann setzten die Kämpfe für die Freigabe der politischen Gefangenen ein. Die inhaftierten bürgerlichen Republikaner usw. waren bereits alle amnestiert. Die Syndikalisten blieben nach wie vor im Kerker.

Im April 1931 wurden die Gefängnisse von der Arbeiterschaft erstürmt und die Inhaftierten befreit. Anschließend daran wurden dann in den verschiedensten Landesteilen Klöster gestürmt und in Brand gesetzt. In diesen Klosterstürmen kam die alte Volkswut gegen den katholischen Klerus zum Ausbruch. Tatsache ist, dass selbst viele katholische Arbeiter sich an dem Sturm gegen die Klöster beteiligten.

Wenn die Organisationen der CNT nicht überall in die Ereignisse der politischen Revolution energisch eingegriffen hätten, dann hätte es mit der Erklärung der Republik noch Jahrzehnte dauern können, und der spanische König würde noch seinen Thron zieren.

Ab 10. Juni 1931 tagte in Madrid der Kongreß der Confederacion Nacional del Trabajo. Als Auftakt zu diesem Kongreß fand am 7. Juni in den Ausstellungshallen in Barcelona ein großes Eröffnungsmeeting mit 25.000 Teilnehmern statt. Zehn Redner der verschiedensten Nationen sprachen hier zu den Massen. Über den glänzenden Verlauf dieses Kongresses und die seitherigen Kämpfe in Spanien hat „Der Syndikalist“ laufend berichtet. Es ist notwendig, dass wir alle diese gewaltigen Ereignisse verstehen aus der großen Tradition des spanischen Proletariats heraus, wie sie hier geschildert wurde.

Das spanische Proletariat hat wie keine andere Arbeiterschaft irgendeines Landes im laufe langer Jahrzehnte ungeheure Anstrengungen gemacht, um sich durchzusetzen, und dabei ungeheure Opfer an Leben, an Gut und Blut gebracht. Die Reaktion, der Staat, die Kirche, das Kapital sind vor keinem der brutalsten Mittel zurückgeschreckt, um die Ideen des freien, herrschaftslosen Sozialismus in Spanien auszurotten. Alles hat nichts genutzt. Wir, die wir in Spanien waren, sind zu der Überzeugung gekommen, dass über kurz oder lang die Ideen des Anarcho-Syndikalismus sich durchsetzen werden, dass in Spanien der freie, herrschaftslose Sozialismus und Kommunismus marschiert. Der Tag wird kommen, wo die spanische Sonne scheinen wird auf ein großes, weites, freies Land mit freien Menschen.“

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 38/1931


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Eusebio C. Carbo: Das Zellengefängnis von Barcelona

Am 14. April [1931], im Augenblick der Proklamation der Republik, brachen die Massen mit Gewalt in das Zellengefängnis von Barcelona ein, um es ganz zu räumen. Die meisten Fenster hatten keine Scheiben, und die meisten Zellen keine Türen mehr. Es gab aber auch noch andere Schäden, so dass das Gefängnis ohne jeden „Komfort“ und fast ohne Sicherheit war. Dieses Werk der Massen, am 14. April begonnen, wurde am 2. August vollendet durch die im Gefängnis befindlichen Kameraden selbst anlässlich der Revolte beim Besuch des Präfekten, einer Revolte, die zur Ursache des letzten Generalstreiks wurde. Die Türen, die noch vorhanden waren, wurden herausgerissen. Andererseits sorgte eine Feuersbrunst dafür, dass das Gefängnis unbenutzbar wurde. Man musste schnell an die notwendigen Reparaturen denken, um es wieder instandzusetzen. Mehrere Unternehmer wurden dazu aufgefordert, aber sie lehnten ab in der Befürchtung, dass angesichts dieser Arbeit ihre Arbeiter in den Streik treten würden. Sie hatten Recht. Ein Unternehmer fragte seine Arbeiter, ob sie zu einer solchen Arbeit bereit seien. Das wurde glatt abgelehnt!

Dann wurden Schritte unternommen zur Fühlungsnahme mit der Organisation, damit sie zu der Arbeit ihre Einwilligung geben oder diese selbst übernehmen wolle. Vergebliche Liebesmühe! Trotz der großen Arbeitslosigkeit wollte die Organisation der CNT nichts von dieser Sache wissen. Es ist nicht ihre Aufgabe, Gefängnisse instandzusetzen! Ihre Rolle ist es vielmehr, sie zu zerstören! Nun sollten die Türen, die Fenster, die Gitter nach Palma de Mallorca auf den Baleareninseln transportiert werden, wo es, wie es schien, einen Unternehmer gab, der die Arbeit übernehmen wollte. Aber im Hafen von Barcelona wollten die Arbeiter das Material nicht auf das Schiff verladen! Es waren die Leute Largo Caballeros, die es schließlich taten. Aber bei der Ankunft in Palma verweigerten unsere Kameraden die Entladung des Schiffes. Soldaten wurden an Stelle der Arbeiter eingesetzt. Wenn die Reparaturen nun wirklich gemacht werden sollten – was aber noch durchaus nicht feststeht – so wird es einen Streik der Seeleute auf der Strecke Palma-Barcelona geben in dem Augenblick, in dem man die Fenster, Türen, Gitter usw. transportieren will!

Jeden Tag Ausgang, das ist Revolution

Was die Gefängnisse betrifft, so hat die Arbeiterschaft von Katalonien eine glorreiche Tradition. Einige schlagende Einzelheiten! Im Jahre 1904 ordnete der Staat den Bau eines Frauengefängnisses in Barcelona an. Die Arbeiten begannen. Der Unternehmer hatte ein Jahr Zeit für die Ausführung. Aber es geschah fünfzig, sechzig, hundertmal, ich weiß es nicht genau – sobald die Mauern sich ein, zwei, drei Meter vom Boden erhoben, – in der Nacht kam regelmäßig jemand, der sie wieder umlegte! Jede Überwachung war unnütz. 1914, nachdem die Arbeiten noch manchesmal wiederbegonnen und wiedereingestellt worden waren, wollte man noch einmal ernsthaft beginnen. In der Tat stiegen die Mauern diesmal mehr als drei Meter hoch, die Arbeiter konnten ihr Handwerk nicht verrichten, da die Überwachung zu stark war. Wird es diesmal etwas werden mit dem Frauengefängnis? So fragte sich alle Welt. Einen Regentag ausnützend, brachen aber Männer und Frauen plötzlich in den Bauhof ein – und innerhalb einer Stunde waren die Mauern wieder dem Erdboden gleichgemacht. 1931 ist man mit dem Frauengefängnis in Barcelona genau so weit wie 1904 und 1914. Primo de Rivera wollte es unter der Diktatur um jeden Preis fertig stellen. Er ließ Maurer und Bauarbeiter anwerben (…). Aber er hatte kein Glück. Die Arbeiter lehnten den Bau ab! Wird die Republik die Hindernisse dieses Gefängnisbaues überwinden? Wird sie stärker sein als die Diktatur?

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 47/1931


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Die Artikel aus dem Syndikalist aus dem Jahre 1931 beschäftigen sich allesamt mit der Situation in Spanien wenige Jahre vor Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs. Sie wurden dem sehr lesenswerten Blog von syndikalismus.wordpress.com entnommen.


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