Das Massaker von Cayenne - 1894

Im 19.Jahrhundert wachsen durch die Industrialisierung auch die französischen Städte und die Herausbildung des Nationalstaates mit seinen Staatsbürger*innen. Und bei ihnen die Angst vor Taschendieben und noch mehr vor Revolutionären. 1852 wird durch die Regierung zum ersten Mal nach Guyana deportiert. Das Straflager soll die Verurteilten ganz weit weg bringen und durch diese auch die weitere Entwicklung der Kolonie ermöglichen. Die ersten Lager waren allerdings bald wieder geschlossen. Die Bedingungen und die Behandlungen durch das Personal töteten zu viele Menschen. Die Kolonie wird nach Neu Kaledonien übertragen, wo ein eher mildes Klima herrscht. Aber ab 1873 wird das Straflager von Guyana wieder eingeführt.

„Wenn einer in die Zwangsarbeit geschickt wurde, hieß es in Frankreich: er geht nach Cayenne. Das Straflager allerdings ist nicht mehr in Cayenne, sondern in St.Laurent und auf den Inseln(Iles du Salut). Cayenne jedoch ist die Hauptstadt des Straflagers. Diese Strafkolonie ist eine totale Fabrik, eine totale Maschine, Zerstörung, Hölle, Biribi, Folter. Du bist ohne Namen, bist nichts mehr, Schläge, Hunger, Verdammnis. Die Strafkolonie zerkleinerte jeden von uns in kleine Stücke, die jedes für sich auf verschiedenen Wegen liegen blieb.“ (Paul Roussenq)

Die Inselgruppe vor Französisch- Guyana – heute ein Paradies für Touristen und Haie. Bis 1951 waren die Inseln allerdings noch eine französische Strafkolonie.

Auf der Insel Royal waren die Verwaltung, das Hospital und der Todestrakt. Auf der Insel St. Josef die Einzelzellen. Hierhin kamen die harten Fälle, die wiederholten Gefängnisausbrecher und vor allem politische – die meisten Anarchisten wurden in diese Höllenlöcher gesteckt.

Die Haupttätigkeit der Gefangenen bestand darin, Salzwasser auf das Unkraut zu gießen, das auf den Straßen und um die Gebäude wuchs. Tagsüber konnten sie herumgehen, sich unterhalten, um abends dann an Ketten gefesselt in Einzelhaft irgendwie die Nächte zu überstehen – ohne Dach, der gleißenden Sonne, dem Regen und sonstigem Ungetüm ausgesetzt.

Um 1890 erschien in einigen libertären Zeitungen in Frankreich ein Artikel deportierter Anarchisten zu den Haftbedingungen auf Franz.-Guyana. Sie kritisierten die mangelnde medizinische Versorgung, die Beschlagnahme der Korrespondenz, empörten sich über Folter und tägliche Bestrafungsaktionen.

Die verantwortlichen Behörden reagierten darauf mit Provokationen, in der Hoffnung, ein Motiv zu haben, diese „Aufsässigen“ zu liquidieren.

Im Laufe der nächsten zwei Jahre verschlechterte sich generell das Klima in Frankreich dramatisch. Ein Streik (in Fourmies) wurde brutal niedergeschlagen, dabei wurden 40 Menschen schwer verletzt, 2 Männer, 4 Frauen und 3 Kinder getötet. Dann die Ereignisse in Clichy. Hier mehrere Anarchisten die von einer Versammlung mit einer roten Fahne durch die Straßen zogen, von der Polizei überfallen. Es kam zu einer Schießerei. Die Polizei verhaftete eine Anzahl von Leuten, die dann auf der Wache auf übelste Weise „zugerichtet“ wurden. 3 der Verhafteten wurden vor Gericht gestellt, 2 Arbeiter zu drei bzw. fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Im März 1892 erfolgten dann innerhalb weniger Tage drei Ereignisse, die mit dem Prozess von Clichy zusammenhängen und die die „Propaganda der Tat“ in den nächsten 2 Jahren einleiteten. Am 11.März explodierte eine Bombe im Haus des Präsidenten des Gerichtshofes. Am 15. richtete eine Explosion in der Lobaukaserne einen beträchtlichen Schaden an. Am 27.März flog ein Teil des Hauses, in dem ein Staatsanwalt wohnte, in die Luft. Den drei Anschlägen fielen keine Menschen zum Opfer, sie richteten lediglich beträchtlichen Sachschaden an.

Am 9. Dezember 1893 dann der Anschlag von Auguste Vaillant auf das Parlament im Palais Bourbon. Es gab 70 Verletzte dabei auch Vaillant.

„Überall wohin ich kam, habe ich nur Elende und Gebeugte gesehen. Ich wurde unmittelbar und mittelbar Zeuge von blutigen Tränen und Folterungen, bis in die Provinzen und Inseln Südamerikas. Und überall die kapitalistischen Aussauger. Müde der Qual und der Feigheit trug ich die Bombe zu denen, die in erster Linie für das soziale Elend verantwortlich waren.“

Zwei Tage später veröffentlichte die Regierung ihre schon länger vorbereiteten „Lois scélérates („abscheulichen Gesetze“) ne Art so genannter „Antiterrorgesetze“, die im dritten Gesetz von 1894 jede anarchistische und antimilitaristische Aktion und Propaganda verbot. Aufsehen erregte der Schauprozess („Prozess der Dreißig“) 1894 gegen dreißig französische und internationale vermeintliche und tatsächliche Anarchisten, u.a. gegen Sébastain Faure, Jean Grave, Émile Pouget, Paul Reclus.

Für die Kolonialbehörden auf Französisch – Guyana war nun der Weg zu Liquidierung der renitenten Deportierten frei. Sie gaben grünes Licht an die Gefängniswärter.

Der Gefängniswärter Mosca tötete im September wegen angeblichem Widerstand den Anarchisten Francois Briens. Als Mosca eines Morgens erstochen aufgefunden wurde, begann die (erhoffte) Treibjagd. Achille Simon (genannt „Biscuit“), wurde wie eine Kokosnuss von einem Baum herunter geschossen.

Simon war in Begleitung von Francois Königstein, genannt Ravachol, verhaftet worden. Beiden wurden die weiter oben genannten Sachbeschädigungen zur Anklage gemacht. Obwohl Ravachol für alles die alleinige Verantwortung übernahm, wurde Achille zu mehreren Jahren Zwangsarbeit nach Guyana deportiert.

Nach Achille wurden Marsevin, Lebaut und Jules Leon Leauthier erschossen. 4 weitere etwas später. Zwei, die in einer Höhle Zuflucht suchten, wurden ausgeräuchert und totgeschlagen.

Insgesamt wurden in den nächsten Tagen weitere 10 Anarchisten niedergeknallt, dabei Edouard Aubin Marpaux, Mitglied der „Liga der Antipatrioten“ und Sekretär des Syndikats der Metallarbeiter. Verhaftet wegen Banküberfällen, deportiert wegen eines Messerstiches gegen einen Polizisten. Und Auguste Alfred Faugoux, Dockarbeiter und Mitherausgeber der anarchistischen Zeitung „Pere Peinard.“

Verhaftet wegen Aufforderung zur Gewalt, deportiert zu 20 Jahren Zwangsarbeit, weil er in einem Artikel den Tod eines Spitzels begrüßt hatte. Nun wurde sein Körper wie die der anderen den Haien vorgeworfen.

Die wenigen Überlebenden, dabei Anthelme Girier, ein glänzender Redner und Agitator, in Isolationshaft gesteckt. 8 Monate war Anthelme danach in einer engen Zelle, ohne Luft und Licht, an Händen und Füssen gefesselt, am 18.November 1898 starb auch er.

Mit der Hinrichtung von Sante Caserio am 24.Juni 1894 endete in Frankreich die „Propaganda der Tat“. Bis 1951 wurden Gefangene auf die Inseln von Französisch- Guyana deportiert.

Dabei auch der Anarchist Paul Roussenq der 1909 deportiert wurde. Vor drei Jahren (2009) erschien ein Buch über seine 20 Jahre in Cayenne.

Originaltext: http://radiochiflado.blogsport.de/2012/04/02/das-massaker-von-cayenne-1894/


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