Juan Peiró - Anarchismus und Syndikalismus
Die fünfzehn Kapitel dieses Buches sind ursprünglich Artikel aus verschiedenen Zeitungen gewesen und 1928/29 erschienen. Sie nahmen jeweils Stellung zu laufenden Diskussionen innerhalb der C.N.T. Peiró war damals Sekretär im nationalen Komitee der C.N.T.
1931 erschienen die einzelnen Artikel zusammengefasst als Buch unter dem Titel "Ideas sobre sindicalismo y anarquismo", herausgegeben von der Gruppe "Solidaridad" aus Barcelona. Die gekürzte Übersetzung folgt der Neuauflage durch die Exil - C.N.T. in Mexico aus dem Jahre 1959. Dort ist der Text zusammen mit einem Aufsatz über die Organisation der C.N.T. unter dem Titel "Pensamiento de Juan Peiró" erschienen.
Organische Struktur der Gewerkschaften
Der industrielle Kapitalismus tendiert immer mehr zur Zentralisierung. Seine Struktur verändert sich von der einfachen zur vielschichtigen Organisationsform. Ein Industriezweig z.B., der abhängig ist von anderen Industriezweigen und Zulieferbetrieben - und das sind die meisten -, neigt dazu, diese Betriebe zu schlucken, bis sie alle zusammen einen großen Industriebetrieb bilden.
Wenn wir als Modell einen großen Konzern der Metallindustrie nehmen, der etwa Maschinen herstellt, werden wir sehen, dass der Konzern die Herstellung der Maschinen von den kleinsten Teilen bis zu dem Zeitpunkt übernimmt, an dem sie auf den Markt kommen. Der Konzern wird außerdem seine Macht auf die Bergwerke und Stahlwerke ausdehnen - was heute bereits in den USA, England, Frankreich, Deutschland und in anderen Industrieländern geschieht. Dadurch gelingt es ihm, zwei Industriezweige, von denen er vorher abhängig war, unter seine Kontrolle zu bringen. Eine ähnliche Tendenz können wir durchaus auch in den anderen Industriezweigen beobachten.
Folgerichtig kann es nur eine syndikalistische Organisationsform geben, die dieser Zentralisierungstendenz in der Industrie entspricht: die Industriegewerkschaft. Eine zentrale Gewerkschaft allein wäre jedoch genauso wenig angemessen, wie eine nur auf die lokale Ebene beschränkte Gewerkschaft, die entsprechend der Art und der Ausbreitung der Industrie auf Bezirks- und Kreisebene und auf der regionalen und nationalen Ebene organisiert ist, entspricht unseren Vorstellungen. Das ist jedoch eine Frage, die letztlich von denen gelöst werden müsste, die davon betroffen sind oder entsprechend der ökonomischen Struktur von den Organisationen in jedem Ort, in jedem Kreis und jeder Region. Deshalb ist der Entwicklung des Kapitalismus die Industriegewerkschaft als allgemeines Modell angemessen.
Bleiben wir bei dem Beispiel der Metallindustrie: Die Gewerkschaftsarbeit muss alle Bereiche und Arbeitsgänge umfassen, die zur Herstellung der Maschinen und der Zubehörteile notwendig sind. Dazugehören müssen außerdem die Zulieferarbeiten der Grundstoffindustrie. Demgegenüber versteht sich aber, dass die Schlosser beispielsweise nicht zu dieser Industriegewerkschaft gehören. Sie sind mehr zum Bereich der Bauwirtschaft zu zählen. Entsprechend wird man auch in anderen Industriezweigen Bereiche aus der Metallindustrie finden, die man der zentralen Gewerkschaft der Metallindustrie zuordnen müsste.
Es soll hier nicht versucht werden, genaue und ein für alle Mal festgelegte Normen darüber aufzustellen, welche Bereiche zu dieser oder jener Gewerkschaft gehören. Vielmehr soll hier nur aufgezeigt werden, was etwa zu einer bestimmten Industriegewerkschaft gehören könnte.
Was uns im Augenblick am meisten beschäftigt, ist die Tatsache, dass wir uns mit den Industrieverbänden ("sindicatos unicos") scheinbar gegen die Ziele und die Praxis des Föderalismus gestellt haben, die unsere Organisation bis jetzt charakterisierten. Die Konstitution der Industrieverbände ist aus der Notwendigkeit heraus erfolgt, die Kräfte zu konzentrieren. Wir haben uns zwar wenig an die Formulierungen der Statuten des Regionalen Kongresses von Katalonien von 1918 gehalten (Anmerkung: Der regionale Kongress der C.N.T. von Katalonien fand im Winter 1918 in Sans -einem Arbeiterviertel von Barcelona statt. Ein wesentlicher Beschluss war die Zusammenfassung der verschiedenen Berufsgruppen eines Industriezweiges zu lokalen Industrieverbänden - sindicatos unicos). Wir müssen aber dennoch bemerken, dass die Konzentration der Gewerkschaft in keiner Weise die Eigenständigkeit der einzelnen Berufszweige zerstören, sondern im Gegenteil diese stärken soll. Von der Konzeption her ist der Industrieverband ("sindicato unico") entschieden föderalistisch, während er jedoch in der Praxis stark zentralistisch war.
Die Gewerkschaft ist nicht mehr als die Föderation verschiedener Arbeitsbereiche eines Industriezweiges, die durch die allgemeinen Interessen und durch das Gefühl der Solidarität der ganzen Klasse verbunden sind -unabhängig davon, ob es sich um Industriegewerkschaften oder "sindicatos unicos" handelt. In dieser Föderation gibt es zwei unterschiedliche Arten von Interessen: Die Berufsinteressen, die allgemeinen Interessen und die Solidarität. Die Verteidigung der ersteren ist eine Frage der einzelnen Sektionen, während die zweiten im Rahmen der gewerkschaftlichen Praxis gelöst werden.
Daraus ergibt sich, dass in der Industriegewerkschaft - genauso wie zuvor in den Sektionen - jeder Bereich seine eigene Autonomie bewahrt und deshalb seine eigene Leitung bzw. Verwaltung - wenn das besser klingt - haben soll. Außerdem haben alle Arbeiter des Bereichs das Recht, sich frei und unabhängig zu versammeln, um ihre Arbeitsangelegenheiten zu behandeln. Das bedeutet jedoch nicht, so hoffe ich jedenfalls, dass eine Sektion davon befreit wird, die anderen von ihren Entschlüssen zu unterrichten, sie zu konsultieren, sich nach deren Ratschlägen zu richten, wenn die Probleme schwerwiegender sind und die gesamte Gewerkschaft betreffen.
Es handelt sich hier nicht allein um eine Frage des Prinzips, sondern darüber hinaus auch um ein psychologisches Problem. Wir werden wenige Arbeiter finden, die gut von der Arbeit sprechen. Aber sobald wir auf die Gemeinsamkeiten des Berufes zu sprechen kommen, können sie das für sich akzeptieren. Auf die gleiche Weise wie Arbeiter auf ihren Körper stolz sind, die Klassenzusammengehörigkeit in den einzelnen Sektoren spürbar ist, so prägen die Gemeinsamkeiten der Berufe und der Arbeit das Proletariat.
Die Entscheidungsstruktur in der Industriegewerkschaft verläuft von unten nach oben und sieht im einzelnen wie folgt aus:
a) die Gewerkschaft besteht aus einzelnen Sektionen, die autonom in der Verwaltung und Leitung ihrer eigenen Interessen sind.
b) jede Sektion, die von einem Rat geleitet wird, behandelt und entscheidet souverän über ihre Arbeitsprobleme, seien sie nun ökonomischer und technischer oder sittlicher Art. Selbstverständlich müssen die Entscheidungen mit den allgemeinen Interessen der Gewerkschaft vereinbar sein.
c) Wenn die Beschlüsse und Vorschläge einer Sektion wegen ihrer Tragweite die allgemeinen Interessen der Gewerkschaft berühren, muss der Rat der Sektion zunächst das Komitee der Gewerkschaft davon unterrichten, damit dieses die Räte der anderen Sektionen -und wenn die Angelegenheit so wichtig ist oder es notwendig erscheinen lässt auch die Vollversammlung der Gewerkschaft -davon informiert.
d) Jede Sektion benennt einen oder mehrere Delegierte, die mit den Delegierten der anderen Sektionen das Komitee der Gewerkschaft bilden, das den Zusammenhang zwischen allen Sektionen herstellt und die Leitung und Verwaltung der allgemeinen Interessen der Gemeinschaft trägt. Die Funktionen des Komitees sind aber ausschließlich von allgemeinem Charakter.
e) Obwohl die Delegierten im Komitee der Gewerkschaft immer für ihre Handlungen verantwortlich sind, handeln sie in völliger Unabhängigkeit gegenüber der einzelnen Sektionen.
f) Der Zusammenhalt zwischen den Sektionen und dem Komitee stellt sich über einen oder mehrere Delegierte der Sektionen her, die sich zu regelmäßigen Versammlungen treffen. Jede einzelne Sektion soll dabei über die Arbeit der Gewerkschaft auf dem Laufenden bleiben. Gleichzeitig können hier dem Komitee die Initiativen, Vorschläge und Fragen vorgetragen werden, die in den Sektionen entwickelt worden sind.
g) Immer wenn es notwendig ist, beruft das Komitee der Gewerkschaft Sektionsversammlungen ein. Sie haben zum Ziel, die alle Beteiligten betreffenden Fragen zu klären und die Interessen der Gewerkschaft zu bestimmen. Hier wurden die allgemeinen Prinzipien entwickelt, unter denen eine Industriegewerkschaft intern geleitet werde sollte. Diese Prinzipien sind vollständig mit den Postulaten des Föderalismus vereinbar, von denen sich diejenigen, die für die Freiheit einstehen, niemals abwenden sollten Es fehlen die administrativen Aspekte der Gewerkschaftsarbeit. Aber weil wir diese Aspekte für sekundär halten, mag es hier genügen zu betonen, dass die Verwaltung ebenfalls im Hinblick auf die Sektionen dezentralisiert sein soll. Wobei es selbstverständlich ist, dass der Anteil dieser Sektionen an der allgemeinen Verwaltung der Gewerkschaft gleich sein muss. D.h. der einzelne in einer Sektion soll mit gleichen Anteilen an den allgemeinen Ausgaben der Gewerkschaft beteiligt werden, wie alle anderen der einzelnen Sektionen auch.
Ausweitung der Gewerkschaftsaufgaben
Die Gewerkschaft ist keine Organisation, die in vier Wände eingeschlossen ist. Die Gesamtheit der Gewerkschaft erstreckt sich vielmehr auch über den sozialen Raum hinaus auf die Straße, die Fabrik, die Wertstatt, das Büro usw. Es erscheint uns wichtig, das vorher gesagte noch durch einiges die organische Struktur der Gewerkschaft Betreffende zu ergänzen.
Das Proletariat muss als wichtigstes handelndes Subjekt im Produktionsbereich den Gewerkschaftsapparat in einer Weise organisieren, dass dieser Apparat einen Teil seines Standortes und seiner Funktion direkt aus dem Produktionsbereich bezieht. Im sozialen Bereich wird über die administrativen Funktionen und über die auszuführenden Aufgaben entschieden, nachdem die anstehenden Probleme genau geprüft wurden. Der Ort, diese Entscheidungen auszuführen, ist zum einen die Straße: Dort müssen die Komitees und Delegierten der Stadtteile und Bezirke handeln; und zum anderen der unmittelbare Produktionsbereich: Dort müssen die Fabrikkomitees und die Delegierten der Sektionen handeln.
Da das Proletariat ein aktives Subjekt im Bereich der Produktion ist, so muss eines seiner unmittelbaren Ziele sein, die Kontrolle über die Produktion zu erobern. Und zwar nicht nur als Recht auf Information, sondern auch in Bezug auf die technische Leitung und auf die Verwaltung. Dabei muss etwa die Herstellung schlechter Produkte ausgeschlossen werden - hier übernimmt das Proletariat eine große soziale Verantwortung.
Aber auch solange die Fabriken noch nicht erobert worden sind, haben die Fabrikkomitees und die Delegierten der Sektionen einige wichtige Aufgaben zu erfüllen: Sie müssen das Verbindungsglied zwischen jenem Teil der Gewerkschaft bilden, dessen Aufgaben im sozialen Bereich liegen und jenem anderen Teil, dessen Standort direkt in der Fabrik ist.
Außerdem müssen diese Komitees und Delegierten ihr Augenmerk darauf richten, dass alle - Bosse und Arbeiter - die allgemeinen Arbeitsbedingungen, die Persönlichkeit des einzelnen und die Gemeinschaft aller Arbeiter respektieren. Zudem sollten sie noch die Arbeiter im Produktionsbereich für die Gewerkschaft gewinnen.
Auf der anderen Seite sind die Fabrikkomitees, die Komitees und Delegierten aus den Stadtteilen und Bezirken der Lebensnerv der Gewerkschaftsorganisation, wenn sie richtig handeln. Viele Erfahrungen haben uns gezeigt, wie unbeständig unsere kollektive Arbeit ist. Ein mehr oder weniger schwerer politischer oder sozialer Konflikt oder schon ein drohender hat meist für die Herrschenden ausgereicht, die Arbeit der Gewerkschaften im sozialen Bereich einzuschränken oder ganz zu verbieten. Wenn diese Beschränkung längere Zeit andauerte, hat sie immer die Massen zersplittert und manches Mal sogar beinahe die Gewerkschaften völlig zum Verschwinden gebracht. Der Grund hierfür war nicht zuletzt, dass die gewerkschaftlichen Aktivitäten sich weitgehend auf den sozialen Bereich beschränkten und sobald dieser begrenzt wurde, jede Arbeit aufhören musste. Diese Maßnahmen der Herrschenden waren bis jetzt so erfolgreich, dass sie nur systematisch eingesetzt werden.
Von daher sollte der Druck auf die Gewerkschaft ausgeübt werden, damit sie sich zur Straße und zum Produktionsbereich direkt hin ausweitet. Denn wenn die gewerkschaftlichen Einrichtungen und Komitees nicht den Kontakt und die Beziehung zu den Komitees und Einrichtungen der Fabriken, der Stadtteile und Bezirke verlieren, können Beschränkungen und Verbote der Gewerkschaft nichts ausmachen, so lange sie auch dauern mögen. Wenn dieser Kontakt und diese Beziehungen aufrechterhalten werden, ist die Kommunikation der Gewerkschaftsapparate mit den Massen und umgekehrt gesichert, was man auch an folgendem Beispiel sehen kann.
a) Die Fabrikkomitees und die Delegierten der Sektionen haben ständigen Kontakt mit den Massen ihrer entsprechenden Industriezweige. Dort können sie die Ziele und Initiativen der Massen aufgreifen und gleichzeitig die Beschlüsse der Gewerkschaft vermitteln.
b) Das Komitee des Stadtteils oder des Bezirks hat ständigen Kontakt mit den Fabrikkomitees der Gegend, denen es die Beschlüsse und Anregungen der Gewerkschaft und die Meinungen der Arbeitermassen des entsprechenden Stadtteils oder Bezirks übermittelt.
c) Das Gewerkschaftskomitee und die Räte der Berufszweige halten ebenfalls ständigen Kontakt untereinander und intensive Beziehungen zu den Stadtteil-und Bezirkskomitees, von denen sie wiederum die entsprechenden Meinungsäußerungen von der Basis erhalten. Diese werden von beiden Komitees aufgenommen und beraten. Die Beschlüsse gelangen über die Stadtteil-und Bezirkskomitees und über die Fabrikkomitees zu den Delegierten der Sektionen. Von dort aus gelangen sie zur Basis, wo sie angenommen oder verworfen werden können.
d) In Ausnahmezeiten ist es meist angebracht, Versammlungen zu vermeiden. Deshalb delegieren die Stadtteil- oder Bezirkskomitees eines ihrer Mitglieder, um mit der Gewerkschaft Kontakt aufzunehmen.
Dieses Verfahren ist sicher etwas kompliziert und nicht recht mit den Prinzipien der Föderation vereinbar. Aber es darf nicht vergessen werden, dass diese Maßnahmen nur für Ausnahmesituationen empfehlenswert sind: für Situationen also, in denen die Gewerkschaften nicht in der Lage sind, legal in der Öffentlichkeit zu agieren,. Diese Abstinenz ist jedoch immer bestimmt von unvermeidbaren Umständen und darf niemals freiwillig eingeführt werden, es sei denn es gibt ausreichend Gründe, die eine solche Untergrundarbeit nahe legen. Aber die Arbeit der Fabrik-, Werkstatt-, Arbeitsräume -, Bürokomitees, wie die der Stadtteil-und Bezirkskomitees hat noch andere Aspekte von größerer Tragweite. Bis jetzt haben wir deren Bedeutung nur im Rahmen des Gewerkschaftsapparates behandelt. Weiter unten werden wir noch auf entscheidende revolutionäre Aufgaben dieser Komitees eingehen, die sie gerade während der Revolution einnehmen.
Industrieföderationen
Unserer Ansicht nach war es ein schwerer Fehler, auf dem Kongress im "Teatro de la Comedia" (Anmerkung: Kongress von Madrid 1919. Hier wurde zum einen die Vereinigung mit der sozialistischen Gewerkschaft, U.G.T., diskutiert und abgelehnt und zum anderen die Diskussion über die Schaffung "nationaler Berufsföderation" wieder aufgenommen. Diese Föderationen unterscheiden sich aber von den späteren Industrieföderationen, was im vorliegenden Text von Peiró selbst etwas untergeht. Das Konzept der Berufsföderation wurde auf dem Kongress mit großer Mehrheit abgelehnt. S. dazu auch: Santillán, Contribución a la Historia del Movimiento obrero espanol, Bd. II Mexico 1962, S.221 ff) die Abschaffung der Industrieföderation zu beschließen. Ihre Existenz wäre in keiner Weise mit den sogenannten "sindicatos unicos" unvereinbar gewesen. Wenige können sich heute erklären, warum der Kongress so entschied. Hier war ein Organ geschaffen worden, das Arbeiter auf beruflicher Ebene zusammenfassen sollte. Es war eigentlich klar, dass die Industrieföderationen die nationalen Bindeglieder für die Industrie-und Berufsbereiche sein sollten. Kein noch so extremer Föderalismus kann die Tatsache beschönigen, dass hier allgemeine Möglichkeiten der Gemeinschaft zerstört wurden, die über lokale Verkürzungen hinausweisen. Dabei stand die Diskussion unter dem vorgeblichen Bemühen, der Gewerkschaft eine größere Bedeutung beizumessen.
Sicherlich bestanden einige der damaligen Industrieföderationen zu einem überwiegenden Teil aus Zentralisten, die den Apparat durchaus beeinflusst haben. Aber das konnte nicht der Grund für die Zerschlagung der auf nationaler Ebene organisierten Berufszweige und Industrien sein - noch viel weniger dafür, nationale Positionen einzunehmen und Regeln ohne möglichen Ausnahmen aufzustellen. Die Umstände waren damals für sachliche Überlegungen nicht günstig. Viele - durchaus mit guten Absichten -meinten, die Welt hänge von ihrem Willen ab und berücksichtigten dabei nicht, dass über diesem guten Willen immer noch die Realität bereits die nationale Organisation der Bourgeoisie in Industrieverbänden war.
Einer der nationalen Organisation der Bourgeoisie entspricht zweifellos ein nationaler Zusammenschluss der Arbeiter auf industrieller Ebene. Andernfalls gibt es weder eine Möglichkeit, der Bourgeoisie entgegenzutreten noch ihr in irgendeiner Weise Widerstand zu leisten. So sah es auch der III. Kongress der I.A.A., der kürzlich in Lüttich stattfand (Kongress der Internationalen Arbeiter-Assoziation von 1928), obwohl er dazu keine endgültige Resolution verabschiedet hat.
Die kapitalistische Bourgeoisie beschränkt sich nicht allein auf ökonomisch-industrielle Konzentration und auch nicht auf die Bildung von nationalen Verbänden, sie überschreitet diese Grenze vielmehr. Die Bourgeoisie schließt sich in internationalen Organisationen und "Entents" zusammen und es wäre absurd, auch nur einen Augenblick anzunehmen, dies entspräche lediglich dem ökonomischen Anliegen zur Aufrechterhaltung der Produktion.
Für das Bewusstsein des Kapitalisten ist es entscheidender, sich als soziale Klasse zu verteidigen. Sie wissen, dass die Folgen des Krieges (1. Weltkrieg, d. Ü.) ihre eigene Existenz in große Gefahr gebracht haben und wissen auch, dass sich diese Gefahr immer mehr verringert je mehr das Proletariat versklavt, je stärker der Kapitalismus ist nicht so sehr im ökonomischen Sinne, sondern vielmehr als Klasse.
Die Organisationen und "Entents" der Bourgeoisie verteidigen ihre Macht auf zwei Ebenen: Auf der Ebene der Produktion - zum Nachteil der kollektiven Interessen - gegen unabhängige Regierungen, die in ihrem Konzept lediglich als Mandatsträger des Kapitals verstanden werden. Auf der zweiten Ebene verteidigen sie sich gegen die Forderungen und revolutionären Tendenzen des Proletariats, das sich nicht mehr mit des Brotsamen, die man ihnen geben will, abspeisen lässt, sondern das seine völlige Befreiung betreibt.
Die Bourgeoisie der Textilindustrie von Sabadell kümmert es z. B. wenig, wenn die Arbeiter dort rebellieren oder streiken. Da sie organisatorisch und über einen Pakt mit Textilbetrieben anderer Orte zusammengeschlossen ist, erhält sie aus Barcelona, Alcoy, Béjar usw. die nötige Hilfe, um sich nicht auf Kompromisse einlassen zu müssen und den Streiks so lange zu widerstehen, bis die Arbeiter praktisch ausgehungert sind. Es handelt sich in diesem Fall um eine nationale Aktion der Bourgeoisie gegen eine Aktion der Arbeiter einer einzigen Stadt oder wenn man so will, eines Bezirks, einer Region. In jedem Fall ist die Unterlegenheit der Arbeiter offensichtlich. Die einzige Lösung, die sich hier anbietet, ist die nationale Industrieföderation. Nur so können die Arbeiter auf eine relativ gleiche Stufe mit der Bourgeoisie gelangen.
Die gleichen Gründe könnten wir aufführen, um die Notwendigkeit der internationalen Industrieföderation zu erläutern. Zu einer solchen Ausdehnung zwingen uns die "Trusts und Kartelle" des Kapitalismus. Aber diesen Aspekt wollen wir hier nicht eingehender diskutieren.
Wichtig ist es jetzt die Arbeiter von der Bedeutung der Zusammenarbeit der Bourgeoisie, wie wir es in unserem Beispiel der Textilindustrie gezeigt haben, zu überzeugen. Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass sich diese Zusammenarbeit nicht auf einen Streikfall, wie wir ihn gesehen haben, beschränkt.
Wenn die Bourgeoisie der Textilindustrie von Alcoy die Arbeitsbedingungen aufkündigen will, braucht sie nur ihre Arbeiter auszusperren. Das ist nicht schwer, weil die Bourgeoisie in den übrigen Gebieten bereit sein wird, jede Art Hilfe zu gewähren, bis sie in Alcoy gesiegt haben. Wenn die Bourgeoisie in Barcelona die starke kollektive und revolutionäre Arbeiterbewegung in der Textilindustrie zerstören will, wird sie dem Beispiel Alcoys folgen und die Arbeiter der anderen Industriegebiete werden bewusst oder unbewusst zur Unterdrückung ihrer eigenen Genossen beitragen. Aber neben diesen mehr oder weniger häufig auftretenden Maßnahmen gibt es noch das Problem der Konkurrenz, die die Arbeiter eines Industriegebietes den Arbeitern eines anderen machen. Dies trifft etwa auf die Arbeiter der Werkzeug- und Textilindustrie in Katalonien zu. Die Arbeiter der Bezirke in den Bergen waren schon immer ein unüberwindliches Hindernis für die Arbeiter in den Ebenen. Die Durchsetzung ihrer Forderungen wurde immer durch die wesentlich schlechteren Arbeitsbedingungen in den Bergen erschwert - nicht allein in ökonomischer Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die Arbeitszeit und verschiedene andere berufliche Aspekte. Und dasselbe, was wir von diesem Industriezweig sagen, kann man auch von allen anderen Industriezweigen sagen, bei denen sich die allgemeinen Arbeitsbedingungen durch Entfernungen und die geographische Situation wesentlich unterscheiden.
Die nationalen Industrieföderationen sind die geeigneten Organe, um solche Mängel zu beheben. Sie haben praktisch bewiesen, dass man nur über sie zu einer Einheit oder zur Gleichstellung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen in der Industrie sprechen, meinen wir gleichzeitig alle Berufssparten. Wir können darüber hinaus noch Beispiele anführen, die beweisen, dass die Föderation in jeder Hinsicht das Beste Organ ist, um der Bourgeoisie in allen Belangen Widerstand zu leisten.
Vor allem wenn wir die Haltung des Kapitalismus genau studieren, werden wir immer mehr die Notwendigkeit der nationalen Industrieföderation einsehen.
Aber man muss auch betonen, dass diese Industrieföderationen in keinem Fall die Autonomie der einzelnen Gewerkschaften absorbieren dürfen. Denn die Erfahrung hat gezeigt, dass sobald diesen die Autonomie geraubt wird, die Föderation zu einem wirkungslosen Instrument wird. Die Föderation muss immer ein Organ sein, das von den allgemeinen Interessen der einzelnen Berufe ausgeht. Hierin müssen sowohl die ökonomischen und technischen Bedingungen, die Regelung und Humanisierung der Arbeit enthalten sein, als auch viele andere Bedingungen kreativer und sozialer Art. Dies alles wird frei bestimmt und geprägt furch die direkt gewählten Vertreter der Gewerkschaften, die in Kongressen und nationalen Versammlungen zusammenkommen.
Die einzelnen Gewerkschaften sind in jedem Fall verpflichtet, die Entscheidungen zu respektieren und zu erfüllen, die sie auf der nationalen Ebene gefällt haben. Sie sind aber zugleich frei, jede für sich, Initiativen aller Art zu ergreifen und Vorstellungen zu entwickeln, die selbstverständlich nicht den allgemeinen Interessen der Föderation widersprechen dürfen. Es gibt kein föderalistisches Prinzip, das den einzelnen Partner freistellt, ohne vorherige eingehende Begründung einen Pakt zu brechen, den sie in völliger Freiheit geschlossen haben. Aber alle föderalistischen Prinzipien lassen jedem Teil offen, den einmal geschlossenen Pakt zu verbessern oder allgemeinen Interessen des Kollektivs anzupassen.
Eine Gewerkschaft hat das Recht, in Übereinstimmung mit der Föderation, die Kräfte und Aktivitäten in den Betrieben zu entfalten, die sie für sinnvoll hält, ohne dass dadurch ihre Verpflichtung zur Solidarität mit der ganzen Föderation erlischt. Die Solidarität kann zwar innerhalb der Föderation eingeschränkt, aber niemals negiert werden.
Die Gewerkschaften sind innerhalb der proletarischen Bewegung frei, sich mit anderen Gewerkschaften anderer Industriezweige zusammenzuschließen, um mit ihnen gemeinsame solidarische Aktionen zu verwirklichen oder sich gegen die Justiz zu verteidigen. Sie sind aber zugleich den entsprechenden lokalen Föderationen und den höheren Organen, wie der Konföderation der jeweiligen Region und der C.N.T., verpflichtet.
Neben ihren administrativen Funktionen haben die föderalistischen Komitees lediglich die Aufgaben, Beziehungen der nationalen Bewegung untereinander herzustellen und zu koordinieren. Außerdem sind sie Mandatsträger für die Organisierung des Kampfes und der Solidarität.
In zentralistischen und ineffizienten Föderationen kommen sämtliche Initiativen und die Macht vom Mittelpunkt, von den Komitees. Von dort werden sie zur durch die Gewerkschaft repräsentieren Peripherie getragen. In den von uns vorgeschlagenen Föderationen läuft der Informationsfluss im weitesten Sinne föderalistisch: die Macht, die Initiativen, die Leitung, alles kommt von der Peripherie zum Mittelpunkt, vom "Teil" zum "Ganzen". Hiermit erhält man die Eigenheiten und die Freiheiten von allen aufrecht - von den Gewerkschaften und von der Föderation. Deshalb ist die Föderation die Zusammenfassung und der Ausdruck des Willens aller.
Die nationale Industrieföderation ist also nicht mehr als ein Pakt universeller Solidarität gegenüber der Gruppierungen des Kapitalismus.
Ziele und Aktionen des Syndikalismus
Der Syndikalismus beschränkt sich nicht allein darauf, ökonomische und soziale Verbesserungen zu erreichen - wie Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung, Berufsordnung, Sauberkeit und Sicherheit am Arbeitsplatz, kollektive Verträge usw. -, sondern er bildet insgesamt eine Opposition gegen den Kapitalismus und den Staat.
Der revolutionäre Syndikalismus, als organisches Instrument in den Händen des Proletariats, ist durch intellektuelle und geistige Beiträge der Anarchisten entwickelt und definiert worden. Er kämpft für die Befreiung der Arbeiter von ihren unmittelbaren Unterdrückung aller Art, sei es die des Kapitals oder des Staates, und kämpft in erster Linie für die entgültige ökonomische, politische und soziale Befreiung der Menschheit. Eine klare Interpretation der syndikalistischen Ideen und der Umsetzung der wichtigsten Postulate in der Praxis wird ausreichen, um selbst den Skeptischsten unsere Ziele zu verdeutlichen. Unsere wichtigsten Postulate gehen auf sozioökonomische Erkenntnisse, auf die Einschätzung der Politik und der Psychologie der Völker zurück. Den Lohn, die Freizeit, die Arbeitsregelung, die Achtung vor dem einzelnen Arbeiter und dem Kollektiv, die Gesundheit und das Leben - all das erkämpft und sichert man am Besten durch den Syndikalismus. Er ist auch das geeignetste Instrument, um mit Erfolg die Aktionen der Parteien zunichte zu machen und die Berufspolitiker zu verbannen.
Wenn wir von allgemeiner Opposition gegen den Kapitalismus reden, heißt das für uns, dass wir dem Kapitalismus den Respekt, die Moral und die Verantwortung gegenüber dem Proletariat und der sozialen Gemeinschaft aufzwingen. Wenn wir von der allgemeinen Opposition gegenüber dem Staat reden, meinen wir entsprechend, dass die gewerkschaftlichen Aktionen und die direkten Aktionen des Proletariats eine nützliche Waffe sind, die Beschlüsse der Regierungen rückgängig zu machen und die entsprechenden Ziele der Gewerkschaften durchzusetzen. Die Gewerkschaften sind die echten Repräsentanten des Willens und der Interessen der Arbeiter. Außerdem sollen diese gewerkschaftlichen Aktionen alle Anschläge auf die Gerechtigkeit und die Freiheit neutralisieren.
Fortsetzung folgt...
...tja, leider doch nicht (anarchismus.at)
Originaltext: http://www.diy-bibliothek.org/peiro/anarchismus_und_syndikalismus