Der Traum zur Realität - Über die wirtschaftliche Transformation in der spanischen Revolution
Spanien, 1936. Eine Hochzeit des Anarchosyndikalismus. Zum ersten und einzigen mal in der Geschichte gelang es, eine soziale Revolution im größeren Stil durchzuführen. Es gibt zahlreiche Bücher, Filme und Berichte über diese Zeit, die durch die Niederlage im Bürgerkrieg ihr frühes Ende nahm. In diesem Artikel interessiert uns, wie die CNT (1) beabsichtigte, die freie Gesellschaft wirtschaftlich umzusetzen und wie dies in der Praxis aussah.
Zunächst müssen wir uns klar machen, welche Rolle die Ökonomie in einer Gesellschaft und für den Syndikalismus im Speziellen spielt. Die Wirtschaft bedingt soziale Verhältnisse und wirkt auf die meisten politischen Geschehnisse. Hakt die Ökonomie, so wird die Existenzbedingung jedes politischen Systems gefährdet. Das würden kapitalistische, wie sozialistische ÖkonomInnen unterschreiben. Doch während erstere der Überzeugung sind, innerhalb einer Marktwirtschaft sozialen Ausgleich und politische Stabilität schaffen zu können, sind letztere der Ansicht, dass die Krisen des Kapitalismus systemimmanent sind. Demnach kann das soziale Gleichgewicht nur dann hergestellt werden, wenn die Wirtschaft kollektiviert und nach Plan gelenkt wird.
Bei der Frage nach der Umsetzung dieser beiden Aspekte, scheiden sich die Geister zweier sozialistischer Wirtschaftsmodelle. Sieht der autoritäre Sozialismus vor die Wirtschaft zu verstaatlichen und durch die Funktionäre ihrer Partei von oben planen zu lassen, so beabsichtigt der libertäre Sozialismus, Vergesellschaftung und Planung in die Hände selbstverwalteter Betriebe zu legen. Allerdings nicht in Isolation und Willkür, sondern eingebunden in einen großen föderativen Planungs- und Verwaltungsorganismus.
Die Grundlage für diesen Organismus wird bereits im Kapitalismus durch die Struktur der syndikalistischen Gewerkschaft vorbereitet. Wenn sie ausreichend flächendeckend organisiert ist, kann sie nicht nur die Enteignung mittels des Generalstreiks vollführen, sondern auch mit dem technischen Know-How der Angestellten alle relevanten Wirtschaftszweige weiterführen. Zum Teil geschah genau das im Spanien der 1930er Jahre.
Als Auslöser diente der Putsch Francisco Francos am 17. Juli 1936, dem die CNT mit einem Generalstreik entgegnete. Das Resultat war die Spaltung des Landes in einen faschistischen Westen und den revolutionären Osten.
Auf Grund der langen libertären Tradition der spanischen ArbeiterInnenklasse und der sozialen Realität war es der CNT gelungen, mehr als 1,5 Millionen Mitglieder und etliche SympathisantInnen zu vereinen. Zwar hatten auch andere linke Bewegungen und Gewerkschaften ihren Einfluss auf den revolutionären Prozess vor Ort, doch die treibende Kraft, nicht nur in militärischer Hinsicht, blieben die AnarchosyndikalistInnen.
Die Umsetzung der neuen Ökonomie war in erster Linie ihre Aufgabe. Dazu veröffentlichte Diego Abad de Santillán (2) im Mai 1936 (noch vor der Revolution) im Zuge des CNT-Kongresses in Saragossa den Text „Der ökonomische Organismus der Revolution“, welcher die neue Wirtschaftsordnung in ihren Grundzügen wie folgt beschreibt:
Die ArbeiterInnen eines Betriebs delegieren KollegInnen, welche den Arbeitsablauf koordinieren und den Betrieb nach Außen vertreten. Die Betriebe einer Branche finden sich in jeder Ortschaft zum lokalen Branchenrat zusammen, in dem sie sich über Produktions-, Reparatur- und sonstige Fragen austauschen. Dort wo es sich anbietet arbeiten auch die Räte verschiedener Branchen zusammen, z.B. Bergbau- und Metallindustrie.
Auf regionaler und landesweiter Ebene sind die jeweiligen Branchenräte ebenfalls verbunden, die Delegierten werden auch hierfür aus den einzelnen Betrieben entsendet. Die Aufgaben dieser „höheren“ Verwaltungsebenen liegen neben der Produktionsregulierung eines größeren Territoriums zudem bei der Unterhaltung von Forschungs- und Lehreinrichtungen ihrer jeweiligen Fachbereiche und dem Tätigen größerer Investitionen.
Bei dieser Produktionsweise kommt es darauf an, den Produktionsumfang genau zu erheben. Es sollen möglichst präzise Aussagen über die Produktion auf betrieblicher, regionaler oder landesweiter Ebene getroffen werden, um so die Verteilung von Waren und Dienstleistungen genau Abstimmen zu können.
Um zu wissen wie das Produzierte, wohin verteilt werden soll, ist es notwendig auch den Bedarf der Bevölkerung festzustellen. Dies geschieht auf gleiche Weise wie die Gestaltung der Produktion, in den sogenannten Wirtschaftsräten. Auch sie bilden aus lokalen Einheiten, wo jede Person ihren Bedarf angibt, Föderationen auf regionaler und landesweiter Ebene – im ständigen Austausch mit den Branchenräten. Die Verknüpfung zwischen Branchen- und Wirtschaftsräten ist das Rückgrat der dezentralen Planwirtschaft. Aus dem Abgleich ihrer gesammelten Daten wird ersichtlich, wie viel insgesamt produziert und konsumiert wird, aber auch wie der Bedarf logistisch am besten gedeckt werden kann.
Eine weitere Aufgabe des Wirtschaftsrates ist es, die Funktion des Kredit- und Wechselwesens zu übernehmen. Das heißt er vergibt Kredite zu günstigsten Konditionen für neue kollektive Betriebsinitiativen. Außerdem schaut er, welche Überschüsse exportiert, sowie welche Güter im Gegenzug importiert werden können. Wichtig ist hierbei, dass es nicht das Ziel des Kredit- und Wechselwesens ist Profit zu erwirtschaften, sondern bei allen notwendigen Verstrickungen in die externe kapitalistische Ökonomie, zuerst die Bedarfsdeckung im Inneren zu gewährleisten.
Soweit die Theorie, doch wie sah die Praxis aus? Der Beginn der Revolution wurde von der Bevölkerung mit Enthusiasmus getragen und viele Betriebe wurden kollektiviert. Teilweise führte das zu enormen Produktionssteigerungen bei gleichzeitigen Preissenkungen für Güter und Dienstleistungen. Einigerorts gelang es sogar gänzlich ohne Geld zu wirtschaften. Doch viele Kollektivbetriebe scheiterten durch unzureichende Vernetzung. Die von Santillán beschriebene Strukturierung der neuen Wirtschaft blieb weitgehend aus, so beklagt er es selbst in seiner „Zwischenbilanz der Revolution“ Ende 1936.
Schuld daran mag die Bürgerkriegssituation sein. Neben der Güterknappheit, die auch durch den hohen Verbrauch der Rüstungsindustrie verursacht wurde, ist auch der Eintritt der CNT in die republikanische Regierung ein Grund. So beklagte Santillán, welcher selbst Wirtschaftsminister in Katalonien wurde, dass sich zu viele Leute in den neuen Staatsapparat drängten, in der Hoffnung an einen bequemen Posten zu kommen. Zudem wälzten viele ArbeiterInnen seiner Ansicht nach ihre revolutionäre Verantwortung auf den Staat ab, in dem sie z.B Sozialleistungen forderten, statt die Kollektivwirtschaft mit aufzubauen.
Letztendlich brach die gesamte Revolution zusammen. Auch weil die demokratischen Staaten tatenlos zusahen, gelang es Franco mit der Hilfe Italiens und Deutschlands eine Militärdiktatur zu errichten, welche noch bis 1975 bestand. Die hochentwickelte anarchosyndikalistische Bewegung Spaniens konnte nach ihrem Wiedererscheinen aus dem Untergrund 1975 bis heute nie an alte Erfolge anknüpfen, dennoch zeigen ihre wirtschaftlichen Erfahrungen eine konstruktive Seite des Anarchismus, die ein wichtiges Erbe sozialistischer Wirtschaftstheorie geblieben ist.
Literatur: “Ökonomie und Revolution” – Texte von Diego Abad de Santillán und Juan Peiró (dt. Erstausgabe 1975, Karin Kramer Verlag Berlin)
Fußnoten:
1.) CNT - "Confederacion Nacional del Trabajo", spanische Gewerkschaft. 1910 gegründet, ist sie bis heute eine der einflussreichsten anarchosyndikalistischen Organisationen weltweit.
2.) Diego Abad de Santillán - Autor und zentrale Figur des spanischen und argentinischen Anarchismus
Originaltext: Schwarzes Kleeblatt Nr. 13 (März / April 2013), PDF