Augustin Souchy - Freiheitliche Kollektivwirtschaft (1951)
(...) der Kollektivismus oder Sozialismus von unten auf (...) ist heute noch ein Ideengebilde, (...) in Spanien war man während des Bürgerkrieges auf dem Wege, ihn einzuführen. In kurzer Zeit - in anderthalb Jahren - ist man erstaunlich weit mit seiner Gestaltung gekommen. In Spanien war er, genauer gesagt, ein syndikalistischer Gewerkschaftssozialismus, ein System ohne Ausbeutung und ohne soziale Ungerechtigkeiten.
In der syndikalistischen Kollektivwirtschaft wird die Lohnknechtschaft durch gerechte Verteilung des Arbeitsertrages ersetzt. An die Stelle des Privat- und Staatseigentümers tritt die Betriebskollektive, die Gewerkschaft, der Industrieverband und, am Ende, der gewerkschaftliche Landesbund. Daß ein solches System praktisch durchführbar ist, das haben die spanischen Syndikalisten gezeigt. Es garantiert die Freiheit, wirkt belebend auf die Initiative und ebnet damit dem Fortschritt den Weg. Die syndikalistische Kollektivwirtschaft ist keine staatliche Planwirtschaft. Geplant wird nur, was den Konsumenten zum Nutzen gereicht. Was die Konsumgenossenschaft für die Konsumenten ist, das sind die syndikalistischen Kollektive für den Produzenten. Sie beseitigt die Ausbeutung und den Staatszwang.
Die Kollektiven während des spanischen Bürgerkrieges waren Arbeitsgemeinschaften der Wirtschaft ohne Privateigentum. Der kollektivisierte Betrieb gehörte den Arbeitern und Angestellten, war aber nicht ihr Privateigentum im Sinne der bürgerlichen Gesetzgebung. (...) Der Garant war nicht der Staat, sondern die CNT, das heißt der Landesarbeitsbund. Doch auch dieser hatte nicht das Recht, durch seinen Vorstand nach Gutdünken zu verfügen. Alles mußte durch die Arbeiter selbst auf Konferenzen und Kongressen entschieden werden. Dennoch war diese Ordnung flexibel. Im Betriebe bestimmten die Arbeiter und Angestellten (...). Es war ein Versuch, die Arbeit durch solidarische Hilfeleistung, die Wirtschaft durch gegenseitige Kredite zu organisieren, ähnlich wie es Proudhon vorgeschlagen hat. (…)
Nach einem Jahr stand die syndikalistische Wirtschaftsstruktur bereits fest auf den Beinen. Die Betriebe wurden von den Arbeitern selbst geleitet, die Leiter von ihnen selbst erwählt. Probleme, die über die Kompetenz des Einzelbetriebs hinausgingen, wurden dem örtlichen Wirtschaftsrat unterbreitet. In Barcelona setzte sich der kommunale Wirtschaftsrat aus zwei Delegierten jeder Industrie zusammen. Am 28. August 1937, ein Jahr nach dem Beginn der Kollektivisierung, fand in Barcelona der erste Wirtschaftskongreß für Katalonien statt. Bald darauf tagte in Valencia ein Wirtschaftskongreß für ganz Spanien. Die zahlreichen Kollektiven in Stadt und Land und die sozialisierte Industrie machten aus dem syndikalistischen Landesbund der Arbeit die größte und reichste Wirtschaftsmacht des Landes. (…)
Doch die Arbeiter sind keine Kapitalisten. Wo nehmen sie das Geld her, um Löhne zu zahlen, Rohmaterial einzukaufen, Maschinen anzuschaffen, Betriebe zu modernisieren oder neue einzurichten, landwirtschaftliche Meliorationen vorzunehmen usw.?
Sie helfen sich gegenseitig. (...) Die Gelder aller kollektivisierten Betriebe, der sozialisierten Industrien und der Gewerkschaften flossen in der konföderalen Kasse oder Gewerkschaftsbank zusammen. Die Zentralkasse hatte ihren Sitz in Barcelona und in allen Orten gab es Filialen. Die Bank nahm die Überschüsse der einen in Verwahrung und gab anderen Kredite. Der Geldverkehr wurde möglichst eingeschränkt. Die Bank übernahm ebenso die Vermittlung des Austausches der Produkte. Nur die Restsummen wurden in Geld bezahlt. Die Grundsätze für den Kredit- und Zahlungsverkehr der konföderalen Kasse wurden auf den jährlichen Gewerkschafts- und Wirtschaftskongressen festgelegt. Die Bank der Arbeit erwarb auch Auslandsdevisen für den Einkauf von Rohprodukten und Waren aus dem Ausland. Auch beim Außenhandel sollte der Kompensationsverkehr an Stelle des direkten Geldverkehrs treten. Dem Gewerkschaftskongreß wurden jährlich die Ankäufe aus dem Ausland zur Begutachtung unterbreitet.
Der Privatkapitalismus trägt den Keim des Imperialismus in sich. Die Staatswirtschaft ist in ihrem Wesen nach nationalistisch und wie es sich erwiesen hat, keineswegs frei von imperialistischen Macht- und Geltungsansprüchen. Die syndikalistische Kollektivwirtschaft aber erwies sich als frei von Imperialismus und Nationalismus. Das ist von großer Bedeutung für die Aufrechterhaltung des Friedens.
Die spanischen Syndikalisten machten als erste den Versuch, den Sozialismus von unter her aufzubauen. Die kollektivisierten Betriebe waren die Bausteine des freiheitlichen Sozialismus, die sozialisierten Industrien stellten das stolze Gebäude der freien und gerecht organisierten Gesellschaft dar. Seine Architekten waren die spanischen Hand- und Kopfarbeiter in Stadt und Land.
Aus: Die Freie Gesellschaft. Monatsschrift für Gesellschaftskritik und freiheitlichen Sozialismus, Darmstadt, 2. Jahrg., Nr. 23/ September 1951, S. 12-14
Originaltext: Degen, Hans-Jürgen: „Tu was du willst“. Anarchismus – Grundlagentexte zur Theorie und Praxis. Verlag Schwarzer Nachtschatten 1987. Digitalisiert von www.anarchismus.at