Anarchistische Einflüsse in Indien
Zwischen Gandhi und Bhagat Singh...
Der Anarchismus spielt in Indien keine große Rolle, von einer Bewegung sprach keine*r. Aber seine Ideen und seine Prinzipien hatten durchaus Einfluss auf die sozialen und nationalrevolutionären Kämpfe.
So ist die von Gandhi organisierte "Satyagraha Bewegung" stark anarchistisch geprägt, dessen Wurzeln sich im alten Denken der Hindus zurückführen lassen und die durchaus Konzeptionen einer staatenlosen Gesellschaft hatten.Andererseits war dies nur einer der Möglichkeiten oder Richtungen im Hinduismus, denn für die Hindus ist der Mensch von Natur aus schlecht und bedarf der Disziplin durch das göttliche Recht der Könige zu herrschen. Diese doch für unser Verständnis stark divigiernden, ja sich ausschließenden Denkweisen finden sich später auch bei vielen Äußerungen und Handlungen bei Gandhi selber. Ob Gandhi Anarchist war und wenn ja, welcher, darüber wird auch heute noch lebhaft diskutiert. Seine Konzeption des "Satyagraha" und die dementsprechenden Handlungen hatten jedenfalls einen starken Einfluss auf den "Anarchopazifismus".
"Der Begriff Satyagraha wurde von mir in Süd-Afrika geprägt, um die Kraft zum Ausdruck zu bringen, welche die Inder dort volle acht Jahre lang gebraucht haben, und er wurde geprägt, um ihn von der Bewegung zu unterscheiden, die damals in Großbritannien und Süd-Afrika unter dem Namen Passiver Widerstand aktiv war. Seine ursprüngliche Bedeutung ist Festhalten an der Wahrheit; darum: Kraft der Wahrheit. Ich habe ihn auch Kraft der Liebe oder Seelenkraft genannt. In der Anwendung von Satyagraha entdeckte ich im frühesten Stadium, dass Wahrheitssuche nicht zulässt, dem Opponenten Gewalt zuzufügen, sondern dass er mit Geduld und Sympathie von seinem Irrtum abgebracht werden muss. Denn was dem einen Wahrheit zu sein scheint, kann dem anderen Irrtum sein. Und Geduld bedeutet eigenes Leiden. So kam es, dass die Lehre Verteidigung der Wahrheit bedeutet, nicht indem dem Opponenten Leid zugefügt wird, sondern man selbst leidet."
Satyagraha ist eine von Mohandas Karamchand "Mahatma" Gandhi entworfene Strategie, die im Kern darauf beruht, durch die eigene Gewaltlosigkeit die Vernunft und das Gewissen des Gegners anzusprechen – "Ahimsa" – und die Bereitschaft, Schmerz und Leiden auf sich zu nehmen. Hintergedanke ist, die Gegner*in umzudrehen, ihn als Verbündeten und Freund für die eigene Sache zu gewinnen – ausgehend von der Hoffnung, Gewissen und Herz des Gegners durch verschiedene Methoden zu erreichen. So waren "ziviler Ungehorsam" und "Nichtkooperation" häufige Mittel bis hin zum Fasten und zum Hungerstreik.
Martin Buber reagierte allerdings 1939 höchst irritiert, als Gandhi diese Methoden gegen die faschistischen Menschenfresser in Deutschland empfahl.
"Wissen Sie oder wissen sie nicht, was ein Konzentrationslager ist und wie es darin zugeht? Welches die Martern sind und die Methoden des langsamen und des schnellen Mordens? Mensch kann einsichtslosen Menschenseelen vielleicht langsam allmählich Einsicht beibringen, aber einer dämonischen Universalwalze kann so nicht begegnet werden. Es gibt Situationen, in der aus dem Satyagraha der Seelenstärke kein Satyagraha der Wahrheit werden kann."
Da der Satyagraha Kämpfer sich einer Reihe von Gelübden wie Besitzlosigkeit, aber auch Keuschheit, Fasten und Ächten von Diebstahl, sowie Gleichheit von Religion und regionalem Wirtschaften, Gewaltlosigkeit und Lohnarbeit unterwirft, war diese Konzeption für das nationale indische Kapital gleichermaßen faszinierend wie für die Bauern und Arbeiter – und so finanzierten Textilmagnaten und indische Industrielle oft Gandhis Kampagnen und seine Lebensweise. ("Es kostet uns ein Vermögen, Mahatma Gandhi ein Leben in Armut zu ermöglichen") – aber es schien sich zu lohnen.
Predigte Gandhi ja die Einheit der indischen Klassen und erfreute die Reichen, die er gemäß der hinduistischen Theologie als "Treuhänder" der Armen ansah. Diese wollten zwar die Unabhängigkeit von den englischen Besatzern, schreckten aber vor einem revolutionären Prozess – wie zur gleichen Zeit in Russland – zurück. Gandhi war für sie so etwas wie die Antwort auf ihre Gebete.
Gandhis Grundkonzept, das er aus der hinduistischen Religion bezog, entfremdete darüber hinaus den muslimischen Teil der Bevölkerung. Seine allenfalls reformerischen Änderungen des Kastensystems wiederum die Millionen so genannter Unberührbarer, die ihn lange als "Mahatma", als "große Seele" verehrten.
Wenn er auch libertäre Denker gelesen hatte, so schien er doch wenig mit der Umsetzung ihrer Ideen gemein zu haben. Wollten diese das Ende einer Klassengesellschaft, so blieb Gandhi bei der Versöhnung zwischen den Klassen.
Die späteren Staats -und Parlamentarismuskritiken sind so allenfalls als Worte eines filosofierenden Individualanarchisten zu sehen – war er doch ab 1920 einer der führenden Gestalten beim indischen Nationalkongress, der sich vor allem aus Mitgliedern der indischen nationalen Bourgeoisie zusammen setzte, also die, die – wie schon gesagt – große Sorge vor sozialrevolutionären Bewegungen in ihrem Land hatten.
Und seine "Gesellschaft der starken Dörfer" die jeweils politisch autonom und wirtschaftlich selbstorganisiert sein sollten – das Spinnrad diente dabei als Symbol dieser Lebensweise – ist bei viel Wohlwollen allenfalls im Bereich des "Anarchoprimitivismus" anzusiedeln.
Inquilab Zindabad
Bhagat Singh war 12, als er am 13.April 1919 Zeuge des Massakers in Amritsar wurde.
Das Massaker von Amritsar wurde in der nordindischen Stadt Amritsar (im Bundesstaat Punjab) von britischen Soldaten und Gurkhas, nepalesische Soldaten in britischen Diensten, an Sikhs, Muslimen und Hindus verübt, die friedlich und unbewaffnet für die Unabhängigkeit Indiens protestierten. Offiziell wurden 380 Frauen, Männer und Kinder wie auf einem Schiessstand abgeknallt. Über tausend Verletzte lagen stundenlang im Park.
Der verantwortliche Offizier wurde "gebeten", in Pension zu gehen. In England wurde er heldenhaft mit Edelsteinkreuzen und fetter Abschussprämie gefeiert.
"Organisierte Revolte ist nur für das letzte Argument zugänglich -Gewalt. An diesem Punkt hilft ausschließlich beherztes Eingreifen und die zwingende Macht des Kriegsrechts… In Amritsar ist bereits eingegriffen worden… Die ernüchternde Wirkung hat weite Kreise gezogen und tausenden Angehörigen beider Rassen das Leben erleichtert" (Maud Diver)
Die Trauer und die Wut ließ viele die Prinzipien des "Satygraha" vergessen. Erst Gandhis Kampagne der "Nichtkooperation" konnte den Widerstand wieder bündeln.
Anfangs tief verstört, schloss sich der kleine Bhagat schon ein Jahr später eben dieser Kampagne des "zivilen Ungehorsams" an, der verweigerten Kooperation mit den englischen Menschenfressern. Er verbrannte öffentlich englische Kleider, und schrie bei jeder Gelegenheit Slogans wie "No cooperation zindabad"(Es lebe der zivile Ungehorsam!).
Als jedoch bei einem Aufstand im nordindischen Dorf Chauri Chaura eine Polizeiwache samt Inhalt in Brand gesetzt wurde, rief Gandhi wütend die Kampagne zurück (Von verschiedenen Seiten wurde wiederholt betont, dass eine Fortführung dieser sehr erfolgreichen Kampagne schon dort zur Unabhängigkeit hätte führen können).
Für den kleinen Bhagat Singh brach eine Welt zusammen. Sein "Babu", sein "Vater der Nation", der sich mit den englischen Menschenfressern traf und an deren Herz appellierte – warum zeigte er selbst kein Herz für die eigenen Leute?
"Die endgültige Absicht des Anarchismus ist völlige Unabhängigkeit, in der keiner mit Gott oder der Religion gequält wird noch irgendjemand der nach Geld oder anderen materiellen Wünschen verrückt sein wird. Es wird keine Ketten mehr geben oder durch den Staat kontrolliert werden. Das bedeutet, dass alles beseitigt werden muss – die Kirche, Gott und die Religion, der Staat und das Privateigentum."
Als Bhagat Singh 1928 diese Worte schrieb, hatte er schon einige Jahre als Revolutionär innerhalb der indischen Unabhängigkeitsbewegung hinter sich. Als Sekretär der "Republikanischen hinduistischen Vereinigung"(eine der ersten sozialistischen Organisationen in Indien) war er an einigen militanten Aktionen gegen die Briten entweder beteiligt oder zumindest bei den Vorbereitungen dabei – so z.B. bei einem spektakulären Zugraub in der Nähe der Stadt Kakori, wo eine beachtliche Geldsumme der britischen Regierung erbeutet wurde. Das Geld wird zum einen für die Propagandatätigkeiten verwendet, aber auch für Waffen. Bhagat Singh und seine Gruppe brauchten diese, um Teile der Bevölkerung zu bewaffnen und eine Miliz gegen die Übergriffe der britischen Besatzer zu organisieren.
Vom Mai bis September 1928 veröffentlichte er in der Zeitschrift "Kirti" Artikel zum und über den Anarchismus, wo er mehrmals die traditionelle indische Idee der "universellen Brüderlichkeit" proklamierte und die Grundsätze der Herrschaftslosigkeit und Selbstorganisation erklärte‚ "Ich glaube, dass hier in Indien die Idee der "universellen Brüderlichkeit, das "Vasudhaiva Kutumbakam" die gleiche Bedeutung hat wie der Anarchismus" – und das war für ihn nur in einer sozialen Revolution durch alle Ausgebeuteten zu erreichen.
"Für uns heißt Revolution, dass sich alle Ungerechtigkeiten von Grund auf ändern müssen. Obwohl die Arbeiter als Produzenten notwendige Teile der Gesellschaft sind, werden sie von ihren Ausbeutern geplündert und ihrer Grundrechte beraubt. Der Bauer, der Mais anpflanzt, verhungert, der Weber, dessen Textilien für den Welthandel rausgehen, hat keinen Stoff, um die Körper seiner Familie zu bedecken. Maurer, Schmiede und Zimmerleute bauen die schönsten Paläste, aber leben selber in Slums. Eine radikale Veränderung ist notwendig und es ist die Pflicht eines jeden Revolutionärs, eine Gesellschaft auf sozialistischer Basis zu organisieren."
Auch wenn er im Laufe der Jahre Schriften von Lenin und Trotzki las und daraus zitierte, blieb der libertäre Einfluss vorherrschend. Auch für ihn wie für Gandhi galt das Prinzip des "Swaraj", das der Selbstorganisation und politischen Dezentralisation.
Im indischen Parlament saßen zu diesem Zeitpunkt nur Briten, obwohl vertraglich anders festgelegt. Bei einem friedlichen Protestmarsch gegen dieses verfahren wurde Bhagats Mentor, Lala Lajpat Rai, von einem englischen Offizier mit einem Bambusstock totgeschlagen. Bhagat, wieder einmal ohnmächtiger Augenzeuge, entschloss sich daraufhin zu einem Attentat auf diesen Offizier namens Scott. Durch ein Versehen wurde jedoch ein anderer britischer Soldat getötet. Bhagat und zwei seiner Mitstreiter flohen nach Lahore, im heutigen Pakistan. Die britischen Behörden nutzten die Gelegenheit, um jede antibritische Kundgebung oder nur Äußerung brutal zu verfolgen. Bhagat Singh und seine Gruppe kehrten daraufhin nach Indien zurück. Um die Besatzer auf sich aufmerksam zu machen, entschlossen sie sich, kleine Bomben, eher Feuerwerkskörper, in eine Parlamentssitzung zu werfen, die weder verletzten noch töteten.
Am 8.April 1929 wurden sie noch im Parlament unter den Rufen "Inquilab Zindabad" ("Lang lebe die Revolution") festgenommen, von ehemaligen Genossen als die Mörder des britischen Soldaten denunziert und zum Tode verurteilt.
Legendär und in vielen Filmen und Liedern immer wieder hervorgehoben war der 64tätige Hungerstreik der Gefangenen, die damit für eine Veränderung der Haftbedingungen eintraten.
In dieser Zeit wuchs die Anhänger*innenschaft von Bhagat Singh, es kam zu Protestkundgebungen und kleinen Aufständen. Selbst Gandhi war beeindruckt von der "Leidensfähigkeit dieses jungen Patrioten" und versuchte bei den Engländern vergebens eine Umwandlung der Todesstrafe zu erreichen.
Am 23. März 1931 wurde Bhagat Singh zusammen mit zwei seiner Freunde gehängt.
Am 15.August 1947 ist Indien unabhängig. Im Westen wird dies als Erfolg der Strategie Ghandi´s gesehen, aber auch die wirtschaftliche Schwächung Englands durch den 2. Weltkrieg und ein in den dreißiger Jahren begonnener langsamer Rückzug der Kolonialverwaltung trugen dazu bei. Sie hinterließen bürgerkriegsähnliche Kämpfe zwischen Hindus, Sikhs und Muslime, Massenfluchten in den neu geschaffenen Staat Pakistan, Überfälle auf Dörfer und Gemetzel im nun geteilten Punjab.
Die Konzeption des Satygraha schien vergessen, die "universelle Brüderlichkeit" im Blute erstickt – da organisierte 1951 Vinoba Bhave mit der Bhudanbewegung die Bewegung der "gewaltlosen Landschenkung".
In der Zeit der britischen Kolonisierung lebten 82 % der indischen Bevölkerung in Dörfern und ca. 70% arbeiteten in der landwirtschaftlichen Produktion. Bis zur Kolonisierung war die grundlegende ökonomische Einheit das Dorf. Die Bäuerinnen und Bauern wurden dabei durch den Dorfrat – das Panchayat - vertreten, die den gemeinsamen Grundbesitz angemessen verteilten. Die Handwerker der jeweiligen Dörfer arbeiteten ausschließlich für den Bedarf des eigenen Dorfes, von der Dorfgemeinschaft mit ein wenig Land oder Getreide bezahlt. Diese bis ins Detail geregelte Dorforganisation verhieß zum einen eine gewisse Stabilität, bedeutete aber auch Fortschrittsfeindlichkeit und Stagnation.
Die Briten führten dann das private Eigentum an Land ein. Mit einer Unterschrift wurden die treuen einheimischen Diener der Kolonialregierung zu Land- und Großgrundbesitzern. Diese hatten auch politisch eine wichtige Rolle für die englischen Besatzer in der Wahrung ihrer eigenen Interessen.
So brauchte Großbritannien in der wachsenden Industrialisierung Indien als Rohstofflieferant. Die Bauern gerieten so in die Abhängigkeit von Zwischenhändlern und dem kapitalistischem Markt. Die Autonomie des Dorfes wurde zerstört. Dazu kam die Verelendung der Handwerker. Der neue indische Markt wurde von billigen Fabrikwaren aus England beliefert, die einheimischen Händler konnten nicht mithalten, die genossenschaftliche Verbindung zu den Bauern wurde so zerstört.
Das indische Dorf verlor so mehr und mehr an Bedeutung.
Nach Abzug der Briten wurde die Neuverteilung des Bodens zum Thema, die Landfrage neu gestellt.
Bereits in den Jahren der indischen Unabhängigkeit begannen Kader der 1925 mit Unterstützung Moskaus gegründeten kommunistischen Partei Indiens in Telengana im Norden des Bundesstaates Andhra Pradesh mit der Agitation. Sie stellten Milizen auf, enteigneten Landbesitzer und vertrieben diese mitsamt den lokalen Beamten. Auf dem Höhepunkt der Bewegung kontrollierte die Guerilla ein Gebiet mit 3000 Dörfern und drei Millionen Menschen.
Im September 1948 entsandte die Nehruregierung die Armee, um in einer so genannten Polizeiaktion die Ordnung wiederherzustellen. Dabei begegnete die Armee den Kommunisten mit brutaler Repression. 60 000 Soldaten wurden nach Tenengada entsandt. Die Zivilbevölkerung wurde interniert, um der Guerilla die Basis zu entziehen – eine von den Briten seit dem Burenkrieg erprobte Taktik, die immer wieder und auch heute noch in anderen Regionen funktioniert. 4000 Kader wurden getötet. Zehntausende inhaftiert.
Durch das blutige Ende des Telengana-Aufstandes arrangierten sich Indiens Kommunisten in der Folgezeit mit dem indischen Regime, erklärten die Politik Nehrus für "antiimperialistisch" und gründeten 1962 die "Kommunistische Partei Indiens/Marxisten" (CPM), die heute in einigen indischen Bundesstaaten um Mehrheiten an der Wahlurne kämpft.
Die Ghandianer versuchten ihrerseits, inspiriert durch das "Sarvodaya " (Wohlstand für alle) die Bodenfrage über die Landschenkungsbewegung zu beantworten. Hier sollte eine Neuverteilung des Bodens auf freiwilliger Basis geschehen – und auch hier sollte das Herz des Machthabers bzw. des Besitzenden berührt werden.
So schrieb Vinona Bhave, der "Nachfolger Gandhis" und Guru der Landschenkungsbewegung: "Wir erkennen an, dass bestimmte Maßnahmen von Regierungen erforderlich sind, sind aber nicht damit einverstanden, dass dies so bleibt. Wir schlagen für diese Zeit eine Dezentralisierung der Regierungsorganisationen vor und plädieren für eine gemeinsame moralische Weiterentwicklung aller Bürger und der Gemeinschaft – durch eine Revolution der Liebe".
Die Landbesitzer zeigten sich durchaus gerührt, waren sie jedoch in ihrem Status nicht gefährdet. Dies drückten sie dann auch durch "großartige" Schenkungen von schlechtem, unwirtschaftlichem oder gar unbrauchbarem Boden aus. Hinzu kam innerhalb der Bewegung weiterhin die Fixierung auf spirituelle Führer, die jede emanzipatorische Entwicklung blockierten oder gar unterdrückten. Der geplante Aufbau von "Dorfindustrien" konnte so nicht gelingen.
"Die Idee besteht darin, dass jeder gesunde Mensch für seine Nahrung ausreichend arbeiten muss und seine intellektuellen Fähigkeiten nicht benutzt, um Vermögen anzuhäufen."
Ausreichend Arbeit gab es auf den geschenkten, unwirtschaftlichen Böden, Nahrung weniger und die geplanten, lokalen Märkte blieben in der Verfügungsgewalt der Großgrundbesitzer – waren es doch ihre Produkte, die konkurrenzfähig blieben. Und wieder schien die weitere Entwicklung aus den Gewehrläufen zu kommen.
Im Frühjahr 1967 entstand mit einem Aufstand im Dorf Naxalbari in Westbengalen die so genannte Naxalitenbewegung, die von Mitgliedern der späteren maoistischen CPI-ML dominiert wurde und einige Stämme der indigenen Bevölkerung der Adivasi - sozial und ökonomisch diskriminiert – rekrutierte. Sie lösten die Landfrage durch die Strategie der "Annihilation" also der Hinrichtung des Klassenfeindes und riefen den bewaffneten Kampf aus.
Durch enorme Polizeirepression zersplitterten sich anschließend die Naxaliten in verschiedene Guerillagruppen, die heute noch aktiv sind.
In ihrem autoritär-patriarcharlischen Verhalten schreckten die Naxaliten selbst auch nicht vor der Hinrichtung angeblich klassenfeindlicher Bauern, Frauen und Kinder zurück. Auch wenn in ihren Propagandavideos oft junge Frauen als selbstbewusste, schwer bewaffnete Revolutionärinnen gezeigt werden, war die Wirklichkeit erschreckend anders.
"Die meisten Frauen sind für uns nutzlos, können nicht mit Gewehren umgehen und es fehlt ihnen auch das politische Bewusstsein" So sind in bewaffneten Auseinandersetzungen die Frauen die ersten Opfer oder dienten den männlichen Parteikadern zur "Entspannung". So unterscheiden sich die Roten Armeen in nichts von dem sie bekämpfenden herrschenden System.
"Wir indischen Frauen erwarten von den indischen Männern nicht viel, eigentlich gar nichts."
"Sie können das natürlich Vergewaltigung nennen in ihrer aufgeputzten Sprache, aber solche Sachen passieren den Frauen der Armen in den Dörfern jede Stunde. Mann denkt einfach, die Töchter der Armen sind zum Gebrauch der Reichen dar. Sie denken, wir sind ihr Eigentum. Die Armen in den Dörfern haben keine Toiletten, also müssen wir auf die Felder. Kaum sind wir da, legen uns die Reichen flach." (Poolan Devi)
"Eine Frau soll erst dann essen, nachdem der Mann gegessen hat. Wenn der Mann steht, soll die Frau nicht sitzen. Sie soll nicht schlafen, bevor er schläft. Sie soll am Morgen aufstehen, bevor er aufsteht. Wenn er sie mit Verachtung straft, soll sie sich nicht rächen. Wenn er sie misshandelt, soll sie nicht die Geduld verlieren." (Poolan Devi)
Die Frauenbewegung in Indien ist vielleicht die dynamischste in der ganzen Welt. Sie begehren auf, kämpfen gegen Mädchenmorde, Tempelprostitution, Kastensystem.
Ein besonderes Kriterium – und da unterscheidet sie sich sehr wohl von der westlichen – ist die Öffnung für neue Diskussionen und Ansätze , die sich in der Unterstützung und Mitarbeit bei den Frauen der Dalit ("Niedergetretene") und der Adivasi immer wieder ergeben. Diese befinden sich oft noch in patriarchalischen Traditionen. Wenn auch nicht in jedem Bundesstaat gleich, gelingt es ihnen trotz alledem eine große Bandbreite von Problemen, wie auch die der Religion und der Ethnizität anzunehmen und dies mit den Mitteln des "Satyagraha" anzugehen.
Denn die Krise der ghandianischen Bewegung war die Chance, die libertären Inhalte aus dem z.B. Satyagraha herauszulösen und in die neuen Bewegungen zu integrieren. Und so sind viele Elemente der Konzeption z.B. in dem Widerstand gegen die Narmada Staudämme zu erkennen. Hier, wie in anderen Projekten z.b. gegen die Atomtests, wurden und werden die Kämpfe zwar regional von den betreffenden Gruppen in den entsprechenden Orten geführt, aber dieser Kampf um das Land und deren Nutzung wird von den Ärmsten der Armen, den Entrechteten geführt und da vor allem von den Frauen der Dalit und der Adivashi.
Es ist ein Kampf nicht nur gegen die Ausbeutung des Landes und des Umweltrassismus, für eine radikale Ökologie, die vor allem von der indigenen Bevölkerung geführt wird, sondern durch die libertäre Konzeption auch eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung, kann nur eine gesamtgesellschaftliche sein und verdient mindestens genauso viel Beachtung und Solidarität wie die verschiedenen Bewegungen z.B. in Chiapas oder anderen Orten Mexikos.
Originaltexte: http://radiochiflado.blogsport.de/2011/09/28/anarchistische-einfluesse-in-indien-teil-1-zwischen-gandhi-und-bhagat-singh/ und http://radiochiflado.blogsport.de/2011/09/30/keine-gewehre-fuer-maharashtra-teil-2-von-anarchistische-einfluesse-in-indien/