Gegen die Arbeit - Michael Seidman über die ArbeiterInnenkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38
Selten sorgte in den letzten Jahren ein Buch für dermaßen viel Aufregung in der deutschsprachigen anarchistischen Bewegung wie Michael Seidmans Untersuchung über die ArbeiterInnenkämpfe in Barcelona und Paris 1936 - 1938, kratzt es doch an einigen libertären Mythen zum Spanischen Bürgerkrieg und der dortigen ArbeiterInnenselbstverwaltung unter Federführung der anarchosyndikalistischen CNT. Anbei findet ihr Buchbesprechungen sowie das Vorwort und einen Artikel Seidmans zu dem im Verlag Graswurzelrevolution erschienenen Buch (die Textsammlung wird beim Erscheinen neuer Artikel weiter ergänzt).
Allerdings geriet Seidmans wissenschaftliche Arbeitsweise und sein Umgang mit Quellen in die Kritik. Die Zeitschrift Barrikade widmete sich in der im April 2012 erschienenen Ausgabe ausführlich diesem Thema. Dabei geht es nicht nur um seine Plakatinterpretation, sondern z.B. auch um (evtl.) verfälscht wiedergegebene Zitate (siehe Beitrag von H.H.), deren Aussage sich dadurch verdreht. Grund genug, nicht nur die Geschichte der anarchistischen Bewegung in Spanien 1936 bis 1939, sondern auch Seidman`s Thesen kritisch zu hinterfragen - was auch Helen Graham in ihrer Rezension des Buches macht. Der Autor hat im Juni auf die Vorwürfe von H.H. in einer Stellungnahme reagiert, die unter dessen Artikel angeführt ist.
Michael Seidman, Gegen die Arbeit - Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936 - 38, Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2011, 477 Seiten, ISBN 978-3-939045-17-5, 24,90 Euro
Die Beiträge:
- Michael Seidman über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38
- Michael Seidman - Gegen die Arbeit. Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38. Vorwort
- Reiner Tosstorff - Michael Seidman, Workers Against Work. Labor in Paris and Barcelona during the Populär Fronts (Kritische Rezension 1993)
- Starker Tobak. Michael Seidmans Buch "Gegen die Arbeit" wirft Fragen auf und hat es in sich
- Freizeit und Faulheit trotz Volksfront und Revolution
- Justus - Michael Seidman: Gegen die Arbeit
- Ludwig Unruh - Arbeiter, Arbeitereliten und das Problem der Arbeit. Anmerkungen zu Michael Seidmans „Gegen die Arbeit“
- Peter Nowak - Lob der Individualität: Michael Seidman`s "Gegen die Arbeit"
- Helen Graham - Rezension
- H.H. - Zum Buch “Gegen die Arbeit” von Michael Seidman. Wenn man genauer hinsieht, ist es ganz anders
- Michael Seidman - Erwiderung auf H.H.
- Schon wieder Seidmann! Seidmans Rezension von Paul Prestons "Der Spanische Holocaust"! (Oktober 2012)
- Kritik von Stuart Christie an Michael Seidmans Rezension von Paul Prestons “Der Spanische Holocaust” (Oktober 2012)
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Michael Seidman über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38
Mit einem Vorwort von Karl Heinz Roth und Marcel van der Linden ist im Oktober 2011 Michael Seidmans Opus Magnum Workers against Work erstmals in deutscher Sprache unter dem Titel Gegen die Arbeit. Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38 (24,90 Euro, ISBN 978-3-939045-17-5) im Verlag Graswurzelrevolution erschienen. Der US-amerikanische Historiker und Bewegungsforscher lebte Ende der Siebzigerjahre in Paris und promovierte 1982 in Amsterdam über das Thema dieses Buches. Vom 8. bis 14. Oktober 2011 hat der Autor seinen 477-Seiten-Wälzer in Köln, Jena, Nürnberg, Berlin, Bielefeld, Wiesbaden und Frankfurt/M. vorgestellt. Für alle, die dieses wichtige Werk noch nicht gelesen haben, drucken wir hier exklusiv als Appetizer sein Redemanuskript ab. (GWR-Red.)
Der antifaschistische Philosoph Benedetto Croce prägte den berühmten Satz: "Geschichte ist immer Zeitgeschichte." Diese Aussage lässt sich durchaus auf mein Buch Gegen die Arbeit übertragen.
Es hat seine Wurzeln in den "langen Sechzigerjahren", deren radikalste ProtagonistInnen eine Sozial- und Kulturkritik des Konsumkapitalismus entwickelten.
Die Kulturrevolution der Sechzigerjahre erneuerte die der Arbeiterbewegung von jeher innewohnende Infragestellung der Lohnarbeit. Die Konzeption von Gegen die Arbeit war von der nach 1968 aufkommenden "Kritik der Arbeit", die ich mir während meiner Zeit in Paris von 1979 bis 1982 aneignete, zwar beeinflusst, aber nicht vollständig bestimmt.
Zu jener Zeit machte ich die Bekanntschaft einiger Französinnen und Franzosen, deren Neudefinition der künftigen Revolution darin bestand, dass nicht mehr für Lohn gearbeitet würde. Ihre Position erinnerte an die im neunzehnten Jahrhundert sowohl von MarxistInnen als auch von AnarchistInnen artikulierte Forderung nach Abschaffung der Lohnarbeit.
Auf der pragmatischen Ebene überlebten die jungen Leute dieses Pariser Zirkels in ihrem teuren städtischen Umfeld, indem sie gelegentlich Aushilfsjobs übernahmen oder Arbeitslosen- und Sozialhilfe bezogen.
Trinken, Rauchen und die gelegentliche Intensivierung dieser Genüsse durch den Konsum weicher Drogen waren für dieses Milieu charakteristisch.
Für mich, der ich Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre in den USA studiert hatte, waren diese hedonistischen Aktivitäten meiner Bekannten weniger schockierend als ihre arbeitsfeindliche Ideologie.
Die PariserInnen machten mich mit wichtigen Texten wie der Anthologie La fin du travail und dem Pamphlet Le refus du travail (2) vertraut. Beide Publikationen vertraten die Auffassung, dass Arbeit Unterdrückung sei, und strichen zugleich heraus, dass die Arbeiter Widerstand gegen sie leisteten.
Skeptische Sicht auf Lohnarbeit
Diese Skepsis gegenüber der Lohnarbeit schrieb das neu erwachte Interesse an einer Geschichte der Arbeit fort. Es war in den 60er- und 70er-Jahren in Frankreich und anderen westlichen Staaten aufgekommen, als erstmals Historiker die Geschichte alltäglicher Arbeitsverweigerungen durch die Arbeiter aufzuzeichnen begannen. (3)
In jenen Jahren verfassten Michelle Perrot und Michel Foucault Werke zur Geschichte der Abwehr von Disziplinierungstechniken durch ArbeiterInnen, Frauen, Gefangene und andere. (4) Diese Geschichtsschreibung von unten ließ das Streben der unteren Klassen nach Autonomie wieder aufleben und spiegelte eine allgemeine Krise des militantisme.
So formulierte Foucault Anfang der Siebzigerjahre: "Die Massen brauchen ihn [den Intellektuellen] nicht, um Wissen zu erlangen. Sie wissen vollkommen Bescheid, ohne Illusionen; sie wissen es besser als er und sind durchaus in der Lage, sich auszudrücken." (5)
AktivistInnen und Militante, die nicht selbst ArbeiterInnen waren, hatten nur untergeordnete Rollen zu spielen, wenn Autonomie und Selbstbestimmung der ArbeiterInnen das Ziel waren. Die Intellektuellen konnten die Bewegung ganz sicher nicht im leninistischen Sinne führen oder ihr revolutionäres Bewusstsein verleihen, wenn, wie radikale linke Kritiker des orthodoxen Marxismus postulierten, das Klassenbewusstsein durch den Kampf selbst - und nicht durch wohlmeinende Intellektuelle - gebildet wurde.
Wiederbelebung libertärer Traditionen
Die von Perrot, Foucault und anderen verfassten Werke zur Arbeits- und Sozialgeschichte dokumentierten - und erweckten - den Wunsch, libertäre Traditionen wiederzubeleben.
Viele meiner Freunde und Bekannten im Paris der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre machten sich Rätekonzepte zu eigen und forderten Arbeiterselbstverwaltung.
Richard Gombins Schlüsseltext lieferte die positive Neubewertung eines linken Radikalismus, den Lenin als "Kinderkrankheit" abgetan hatte. (6)
Antileninistische Linke ihrerseits lehnten Weisungen "revolutionärer" politischer Parteien und angeblich repräsentativer Gewerkschaften ab und befürworteten statt dessen wilde Streiks, Fabrikbesetzungen und verschiedene Formen der Arbeiterkontrolle, die, wie sie sagten, den realen Sozialismus der Zukunft vorwegnahmen - getreu dem Motto der Ersten Internationale: "Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein."
Gombin argumentierte, dass der junge Georg Lukács, Karl Korsch und Anton Pannekoek sich darin einig gewesen seien, dass eine erfolgreiche Revolution der Arbeiter letztlich auf die Arbeiter selbst bauen müsse.
Aber wie so viele ihrer bolschewistischen GegnerInnen vertraten diese Rätekommunisten des frühen zwanzigsten Jahrhunderts ein produktivistisches Revolutionskonzept.
Sie gingen davon aus, dass die Arbeiter die unter ihrer Kontrolle stehenden landwirtschaftlichen Betriebe und Fabriken effizient verwalten würden. Das rätekommunistische Projekt stand im Gegensatz zum Geist der ArbeitsgegnerInnen, deren neu belebter ouvrierisme der 70er-Jahre postulierte: "Die Arbeit ist der Fluch der trinkenden Klasse."
Die situationistische Parole "Arbeitet niemals!" übte auf viele dieser jungen Linken eine große Anziehungskraft aus.
Der spielerische Geist der situs wandte sich gegen die Verwandlung von Künstlern in Arbeiter, wie sie in den kommunistischen Staaten stattgefunden hatte, und wollte statt dessen ArbeiterInnen in KünstlerInnen verwandeln.
Die SituationistInnen waren zweifellos klug und provokativ, aber es blieb fraglich, ob sie oder irgendeine andere linke Gruppe die Spannung zwischen Arbeiterselbstverwaltung und den unvermeidlichen gesellschaftlichen Produktionsanforderungen aufheben konnten. Bezeichnenderweise mythologisierten gerade die situs die während des Spanischen Bürgerkriegs von Anarchisten und Marxisten gegründeten Kollektive als den Höhepunkt menschlicher Errungenschaften.
Sie ignorierten die produktivistische Denkweise der AnarchosyndikalistInnen ebenso wie den Widerstand der ArbeiterInnen.
"Diego Abad de Santillán - ein Anführer und Theoretiker der CNT, der sie später, während der Revolution in der katalanischen Regionalregierung, der Generalitat, repräsentierte - stand beispielhaft für die Verschiebungen in der anarchosyndikalistischen Ideologie Spaniens.
Santillán hatte zunächst der ländlichen Gemeinde den Vorzug gegeben und sich gegen die Dominanz des sindicato (Gewerkschaft) in der anarchistischen Bewegung gewandt; wurde dann aber zu einem der energischsten Verfechter des sindicato als Basis für die Revolution.
Auch wandelte er sich vom eifrigen Kritiker kapitalistischer Technologie und Arbeitsorganisation zum enthusiastischen Befürworter derselben.
Noch 1931 schrieb er, der "moderne Industrialismus nach dem Muster von Ford ist reiner Faschismus, rechtmäßiger Despotismus. In den großen rationalisierten Fabriken ist das Individuum nichts, die Maschine alles. Diejenigen unter uns, die die Freiheit lieben, sind nicht nur Feinde des staatlichen Faschismus, sondern auch des wirtschaftlichen Faschismus."
Schon zwei Jahre später, 1933, beschrieb Santillán die moderne Industrie als eine Quelle des Stolzes für die Menschheit, weil sie zur Beherrschung der Natur geführt habe. Er bemerkte anerkennend, dass die Taylorisierung die "unproduktiven Bewegungen des Einzelnen" beseitigt und "seine Produktivität" gesteigert hätte:
Es ist nicht nötig, die derzeitige technische Organisation der kapitalistischen Gesellschaft zu zerstören, sondern wir müssen sie nutzen.
Die Revolution wird der Fabrik als Privateigentum ein Ende bereiten. Aber wenn die Fabrik bestehen und, unserer Meinung nach, verbessert werden muss, dann muss man wissen, wie sie funktioniert. Die Tatsache, dass sie gesellschaftliches Eigentum wird, ändert das Wesen der Produktion oder die Produktionsmethode nicht. Die Verteilung der Produktion wird sich ändern und gerechter werden.
Santilláns plötzlicher Sinneswandel wurde möglicherweise durch die Weltwirtschaftskrise ausgelöst, die viele Aktivisten (einschließlich einiger, die eher Anarchisten als Syndikalisten waren) zu dem Schluss führte, das Ende des Kapitalismus sei unvermeidlich, und dass sie in der Lage sein müssten, den wirtschaftlichen Übergang zum libertären Kommunismus zu organisieren.
Wie viele andere libertäre Aktivisten betonte der CNT-Führer die Notwendigkeit, das "Parasitentum" zu beseitigen und für Arbeit für alle zu sorgen. Arbeit sei in einer revolutionären Gesellschaft sowohl Recht als auch Pflicht, und er pflichtete dem alten Sprichwort bei: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen":
Wir suchen keine Freundschaften in der Fabrik. [...] Was uns vor allem in der Fabrik interessiert, ist, dass unser Arbeitskollege seinen Job versteht und ihn ausführt, ohne dass es Schwierigkeiten gibt, etwa weil er unerfahren ist oder die Funktionsweise des Ganzen nicht kennt.
Das Heil liegt in der Arbeit und der Tag wird kommen, da die Arbeiter es wollen. Die Anarchisten, die einzige Strömung, die nicht versucht auf Kosten anderer zu leben, kämpft für diesen Tag.
Er machte deutlich, dass im libertären Kommunismus der Produzent den Staatsbürger ersetzen werde." (S. 81-83)
Die SituationistInnen und andere vernachlässigten vollkommen die Arbeitsverweigerungen der gewöhnlichen ArbeiterInnen während der Spanischen Revolution, die ein zentrales Thema von Gegen die Arbeit waren. Mit anderen Worten: Das nach 1968 gezeichnete Porträt der arbeitenden Klasse als Trägerin des Widerstands gegen die Arbeit war nicht mit der Disziplin und dem Organisationsgrad zu vereinbaren, die für das Funktionieren von Räten, Sowjets und anderen Formen produktivistischer Kollektive erforderlich sind. Um das Ausmaß der Arbeitsverweigerung einzudämmen, griff die Spanische Revolution zu intensiver Propaganda. Ihren deutlichsten Ausdruck fand sie in den Postern der "spanischen Linken - der Kommunisten, Sozialisten und Anarchosyndikalisten. Die großen Organisationen verwandten erstaunlich viel Zeit und Geld auf die Herstellung dieser Propaganda, auch dann noch, als Papier und andere Ressourcen knapp und teuer geworden waren.
Viele der Plakatkünstler waren schon vor der Revolution in der Werbebranche tätig gewesen, und sie arbeiteten nicht nur für eine, sondern für mehrere Organisationen. So entwarf etwa ein Funktionär der Gewerkschaft der Berufsdesigner Poster für die CNT, die UGT, die PSUC und die Generalitat. Seine Gewerkschaft stellte sogar für den POUM, die unabhängige kommunistische Organisation, Plakate her.
Es entstand ein ökumenischer Stil, der (trotz leichter thematischer Unterschiede) sowohl die Arbeiter als auch die Produktivkräfte in nahezu identischer Weise darstellte. Selbst als sich Anarchosyndikalisten und Kommunisten im Mai 1937 in den Straßen von Barcelona gegenseitig umbrachten, blieb die ästhetische Einheit der Volksfront bestehen.
Ideologische Auseinandersetzungen und Machtkämpfe hinderten konkurrierende Organisationen nicht, ähnliche Darstellungen ihrer vorgeblichen Basis zu akzeptieren.
Die Arbeiter auf diesen Plakaten (die im Stil dem sowjetischen Sozialistischen Realismus stark ähneln) arbeiten, kämpfen oder sterben für die Sache. Diese Männer und, gleichbedeutend, Frauen - denn in der spanischen Revolution waren Männer und Frauen im Krieg und bei der Arbeit theoretisch gleichgestellt - kämpften immer heldenhaft und unermüdlich für den Sieg der Revolution oder der Zweiten Republik: auf dem Lande, in den Fabriken und auf dem Schlachtfeld.
Tatsächlich war auf vielen Plakaten das Geschlecht der Person fast unbestimmbar. Wichtig waren weder die Eigenschaften noch der Charakter der dargestellten Individuen, sondern ihre Funktion als Soldat oder Arbeiter.
Der spanische sozialistische Realismus stand für die fortschreitende "Vermännlichung der Ikonografie der Arbeiterbewegung"
Ein Plakat der CNT, das Pessimismus und Mutlosigkeit bekämpfen sollte, zeigte zwei Gestalten, einen Mann und eine Frau, die einander glichen. Beide hatten riesige Unter- und Oberarme, breite Schultern und sehr kleine Köpfe. Damit wurde ausgedrückt, dass körperliche, nicht geistige Anstrengungen von ihnen verlangt wurden. Die Gestalten waren fast identisch, abgesehen davon, dass eine längere Haare und einen unscheinbaren Busen hatte - die einzigen Hinweise auf Weiblichkeit in dem Bild.
Ein Detail kennzeichnete die andere Gestalt: hochgekrempelte Ärmel, ein leicht erkennbares Symbol für Handarbeit.
Diese Kunst befasste sich einzig und allein mit der konstruktiven oder destruktiven Fähigkeit ihrer Subjekte, die gleichzeitig ihre Objekte waren.
Die Künstler verwischten die Differenzen zwischen Soldaten und Produzenten, zwischen Rüstungs- und ziviler Industrie ebenso sehr wie die zwischen Mann und Frau.
Ein Plakat der PSUC setzte die Industrie in Kriegs- und Friedenszeiten in eins. In dem Bild formen die langen Schornsteine die Silhouette großer Kanonen. Ein berühmtes CNT-Plakat transportierte die gleiche Aussage: Im Vordergrund ein Soldat, der sein Gewehr abfeuert; er ergänzt einen Arbeiter im Hintergrund, der mit einer Sichel Weizen erntet, an sich schon ein Symbol der Arbeit in der sozialistisch-realistischen Ikonografie.
Die Figuren wären ununterscheidbar, wären da nicht ihre Gerätschaften und ihre Körperhaltung. Lebendiges Rot und Schwarz, die Farben der anarchistischen Bewegung, verstärkten das Profil der mächtigen Arbeiter. Die Titelzeile lautete: Genosse, arbeite und kämpfe für die Revolution.
Niemals bildeten die Künstler die Arbeiter und Soldaten auf den Plakaten müde, hungrig oder krank ab. Die Produktionsmittel - die Fabriken, Höfe und Werkstätten - wurden, ganz gleich wie hässlich sie waren, ebenso idealisiert wie die mutigen, starken und kraftstrotzenden Männer und Frauen, die für die Sache lebten und starben. Diese Darstellung der Produktivkräfte spiegelte den Produktivismus der Linken und ihren Modernisierungswillen. Die Maschinen und die Menschheit waren heldenhaft und überlebensgroß.
In Anbetracht der marxistischen und anarchosyndikalistischen Konzeption des Arbeiters ist es kaum verwunderlich, dass die revolutionäre Kunst dessen produktive Eigenschaften unterstreichen musste. Diese Ideologien, welche die Arbeit und den Arbeiter verherrlichten, stellten die weiblichen und männlichen Lohnarbeiter durchweg als muskulöse und mächtige Wesen dar, die Gegenstände sowohl für den Konsum als auch für den Kampf zu schaffen in der Lage waren. Daher die Bedeutung des Armes und insbesondere der Hand, ein Symbol des homo faber und Mittelpunkt vieler Darstellungen.
Die Interpretation der Plakate hilft uns zu verstehen, wie einerseits Marxisten und Anarchosyndikalisten sich die Arbeiterklasse im wahrsten Sinne des Wortes vorstellten, und wie die Revolutionäre andererseits auf das reale Verhalten der Arbeiter während des Bürgerkriegs und der Revolution reagierten
Der spanische sozialistische Realismus versuchte die Arbeiter zu überzeugen: vom Kämpfen, vom Arbeiten und dem Sinn größerer Opfer. Es war Propaganda, die keinen Humor kannte und manchmal etwas Bedrohliches hatte.
Die Kunst der Frente Popular zielte darauf ab, den Arbeiterwiderstand gegen die Arbeit zu verringern, der (wie wir sehen werden) eines der drängendsten Probleme für die gesamte Linke war. Barcelonas Arbeiter waren dafür bekannt, an Feiertagen und insbesondere in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr nicht zur Arbeit zu erscheinen. Die PSUC reagierte auf einen solchen Absentismus mit einem Plakat, das einen Soldaten zeigte, dessen Bajonett den Samstag auf einem Kalender zerschneidet. Der Titel des Plakats rief zum Ende der Festlichkeiten auf und forderte, dass ein neuer "Kriegskalender" zu gelten habe. Eine andere Darstellung forderte, dass der Erste Mai nicht Feiertag, sondern ein Tag der "Intensivierung der Produktion" sein solle.
Manchmal setzten spanische Aktivisten exzessives Trinken und Faulheit mit Sabotage und gar Faschismus gleich. Ein Plakat der CNT, das in Barcelona für das Departamento de orden público de Aragon hergestellt wurde, stellte einen dicken Mann dar, der eine Zigarette raucht und sich, scheinbar auf dem Land, gemütlich ausruhte. Die Farben dieses Werkes waren andere als die der meisten Plakate: die Gestalt war nicht rot oder schwarz, sondern gelb und reflektierte die Farbtöne des sonnigen Spanien. Am unteren Rand stand zu lesen: Der faule Mann ist ein Faschist. Ein weiteres CNT-Plakat, wiederum für die Genossen in Aragonien, zeigte ebenfalls einen Mann, der eine Zigarette rauchte - ein Symbol, da mag man spekulieren, für Gleichgültigkeit und Frechheit, denn engagierte Arbeiter und Soldaten wurden nicht rauchend gezeigt. Dieser Mann war von großen Weinflaschen umgeben, und das Plakat führte den Schriftzug: "Ein Betrunkener ist ein Parasit. Schalten wir ihn aus."
In einer Zeit, in der die Drohung mit Eliminierung nicht immer nur ein Ausspruch blieb und in der Arbeitslager für Feinde und Teilnahmslose durchaus in Betrieb waren, war diese Zeile besonders starker Tobak. Sowohl Marxisten als auch Anarchosyndikalisten standen den Unproduktiven feindlich gegenüber.
Eine Vielzahl von Plakaten griff das Problem der Gleichgültigkeit der Arbeiter auf. Eines zeigte eine starke rote Gestalt, die mit einer Schaufel im Boden grub und Arbeiter bat, sich freiwillig den Arbeitsbrigaden anzuschließen. Viele dieser Brigaden wurden 1937 obligatorisch. Ein anderes Plakat, aus Madrid, forderte versehrte Veteranen auf, den Kampf durch Arbeit in den Fabriken zu unterstützen und damit bisher unverletzte Arbeiter für den Kampf freizusetzen. Ein drittes enthielt den sehr direkten Aufruf: "Arbeiter, Arbeite und Wir werden siegen."
Es zeigte eine rote Gestalt mit freiem, gut gebauten Oberkörper, Schmied oder Metallarbeiter, zu dessen Füßen eine Reihe von Soldaten ihre Waffen auf den Feind abfeuerte." (S. 161-165)
Als Gegen die Arbeit im Jahr 1991 veröffentlicht wurde, forderten seine ikonoklastischen Thesen alle drei in den Achtzigerjahren maßgeblichen Schulen angloamerikanischer Arbeitergeschichtsschreibung in die Schranken: Marxismus, Modernisierungstheorie und Kulturalismus. Die Marxisten (E. P. Thompson, Eric Hobsbawm und Herbert Gutman) postulierten die fortschreitende Entwicklung des Klassenbewusstseins, welche die ArbeiterInnen und ihre VertreterInnen in die Lage versetzen würde, die Produktivkräfte effizient zu verwalten. Die Modernisierungstheoretiker (Peter Stearns und Charles Tilly) gingen davon aus, dass sich die ArbeiterInnen an die Industriegesellschaft anpassen und allmählich die von mir als Widerstand gegen die Arbeit oder Arbeitsverweigerung bezeichneten Handlungsweisen ablegen würden -Streiks, Bummelei, Blaumachen, Krankfeiern, Zuspätkommen, Klauen und Sabotage. Die Kulturalisten (Gareth Stedman Jones und die Postmodernisten) argumentierten, dass die Sprache die Arbeit für die ArbeiterInnen sinnvoll mache.
Gegen die Arbeit versuchte zu zeigen, dass keine dieser Theorien in der Lage war, den andauernden Widerstand der ArbeiterInnen gegen die Arbeit zu erklären. Ich hatte das Wort Widerstand mit Bedacht gewählt, ich war mir seiner antifaschistischen politischen Bedeutung voll bewusst.
Der Faschismus deutscher, italienischer und anderer Ausprägungen ist dem Kommunismus in seiner Vergöttlichung der Arbeit durchaus ähnlich. Wie der Kommunismus glorifiziert der Faschismus den Arbeiter, um ihn stärker auszubeuten.
Die Arbeitsverweigerungsformen der ArbeiterInnen waren größtenteils gewaltfrei im Sinne der "materialistischen Gewaltlosigkeit". Indem sie die Fabrik- und Verwaltungshierarchien in Frage stellten, waren sie zugleich implizit und explizit egalitär.
Selbstredend ist jeder Streik eine Weigerung, Lohnarbeit auszuführen. Andere Formen des Widerstands gegen die Arbeit wiederholen diese Verweigerungen in dem Versuch, Arbeitsplatz und Arbeitszeit zu meiden. Sie negieren tatsächlich auf Graswurzelebene die Bedingungen der Lohnarbeit.
Paradoxerweise wurden diese Verweigerungen Ende der 30er-Jahre unter den Volksfrontregierungen in Frankreich und Spanien, genauer gesagt von 1936 bis 1938 in Barcelona und Paris, als die Linke die politische Macht in den Händen hielt, fortgesetzt oder sogar verstärkt.
Gegen die Arbeit setzte sich mit den Gesellschaftstheorien François Guizots und Karl Marx' auseinander. Beide untersuchten die Herausbildung sozialer Klassen und die zwischen ihnen bestehenden Beziehungen.
Die Spanische Revolution und der Bürgerkrieg brachen im Juli 1936 in einem Land aus, in dem, ähnlich wie in Russland und China, die Bourgeoisie schwach gewesen war, unfähig, die "bürgerliche Revolution", d.h. die Schaffung eines geeinten Nationalstaats, die Entwicklung der Produktionsmittel und die Trennung zwischen Staat und Kirche sowie zwischen Militär und Zivilregierung, zu vollenden.
In Barcelona übernahmen revolutionäre AnarchosyndikalistInnen, KommunistInnen und SozialistInnen die Leitung der Fabriken, sahen sich jedoch mit Streiks, Bummelei, Blaumachen, Krankfeiern, Gleichgültigkeit und geringer Produktivität seitens der gewöhnlichen ArbeiterInnen konfrontiert.
Die Militanten der Parteien und Gewerkschaften beantworteten den Widerstand der ArbeiterInnen mit den gleichen repressiven Mitteln wie zuvor die Kapitalisten: Der Lohn wurde an die Produktivität geknüpft und Fehlzeiten am Arbeitsplatz wurden bestraft. In vielerlei Hinsicht wiederholten die ArbeiterInnen und Führungskräfte während der Spanischen Revolution damit die Erfahrungen ihrer sowjetischen KollegInnen während und nach der Russischen Revolution. (7)
Die Volksfront in Frankreich - eine Koalition der Sozialisten, Kommunisten und zentristischen Radikalen - war, anders als in Spanien, nicht revolutionär, sondern reformistisch.
Die französische Bourgeoisie hatte das Modell der "bürgerlichen Revolution" geschaffen, indem sie die Nation geeint, ein neues Verhältnis zwischen Religion und Staat eingeführt und die Produktivkräfte stetig entwickelt hatte.
Die Militanten der französischen Arbeiterklasse hatten andere Pläne als die Vollendung einer Revolution der Mittelschicht. Nach dem Wahlsieg der Volksfrontkoalition brach Mitte Mai 1936 eine Welle von Fabrikbesetzungen los, welche insbesondere die Region um Paris betraf:
"Als sie ein günstiges politisches und gesellschaftliches Klima verspürten, verließen viele Arbeiter - manchmal angeführt von Basisaktivisten der CGT oder des PCF, manchmal auf eigene Initiative hin - im Mai und Juni 1936 unerwartet ihre Maschinen oder legten ihre Werkzeuge nieder. Wie ein Historiker der Volksfront anmerkt: ‚Die einzig befriedigende These ist [...] die einer weitgehend spontanen Bewegung: Daher [rührte] ihre unerhörte Bedeutung - nahezu zwei Millionen Streikende. Daher auch das besonnene Verhalten der Arbeitgeber, die mit dem Strom schwammen, ohne einen Versuch ihn aufzuhalten.' Die Arbeiter waren glücklich, ja freudig, die Arbeit zu beenden und ergriffen die Gelegenheit, mit ihren Kollegen in den stillen Fabriken zu entspannen und manchmal auch Liebesaffären zu beginnen (Frauen stellten mehr als 20 Prozent der Arbeitskräfte in der Metallverarbeitung). Obwohl viele Besetzungen spontan entstanden, begannen CGT-Aktivisten bald, die Streikenden zu organisieren und Forderungen zu formulieren. Aktive Gewerkschafter sorgten mit Unterstützung der sozialistischen und kommunistischen Rathäuser für die Sicherheit und Verpflegung der Arbeiter." (S. 326-327)
Im Juni 1936 wurde Léon Blum, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Premierminister und gewährte den französischen ArbeiterInnen höhere Löhne, die Vierzig-Stunden-Woche und zwei Wochen bezahlten Urlaub.
Die Lohnabhängigen aber wollten mehr. Von 1936 bis 1938 führten sie einen Guerillakrieg gegen die Arbeit. In vielen wichtigen Pariser Fabriken sank die Produktivität, während der Einfluss der Gewerkschaftsaktivisten in den Belegschaften zunahm. Die Gewerkschafter setzten niedrige Produktionsquoten durch; somit wurde die Akkordarbeit ineffektiv.
Die geringen Produktionsmengen schufen für Blums Regierung und die Volksfront gewaltige politische und wirtschaftliche Probleme. Insbesondere die Verzögerungen bei der Fertigstellung zahlreicher Pavillons für die Pariser Weltausstellung 1937, die doch als Frankreichs großer Auftritt auf der globalen Bühne gedacht war, brachten Blums Regierung in größte Verlegenheit.
Offizielle Vertreter der Volksfrontparteien und Gewerkschaften appellierten unentwegt an die ArbeiterInnen, sich mehr anzustrengen, um das Projekt rechtzeitig abzuschließen.
"Doch trotz aller öffentlichen Appelle ging die Produktion wie in Barcelona nur schleppend voran. Am 1. Februar 1937 richteten sich die wichtigsten Anführer der Volksfront gemeinsam an die versammelten Arbeiter der Weltausstellung. Blum erklärte: ‚Die Ausstellung wird ein Triumph der Arbeiterklasse, der Volksfront und der Freiheit sein. Sie wird zeigen, dass ein demokratisches Regime der Diktatur überlegen ist. [...] Die Reputation der Volksfront steht auf dem Spiel und ich sage euch ganz ehrlich, dass Samstags- und Sonntagsarbeit notwendig ist.' Der CGT-Vorsitzende Léon Jouhaux sagte der Menge, dass ‚Opfer gebracht werden' müssen. Marcel Gitton, einer der höchsten PCF-Funktionäre, wandte sich an das Publikum: ‚Die Ausstellung wird am 1. Mai eröffnen, dem Tag der Arbeit (fête du travail). Ihr Erfolg wird die Volksfront stärken. Die Ausstellung wird ein Sieg tausender Arbeiter und all der arbeitenden Massen sein. Die Feinde der Volksfront lechzen nach dem Scheitern der Ausstellung. Die Arbeiter wollen, dass sie ein unerhörter Erfolg wird.'
Ungeachtet der Appelle und Mahnungen der Führer eröffnete die Ausstellung mit großer Verspätung. Die CGT weigerte sich, die 40-Stunden-Woche zu verlängern. So mussten zwei oder drei Schichten pro Tag organisiert werden.
Die Arbeitsleistung dieser Zusatzschichten sank aufgrund verschiedener Faktoren beträchtlich. Erstens führte der Facharbeitermangel zur Einstellung unerfahrener Arbeiter für die zweite und dritte Schicht. Die CGT billigte diese Praxis vorbehaltlos und untersagte den Unternehmern sogar, einige ihrer qualifiziertesten Arbeiter einzusetzen, weil diese nicht zur Gewerkschaft gehörten.
Von den vier Zementarbeitern, die eine Firma einstellen musste, hatte nur einer wirkliche Erfahrung. Viele der Arbeiten der zweiten und dritten Schicht waren schlecht ausgeführt und mussten nochmals gemacht werden. Zweitens hatte die Nachtschicht naturgemäß Probleme mit dem Licht und ihre abweichende Arbeitszeit war typischerweise viel weniger produktiv als die Tagschichten. Drittens widersetzten sich die Gewerkschaften dem Einsatz technisch fortschrittlicher Methoden und bevorzugten handwerkliche Techniken, um Arbeitsplätze zu schaffen. Sie verweigerten zum Beispiel den Einsatz von Farbspritzmaschinen.
Faktisch unterbanden die CGT-Delegierten auf der Ausstellung die Wochenendarbeit weitgehend, obwohl hochrangige CGT-Funktionäre versprochen hatten, Samstags- und Sonntagsarbeit im Rahmen der 40-Stunden-Woche zu erlauben. Die Delegierten und Arbeiter ignorierten die Aufrufe sowohl der CGT als auch der Humanité, dass Wochenendarbeit notwendig sei, um die Ausstellung rechtzeitig zu eröffnen. Einige Wochen nach Blums Rede bestand ein Delegierter der Zimmerleute darauf, dass am Samstag und Sonntag nicht gearbeitet wird. Den Malern des Amerikanischen Pavillons wurde die Erlaubnis für Wochenendarbeit versagt. Kurz darauf wurde eine elektrische Umspannanlage beschädigt, vermutlich um das Recht auf ein arbeitsfreies Wochenende zu schützen. Dem offiziellen Bericht der Ausstellung zufolge waren die Gewerkschaftsführer nicht in der Lage, ihre Versprechen der Wochenendarbeit "einzulösen": "Selbst wenn eine Verständigung [über die Wochenendarbeit] erreicht wurde; [...] am folgenden Samstag untersagte eine gegenteilige, oft unerklärliche Anweisung den Arbeitern das Betreten der Baustelle." Zudem weigerten sich die Arbeiter die Tage nachzuarbeiten, die aufgrund schlechten Wetters oder durch Feiertage unter der Woche verloren gingen." (S. 385-387)
Die zentristische Partei der Radikalen, die Königsmacherin der Regierungskoalition, entfremdete sich der Volksfront - in ihren Augen war sie für die niedrige Produktivität und die in der Folge einsetzende Inflation verantwortlich.
Die Parteien der Mitte und der Rechten waren der Auffassung, die geringe Produktivität im Luftfahrtsektor schade der französischen Verteidigungsfähigkeit, da die deutschen ArbeiterInnen unter der Naziherrschaft fünfzig bis sechzig Stunden pro Woche arbeiteten, die französischen dagegen nur vierzig.
Krieg und Kriegsgefahr bedeuten grundsätzlich mehr Arbeit - und höheren Produktivitätsdruck für die ArbeiterInnen.
Im Angesicht der wachsenden Macht der Deutschen und der steigenden Inflation übernahm schließlich die Rechte die Regierungsgewalt und besiegelte im November 1938 das Ende der Volksfront, indem sie einen Generalstreik zur Verteidigung der Vierzig-Stunden-Woche niederschlug.
Die Geschichte von Workers against Work
Gegen die Arbeit kam zu dem Schluss, dass es angesichts der während der 30er-Jahre in Barcelona und Paris gemachten Erfahrungen schwierig, wenn nicht sogar unmöglich sein würde, eine Arbeiterdemokratie am Arbeitsplatz aufzubauen.
Das Buch versuchte auch einen Beitrag zur Staatstheorie zu leisten, indem es die These vertrat, es bedürfe eines mächtigen und potentiell repressiven Staates, um die Arbeiter zum Arbeiten zu bringen. In den 1930er-Jahren lebte der Widerstand gegen die Arbeit in geschwächten oder nachgiebigen Staaten auf; repressive Staaten hingegen - bürgerliche wie proletarische - dämmten die Verweigerungen ein. Obwohl Parteien der Arbeiterklasse und Gewerkschaften an der Regierung waren, widersetzten sich die ArbeiterInnen den Zwängen von Arbeitsraum und Arbeitszeit.
In Frankreich führte der Widerstand gegen die Arbeit sogar zu wachsender Unterstützung des Faschismus und der extremen Rechten durch die Vorarbeiter und Manager, deren Anweisungen die ArbeiterInnen während der Volksfront missachtet hatten.
In diesem Sinne war der Faschismus eine ins Extreme übersteigerte Arbeitsideologie.
Die englische Originalausgabe von Gegen die Arbeit erschien 1991 unter dem Titel Workers against Work und wurde uneinheitlich aufgenommen.
Das akademische Interesse verebbte schon bald nach der Veröffentlichung; im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts jedoch erregte das Buch unter Libertären und MarxistInnen erneut Aufmerksamkeit. Inzwischen ist es in fünf Sprachen übersetzt worden.
Die neuerliche Auseinandersetzung mit Gegen die Arbeit entsprang einem in der radikalen Linken vorhandenen Wunsch, ihre Theorien einerseits zu verteidigen und andererseits zu revidieren.
Anders als frühere Generationen von Linken, die davon ausgingen, dass die ArbeiterInnen für die Revolution arbeiten würden, sind sich viele ihrer heutigen Erben darüber im Klaren, dass das größte Problem vielleicht nicht darin bestehen könnte, die Bourgeoisie zu stürzen, sondern darin, die Lohnabhängigen dazu zu bringen, für die Sache zu arbeiten.
Diese Linken waren in viel höherem Maße als so mancher Wissenschaftler bereit, die These von Gegen die Arbeit zu akzeptieren, dass die ArbeiterInnenbewegung oftmals in dem Bemühen der Basis bestand, sich dem Arbeitsplatz und der Arbeitszeit zu entziehen.
Neue Elemente der radikalen Linken - Gimenologues und Échanges in Frankreich, Wildcat und Graswurzelrevolution in Deutschland - begrüßten die Infragestellung des Produktivismus, ob er nun der kapitalistischen, der anarchistischen oder marxistischen Tradition entstammte.
Eine neue Generation von Feministinnen - einige ihrer älteren Schwestern waren dem Buch anfangs recht kritisch gegenüber gestanden - wusste die Anerkennung zu schätzen, die Gegen die Arbeit der besonderen Rolle der Frauen als Widerständlerinnen entgegenbrachte, insbesondere ihren hohen Fehlzeiten und ihrer relativ geringen Identifikation mit dem Arbeitsplatz. (8)
Indem es den Produktivismus kritisch hinterfragt, ist Gegen die Arbeit nicht nur in der Lage, männlichen und weiblichen Lohnabhängigen eine gemeinsame Plattform zu bieten, sondern auch Übereinstimmungen zwischen der ArbeiterInnen- und der Ökologiebewegung zu entdecken, die ja für gewöhnlich als Gegnerinnen gelten.
Man kann die Zurückweisung der Lohnarbeit durch die ArbeiterInnen in den 1930er-Jahren durchaus als Vorläuferin der Ökologiebewegung betrachten.
Während der Fabrikbesetzungen im Frühjahr 1936 unterbrachen die ArbeiterInnen die Fertigung von Automobilen - den zentralen Konsumgütern der Konsumgesellschaft - und fanden sich statt dessen in der Fabrik in kleinen Gruppen zusammen, aßen und plauderten.
"Musik, Gesang und Lachen" ersetzten "das unbarmherzige Dröhnen der Maschinen". (9)
Diese dramatische Veränderung kann als Vorwegnahme einer ökologischen Stadtutopie interpretiert werden.
Die Geschichte von Gegen die Arbeit ist ein Beispiel für die Wechselfälle intellektueller Produktion und Rezeption.
Ein in der akademischen Welt in den USA der frühen 1990er-Jahre mit gemischten Kritiken bedachtes Werk wurde eine Generation später in anderen Ländern mit mehr Begeisterung aufgenommen.
Die Geschichte der Arbeit ist zu ihren im frühen 19. Jahrhundert liegenden, unakademischen Wurzeln zurückgekehrt - sowohl bei den "utopischen" als auch bei den "wissenschaftlichen" TheoretikerInnen der Arbeiterklasse.
Michael Seidman
Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch: Henriette Keller
Anmerkungen:
(1) Der Autor dankt dem "Faculty Friday"-Seminar der Historischen Fakultät der UNCW und besonders seinem Veranstalter Mark Spaulding sowie dem von Jim Winders und Don Reid veranstalteten Triangle Area French Cultural Studies Seminar für die dort geäußerten Anmerkungen und Fragen zu früheren Versionen dieses Essays.
(2) Alexis Chassagne und Gaston Montracher, La fin du travail (Paris : Stock, 1978); Le refus du travail, Échanges et Mouvement (Paris 1977?); Bruno Astarian, Aux origines de l'antitravail (Paris : Echanges et Mouvements, 2005) ; Danièle Auffray, Thierry Baudouin, Michèle Collin, Le travail, et après (Paris : J. P. Delarge, 1978). Siehe auch Jacques Guigou und Jacques Wajnsztejn, Mai 1968 et le mai rampant italien (Paris : L'Harmattan, 2008), 150.
(3) Antoine Prost, La CGT à l'époque du front populaire: 1934-1939. Essai de description numérique (Paris : Presses de la Fondation nationale des sciences politiques, 1964); Rolande Trempé, Les mineurs de Carmaux, 1848-1914 (Paris : Les Editions Ouvrières, 1971); Yves Lequin, Les ouvriers de la région lyonnaise (1848-1914), (Lyon : Presses universitaires de Lyon, 1977).
(4) Michelle Perrot, Les ouvriers en grève: France 1871-1890, 2 Bde. (Paris: Mouton, 1974); Michel Foucault, Discipline and Punish: The Birth of the Prison, übs. von Alan Sheridan (New York: Pantheon Books, 1977).
(5) Foucault, zit. n. Richard Wolin, The Wind from the East: French Intellectuals, the Cultural Revolution, and the Legacy of the 1960s (Princeton: Princeton University Press, 2010), 308; Michel Foucault, Foucault Live (Interviews, 1961-1984), (New York: Semiotext(e), 1996), 75.
(6) Richard Gombin, The Origins of Modern Leftism, übs. von Michael K. Perl (Harmondsworth: Penguin, 1975).
(7) Wendy Z. Goldman, Women at the Gates: Gender and Industry in Stalin's Russia (New York: Cambridge University Press, 2002); Donald Filtzer, "Labor Discipline, the Use of Work Time, and the Decline of the Soviet System, 1928-1991," International Labor and Working Class History, no. 50 (Herbst 1996), 9-28.
(8) Zur anfänglichen Kritik vgl. die Rezensionen von Workers against Work von Helen Graham, International Review of Social History, XXXVII, 1992, 279-280, und Pamela Beth Radcliff, Labor History (Frühjahr/Sommer 1993), vol. 34, 2/3, 416-418. Eine spätere Würdigung findet sich in "Women's Subversive Individualism in Barcelona during the 1930s," International Review of Social History, XXXVII, 1992, 161-176. Elektronische Veröffentlichung (Juni 1999) durch Collective Action Notes unter www.geocities.com/CapitolHill/Lobby. Ins Französische übersetzt durch den Cercle Social (2002) www.geocities.com/demainlemonde/individualism.htm. Diese französische Übersetzung ist auf etwa einem Dutzend Webseiten reproduziert worden. Des Weiteren wurde der Autor von einer marxistisch-feministischen Gruppe eingeladen, auf der im Mai 2011 in New York City veranstalteten Historical Materialism Conference über Workers against Work zu sprechen.
(9) Simone Weil, La condition ouvrière (Paris 1951), 231.
Originaltext: http://www.graswurzel.net/363/seidman.shtml
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Michael Seidman - Gegen die Arbeit. Über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38. Vorwort
Im Jahr 1963 veröffentlichte die Redaktion der Zeitschrift Internationale Situationniste das Foto einer Parole, die sie auf einer Pariser Mauer entdeckt hatte : „Ne travaillez jamais“ – „Arbeitet niemals“ ! Damit illustrierte sie ein in derselben Ausgabe veröffentlichtes Manifest, in dem sie „die Abschaffung der Arbeit in ihrer bekannten Form – verbunden mit der Abschaffung des Proletariats“ als „Zentrum des revolutionären Projekts“ proklamierte [1]. Dieses utopische Schlagwort entfaltete in den folgenden Jahren eine subversive Sprengkraft. Es spielte nicht nur im Pariser Mai des Jahrs 1968 eine wichtige Rolle, sondern durchdrang die gesamte globale Revolte dieser Jahre. Die Vergötzung der Arbeit war unwiderruflich zu Ende. Der Widerstand gegen die entwürdigende, erniedrigende und alle Kreativität abtötende Arbeit erzeugte einen neuen Lebensstil, der die nachwachsende Generation der „roten Siebziger“ prägte – bevor er von den Innovatoren des Kapitalismus entdeckt und in die prekären Arbeitsverhältnisse von heute umgemünzt wurde.
I.
Der Impuls der Situationisten und anderer, ihnen verwandter Strömungen der radikalen Linken inspirierte auch viele Intellektuelle und Wissenschaftler. Zu ihnen gehörte der amerikanische Historiker Michael Seidman, der seit 1979 in Paris lebte und durch die dortige Subkultur geprägt wurde. Er machte sich den Kampf gegen die Arbeit zum Forschungsthema und 1982 promovierte er in Amsterdam bei Arthur Mitzman mit einer Untersuchung über die ArbeiterInnen von Barcelona und Paris während der spanischen Revolution und der französischen Volksfrontregierung. Das war eine Konstellation, wie sie provozierender nicht sein konnte : Kämpfen die ArbeiterInnen auch in revolutionären Umbrüchen, in denen Organisationen unter Berufung auf die historische Mission der Arbeiterklasse die politische Macht ergreifen, weiter gegen die Arbeit ? Fallen sie mit dem sich daraus unweigerlich einstellenden Niedergang der Wirtschaft dem emanzipatorischen Umsturz in den Rücken ? Es gehörte ein erhebliches Stück Respektlosigkeit gegenüber allen Traditionsbeständen der Arbeiterlinken und der durch sie inspirierten Geschichtsschreibung dazu, überhaupt eine solche Frage aufzuwerfen. Einmal mehr zeigten hier die Parolen der Situationsten ihre subversive Sprengkraft.
Im vollen Wissen um die Brisanz seiner Fragestellung machte sich Seidman an die Arbeit. Er erschloss sich die riesigen archivalischen Überlieferungen zur Sozialgeschichte der ArbeiterInnen der Dreißigerjahre in ihren Hochburgen Barcelona und Paris und wertete ihre Presse aus. Parallel dazu studierte er auch die Gegen-Überlieferungen der Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Das machte es ihm möglich, die Rahmenbedingungen für eine vergleichende historische Analyse zu erarbeiten : In Barcelona konfrontierte sich eine rückständige und korrupte Bourgeoisie mit einem militanten Arbeiterwiderstand, der in erster Linie durch die Anarcho-Syndikalisten der CNT repräsentiert wurde ; in Paris stand den starken, aber durch die Weltwirtschaftskrise zurückgeworfenen Gewerkschaften ein starkes und innovationsfähiges Patronat gegenüber, das eine hoch effiziente Automobil-, Flugzeug- und Stahlindustrie kommandierte. Daraus ergaben sich zwei unterschiedliche Ansätze des Arbeiterwiderstands. In Barcelona erzwangen Anarchosyndikalisten den revolutionären Umsturz mit dem Anspruch, die entwicklungsunfähige Bourgeoisie zu ersetzen und unter den Bedingungen der Arbeiterselbstverwaltung einen Prozess der wirtschaftlichen Konzentration und Erneuerung einzuleiten. In Paris dominierten dagegen Konzepte der Arbeiterkontrolle der Produktion, verbunden mir Forderungen nach einer radikalen Verkürzung der Arbeitszeit und der Ausweitung der Sphäre der Nichtarbeit durch bezahlte Urlaube und soziale Sicherung im Alter.
War dieses Anliegen der revolutionären und – im Fall Frankreich – reformorientierten Arbeiterlinken aber auch die zentrale Agenda der ArbeiterInnen ? Wie Seidman anhand des reichlich erschlossenen Quellenmaterials nachweist, war das zumindest in dem Augenblick nicht mehr der Fall, als die Arbeiterlinke an die politischen Machthebel herankam. Die Fabrikbelegschaften nutzten die fast zeitgleich ablaufenden Umbruchsituationen vielmehr dazu, sich noch stärker als bisher den Zumutungen ihres Arbeitsalltags zu entziehen. Obwohl jetzt anarcho-syndikalistische Militante im Namen der Revolution die geflohenen oder vertriebenen Manager ersetzten und für eine kollektive Anstrengung zur Reorganisation der Produktion warben, blieben die ArbeiterInnen den Betriebsversammlungen fern und missachteten die Schichtpläne. Auch nach der – zeitweiligen – Abschaffung der Akkordarbeit wandten sie sich von der Arbeit ab. Sie erschienen verspätet oder auch gar nicht und gingen vor Schichtschluss. Es gab zwar auch einige Exklaven, in denen mit neuen Formen der geldlosen Produktion und Verteilung experimentiert wurde, aber dies waren und blieben Randerscheinungen. In Paris war die Situation kaum anders. Dort hatten die Betriebsbesetzungen zwar ebenfalls den politischen Umschwung ermöglicht. Aber für die ArbeiterInnen waren sie in erster Linie ein großes Fest, eine kurzfristige Wiederaneignung des Lebens, die sie nun in die Ära der Volksfront verlängerten. Auch sie erzwangen die faktische Abschaffung des Akkordlohns, verweigerten die hierarchische Arbeitsteilung, kamen verspätet und gingen verfrüht, und wenn sich ihnen die Unternehmer und Gewerkschaftsleitungen widersetzten, griffen sie zur Sabotage.
Seidmans Befund war somit eindeutig : In beiden Konstellationen kündigten die ArbeiterInnen ihren neu installierten Arbeiterregimes die Gefolgschaft. Beide politische Regime waren aber in ihrer Existenz bedroht und auf eine rasche und reibungslose Wiederankurbelung ihres Wirtschaftspotenzials angewiesen : In Spanien war die militärische Konterrevolution im Vormarsch, und in Frankreich geriet die Volksfrontregierung angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs in eine Zerreißprobe, die zusätzlich durch den aggressiven Hochrüstungskurs des faschistischen Deutschland verschärft wurde. In dieser Zwangslage unternahmen die beiden politischen Regime das aus ihrer jeweiligen Sichtweise Unvermeidliche : In Spanien avancierte die CNT zum Vorreiter einer repressiven Wiederherstellung der Arbeitsdisziplin, und die Volksfrontregierung fuhr unter dem Einfluss des Syndikalismus einen weniger harten, aber dennoch ebenfalls eindeutigen Disziplinierungskurs.
So weit Seidmans Befunde, deren Evidenz bis heute von niemand angezweifelt wurde. Der Widerstand gegen die Arbeit hört in allen seinen sichtbaren, demonstrativ herausgekehrten oder auch stillschweigend und scheinbar individualisiert betriebenen Formen auch dann nicht auf, wenn sich politische Regime etablieren, die aus Arbeitermilitanten rekrutiert werden und erklärtermaßen als Repräsentanten der Arbeiterklasse agieren. Nur dort, wo die ArbeiterInnen selbst anfangen, die Trennung zwischen Arbeit und Leben aufzuheben und mit selbstbestimmten Tätigkeiten zu experimentieren – solche Ansätze gab es, wie Seidman nachweist, in Spanien sehr wohl, sie sind aber marginal geblieben –, nehmen sie eine konstruktive Haltung ein. Das aber ist eine Art der Reproduktion des Lebens, die sich außerhalb – oder unterhalb – der politischen Systeme abspielt. Da sie sich außerhalb aller Effizienz- und Produktivitätskriterien bewegen, kann sich auch keine von der Arbeiterlinken beherrschte politische Macht auf sie beziehen. Mit anderen Worten : Hinter dem Widerstand gegen die Arbeit steht ein elementares Bedürfnis nach der Aufhebung aller Formen der Arbeit im sozialen Lebensprozess, das alle Wirtschaftsprozesse entschleunigt und letztlich „unproduktiv“ macht. Zwischen den existenziellen Massenbedürfnissen der Arbeiterklasse nach ihrer Selbstaufhebung und den Perspektiven einer politischen Repräsentation ihrer Interessen im Sinn von politischer Arbeitermacht besteht ein unauflöslicher Widerspruch.
II.
Nach dem Abschluss seines Promotionsverfahrens in Amsterdam kehrte Seidman in die USA zurück und nahm eine zeitlich befristete Hochschullehrerstelle an der Rutgers University an. Die Studie blieb zunächst unveröffentlicht. Dann publizierte Seidman 1988 eine erste Zusammenfassung in einer zeitgeschichtlich orientierten Zeitschrift [2]. Schließlich erschien seine Untersuchung 1991 in der University of California Press. Die Rezeption war zunächst recht verhalten. Während die niederländischen Rätekommunisten anhand der Aufsatzfassung den von Seidman benutzten Arbeitsbegriff kritisierten – dazu noch weiter unten –, gaben sich die Rezensenten der wissenschaftlichen Fachpresse eher ratlos und diskutierten Randprobleme, so etwa eine mögliche Überschätzung der Stärke der französischen Bourgeoisie oder die mangelnde Berücksichtigung komplementärer Studien über den Arbeiterwiderstand in der Sowjetunion [3]. Andere Rezensenten nahmen Anstoß an der explizit betonten Konfrontationsstellung, die Seidman gegenüber den dominierenden – modernisierungstheoretischen und marxistischen – Strömungen der Arbeitergeschichtsschreibung einnahm [4]. Einig waren sich aber alle in der Einschätzung, dass es sich um eine außergewöhnliche Arbeit handelte, die zwei brisante historische Themenfelder miteinander verglich und auf provozierende Weise gegen den Strich der gängigen Deutungen bürstete [5].
Damit war die akademische Diskussion aber auch schon beendet. Der Verlag zog daraus die Konsequenzen und verzichtete auf die sonst übliche Edition einer billigeren Taschenbuchvariante. Auch Seidman selbst musste um seine wissenschaftliche Position kämpfen und verließ 1989 die Rutgers University nach erheblichen internen Auseinandersetzungen um seine Festanstellung, hatte dann aber andernorts mehr Glück. Nach einer längeren Pause sorgten dann engagierte Übersetzungen für eine Veröffentlichung in einem japanischen (1998) und einem türkischen Universitätsverlag (2010). Inwieweit es Seidman in diesen Ländern gelang, Einfluss auf die Arbeitsgeschichtsschreibung zu nehmen, wissen wir nicht. In diesen beiden Konstellationen sind die Sprachbarrieren leider noch immer wirksam.
Parallel dazu entfaltete das Buch jedoch allmählich seine Wirkung in der radikalen Linken. Als Workers Against Work seit dem Beginn des neuen Millenniums bei der University of California Press vergriffen war, veröffentlichte eine räte-anarchistische Gruppe in Baltimore einen Raubdruck. 2006 erschien eine griechische Teilübersetzung in Athen, die offensichtlich keine breitere Debatte auslöste. Dagegen entschloss sich ein in Marseille aktives Verlagskollektiv im vergangenen Jahr zu einer kompletten französischen Edition, die ebenfalls ohne Absprache mit dem Autor und dem über die Urheberrechte verfügenden Verlag zustande kam. Diese unautorisierte Rückkehr in das Land ihrer Entstehung verhalf der Studie Seidmans endlich zur seit langem überfälligen Rezeption innerhalb der radikalen Linken. Dabei kristallisierten sich mehrere Problemfelder heraus, die entscheidende Eckpunkte des emanzipatorischen Diskurses berühren.
III.
Es geht dabei erstens um den Arbeitsbegriff : Ist jede Art von Arbeit, die die materielle Reproduktion des individuellen und gesellschaftlichen Lebens vom gesellschaftlichen Lebensprozess abtrennt und verselbständigt, abzulehnen ? Und wenn ja : Wird dann der uneingeschränkt und in allen denkbaren Konstellationen gerechtfertigte Widerstand gegen die Arbeit noch in der Lage sein, aus sich die Alternative einer selbst bestimmten und frei assoziierten Lebenstätigkeit hervorzubringen ? Um diese Frage zu beantworten, werden wir nicht darum herum kommen, die gesamte Arbeitsgeschichte nochmals auf den Prüfstand zu stellen und zugleich eine klare Trennlinie zwischen allen Formen der Arbeit und der jenseits davon zu entwerfenden selbstbestimmten Tätigkeit zur Reproduktion der gesellschaftlichen Lebensprozesse vorzunehmen. Genau hier setzten schon 1989 die niederländischen Rätekommunisten an, als sie von Seidman eine genauere Unterscheidung zwischen der Arbeit an sich und der kapitalistisch organisierten Arbeit einforderten [6].
Noch schockierender ist zweitens der sich aus der Analyse Seidmans zwingend ergebende Befund, dass bisher alle Varianten von Arbeiterregimen oder „Arbeiterstaaten“ unfähig waren, die elementaren Bedürfnisse der von ihnen repräsentierten Klasse nach sofortiger Aufhebung der Arbeit in die Tat umzusetzen und damit ihre letztlich unvermeidliche Niederlage zu verhindern. Von diesem Verdikt waren – und sind – wohlgemerkt alle Strömungen der Arbeiterlinken betroffen, von den spanischen Anarcho-Syndikalisten über die verschiedenen Strömungen des französischen Syndikalismus bis zurück zu den Bolschewiki, die im Frühjahr 1918 den Kampf gegen den disziplinlosen Eigensinn der Arbeiter- und Soldaten-Sowjets aufnahmen. Sie alle antworteten in der Konfrontation mit ihrer sich ihnen verweigernden sozialen Legitimationsbasis mit produktivistischer Propaganda, aber auch mit Drohungen und brutaler Repression. Aus diesem Befund ergeben sich gravierende Konsequenzen für jede Emanzipationstheorie, die sich auf die Klasse der Arbeiterinnen und Arbeiter beruft. Wir können sie hier nicht weiter zur Diskussion stellen. Aber wir möchten zumindest darauf hinweisen, dass der revolutionäre Bruch ganz unabhängig vom Stand der jeweiligen kapitalistischen Entwicklung nur noch universal gedacht werden kann. Da jede erfolgreiche Arbeiterrevolution sofort und unvermeidlich zu einer Entschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums und zur Aufhebung der Arbeitsproduktivität als Grundnorm der politischen Ökonomie führt, hat sie nur dann eine Chance, wenn sie global in Gang kommt und weltweit koordiniert ist. Andernfalls geraten die revolutionären „Arbeiterregierungen“ sofort in das Dilemma, sich gegen die sie umgebende und sie einkreisende kapitalistische Welt durch die Wiederherstellung der arbeiterfeindlichen Produktivitätsnormen behaupten zu müssen und dadurch im gleichen Augenblick ihre Existenzgrundlage zu verlieren. Die Überwindung der Arbeit kann nur noch als weltweites Projekt gedacht werden, und zwar unabhängig von den jeweils dominierenden Formen der Ausbeutung und Verwertung des menschlichen Arbeitsvermögens.
IV.
Eine deutschsprachige Edition der Pionierstudie von Michael Seidman war seit langem überfällig. Nur wenige Individuen und Zirkel der deutschen Sprachsphäre haben sie bis heute zur Kenntnis genommen und in ihre Debatten einbezogen. Lange Jahre war die englische Ausgabe nur in ganz wenigen Universitätsbibliotheken ausleihbar. Merkwürdigerweise hat aber auch der seit einiger Zeit mögliche Zugriff auf eine E-Book-Version zu keiner breiteren Rezeption geführt. Hier blieb die Gruppe Wildcat ein einsamer Rufer in der Wüste. Als sie im Jahr 2003 einen Essay von Gilles Dauvé und Karl Nesic über die Frage veröffentlichte, ob die ArbeiterInnen die Arbeit lieben – oder auch nicht –, nutzte ihre Redaktion die Chance, in einer Zusatzbemerkung zu der von den beiden Autoren ausgewiesenen Referenzstudie auf die Dringlichkeit einer deutschen Ausgabe hinzuweisen. Diese Forderung hat nun der Verlag Graswurzelrevolution erfüllt, und zwar in Abstimmung mit Michael Seidman. Für diese Entscheidung können wir dem kleinen, aber feinen anarchistischen Kollektiv nur dankbar sein.
Karl Heinz Roth
Marcel van der Linden
Originaltext: http://raumgegenzement.blogsport.de/2012/01/23/karl-heinz-rothmarcel-van-der-linden-vorwort-zu-gegen-die-arbeit-ueber-die-arbeiterkaempfe-in-barcelona-und-paris-1936-38-von-m-seidman/
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Reiner Tosstorff - Michael Seidman, Workers Against Work. Labor in Paris and Barcelona during the Populär Fronts
University of California Press, Berkeley etc. 1991, 399 S., geb., 39,95 $.
Michael Seidman geht in diesem auf eine Amsterdamer Dissertation zurückgehenden Buch der Frage nach dem Verhalten der Industriearbeiterschaft unter den beiden Volksfront-Regierungen in Europa während des Jahres 1936 - konzentriert auf das jeweilige industrielle Kerngebiet - nach. Dabei geht es konkret darum, wie die Arbeiter in Paris und Barcelona in einer Situation, in der sie eine Besserstellung erwarteten - vereinfacht ausgedrückt: weniger Arbeit auf den Zwang zu höherer Produktivität reagierten. Ziel ist dabei eine vergleichende Sozialgeschichte; ausgeklammert ist also die ganze politische Geschichte der beiden Volksfrontregierungen.
Seine Darstellungsweise ist jedoch, gemessen an der komparatistischen Fragestellung, vergleichsweise traditionell. Jeweils ungefähr die Hälfte des Textes wird einem der beiden städtischen Großräume gewidmet, beide Teile sind nach einem ähnlichen Schema aufgebaut. Ausgangspunkt ist jeweils die Situation des Bürgertums, die Schwäche der katalanischen und die Stärke der französischen Bourgeoisie, was stark unterschiedliche industrielle Strukturen zur Folge hatte. Während sich für Spanien daraus die Voraussetzungen für die Revolution ableiten lassen, verfügte das französische Bürgertum über Spielräume, den Arbeitern Zugeständnisse in Richtung auf eine moderne Konsumgesellschaft zu machen. Dem folgt die Skizze der Ideologien und der gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse, in Spanien der Anarchosyndikalismus, in Frankreich die reformistische CGT mit nur noch geringen Nachklängen des revolutionären Syndikalismus sowie eine seit Mitte der 1930er Jahre stark anwachsende KP.
Kernpunkt seines Buchs ist der Kampf der Arbeiter gegen die Arbeit. Er hat eine Unmenge an Informationen zusammengestellt, die belegen, daß viele Arbeiter auf die Aufforderung, mehr zu arbeiten, mit Arbeitsverweigerung in den verschiedensten Formen, vom Absentismus bis hin zur Sabotage, reagierten. Dies führte die Linke dazu, mit bis dahin von ihr mit dem Kapitalismus identifizierten Zwangsmaßnahmen zu reagieren. Seine Ergebnisse spitzt er zu einer Kritik der traditionellen Historiographie, sei es der marxistischen, sei es der modernisierungstheoretischen, zu. Sie würde einer »produktivistischen«, aus der Aufklärung stammenden Utopie anhängen, wonach Fortschritt und wachsende Organisierung und Rationalisierung der Arbeit Zusammengehen und sich die Arbeiter den daraus resultierenden Zwängen anpassen würden.
Unzweifelhaft hat er eine äußerst materialreiche Studie zusammengetragen. Seine Darstellung basiert auf einer breiten Auswertung von Archiven, seien es Gewerkschaftsarchive (insbesondere bezüglich Spanien), seien es staatliche oder betriebliche (insbesondere Frankreich), wozu noch eine Vielzahl zeitgenössischer Zeitungen und Zeitschriften hinzukommt. Es gelang ihm damit, Tendenzen herauszuarbeiten, die in den bisherigen Darstellungen vernachlässigt wurden.
Seine Argumentation tendiert jedoch trotz aller Verdienste zu einem »Overkill«. Die äußeren Zwänge, unter denen beide Volksfrontregierungen antraten, führten ganz automatisch zu einer Desorganisierung der Ökonomie mit all ihren Folgen wie Inflation, Nahrungsmittelknappheit usw.; am stärksten gilt das natürlich für Spanien und für die aus der Notwendigkeit zur Kriegsführung folgenden Zwänge (wobei es im übrigen mehr als problematisch ist, einfach Spanien mit seiner Revolution und Frankreich mit seiner reformistischen Regierung zu vergleichen).
Auch verlangt seine Argumentation eigentlich nach einer umfassenden Quantifizierung all der von ihm beschriebenen Erscheinungen, um wirklich allgemeine Urteile fällen zu können. Doch es ist nicht unschwer zu vermuten, daß die Quellen dies nicht hergeben. So gerät seine Darstellung zwangsläufig zu einer Aufzählung vieler Einzelbeispiele. Doch fehlen dann bei ihm Gegenbeispiele.
Wie will er etwa die Mehrarbeit, die die katalanischen Arbeiter seit dem Sommer 1936 auf sich nahmen, um eine vollständig neue Rüstungsindustrie zu schaffen - und zwar nach den vielen Berichten zumindest in der ersten Zeit unbestreitbar freiwillig bewerten? Es ist schade, daß er diesen Vorgang nur ein einziges Mal erwähnt (im Zusammenhang mit gefährlichen Arbeitsbedingungen).
Ähnliche Beispiele ließen sich aus den ersten Monaten der Revolution in Barcelona, als die Herstellung der sozialen Gleichheit in unmittelbare Nähe gerückt schien, vielfach anführen und müßten den von Seidman beschriebenen gegenübergestellt werden. Daß die Aufrechterhaltung der Arbeitsproduktivität in einer revolutionären Situation ein großes Problem ist, darüber ist im übrigen auch schon in früheren Revolutionen nachgedacht worden (vgl. z.B. die Schrift von Eugen Varga, Die wirtschaftspolitischen Probleme der proletarischen Diktatur, Wien 1920).
So kann man viel eher ein widersprüchliches Bild als eine in sich geschlossene Tendenz konstatieren. Wie Seidman auch mehrmals betont, ist seine Analyse durch die nach-68er Diskussion über Wert und Inhalt der Arbeit in einer Konsumgesellschaft bestimmt. Es bleibt jedoch die Frage, ob er zwei durch besondere, einmalige Umstände bestimmte Situationen unter eine solche allgemeine Analyse subsumieren kann.
Reiner Tosstorff, Frankfurt /Main
Aus: Archiv für Sozialgeschichte 33, 1993 - digitalisiert von www.anarchismus.at anhand eines PDF der Rezension
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Starker Tobak. Michael Seidmans Buch "Gegen die Arbeit" wirft Fragen auf und hat es in sich
Die von dem US-amerikanischen Historiker und Universitätsdozenten Michael Seidman gut 20 Jahre nach ihrem Erscheinen vorgelegte deutsche Übersetzung des Buches "Workers Against Work. Labour in Paris and Barcelona during the Popular Fronts" hat es in sich.
In einem Land, in dem Biographien von Menschen noch immer mit dem Satz: "Und er hat nicht einen Tag bei der Arbeit gefehlt!" beendet werden können, ist alleine schon der Titel eine Konfrontation: Gegen die Arbeit!
Seidman stellt an den Anfang seiner Analysen zunächst differenzierte Darstellungen der ökonomischen und sozialen Entwicklung Spaniens und Frankreichs insbesondere seit der Wende zum 20. Jahrhundert.
Er versteht es, anschaulich die unterschiedlichen Entwicklungen der industriellen und handwerklichen Produktion mit dem Reifegrad des jeweiligen Bürgertums zu verknüpfen.
So gelingt es ihm, plausibel den Reifeunterschied zwischen dem eher konservativ-klerikalen spanischen und katalanischen Bürgertum und einer modernen französischen Bourgeoisie herauszuarbeiten.
Besonders interessant dabei ist, dass er die Stärke der anarchosyndikalistischen Bewegung in Spanien nicht - wie dies Marxisten häufig auch in diffamierender Absicht tun - auf die Transformation egalitärer dörflicher Sichtweisen in einer städtischen, industriell geprägten Umwelt zurückführt.
Seiner Ansicht nach war der Anarchosyndikalismus insbesondere in Katalonien verwurzelt, weil er eine rationale Antwort auf das Elend und die Armut der spanischen ArbeiterInnen, auf den Entwicklungsrückstand der spanischen Gesellschaft gegenüber Westeuropa war. Warum die spanische Arbeiterschaft dafür allerdings eben nicht mehrheitlich auf den sozialdemokratischen Reformismus der PSOE mit ihrem Gewerkschaftsverband der UGT, sondern auch auf die CNT zurückgriff, wird dabei von ihm nicht ausreichend begründet.
Repression in Spanien
Seidman verweist auf den hohen Grad auch gewaltsamer Repression in Spanien, dem sich die ArbeiterInnen ausgesetzt sahen, und die jahrhundertealte gesellschaftlichen Spaltung der spanischen Gesellschaft.
So sei eine Entwicklungsrichtung auch die gewesen, anstelle der unfähigen herrschenden Kasten und des Bürgertums die Entwicklung der Produktivkräfte selbst vorantreiben zu wollen. Seite um Seite füllt Seidman mit Zitaten von anarchosyndikalistischen Köpfen, die in der Entwicklung der Industrie, der Maschinerie, Technik und Rationalisierung einen Königspfad zu einer freien Gesellschaft sahen.
All dies gilt aber gleichermaßen auch für die spanische Sozialdemokratie. Auch hier bleibt Seidman eine konsistente Antwort schuldig. Im Ergebnis dürfte es aber auch nicht seinem Hauptanliegen entsprechen, die Frage nach der relativen Stärke des libertären Flügels in der spanischen Arbeiterbewegung zu stellen.
Denn trotz dieses "Produktivismus" eines Teils der SyndikalistInnen und trotz der Bürgerkriegssituation, die eine Anspannung aller Kräfte für den Sieg über die Franco-Faschisten und die Fortsetzung der Revolution erforderlich gemacht hätten, entwickelte sich ein Widerstand von Teilen der Arbeiterschaft gegen die Arbeit in industriellen Zusammenhängen.
Dieser wuchs sich bis hin zur Sabotage gegen die als Zumutung empfundenen Bestrebungen der Gewerkschaftsleitungen zur Produktivitätssteigerung aus. Der Eigensinn der ArbeiterInnen zeigte sich u.a. auch in einer ausgeprägten Abneigung, tayloristische Arbeitspraktiken zu tolerieren, sowie in der Tendenz, sich dem Arbeitsprozess überhaupt durch Feiern, Blaumachen und Sabotage zu entziehen.
Aber:
So materialreich Seidman diesen Arbeiterwiderstand schildert, so unklar bleibt doch, wie stark diese Bewegung gegen die industrielle Arbeit in der Fabrik tatsächlich war.
Die Volksfront in Frankreich, die auf der Grundlage antifaschistischer Abwehrkämpfe zwischen den Leitungen der PCF, SFIO und der "radikalsozialistischen" Partei entstand (in der Realität eine Organisation des laizistischen, linksliberalen Kleinbürgertums), war mit einem ähnlichen Phänomen konfrontiert. Und dies, obwohl die Entwicklung der industriellen Basis deutlich weiter als in Spanien entwickelt, die Infrastruktur gut ausgebaut und die Arbeit in ungleich höherem Maße betriebswissenschaftlichen Rationalisierungsmethoden ausgesetzt waren.
Seidman macht dies u.a. am Automobilbau, dem Straßennetz und Motorisierungsgrad der Wirtschaft fest. Auch war der formale Bildungsstand der Arbeiterschaft höher, Analphabetismus fast verschwunden.
Der reaktionäre Katholizismus war seit der Dreyfuß-Affäre zurückgedrängt, und die politischen Institutionen einer parlamentarischen Demokratie waren eingespielter und verankerter. Organisierte Morde an politischen Gegnern, Gewerkschaftern oder Streikenden und militaristische Putschabenteuer wie in Spanien waren in Frankreich seltene Ausnahmen.
Frankreich war also im Unterschied zu Spanien in den 1930er Jahren ein entwickeltes kapitalistisches Land.
"Statt unter der Volksfrontregierung Revolution zu machen, verlangten - und bekamen die Arbeiter bezahlten Urlaub und die 40-Stunden-Woche. Inmitten der größten Wirtschaftskrise in der Geschichte des Kapitalismus brachte Frankreich das Wochenende zur Welt. ... So war die Volksfront nicht nur eine Koalition von Gewerkschaften und linken Parteien, um den Faschismus zu verhindern, sondern sie war auch die Wiege des Massentourismus und der Freizeit." (S. 259)
Seidman arbeitet heraus, dass die große Mehrheit der französischen ArbeiterInnen kein Interesse an der Übernahme oder Entwicklung der Produktionsmittel hatte und an ihrer Kontrolle nur insoweit, als es für die Erkämpfung höherer Löhne, besserer Arbeitsbedingungen oder längerer Pausen erforderlich schien.
Die Appelle der Funktionäre und Arbeiterorganisationen, die Produktivität im Angesicht der faschistischen Bedrohung durch Deutschland und Italien zu steigern, stießen nicht ungeteilt auf Gegenliebe bzw. Resonanz. Der Einbruch der Produktivität, der mit dem renitenten Verhalten größerer Arbeiterschichten verbunden war, führte letztlich zum Bruch der Volksfront und zum Angriff auf die 40-Stunden-Woche, die von den ArbeiterInnen zäh verteidigt wurde.
Erst in dieser Schlussphase der Volksfront vollzogen die Arbeiterorganisationen eine Wende und schlossen mit den "Kämpfern gegen die Arbeit" die Reihen, gegen eine Regierung, die versuchte, alle Errungenschaften der Zeit davor wieder zu kassieren. Ein Generalstreik am 28. November 1938 scheiterte, die 40-Stunden-Woche war damit passé.
Übrigens ein Pyrrhussieg für die Unternehmer: Sie mussten mehr ArbeiterInnen einstellen, die Arbeitslosigkeit als Druckmittel gegen Forderungen der Arbeiterschaft wurde weniger wirksam, die Produktivität stieg trotzdem nicht.
Seidman stellt die Prozesse der Spanischen Revolution und der französischen Volksfront in der Zeit von 1936 bis 1939 somit nicht nur wie in der Linken beliebt als heroischen Kampf der Arbeiterorganisationen gegen Franco-Faschismus, rechte und kapitalistische Reaktion und den mächtiger werdenden Nazismus vor.
Auch spielt der insbesondere im Mai 1937 in Katalonien kulminierende Kampf zwischen libertären, sozialdemokratischen und stalinistischen Fraktionen keine wesentliche Rolle.
Es geht Seidman auch nicht darum, zum wiederholten Mal die sicher auch vorhandenen Potenziale und Praxen der Selbstorganisation und Selbstverwaltung aufzuzeigen, also die Möglichkeit eines selbstbestimmten, freiheitlichen Sozialismus. Wobei er explizit darauf hinweist, dass die französischen ArbeiterInnen in ihrer Mehrheit eben weder Sowjets noch Selbstverwaltung noch Arbeiterkontrolle forderten - dies blieb politisch bewussten Minoritäten vorbehalten.
Erstaunlich ist, dass Seidman gut herausarbeiten und belegen kann, wie stark sich die Modernisierungsideologie, quer zu den Klassenlagen, auch in das Denken der bewussteren, organisierten ArbeiterInnen und Arbeiterbewegung eingeschrieben hatte.
Dies begründet einmal mehr starke Zweifel an der "Arbeiterexklusivtheorie", die MarxistInnen und SyndikalistInnen in der Überzeugung von der Superiorität einer Arbeiterklasse für den Aufbau des Sozialismus vereint.
Insoweit könnte der ja eher "klassenneutrale" Ansatz Gustav Landauers "realistischer" sein als der der AnarchosyndikalistInnen.
Zum Anderen liefert Seidman auch Elemente für die Erklärung des Phänomens, warum libertäre Massenbewegungen ab Mitte des 20. Jahrhunderts nur eine minoritäre Rolle spielten.
Die unmittelbaren Bedürfnisse von wesentlichen Teilen der Arbeiterschaft waren mit den wachsenden Möglichkeiten in einer Konsumgesellschaft immer besser zu befriedigen.
Wenn der "geheime Lehrplan" auch der in der CNT organisierten spanischen ArbeiterInnen eher die Freiheit "von" als die Freiheit "in" der Arbeit war, wenn sich andererseits der Wunsch nach einer Modernisierung des Landes bei führenden Köpfen der CNT sogar dahin steigert, für die Stachanow-Sklaverei in Russland Sympathien zu entwickeln, dann prallten hier zwei gegensätzliche Interessen aufeinander, die unter einer schwarz-roten Fahne kaum mehr verdeckt werden konnten.
Seidman arbeitet hier gegen Mythen an
Allerdings bleibt die Frage offen, warum es neben den notorisch "modernisierungsfreundlichen" SozialdemokratInnen und KommunistInnen auch SyndikalistInnen dieser Denkungsart gab und welche tatsächliche Stärke sie in der CNT hatten.
Weiterhin müssen wir uns angesichts der detaillierten Beschreibung der Produktionsabläufe in Spanien und Frankreich bei Seidman fragen, ob Arbeiterselbstverwaltung in den heute noch autoritärer und hierarchischer, auch das "Humanvermögen" ergreifenden, also semitotalitär durchorganisierten Betrieben etc. noch Ansätze bietet, die für eine freiheitliche Organisierung vorhanden sind.
Sind VW, Opel, Ford, Mercedes und Porsche tatsächlich als selbstverwaltete Betriebe vorstellbar? Oder ist nicht grundsätzlich nach dem Verhältnis von Technik und Herrschaft zu fragen, bevor leichtfüßig zum Thema Konversion übergegangen wird?
Was bedeutet dann Revolution eigentlich?
Für eine große Fraktion der Arbeiterklasse war es nicht von Interesse, die Fabriken zu übernehmen und dort die Produktion umzugestalten. Dieses Phänomen war bereits in der Russischen Revolution 1917 zu beobachten und nimmt z.B. in dem Buch von Orlando Figes (1) breiten Raum ein.
Die Bolschewiki antworteten auf diese Tendenzen mit ihrer Ordnungsvorstellung, nämlich die Gesellschaft nach dem Vorbild der deutschen Reichspost territorial durchzuorganisieren. Für sie waren damit Arbeiterkontrolle und Arbeiterdemokratie von untergeordneter Bedeutung.
Hier trafen sie sich aber mit den antagonistischen Interessen einer Masse von ArbeiterInnen, die daran interessiert waren, in möglichst großem Umfang aus den Zwängen der Produktion zu entfliehen. Und dies nicht nur in den tayloristisch geprägten, durchgetakteten Werkstätten.
Mindestens müssen wir in der weiteren Diskussion ja von einer Differenzierung innerhalb der Arbeiterklasse ausgehen zwischen "Faulen" und "Fleißigen". Aber auch, dass die durch den industriellen Kapitalismus erzwungene Arbeitsdisziplin wesentlich Zwangscharakter hat, aus dem sich weder psychologisch noch durch den Zwang der Verhältnisse selbst ein freiheitliches Bewusstsein ergeben muss, vielleicht noch ein "rebellisches" (Rühle).
Aber reicht das aus?
Seidmans empirisch abgesicherter "Abschied vom (einheitlichen) Proletariat" verträgt sich so nicht nur nicht mit leninistischen, sondern auch nicht mit syndikalistischen, rätekommunistischen Konzepten. Könnte es also sein, dass die vorhandene Industrieorganisation für eine freie Gesellschaft schlicht nicht zu gebrauchen ist?
Bedeutet Arbeiterkontrolle bzw. eine Arbeiterdemokratie - was immer das heute heißen mag - für eine so organisierte Produktion letztlich wieder und weiterhin notwendig doch Zwang, Zeitnot und physische und psychische Verkrüppelung, nur unter einem anderen Firmenschild? Welche Konsequenzen hat das für unsere Konzepte von einer freien Gesellschaft?
Wenn eine Revolution für die industrielle Fertigung einen dramatischen Einbruch der Produktivität und Produktion bedeutet - und darauf weisen auch die Erfahrungen aus der Russischen Revolution hin - was bedeutet das für das Konsumtionsniveau einer Gesellschaft? Und in der Folge für die sozialen Auseinandersetzungen in einer Gesellschaft, die sich den imperialen Lebensstil des Nordens auch in breiten Segmenten der Lohnabhängigen zu eigen gemacht hat?
Muss diese Frage nicht angesichts der immer breiter diskutierten Notwendigkeit, in der derzeitigen ökologischen Krisensituation Produktion und Konsumtion einzuschränken, viel deutlicher gestellt werden?
Wie kommt eigentlich der von Seidman konstatierte Bruch zwischen den organisierten Arbeitern, ihren Funktionären und den Führungen zu Stande?
Weshalb waren letztere mehr oder minder auf der produktivistischen Schiene, weshalb waren sie zur Disziplinierung der "Basis" bereit?
Man kann das für Spanien noch aus den Erfordernissen einer bewaffneten Konfrontation mit dem Franco-Faschismus heraus verstehen - schließlich musste ein Bürgerkrieg gewonnen werden, der auf Leben und Tod geführt wurde.
Doch schon für Frankreich ist dies weniger plausibel zu erklären, das sich unter Daladier schließlich in einer "Appeasement"-Phase gegenüber Nazideutschland befand?
Alleine, dass Seidman Anstoß zu einem ganzen Bündel von Fragen gibt und sein Buch weit über eine historische Darstellung hinausgeht, macht es lesenswert.
Thorsten Wegau
Anmerkungen:
(1) Orlando Figes, Die Tragödie eines Volkes, Die Epoche der russischen Revolution 1891 bis 1924; 2. Auflage Berlin 2008; vgl. auch die ausgezeichnete Darstellung von Karl Schlögel, Terror und Traum; Moskau 1937, Bonn 2008, die den stalinistischen Terror u.a. auf die Durchsetzung industrialistischer Modernisierungsutopien gegen die Arbeiter- und Bauernbevölkerung thematisiert.
Originaltext: http://graswurzel.net/365/seidman.shtml
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Freizeit und Faulheit trotz Volksfront und Revolution
Wer Geschichtsbücher zu Zwecken der Erbauung liest, kann durch die Lektüre dieser Untersuchung schwer verstört werden. Hier wird ein altes operaistisches wie situationistisches Axiom – die Arbeiter lieben die Arbeit nicht – anhand der revolutionären Volksfront in Katalonien 1936-1939 sowie der parlamentarisch-bürgerlichen Variante der gleichen Zeit in Paris sehr gewissenhaft nachgewiesen und mit einer Fülle von Material illustriert.
So hatte die anarcho-syndikalistische CNT Probleme, in den von ihr kontrollierten Betrieben eine Produktivitätssteigerung herbei zu führen, obwohl sich die ArbeiterInnen Kataloniens extremstem Druck und kaum zu leugnenden Sachzwängen durch den Bürgerkrieg ausgesetzt sahen. Seidmann untersucht die Geschichte der Arbeiterinnen dieser Zeit nicht anhand der politischen Spaltungslinien der Linken, wie sie in den Maitagen 1937 in Barcelona als bewaffneter Konflikt zu Tage trat. Er unterscheidet vielmehr zwischen Vertretern eines industriellen Produktivismus, welche die damalige Linke gleich welcher Richtung dominierten, und davon weitgehend autonomen ArbeiterInnen, die sich dem Diktat der Effizienzsteigerung widersetzten.
Seidmann fördert dabei erstaunliches zu Tage: Arbeitslager und quasi staatlichen Zwang gab es auch unter anarchosyndikalistischer Hegenomie, genauso wie Wendehälse, die nach der (vorerst) geglückten Revolution 1936 massiv in die CNT eintraten. Maßgebliche Figuren der CNT wie Abad de Santillàn schauten mit Bewunderung auf die Autoproduktion und Stadtplanung in den USA. Man versuchte die Methoden und Ansichten von Vordenkern wie Le Corbussier und kaltherzigen Schleifern wie Taylor und Ford zu rezipieren und für sich umzusetzen, versuchte Ingenieure für sich zu gewinnen, und stieß dabei auf in etwa die gleichen Probleme, wie sie kapitalistische Unternehmer antreffen. Die Arbeiter reagierten mit verschiedensten Formen der Renitenz.
In Paris brach unter der politischen Herrschaft der Volksfront die Produktivität ein. Mehr Beschäftigung durch kürzere Arbeitszeiten, der freie Samstag, die Erfindung des Urlaubs und der Freizeit – all das erkämpften sich die ArbeiterInnen, teils unter Rückendeckung der kommunistisch geprägten CGT. Sie dankten es der Regierung unter Leon Blum keineswegs durch fleißigeres, intensiveres Arbeiten. Auch nicht, als die Kriegsgefahr durch das auf Hochtouren rüstende Deutschland immer deutlicher wurde.
So ist das oben erwähnte Axiom – Arbeiter lieben die Arbeit nicht – zugleich ein Paradoxon: Erst Produkte wie die fließbandgefertigte und damit erschwingliche Wachmaschine befreien uns AbeiterInnen von der Mühsal der Hausarbeit, so wie eine fließbandgefertigte Kalashnikov der spanischen Revolution gute Dienste hätte leisten können. Mangelnde Produktivität führt zur Konservierung oder Wiedereinführung der archaischer Plackerei, aber das macht die Fließbandarbeit nicht angenehmer.
Dieses absolut lesenswerte Buch, das bereits 1991 in den USA erschien und erst jetzt auf Deutsch vorliegt, hinterlässt viele Fragen und manche Enttäuschung über die Dynamik des Sozialismus und die Möglichkeiten der Selbstverwaltung. Es ist dem Autor hoch anzurechnen, dass er keine Antworten präsentieren will, oder in Häme über politische Gegner verfällt, wie sie in operaistischen Zirkeln anzutreffen ist, sondern bei einer nüchternen, fairen Untersuchung bleibt.
Michael Seidmann, Gegen die Arbeit – über die Arbeiterkämpfe in Barcelona und Paris 1936-38, Verlag Graswurzelrevolution, 2011.
Hinweis: Der Beitrag enthält die persönliche Sicht eines Kollegen. Er entspricht nicht zwangsläufig der Position der IWW oder einer unserer Orts- oder Betriebsgruppen.
Originaltext: http://www.wobblies.de/?p=1327
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Justus - Michael Seidman: Gegen die Arbeit
Seidmans Buch ist ein Phänomen – dass eine 30 Jahre alte Dissertation heute noch größere Debatten auslöst, ist zumindestens ungewöhnlich.
Und ungewöhnlich umständlich gestaltete sich auch die Veröffentlichung dieser deutschsprachigen Ausgabe: Schon vor etwa zehn Jahren erarbeiteten FAU- und Wildcat-Aktivist_innen eine Rohübersetzung, die dann, mit einigen Jahren Verzögerung, von dem FAU-Mitglied Andreas Foerster nochmals überarbeitet und zu einem durchgängig lesbaren Text umgeformt wurde.
Dass das Buch nun so viel später im anarchistischen Graswurzelrevolutions-Verlag erschien, ist ebenso mutig wie begrüßenswert. Denn obwohl Seidmans Forschungsarbeit schon 1982 entstand, ist sie auch heute noch geeignet, einige liebgewonnene Legenden der anarchistischen Geschichtsschreibung ins Wanken zu bringen.
Dabei verfolgt Seidman den vordergründig recht unspektakulären Ansatz einer vergleichenden Sozialgeschichte. Das Buch gliedert sich entsprechend in zwei Teile, wobei der erste die Konflikte in den kollektivierten Betrieben während der spanischen Revolution ab 1936 behandelt. Im zweiten Teil werden die Ereignisse in Frankreich untersucht, wo nach dem Wahlsieg der linken ‚Volksfront’-Regierung im Mai 1936 eine Welle von Streiks und Fabrikbesetzungen begann.
Hier wie dort gilt Seidmans Interesse dem Arbeiter_innenwiderstand ‚von unten’, der sich immer wieder der Kontrolle der Parteien und Gewerkschaften (auch der ‚revolutionären’) entzog. Sein Anliegen, so erklärt Seidman mit Bezug auf die spanische Revolution, war es dabei, „eine ausschließlich politische oder ökonomische Bewertung zu vermeiden und stattdessen die sozialen Beziehungen in den kollektivierten Fabriken und Werkstätten zu erkunden“ [S. 245].
Revolte in der Revolution?
Genau an diesem Punkt beginnt die Verunsicherung, die das Buch in anarchistischen und anarchosyndikalistischen Kreisen hervorgerufen hat. Immerhin ist die spanische Revolution für heutige Anarchosyndikalist_innen immer noch das historische Vorbild schlechthin – im revolutionären Katalonien wurde tatsächlich in großem Maßstab versucht, das anarchistische Organisationsmodell, die kollektive Selbstverwaltung der Wirtschaft umzusetzen.
Aber wie Seidman zeigt, stieß dieses von der spanischen anarchistischen Gewerkschaft CNT verfochtene Konzept der Selbstverwaltung (also die Übernahme der Fabriken und deren Verwaltung durch die Arbeiter_innen selbst) bald auf Schwierigkeiten. So sahen sich die Aktiven der CNT rasch mit den gleichen Formen der Verweigerung konfrontiert, die sich zuvor gegen die Bosse gerichtet hatten – „Sabotage, Diebstahl, Absentismus, Zuspätkommen, Krankfeiern und anderen Formen des Arbeiterwiderstandes gegen die Arbeit und den Arbeitsplatz“ [S. 236]. Trotz höherer Löhne, höherer Sozialleistungen, verlängerter Wochenarbeitszeit und vermehrter Zahl an Arbeiter_innen sank in vielen Betrieben die Produktivität.
Demgegenüber gingen die Gewerkschafts-Aktiven nun selbst mit Zwangsmethoden gegen solche ‚Disziplinlosigkeit’ und ‚mangelnde Arbeitsmoral’ vor. Nachdem die Akkordarbeit zu Beginn der Revolution abgeschafft worden war, wurde sie schnell wieder eingeführt. Ausgeklügelte Anreizsysteme sollten die Arbeiter_innen zu höherer Produktivität bewegen. Mit verschärften Kontrollen wurde gegen jene vorgegangen, die unbefugt der Arbeit fernblieben.
Zugleich wurde vielerorts dem technischen Personal unbeschränkte Weisungsbefugnis gegenüber den einfachen Arbeiter_innen erteilt, etwa was die Produktionsziele betraf. Die CNT vollzog also einen deutlichen Bruch mit ihren eigenen egalitären Ansprüchen – wobei dieser Bruch scheinbar in keiner Weise problematisiert, sondern vielmehr als in der Natur der Sache liegend gerechtfertigt wurde.
Dies zeigt etwa ein (von der CNT-Gewerkschaft der Seeleute stammendes) Zitat, dass die Vorrangstellung des technischen Personals wie folgt begründet: „Kann ein Ingenieur wie ein ungelernter Arbeiter angesehen werden? Der Ingenieur steht für kreatives Denken, und der ungelernte Arbeiter [ist] das Objekt dieses Denkens.“ Auch in der sozialen Revolution gebe es eben Ingenieure und Ungelernte [S. 192].
Dabei betont Seidman immer wieder, dass diese Entwicklung nicht nur den Zwängen und Notwendigkeiten der Kriegswirtschaft geschuldet war. Die durch den Bürgerkrieg verursachten Schwierigkeiten (Blockaden, Zerstörungen durch Luftangriffe, Mangel an Devisen, Rohstoffen, Ersatzteilen, fehlende Absatzmärkte usw.) beschreibt Seidman zwar sehr ausführlich. Die Konflikte in den kollektivierten Betrieben sieht er allerdings anderswo begründet – nämlich im ‚produktivistischen’ Programm, das die CNT schon lange vor Beginn des Krieges vertreten hatte.
Henry Ford für Anarchisten
In ihrer wirtschaftlichen Zielsetzung unterschied sich die CNT kaum von z.B. den russischen Bolschewiki: Mit der Übernahme der Produktionsmittel sollte die Abschöpfung des Mehrwerts durch die ‚parasitäre’ bürgerliche Klasse beendet werden. Ansonsten sollten die Arbeiter_innen wie bisher weiterarbeiten – nur jetzt eben selbstbestimmt. Diego Abad de Santillán, ein wichtiger Aktivist und Theoretiker der CNT, drückte das so aus: „Das Heil liegt in der Arbeit und der Tag wird kommen, da die Arbeiter es wollen. Die Anarchisten, die einzige Strömung, die nicht versucht auf Kosten anderer zu leben, kämpft für diesen Tag“ [S. 83].
Die Produktion sollte im Wesentlichen unverändert weiterlaufen. Santillán dazu: „Es ist nicht nötig, die derzeitige technische Organisation der kapitalistischen Gesellschaft zu zerstören, sondern wir müssen sie nutzen. Die Revolution wird der Fabrik als Privateigentum ein Ende bereiten. Aber wenn die Fabrik bestehen und, unserer Meinung nach, verbessert werden muss, dann muss man wissen, wie sie funktioniert. Die Tatsache, dass sie gesellschaftliches Eigentum wird, ändert das Wesen der Produktion oder die Produktionsmethoden nicht“ [S. 82].
Die Fabrik sollte also nur ‚verbessert’, d.h. modernisiert und effizienter gestaltet werden. Als Modell schwebte den CNT-Aktiven dabei die vom amerikanischen Ingenieur Frederick W. Taylor um 1900 entwickelte ‚wissenschaftliche Betriebsführung’ und die standardisierte fordistische Massenproduktion vor.
Santillán: „Wir bevorzugen die Ford-Fabrik, in der es keine Spekulation mehr gibt, in der die Gesundheit der Belegschaft gewahrt ist und die Löhne steigen. Das Ergebnis ist besser als ein winziger Betrieb in Barcelona“ [S. 89].
Der Vergleich mit dem „winzigen Betrieb in Barcelona“ ist wichtig – die Begeisterung der CNT-Aktiven für die fordistische Fließbandproduktion erklärt sich vor allem aus den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, denen sie sich gegenüber sahen. Die spanische Industrie war derart rückständig und ineffizient, dass sie sich in der Weltwirtschaft nur dank der hohen Schutzzölle halten konnte. Soweit es moderne Betriebe gab, gehörten diese meist ausländischen Firmen. Das heimische Bürgertum dagegen hatte wenig Interesse an einer Modernisierung gleich welcher Art. So war die spanische Industrie in unzählige kleine und kleinste Unternehmen zersplittert, die Maschinerie veraltet, die Arbeit hart und die Löhne niedrig.
So verwundert es nicht, dass mit diesem Zustand verglichen den CNT-Aktiven die „Ford-Fabrik“ als fortschrittliches Gegenmodell erschien – ein rationales Mittel, um hochwertiger, schneller und müheloser zu produzieren und den Arbeiter_innen zugleich höhere Löhne und bessere Versorgung mit Konsumgütern zu sichern.
Der Alptraum der Industriellen
Der Vergleich zu den Fabrikbesetzungen in Frankreich 1936, den Seidman im zweiten Teil seines Buches unternimmt, trägt sehr dazu bei, das Problem klarer zu machen, weil sich dort (anders als in Spanien) die fordistisch-tayloristische Produktionsweise bereits durchgesetzt hatte. [Abgesehen davon bietet dieser Teil eine präzise und materialreiche Untersuchung, aber wenig Anlass zu großen Kontroversen. Ich werde hier also auf diesen zweiten Abschnitt des Buches nur soweit eingehen, wie er zum besseren Verständnis des ersten beiträgt.]
Denn anders als die spanischen Anarchist_innen meinten, war die fordistische Fabrik keineswegs nur ein neutrales Mittel, um besser und leichter zu produzieren, oder Ausdruck einer ‚reinen’ Eigenlogik der technischen Rationalität. Vielmehr drückte sich in ihrer ganzen Struktur ein spezifisches Klasseninteresse aus. Das fing schon bei der Architektur der Fabrikhallen an, die so angelegt waren, dass jede_r Arbeiter_in leicht überwacht werden konnte. Ausführlich beschreibt Seidman das Bemühen der französischen Unternehmen, wirksame Kontrollen für Stückzahlen und Qualität der produzierten Teile zu installieren. Dies geschah durch an den Maschinen angebrachte Zähler, aber auch durch die Vorarbeiter und Inspektoren, die dann wiederum in ihrer Überwachungsarbeit von Oberinspektoren überwacht werden mussten [S. 273ff].
Und nicht zuletzt war die Maschinerie selbst ein Mittel der Kontrolle, dass den Arbeitenden jede Bewegung und den Arbeitsrhythmus vorschrieb. Auch die ‚wissenschaftliche Betriebsführung’ F.W. Taylors zielte in eine ähnliche Richtung: Nicht nur das Werkzeug, sondern auch die Bewegungsabläufe der Arbeiter_innen sollten standardisiert und sämtliche überflüssigen Handgriffe ausgeschaltet werden.
Hier liegt der harte Kern von Seidmans Kritik*, die auch die spanischen Anarchosyndikalist_innen trifft: Denn während die CNT in ihrer inneren Gewerkschaftsorganisation Hierarchien und Bürokratie immer zu vermeiden suchte, befürwortete sie zugleich in ihrem Wirtschaftsprogramm eine Form der industriellen Produktion, die auf Bürokratie, zentrale Lenkung und Planung der Produktionsprozesse zwingend angewiesen war – eine Form der Organisation, die darauf abzielte, jede unreglementierte Kooperation zwischen den Arbeiter_innen zu unterbinden.
Aus dieser Grundsatzentscheidung für die ‚Ford-Fabrik’ ergaben sich dann entsprechende ‚Sachzwänge’, die für die CNT-Aktiven als nicht mehr verhandelbar erschienen, und ebenso entsprechende Widerstände seitens der Arbeiter_innen.
Es ist Seidmans großer Verdienst, dass er diesen alltäglichen Widerstand ins Blickfeld rückt, wie er die kapitalistische Arbeitswelt seit Anbeginn prägt. Die Formen der Verweigerung waren, wie Seidman schreibt, „diffus, undeutlich und sowohl individuell als auch kollektiv“. Die Arbeiter_innen schlugen „keine Alternative vor zur Partei, zur Gewerkschaft oder zur privaten Kontrolle der Produktionsmittel.“ Dennoch dürfe ihre Verweigerung, so Seidman, „nicht als falsches oder mangelndes Bewusstsein abgetan werden.“ [S. 257]
Es wäre also vermutlich auch zu kurz gegriffen, die renitenten Arbeiter_innen nun zum ‚eigentlichen’ revolutionären Subjekt erheben zu wollen. Auch in Frankreich beschränkten sie sich auf das naheliegendste Ziel: sich der Arbeit so weit wie möglich zu entziehen. Sie kamen zu spät, gingen früher, dehnten ihre Pausen aus, stoppten eigenmächtig die Maschinen, verlangsamten den Arbeitstakt… Sie handelten nicht heroisch, sie wollten kein Programm umsetzen.
Das wirft auch Fragen für eine wie auch immer geartete ‚revolutionäre’ Organisierung auf. Um Kurzschlüsse zu vermeiden: Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel bleibt ein sinnvolles Ziel – solange diese sich in Privatbesitz befinden, wird sich der Arbeitszwang nicht beseitigen lassen. Und auch die anarchosyndikalistische Kritik an den hierarchischen Organisationsformen von Zentralgewerkschaften, Parteien usw. bleibt weiterhin gültig.
Der Irrtum beginnt, wo man diese falschen Organisationsformen durch eine ‚richtige’ ersetzen will. Es gibt eben keine richtige Organisierung, die als solche schon revolutionär wäre. Es kann zweckmäßig sein, sich zu organisieren, aber der Zweck einer revolutionären Organisation besteht eben nicht in der Organisation als solcher. Es geht nicht darum, neue Mitglieder oder neue Einflussbereiche zu gewinnen (also die Praxis aus nicht-revolutionärer Zeit endlos in die Zukunft zu verlängern), sondern darum, neue gesellschaftliche Verhältnisse zwischen den Menschen zu schaffen – womit dann auch die Unterscheidung von ‚Aktiven’ und ‚Unorganisierten’ tendenziell bedeutungslos werden müsste. Denn welches Konzept einer herrschaftsfreien Gesellschaft mensch auch haben mag: Wenn die ‘Unorganisierten’ bei dessen praktischer Umsetzung nicht mitreden dürfen, ist es mit der Herrschaftsfreiheit nicht weit her. Und ob eine Fabrik nun Privat-, Staats- oder Kollektiveigentum ist, bleibt eine rein scholastische Unterscheidung, solange die Leute hier wie dort keinen Einfluss auf Zweck und Mittel der Produktion haben. In diesem Sinne wäre ‚Revolution’ nicht als Umsetzung einer Utopie (im Sinne eines vorher aufgestellten Programms) zu denken, sondern vielmehr als Beginn eines Verhandlungsprozesses, um die Verhältnisse den Bedürfnissen jedes und jeder Einzelnen entsprechend neu zu ordnen.
Seidmans Buch zeigt, an welchen Klippen die spanischen Anarchist_innen dabei gescheitert sind. Damit wirft es wichtige Fragen auf – es wäre Zeit, sich damit auseinander zu setzen.
Originaltext: http://www.feierabendle.net/index.php?id=875
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Ludwig Unruh - Arbeiter, Arbeitereliten und das Problem der Arbeit. Anmerkungen zu Michael Seidmans „Gegen die Arbeit“
Im Verlag Graswurzelrevolution ist – gerade noch rechtzeitig zum 75. Jahrestag der Ereignisse – ein Buch erschienen, das die beiden wohl wichtigsten Klassenkämpfe Europas der 1930er Jahre zum Thema hat: die spanische Revolution (1936-39) und die Welle der Fabrikbesetzungen in Frankreich (1936-1938), die beide in Volksfrontregierungen der Linken mündeten. Der Autor, der US-amerikanische Historiker Michael Seidman, untersuchte das Verhalten der ArbeiterInnen in den kollektivierten Fabriken bzw. den Betriebsbesetzungen und ihre Reaktionen auf die veränderten Machtverhältnisse am Arbeitsplatz. Er kommt, das sei vorausgeschickt, zu einem ernüchternden Ergebnis: letztlich seien sowohl die spanische Revolution als auch die Volksfront in Frankreich am anhaltenden Widerstand der ArbeiterInnen gegen die Arbeit gescheitert.
Der Produktivismus der Arbeitereliten
In Barcelona sah sich die anarchosyndikalistische CNT unmittelbar nach der Revolution in eine Rolle gezwungen, die sie zuvor energisch bekämpft hatte. Beim Versuch, die kollektivierten Fabriken wieder in Gang zu bekommen und für die Erfordernisse des Krieges zu reorganisieren, warf sie so manches Prinzip über Bord. Führende Vertreter revidierten ihre kritische Einstellung gegenüber der kapitalistischen Produktionsmaschinerie und wandelten sich zu Verfechtern einer teilweise recht kruden Arbeitsideologie. So zum Beispiel Diego Abad de Santillán, einer der herausragenden anarchosyndikalistischen Theoretiker und 1936/37 katalanischer Wirtschaftsminister, der noch 1931 vertrat, dass der „moderne Industrialismus nach dem Muster von Ford […] reiner Faschismus“ und wie dessen staatliches Pendant zu bekämpfen sei. Nur wenig später pries er denselben für seine produktivitätssteigernden Potentiale. Er plädierte nun dafür, die „technische Organisation der kapitalistischen Gesellschaft“ zu übernehmen, da sich durch die Vergesellschaftung „das Wesen der Produktion oder die Produktionsmethode nicht“ ändere. Er vertrat ein geradezu protestantisches Ethos, getreu der Maxime „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ und hoffte, dass der Widerstand der ArbeiterInnen gegen die Arbeit nur vorübergehender Natur sei. [81ff.]
In den kollektivierten Betrieben wurden zunächst von der Belegschaft gewählte Räte installiert, die ein weitgehend demokratisches System der Arbeiterkontrolle einführten. Vielerorts wurden Arbeitszeiten gekürzt, Löhne erhöht und Arbeitslose eingestellt. Die Produktivität ließ merklich nach – und die Gewerkschaftsführungen suchten dem schon bald entgegenzusteuern. Sie appellierten an die ArbeiterInnen, ihre Leistungen zu erhöhen und drohten den „faulen Parasiten“. Schon bald entwickelte sich eine „neue Elite der Gewerkschaftsaktivisten“, die „alte und neue Zwangsmethoden [nutzte], um die Arbeiter zu härterer Arbeit und gesteigerter Produktion zu bewegen.“ [154] Sie pries die Gewerkschaftsföderation als „die Form schlechthin, die ein Maximum an Effizienz und Arbeitsleistung von ihren Mitgliedern abschöpfen“ könne. [251–252] Die in der Folge der Revolution eingeführte 40-Stunden-Woche wurde als „konterrevolutionär“ [148] bekämpft, die gerade abgeschaffte Akkordarbeit wieder eingeführt und von einigen CNT-Vertretern gar der sowjetische Stachanowismus [1] als Methode zur Produktionssteigerung propagiert. [155]
Damit unterschied sich die Rolle der CNT in dieser Hinsicht kaum mehr von der der Bolschewiki in Russland. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft wurde de facto obligatorisch, Gewerkschaftsversammlungen wurden zu Propagandaveranstaltungen zur Erhöhung der Arbeitsdisziplin. Der Versammlungsbesuch und die Bereitschaft, Beiträge abzuführen, war entsprechend mäßig. [152] Ende 1936 wurden unter der Ägide des CNT-Justizministers Juan García Oliver sogar Arbeitslager (campos de trabajo) für die „Feinde des Volkes“ eingerichtet. [158–161] Offensichtlich hatten diese Methoden kaum Erfolg.
Die bürgerlichen Wurzeln des „Arbeitsplatzutopismus“
Soweit Seidmans Darstellung der Situation in Barcelona.[2] Zu welchem Fazit kommt der Autor? Er nimmt für sich – im Gegensatz zu seinen Historiker-KollegInnen – in Anspruch, den Blickwinkel der einfachen ArbeiterInnen einzunehmen. Er sieht, dass diese in ihrer Mehrheit auch den neuen Regimes von Anfang an skeptisch gegenüberstanden und sehr schnell in einen Widerspruch zu den Arbeiteraktivisten, den Gewerkschafts- und Parteifunktionären, gleich welcher Couleur, gerieten. Die meisten Chronisten der spanischen Revolution hätten, so Seidman, immer nur die politisch-ideologischen Auseinandersetzungen in der spanischen Republik ins Zentrum der Betrachtung gestellt und „das zentrale Problem […], nämlich die Scheidung zwischen Aktivisten einerseits […] und Arbeitern andererseits“ vernachlässigt. [257]
Seidman sieht zwar die politischen Differenzen etwa zwischen AnarchistInnen und KommunistInnen/SozialistInnen, unterstellt ihnen aber allen eine Ideologie der Arbeit(sverherrlichung). Dieser „Produktivismus“ resultiere aus einem in der bürgerlichen Aufklärung wurzelnden „Arbeitsplatz-Utopismus“. Die ArbeiterInnen sollten, nachdem sie die Produktionsmittel übernommen hatten, das Werk der Bourgeoisie, die Modernisierung der Wirtschaft, weiter vorantreiben und eine auf der Arbeit als „größte[r] Quelle des Stolzes der befreiten Arbeiter“ beruhende Gesellschaft errichten. [141] Damit gerieten sie von Anfang an in einen unauflösbaren Konflikt mit den ArbeiterInnen, in deren „Utopie“ der Arbeit kein Stellenwert eingeräumt wurde. [39–40]
Letztlich waren die Funktionäre der Arbeiterorganisationen gezwungen, sich der Hilfe des Staates zu bedienen, um die ArbeiterInnen zum Arbeiten zu bringen, woran schließlich sowohl die Revolution, als auch die Volksfrontregierung in Spanien gescheitert sei: „Die vielleicht grundlegendsten und schwierigsten Probleme der Volksfronten erwuchsen ihnen nicht im Lager ihrer erklärten Feinde, sondern unter jenen, die sie angeblich vertraten.“ [391] Seidman folgert daraus, dass eine Emanzipation der ArbeiterInnen nur auf Grundlage einer hochgradig automatisierten Wirtschaft zu haben ist – in einer Gesellschaft, in der die Arbeit nur noch einen sehr geringen Teil der Lebenszeit der Menschen in Anspruch nimmt. Alle anderen Versuche müssen daran scheitern, da sie allesamt ohne den Staat als Mittel zur Durchsetzung des Arbeitszwanges nicht auskommen können.
Syndikalistische Arbeitsauffassungen
Im Jahre 1936 hatte die Linke jedoch andere Probleme, die eine solche Perspektive als Luxus erscheinen lassen mussten. Die führenden Vertreter der spanischen Republik – und mit ihnen die AnarchosyndikalistInnen – waren angesichts des Bürgerkrieges dazu gezwungen, maximale Produktionsleistungen aus den Fabriken herauszuholen – sie konnte bei Strafe ihres Unterganges gar nicht anders handeln. Das zweifelt Seidman auch nicht an, allerdings legt er anhand zahlreicher Beispiele dar, dass die dazu notwendige Begleitmusik bereits von vornherein in den Ideologien sämtlicher Arbeiterorganisationen angelegt gewesen sei. Das ist sicher nicht ganz von der Hand zu weisen, dennoch gab es gerade im Anarchosyndikalismus ein durchaus gespaltenes Verhältnis zur kapitalistischen Produktion. Einig war man sich, dass die ArbeiterInnen bereits im Kapitalismus sich vorbereiten müssten, um später einmal die Produktion auch in Eigenregie weiterführen zu können. Inwieweit dabei die Produktionsmaschinerie unangetastet bleiben soll, darüber gab es unterschiedliche Auffassungen.
Anders als SozialdemokratInnen oder KommunistInnen sahen die meisten der Theoretiker des Anarchosyndikalismus im monopolisierten Kapitalismus mit seinen tayloristischen Produktionsmethoden keine Vorstufe auf dem Weg zum Sozialismus. Im Gegenteil, es gibt zahlreiche Belege in der einschlägigen Literatur für ein deutlich kritisches Verhältnis zur „modernen“ Industrie und zur kapitalistischen Rationalisierung. So wies der deutsche Sozialhistoriker Werner Sombart bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts darauf hin, dass die syndikalistischen Theoretiker „in die Schäden unserer Kultur zweifellos tiefer hineinleuchten als irgendeine andere sozialistische Doktrin. Wo insbesondere die Altmarxisten Lösungen oder – gar nichts sehen, sieht der Syndikalismus erst Probleme: So wenn er […] die Kulturwidrigkeit und Menschenunwürdigkeit unseres auf Differenzierung und Integrierung der einzelnen Arbeitsleistungen aufgebauten Systems der Arbeit hervorhebt.“ Er belegt das mit etlichen Zitaten zeitgenössischer Syndikalisten, die schon vor der Taylorisierung auf die schädlichen Wirkungen des Fabriksystems mit seiner „geisttötenden Arbeitsteilung“ hinwiesen und dieses „durch die wieder durchgeistigte Vollarbeit des individuellen Produzenten“ ersetzen wollten.[3] Sie bezogen sich dabei nicht zuletzt auf Kropotkin, der in der zunehmenden Arbeitsteilung ein Hindernis für die Entfaltung der Produktivität des Menschen und in der „Vielseitigkeit […] die beste Gewähr für eine hohe Entwicklung der Produktion“[4] sah, genauso, wie ihm die „stete Verfeinerung der Maschine und der technischen Hilfsmittel“ das beste Mittel zu „einer Dezentralisation der Industrien“ sein sollte.[5]
Der deutsche Syndikalist Karl Roche betrachtete die Lohnarbeit als die Quelle der Arbeitsunlust der Arbeiter, was ihn die „Faulheit als politisches Kampfmittel“ propagieren ließ. Nur auf Basis der „Übergabe der Arbeitsmittel an die Arbeiter“ und der Beseitigung der „kapitalistischen Fundamente der Produktion“ lasse sich der Sozialismus errichten, in dem „der Selbstzweck des Lebens“ in der „Lebensfreude“ bestehen werde und „Arbeit und Leben [...] ineinander aufgehen“.[6] Das Leben werde schließlich in erfüllter Arbeit, „abgelöst vom sinnenumrauschten Müßiggang“ bestehen.[7] Auch Rudolf Rocker vertrat ähnliche Auffassungen. Er machte den Taylorismus für die „vollständige Degeneration der produzierenden Klassen“ verantwortlich.[8] Für ihn stand nicht die Arbeitszeitverkürzung im Mittelpunkt der Umgestaltung einer sozialistischen Ökonomie, sondern die Umgestaltung der Arbeit dahingehend, „dass der Mensch wieder Freude an seinem Werk empfindet und seine Arbeit nicht bloß als gesellschaftliche Notwendigkeit, sondern in erster Linie wieder als einen Ausfluss schöpferischer Betätigung auffassen lernt.“[9]
Soziale Revolution ohne ArbeiterInnen?
Dass die SyndikalistInnen angesichts der Bürgerkriegssituation gar nicht die Chance hatten, diese Umgestaltung in der Realität umzusetzen, kann man ihnen kaum zum Vorwurf machen. Insofern ist es müßig, für das Scheitern der spanischen Revolution die fehlende Arbeitsbereitschaft der ArbeiterInnen verantwortlich zu machen. Nichtsdestotrotz bleibt es ein Verdienst des Buches, den Blick für den hartnäckigen Widerstand der ArbeiterInnen gegen die Arbeit freigelegt zu haben. Fragwürdig wird Seidmans Darstellung, wenn er Anarchosyndikalisten, Kommunisten, Sozialisten und Nationalkatalonier umstandslos in einen Topf wirft und ihnen pauschal einen „Arbeitsplatzutopismus“ vorwirft.
Dass es zwischen demselben (verstanden als einem auf der Großindustrie basierendem Sozialismus) und der Alternative einer „kybernetischen Utopie“ eine auf dem anarchosyndikalistischen Konzept „anziehender Arbeit“ basierende Alternative geben könnte, hat Seidman nicht erwogen. Karl Heinz Roth und Marcel van der Linden, die das Vorwort zur deutschen Ausgabe beisteuerten, kommen hingegen zu dem Schluss, dass eine kommunistische Ökonomie, die eben nicht auf „Arbeitsproduktivität als Grundnorm der politischen Ökonomie“ basieren kann, nur „nur dann eine Chance [hat], wenn sie global in Gang kommt und weltweit koordiniert ist.“ Andernfalls sei man gezwungen, sich den „arbeiterfeindlichen Produktivitätsnormen“ der umgebenden kapitalistischen Welt anpassen zu müssen, was die Abschaffung des Staates unmöglich mache. [13–14]
Wo das endet, hat man am Beispiel der „zweiten Welt“ sehr gut beobachten können. Insofern bleibt uns nur, den Ausweg in einer Utopie zu suchen, in der die Arbeit ihres entfremdeten Charakters entkleidet ist und diese einer schöpferischen Tätigkeit gewichen ist, in der die anstrengendsten und schädlichsten Elemente automatisiert und viele andere Sachen durchaus auch wieder in „unproduktivem“ Handwerk entstehen werden – etwa weil die Menschen sich darin verwirklichen können.
Anmerkungen:
[1] „Stachanow-Bewegung“: in der Sowjetunion ab 1935 eine Kampagne zur Steigerung der Arbeitsproduktivität.
[2] Auf die Verhältnisse in Frankreich kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht eingegangen werden. Eine Langfassung des Artikels ist unter www.geschichtevonunten.de/01_sek-lit/theorie/unruh-rez_seidman.pdf abrufbar.
[3] Sombart, Werner: Sozialismus und soziale Bewegung, Jena 1908, S. 129.
[4] Kropotkin, Peter: Die Eroberung des Brotes, Grafenau 1999, S. 153.
[5] Rocker, Rudolf: Peter Kropotkin und das Problem der Arbeit. Unveröffentlichtes Manuskript, 1931, S. 6. Als Datei abrufbar unter: www.sac.se/en/content/download/32111/239890/file/Rocker%20manus%201931.pdf
[6] Roche, Karl: Arbeit und Faulheit, in: Der Syndikalist, Nr. 9/1919.
[7] Roche, Karl: Faulheit als politisches Kampfmittel, in: Der Syndikalist, Nr. 30/1919.
[8] Rocker, Rudolf: Die Rationalisierung der Wirtschaft und die Arbeiterklasse, Frankfurt/Main 1980, S. 48.
[9] Rocker, S. 46.
Originaltext: http://www.direkteaktion.org/210/gegen-die-arbeit
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Peter Nowak - Lob der Individualität: Michael Seidman`s "Gegen die Arbeit"
Vor 20 Jahren hatte der US-Historiker Michael Seidman seine Doktorarbeit unter dem Titel „Arbeiter gegen die Arbeit“ herausgegeben. Dass nach zwei Jahrzehnten eine deutschsprachige Ausgabe realisiert werden konnte, ist in erster Line dem Verlag Graswurzelrevolution und dem Übersetzer Andreas Förster zu verdanken.
Das Buch ist eine Fundgruppe für alle, die sich für eine Sozialgeschichte der spanischen Revolution und der französischen Volksfrontpolitik jenseits der Partei- und Organisationsgeschichte interessieren. Seidman untersucht, wie die Mehrheit der Proletarier_innen 1936 in Barcelona und Paris auf die linken Umwälzungen regierten. Die Ausgangsbedingungen könnten unterschiedlicher nicht sein. In Barcelona hatte die anarchosyndikalistische CNT die Kontrolle über einen Großteil der Betriebe übernommen. Im selben Jahr übernahm eine von der Kommunistischen Partei Frankreichs unterstützte Volksfrontkoalition im nördlichen Nachbarland die Regierung.
Da Seidman nicht die Organisationen und ihre Ideologien, sondern deren Politik und ihre Auswirkung auf die Mehrheit der Bevölkerung interessiert, kommt er zu auf den ersten Blick erstaunliche Befunde. Beiden ideologisch so unterschiedlich positionierten Bewegungen ging es um eine Gesellschaft der Produzent_innen. Seidman zeigt an zahlreichen Beispielen aus der anarchosyndikalistischen Presse und anhand von Propagandaplakaten, dass das Ideal der spanischen Anarchosyndikalist_innen eine Gesellschaft der Arbeit war. In harschen Tönen wandten sie sich alle, die nicht durch ihre Arbeit an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligten. “Die Müßiggänger schieb bei Seite“, dieser Satz aus der Internationale wurde von einem großen Teil der CNT-Aktivisten mit voller Überzeugung gesungen. Damit polemisierten sie gegen den Adel und den Spanien damals sehr mächtigen Klerus, aber auch gegen eine Bourgeoisie, die nicht in der Lage war, Spanien zu einem modernen Industrieland zu formen. Seidman zeigt auf, dass sich die CNT diese Aufgabe übernehmen wollte und dafür die Stachanow-Methoden der Bestarbeiter_innen aus der Sowjetunion zum Vorbild nahm. Auch den Taylorismus, den die CNT anfangs als arbeiterfeindlich bekämpfte, akzeptierte sie schließlich. Die Zergliederung der Arbeit wurde von vielen CNT-Aktivisten als Beitrag zur Verbesserung der Arbeitswelt gesehen. Damit kamen sie bald in Konflikt mit dem Teil der Proletarier_innen, die entweder politisch uninteressiert waren oder in die CNT nur eingetreten sind, weil sie sich 1936 in Barcelona Vorteile erhofften. Auf vielen Seiten zeigt der Historiker auf, wie sich die CNT zunächst mit beschwörenden Appellen, doch bald mit Kontrolle und Überwachung, die Ausgabe von Arbeitsausweisen und bald gar die Errichtung von Arbeitshäusern um die Erhöhung der Produktivität bemühte. In Paris setzte mit der Volksfrontbewegung die Arbeiterfreizeit- und urlaubsbewegung ein. Seidman sieht hier sogar die Wurzeln des Billigtourismus. Nicht Arbeiterkontrolle, sondern die Entdeckung, dass Arbeiter_innen als Konsument_innen sein können, sei der Kern der Politik der französischen Regierung gewesen. Mag man manchen Thesen Seidmans auch nicht folgen. Die zentrale These vom Kampf der Arbeiter gegen die Arbeit hat er mittlerweile selber relativiert, was sich auch an der Änderung des Titels zeigte. Auch wenn er die Quellen gelegentlich sehr eigenwillig interpretiert, so ist das Buch ein Stück Arbeitergeschichtsschreibung, die ansonsten ignoriert und vernachlässigt wird.
Ansporn zur Diskussion
Es ist auch ein Ansporn zur Diskussion, der auch in libertären Kreisen schon erfreulich eifrig genutzt wird. Es gibt aus dem Umfeld der libertären Publikation Barrikade gar eine eigene Homepage dazu.
Allerdings finden sich dort merkwürdige Untertöne, wenn suggeriert wird, dass es als Affront empfunden wird, dass ausgerechnet ein FAU-Mitglied das Buch übersetzt hat. Dabei müsste man es begrüßen, dass Buch nun endlich übersetzt worden ist und damit auch in Deutschland die kritische Diskussion beginnen kann. . Und warum soll denn nicht die Theorie und Praxis genau so kritisch diskutiert werden können, wie die der Kommunist_innen? Es gab in Teilen des libertären Spektrums, besonders bei Genoss_innen, die sehr auf die Geschichte fixiert waren, bisweilen den Eindruck, als würde das Bild von den „guten Libertären“ gezeichnet, die von den „bösen Kommunisten“ verfolgt, ermordet und an der Durchsetzung ihrer Vorstellungen gehindert wurden. Es ist auch Seidmans Verdienst diesem binären gut-böse-Schema historische Fakten gegenüber gestellt zu haben.. Denn, auch die meisten Libertären haben sich mehr mit der Verfolgung als mit der realen Politik der anarchistischen Gruppen in Spanien befasst. Völlig recht aber haben die Genoss_innen mit dieser Kritik an Seidman.
„Seidman propagiert ganz offen den Individualismus: »Individualität ist das Einzige, was Menschen gemein haben.« (Leitmotiv seines Buches ‚The Republic of Egos‘, 2002). Allerdings ist das kein „Schlag ins Gesicht“ für Genoss_innen, die weiterhin das Konzept der Selbstorganisation auch im Arbeitsleben vertreten, wie die Libertären von der Barrikade meinen. Vielmehr wird hier die Diskrepanz zwischen einen Anarchismus deutlich, der sich in erster Linie individualistischen Konzepten orientiert und anderen, die eben die selbstbestimmte Kollektivität in den Mittelpunkt stellen.
Seidman und Occupy
Die Kritik an dem Individualismus von Seidman ist völlig korrekt beschrieben. Er durchzieht sein ganzes Buch und ist auch wesentlich für seine Theorie. Für ihn ist der individuelle Lohnabhängige ohne gewerkschaftliche und politische Organisierung der Maßstab und die Norm. Lohnabhängige, die sich in einer Gewerkschaft oder gar in einer politischen Partei organisiert haben, fallen für ihn unter die Rubrik der Funktionär_innen, die den Lohnabhängigen ihre Politik aufdrücken wollen. Nur vor dem Hintergrund dieses politischen Dogmas kann Seidman zu dem Schluss kommen, dass sämtliche politische und gewerkschaftlichen Organisationen die Lohnabhängigen nur zu ihren Konzepten zwingen wollen. Er fragt nicht, ob sich in diesen Organisationen nicht auch Lohnabhängige sich freiwillig organisiert haben, die eben aus ihren Erfahrungen am Arbeitsplatz die Konsequenz gezogen haben, dass der autonome Lohnarbeiter wie ihn sich Seidman vorstellt, ein besonders ausbeutbares Subjekt ist. Bemerkenswert auch, wie er die ganze Masse der Unorganisierten ziemlich undifferenziert zusammen fasst, als Subjekte, die vor der Lohnarbeit flüchteten. Dabei berücksichtigt er die spezifischen historischen Situationen genau so wenig, wie die kulturellen, religiösen und politischen Prägungen dieser Menschen. Denn der autonome Arbeiter, der in keiner Organisation und politischen Gruppierung organisiert ist, ist erst einmal eine Seidmansche Fiktion. Der konnte in Barcelona 1936/37 als Franco-Anhänger, als Falangist oder militanter Katholik seine Arbeitsverweigerung als Teil seines Kampfes für die Reaktion begriffen haben. Es kann aber auch einfach Armut und Hunger gewesen sein, die ihn zur Migration von der Stadt aufs Land veranlassten. Denn in Zeiten der ökonomischen Not gibt es auf dem .Land eben manchmal noch bessere Ernährungsmöglichkeiten als in der Stadt. Auf jeden Fall lohnt eine kritische Auseinandersetzung auch mit Seidmans individualistischen Konzept, weil dass höchst modern erscheint. Findet es sich in großen Teilen der Occupy-Bewegung wieder, wo jeder Teilnehmende auch nur für sich sprechen soll, und auch selbstgewählt Kollektive verdächtig sind.. Auch dort wurden aktive Gewerkschafter_innen schon mal aufgefordert, ihre Gewerkschaftsfahnen einzurollen. Das betraf in Frankfurt/Main linke IG-Metall- und ver.di-Aktivist_innnen. Aber sicher wären auch Kolleg_innen der FAU oder einer anderen Gewerkschaft davon nicht verschont geblieben. Daher hat neben der interessanten Darbietung historischer Dokumente Seidmans Buch auch noch einen weiteren Vorzug. Es kann helfen, Konzepte von selbstbestimmter Kollektivität zu verteidigen und einen reinen Individualismus zurückzuweisen. Denn dahinter verbirgt sich allzu oft das Interesse nach jederzeit flexiblen, beliebig ausbeutbaren Arbeitskräften.
Originaltext: https://syndikalismus.wordpress.com/2012/03/30/lob-der-individualitat-michael-seidmans-gegen-die-arbeit/
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Helen Graham - Rezension
Dies ist ein interessantes, aber zutiefst unzulängliches Buch. Seine Unzulänglichkeit ergibt sich aus der tatsächlichen Unvergleichbarkeit des Projektes, das für ein sehr ungleiches Niveau der Analyse sorgt. Um fair zu sein – das hier erkannte Problem hängt eng mit dem komparativen ‘Genre’ selbst zusammen. In dem Versuch eines Vergleiches von Paris und Barcelona illustriert Michael Seidman die extreme Schwierigkeit, durch Gebrauch des selben Begriffes – Volksfront – Situationen zu beschreiben, die, obwohl sie in der gleichen zeitlichen Periode existierten, sehr unterschiedliche politische Umstände und sozioökonomische Strukturen repräsentierten. Im Ergebnis erscheinen sowohl die Vergleiche wie Unterscheidungen, die der Autor macht, gezwungen und manchmal schlicht banal. Die Struktur, die Dr. Seidman wählt, weist direkt auf diese Schwierigkeit hin. Wir bekommen keinen Vergleich, sondern zwei mehr oder weniger getrennte Studien in einem Band. Während der Autor vergleichende Elemente in seiner Analyse der spanischen und französischen Bourgeoisie liefert, erzählt er tatsächlich zwei Geschichten, die den Abgrund aufzeigen, der zwischen den beiden nationalen Erfahrungen hinsichtlich der ökonomischen Entwicklung wie der kulturellen Projekte klafft. Obwohl sie eine intelligente Synthese darstellen, illustrieren diese Abschnitte tatsächlich die offensichtliche Art und Weise, auf der die Ebenen der ökonomischen und industriellen Entwicklung eine entscheidende Determinante der kapitalistischen Praxis sind (wobei Forderungen des Staates hier eingeschlossen sind). Die unterschiedlichen Antworten der französischen und spanischen Arbeiterorganisationen wiederum demonstrieren, wie ein komplexerer Staat, der eine größere Bandbreite von verführerischen im Gegensatz zu repressiven Mitteln zur Verfügung hat, die Strategien, die bei der ökonomischen Selbstverteidigung der Arbeiter zur Anwendung kommen, bemerkenswert verändert. Die französische Strategie der Integration oder Kooptierung der Arbeit durch Konsum war aus grundlegenden ökonomischen Gründen in Spanien nicht möglich, ungeachtet reformistischer Gewerkschaftsführer. Obwohl auch im Falle Frankreichs, wie die Ereignisse um den gescheiterten Generalstreik vom 30. November 1938 demonstrieren, hinter Sozialprojekten und -gesetzgebungen die Gewalt als eine Option für Kapital und Staat bestehen blieb.
Der Schwerpunkt der Studie Michael Seidmans ist, wie der Titel anzeigt, die Frage des Arbeiterwiderstandes gegen die Arbeit. Er argumentiert, daß diese Reaktion im Kern dieselbe Bedeutung hat, ob sie nun im Kontext einer relativen Stabilität für das Kapital oder einem Übergangsregime des Klassengleichgewichts, wie sie die französische Volksfront war, oder ob sie sogar in einer Zeit einer potentiell radikaleren sozialen und ökonomischen Transformation, wie sie das Proletariat Barcelonas während des Kriegeserlebte, stattfindet. Die ArbeiterInnen werden ohne Rücksicht auf die spezifischen historischen Bedingungen betrachtet, wie sie gegen produktivistische Versuche reagieren, eine größere Disziplin und ein schnelleres Arbeitstempo einzuführen – ob diese nun vom Kapital herrühren oder von ihren eigenen Gewerkschaftsorganisationen. Die Symptome dieses Widerstandes – Absentismus, Sabotage, Langsamarbeiten und andere Arten der Zeitverschwendung – sind das Produkt von Entfremdung, Monotonie, von der Tatsache, daß ihre Arbeit sinnentleert ist (besonders, sobald die tayloristische Dequalifizierung und Teilung komplexer Prozesse einsetzt). Ob dies eine adäquate Methode ist, Arbeiterwiderstand quer durch eine Vielzahl historischer Situationen zu interpretieren, ist ein Punkt, auf den später in dieser Besprechung eingegangen wird. Aber indem er so argumentiert, suggeriert Dr. Seidman, daß andere Ansätze der Analyse der Arbeit diese von ihm behandelten Strategien des Widerstandes ignoriert haben. Das ist eine etwas überzogene Argumentation. Überdies zu behaupten, daß die marxistische Analyse solch ein Phänomen ignoriert, weil sie auf den Arbeitsplatz als »einen potentiellen Bereich für die Emanzipation« fokussiert, wo die »Arbeiter sich mit ihrem Beruf identifizieren«, scheint irgendwie das Konzept der Entfremdung phänomenal aus dem Blick verloren zu haben.
Obwohl er keine politische Geschichte verfassen will, stellt Michael Seidmans Versuch, die französischen und spanischen Erfahrungen zu vergleichen, unausweichlich die Frage nach der unterschiedlichen Verfassung der beiden Volksfronten in der untersuchten Periode. Und dies war zudem eine Differenz, die sich aus entscheidenden sozialen und ökonomischen Unterschieden ergab. Der Staatsstreich des Militärs und die versuchte Revolution in Spanien sahen den Untergang des liberalen Republikanismus, der immer ein konstituierendes Element der französischen Erfahrung war. Als im Mai 1937 die spanische Volksfront komplett Wiedererstand, um einen rekonstruierten republikanischen Staat anzuführen, drehte sie sich um eine neue, sozialistisch-kommunistische Achse. Indem er Barcelona als Vergleich wählt, das einzige Gebiet in Spanien, in dem die Republikaner in der Gestalt der Esquerra es schafften, an der Macht zu bleiben, verschleiert der Autor diese Problematik. Aber dadurch riskiert er es, bei nichtspezialisierten LeserInnen den Eindruck zu hinterlassen, daß Barcelona ein Mikrokosmos der spanischen Volksfront sei, während Cataluña als Region eine sehr große Ausnahme darstellte.
Barcelona ist für Dr. Seidman der Sitz der »spanischen Revolution«. Obwohl der Autor niemals seine Begriffe angemessen definiert, wird dieser Ausdruck als Kürzel für den Prozeß der komplexen politischen und sozio-ökonomischen Reorganisation gebraucht, der in den ersten zehn Monaten des Krieges stattfand. Aber es gibt da ein fundamentales Problem. Diese Monate sahen eine dramatische Verschiebung des Ortes der Macht, als das Potential für eine Volksrevolution rapide erodiert wurde durch die Strategien des in Erscheinung tretenden Volksfront-Blocks der Politiker der Mitte und der linken Mitte und der reformistischen Gewerkschaftsführer. Die Tatsache, daß Dr. Seidman keine politische Geschichte schreibt, entbindet ihn nicht davon, für inadäquate Begriffsbestimmungen kritisiert zu werden, denn die politischen Entwicklungen, die am Rande seiner Studie verbleiben, hatten direkten Einfluß auf die Leben der spanischen ArbeiterInnen, von denen er behauptet, sie seien die Protagonisten seiner Untersuchung. Die wichtigste dieser Entwicklungen war offensichtlich das Scheitern der Revolution. Deren Einflüsse auf das Proletariat von Barcelona werden in dieser Rezension später betrachtet, im Zusammenhang mit der Frage des Arbeiterwiderstandes gegen die Arbeit. Wie auch immer, man muß sich mit Dr. Seidmans Verständnis von dem auseinandersetzen, was die spanische Revolution konstituierte. Seine Studie unterstellt sechs Monate revolutionärer Veränderung, gegen die sich beachtliche Teile der arbeitenden Klasse dickköpfig unzugänglich zeigten. Aber die Revolution war im Herbst 1936 gescheitert, eben weil die Basis der Staatsmacht nicht von den Kräften zerstört worden war, von denen zu erwarten gewesen wäre, daß sie genau diese Avantgardefunktion erfüllen würden. (Die marxistisch-leninistische POUM war zu schwach, und die libertäre Bewegung war fatal behindert durch organisatorische Spaltungen und ideologische Unzulänglichkeiten (sie hatte keine angemessene Theorie vom Staat).) Die CNT mag die Straßen von Barcelona kontrolliert haben, aber das bedeutete kaum den Sieg der Revolution. Daß die Libertären beides 1936 verwechselten ist verständlich, nicht aber, daß Dr. Seidman dies stillschweigend 1990 macht. Und selbst wenn eine unproblematisch puristische CNT-Führung existiert hätte, so wäre sie isoliert worden durch den verbissenen Reformismus und die Staatsgläubigkeit von Largo Caballeros (1) sozialistischem Riesen, der UGT, die sich weigerte, jegliche Form von Gewerkschafts-Bündnis in Erwägung zu ziehen, bis es schließlich zu spät dafür war, um noch irgendeine autonome politische Funktion zu erfüllen. Und was die UGT betrifft, so muß man schlicht sagen, daß Dr. Seidman ihre Natur und Dynamik in den 1930ern mißversteht. Er nennt sie »revolutionär« und »radikal«, um sie von den reformistischen französischen Gewerkschaften abzusetzen. Tatsächlich war es nur der polarisierte Kontext, kombiniert mit einer revolutionären Rhetorik, der der UGT einen Anstrich von Radikalismus gaben. Die wesentliche Erfahrung mit der sozialistischen Bewegung in den 1930ern – Partei und Gewerkschaft, Sozialdemokraten und »Linkssozialisten« – ist, daß sie sich als ausgesprochen reformistische Macht offenbarte. Dr. Seidman hätte besser daran getan, auf die signifikanten Ähnlichkeiten zwischen Marceau Pivert (2) und Francisco Largo Caballero zu achten – hinsichtlich der revolutionären Rhetorik und der reformistischen Praxis. Stattdessen vertraut der Autor auf eine Anzahl abgeschmackter Klischees über die Radikalisierung des Letzteren.
Der grundlegende Einwand der Rezensentin gegen diese Studie ist allerdings, daß Michael Seidman, zur Stützung der Vergleiche, die er anzustellen versucht, weitgehend und durchgängig die große Belastung herunterspielt, die sich daraus ergab, daß sich die spanische Republik im Krieg befand. Sie kämpfte nicht nur gegen die heimischen Feinde und ihre faschistischen Unterstützer ums Überleben, sondern auch gegen das politische und ökonomische Establishment des demokratischen Europas und Nordamerikas (das von Anfang bis Ende die kapitalistische Kreditwürdigkeit der Republik als ernsthaft inadäquat einschätzte). Die Nicht-Intervention beinhaltete eine zermürbenden Wirtschaftskrieg. Die sich daraus ergebenden Bedingungen der Belagerung hatten eine verheerenden Effekt auf die Produktionskapazität der Republik und somit auf die Lebenserfahrung der arbeitenden Klasse, sowohl innerhalb wie außerhalb des Arbeitsplatzes. Die materiellen Bedingungen des täglichen Leben verfielen schnell, und dies beeinflußte auch das Verhalten vieler ArbeiterInnen. An verschiedenen Punkten der Fallstudie zu Barcelona springt der Autor zwischen Beispielen aus den Jahren 1936 und 1938. Wir erfahren, daß einige ArbeiterInnen 1936-1937 abkömmlich oder nicht gebunden waren, daß andere 1938 versuchten, sich der Einberufung zu entziehen, während diejenigen, die in den späteren Phasen des Krieges einberufen wurden, demoralisiert waren. Aber all dies ist dekontextualisiert (3), es gibt kaum einen Bezug auf den heftigen Verfall, der den materiellen und psychologischen Zustand des republikanischen Spanien zwischen diesen Daten betraf. Es reicht einfach nicht, die sich ähnelnden Symptome der Distanzierung der ArbeiterInnen (in Barcelona vor und nach dem Putsch und in Paris) zu katalogisieren. Denn ohne mehr Informationen über das größere soziale und politische Umfeld, das die Reaktionen der Arbeiterklasse geformt hat, können wir nicht von einer monolithischen Erscheinung von Arbeiterwiderstand sprechen, wie es der Autor so oft zu unterstellen scheint. Die Geschichte der Arbeit, und die des Widerstandes dagegen, muß mehr behandeln als nur die Arbeit.
Nach Ansicht dieser Rezensentin untertreibt Dr. Seidman außerdem gewaltig den Einfluß des Krieges auf das Eintreten der CNT für den Produktivismus. Tatsächlich übertreibt er bei seinem Versuch, dies als eine Konstante libertärer Ideologie zu behaupten, den produktivistischen Glauben der Bewegung in der Vorkriegsperiode und bauscht ihre unkritische Akzeptanz des Quasi-Taylorismus auf. Genau so schief ist die Analyse der Absicht der Libertären, die nationalen Produktivkräfte auf eine Art zu entwickeln, die sie von der Kontrolle durch fremde Investoren befreit. Dies wird als Konflikt zwischen theoretischem Internationalismus und nationalistischer Praxis beschrieben. Sicherlich gab es ernsthafte Inkonsistenzen und Mängel in der libertären Ideologie – dies war einer der Gründe für die Krise im Krieg, von der sich die Bewegung niemals wirklich erholt hat. Aber die libertäre Antwort so zu beschreiben bedeutet, den Punkt zu verfehlen. Produktivismus und Ermahnung zur nationalen Selbstversorgung waren die unausweichliche pragmatische Antwort auf das, was in einer kapitalistischen Belagerung gipfelte, die nicht dadurch weniger effektiv war, daß ihre Existenz übertüncht wurde. Indem er den libertären Produktivismus betont, scheint es Dr. Seidmans Hauptanliegen zu sein, zu zeigen, daß der katalanische Anarcho-Syndikalismus weder puristisch noch millenaristisch (4) war. Er schreibt so, als ob er hier eine heutige Orthodoxie herausfordere, während ein solcher Reduktionismus garnicht existiert.
Der Autor erklärt von Anfang an, daß seine Schrift keine politische Studie der Spanischen Revolution sei – und tatsächlich wiederholt er, wenn auch etwas vage, den ganzen Text hindurch, daß die politischen Kategorien der »meisten Historiker« unzulänglich sind, um uns zu erlauben, ihre wahre Natur als eine gelebte Erfahrung zu verstehen. Dr. Seidman weist auf einen berechtigten Punkt hin. Wir müssen sicherlich eine ganze Reihe öffentlicher Äußerungen (Reaktionen) untersuchen, um den Grad des Einflusses zu verstehen, den die radikalen sozialen und ökonomischen Veränderungen hatten, die für kurze Zeit im republikanischen Spanien versucht wurden. Und gegenwärtige Arbeiten, oftmals durch den Gebrauch unschätzbarer mündlicher Quellen, tragen viel zur Erstellung eines nuancierteren Bildes von Klassen- und Geschlechterverhalten in dem Spanien der 1930er Jahre bei, einer Periode der Mobilisierung und des Überganges. Aber die Tatsache bleibt bestehen, daß Michael Seidmans Studie nicht die Ziele erreicht, die er für sie angibt. Sie vermittelt ganz sicher keinen Einblick in die »gelebte Erfahrung der Arbeiter« (weder am Arbeitsplatz noch außerhalb davon). Dies liegt weitgehend an der reinen Unvergleichbarkeit der Untersuchung. Dr. Seidman zielt auf eine viel zu weite Abdeckung, und zumindest auf der spanischen Seite tappt er regelmäßig in die Falle der oberflächlichen und skizzenhaften Analyse. Die Untersuchung zu Barcelona ist außerordentlich undurchsichtig. Man gewinnt kaum Kenntnisse über die Determinanten der Reaktionen der ArbeiterInnen – ob diese Demoralisierung, Passivität oder politisches Engagement ausdrückten. Die plumpe Verneigung en passant vor dem ‘Apolitizismus’ der Frauen wäre besser ausgelassen worden, ebenso der kurze Streifzug des Autors über die Darstellung von Frauen auf republikanischen Propaganda-Plakaten. Letzeres scheint ihn zu dem außergewöhnlichen Schluß zu führen, daß die Geschlechterrollen durch die Revolution durcheinander geworfen wurden. Dies ist nicht nur eine plumpe extreme Vereinfachung per se, doch daß das mit einer Würdigung der Frauen-Darstellung auf Volksfrontplakaten begründet werden könnte ist schlichtweg unerklärbar. Der rasante Aufstieg der Volksfront sorgte dafür, daß das Gesicht der Propaganda wieder deutlich von den konventionellen Geschlechterrollen geprägt war. Es war wesentlicher Bestandteil ihrer konterrevolutionären Logik, daß republikanische Frauen durch einen Appell an ihre traditionellen Rollen mobilisiert wurden. Wenn man sich allein die Bilder anschaut, so fällt es 1937 oftmals schwer zu unterscheiden zwischen den Aufrufen an die republikanischen Frauen und denen an ihre nationalistischen Schwestern. (5)
Jede Begrifflichkeit, einschließlich die der Arbeit, wird grundlegend gesellschaftlich produziert. Sie ist bestimmt durch den spezifischen historischen Kontext, in dem sie existiert. Wenn dies auf die Arbeit zutrifft, so muß es auch auf den Widerstand gegen die Arbeit zutreffen. Der grundlegende Fehler in Dr. Seidmans Fall ist, daß er die Homogenität des Arbeiterwiderstandes mit ziemlich zweifelhaften Mitteln stützt – indem er seine Aufzählung der Symptome dekontextualisiert. Aufgrund der extremen Situation führt das besonders im spanischen Fall zu ernsten Verzerrungen in seiner Interpretation. Indem er der Diskussion der politischen Demontierung einer beschädigten und fragmentierten Revolution ausweicht, vermeidet er nicht, wie er behauptet, lediglich das besser erkundeten Territorium der politischen Geschichte. Tatsächlich versagt er es sich bewußt, dem Leser eine Erklärung des Prozesses zu bieten, der das Verhalten der ArbeiterInnen geprägt hat. Der Wiederaufbau des Staates begann, wie schon angedeutet, nicht 1937, er begann viel früher, mit der Ernennung der Regierung Largo Caballero im September 1936. Nur durch eine falsche Periodisierung kann Dr. Seidman behaupten, daß der primäre Anstoß zum Wiederaufbau des Staates die Widerspenstigkeit der Arbeiter in den Fabriken war – ein einzigartiger Fall, in dem der Schwanz mit dem Hund wedelt. Natürlich war nicht das gesamte Proletariat Barcelonas in der CNT. In Barcelona wie in Paris umfaßte die Arbeiterklasse sowohl die Engagierten wie die Gleichgültigen in allen Abstufungen. Triumphalismus kann unser Verständnis des Verhaltens der Bevölkerung in den frühen Monaten des Krieges nur behindern. Aber es ist nicht klar, was Michael Seidmans körperlose und fragmentierte Ansammlung von Illustrationen der Apathie und Verärgerung der ArbeiterInnen zeigen soll. Das ändert kaum etwas an der Tatsache, daß der Wiederaufbau des Staates die ökonomische Macht und politische Autonomie der Gewerkschaften und der militanten Teile der Arbeiterklasse an die Kandare nahm. Man muß nicht notwendigerweise von einem anarchistischen oder linkskommunistischen Standpunkt argumentieren, um das zu erkennen.
In den Fabriken und Werkstätten im Paris der Volksfront und dem »revolutionären« Barcelona war die Arbeitserfahrung für viele eine grundlegend entfremdete. Die vorrangige Konsequenz der Prioritäten der Kriegszeit machte eine radikale Veränderung in diesem Bereich für die spanische Republik unmöglich. Es kann gesagt werden, daß, anstatt die bewußte »Negation der Ideale der spanischen Revolution« zu illustrieren, die Abwendung der Arbeiter die Tatsache reflektierte, daß nicht nur die materielle Realität der Arbeitserfahrung und des täglichen Lebens nicht qualitativ verändert wurde, sondern sie sich tatsächlich aktiv verschlechterte. Wenn die Revolution für viele eine politische Abstraktion war, dann kann da nichts gewesen sein, was sie »negieren« konnten. Das Hauptproblem war hier allerdings nicht das kreative Vakuum der Linken. Michael Seidmans Kritik an ihrem Scheitern, alternative Modelle für die Entwicklung der Produktivkräfte auszuarbeiten, offenbart eine erschreckende Mißachtung für die Zwänge und Notwendigkeiten, die durch den zermürbenden Wirtschaftskrieg von außen gegen sie der spanischen Demokratie auferlegt wurden. Die Ergebnisse der Blockade – akuter Mangel, Inflation, Hunger, Elend, ein härterer und längerer Arbeitstag – und, natürlich, grausame interne politische Spaltungen – endeten in der Destabilisierung der spanischen Republik im Inneren. Diese Strategie hat sich in der europäischen Arena der dreißiger Jahre als ebenso erfolgreich erwiesen wie anderswo in jüngerer Zeit.
Im Verlauf dieser verzweifelten Produktionsschlacht, die für das Überleben der Republik entscheidend war, wählten die Führungskader der Gewerkschaft und deren Aktivisten den kleinsten gemeinsamen Nenner – eine ökonomisch konservative Praxis. Nichtsdestoweniger waren die Gewerkschaften im republikanischen Spanien die entscheidende Kraft in einem Prozeß der industriellen Konzentration und Rationalisierung, die, worauf Dr. Seidman hinweist, seit langem auf der historischen Agenda stand. Indem er das Gewicht auf die technische Bedeutung dieses Prozesses legt, vergleicht der Autor diesen mit den Ergebnissen von Francos Entwicklungsprojekten drei Dekaden später. Allerdings gibt es hier eine große Gefahr, da dieser Vergleich die zentrale zugrundeliegenden Disparität ignoriert, der im Herzen des Bürgerkrieges selbst lag. Die gewerkschaftliche Vermittlung umhüllte den Rationalisierungsprozeß mit einer demokratischen Intentionalität, die, per Definition, bei späteren francistischen Projekt immer fehlte. Alles in allem war das, was bei den Nationalisten und Republikanern auf dem Spiel stand, nicht die Modernisierung per se, sondern das Modell, das adoptiert werden sollte. Die Nationalisten mögen zu einem Diskurs auf dem Niveau von Neanderthalern Zuflucht genommen haben, aber wogegen sie sich tatsächlich stellten, wegen der Kosten für Gruppen der Elite, das war das demokratische Modell der Modernisierung, das von der Republik angestrebt wurde. Anzunehmen, daß sich der Entwicklungsfrancismus einen neutralen technokratischen Mantel aus den 1930er Jahren umhängen konnte, bedeutet, eine entscheidende historische Phase verblüffenderweise zu ignorieren – den triumphierenden Francismus der 1940er und frühen 1950er Jahre.
Fußnoten:
1) http://de.wikipedia.org/wiki/Largo_Caballero
2) http://de.wikipedia.org/wiki/Marceau_Pivert
3) aus dem Zusammenhang gerissen
4) dem Glauben an ein (paradiesisches) ‘tausendjähriges Reich auf Erden’ anhängend
5) vergl. die gegenwärtige (April 1991) Ausstellung republikanischer und nationalistischer Plakate, Biblioteca Nacional, Madrid [Anm. von Helen Graham]
Originaltext: http://syndikalismus.wordpress.com/2012/06/14/helen-graham-ein-interessantes-aber-zutiefst-unzulangliches-buch/
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H.H. - Zum Buch “Gegen die Arbeit” von Michael Seidman. Wenn man genauer hinsieht, ist es ganz anders
„Die Öffentlichkeit ist heutzutage, insbesondere der Teil, der keine manuelle Tätigkeit ausübt, weitgehend unwissend über Berufe und Arbeitsprozesse, selbst wenn sie vor ihrer Tür stattfinden. So ist die Mehrheit der Mittelklasse nicht nur wehrlos gegenüber groben Verfälschungen, sondern auch, was noch ernster ist, ganze Welten entfernt von jeder Sympathie mit dem Leben eines Betriebs.“ (William Morris)
Die kleine Vorgeschichte: Während des Verfassens dieses Artikels unterrichtete ich einen der Übersetzer, dass es mit den Zitaten, betreffend Santillán, ein Problem gäbe. Er erklärte sich als nicht zuständig und gab mit meinem Einverständnis die Mails an den Verlag weiter. Mir wurde dann eine Stellungnahme von Hr. Seidman zugeleitet. In dieser stellte Hr. Seidman die meisten seiner Zitate mit den Quellen bei Santillán zusammen, stellte fest, dass er alle Zitate geprüft habe, alle Zitate korrekt und die angedeuteten Einwände falsch seien. Der Verlag war zufriedengestellt. Durch diese Hinweise waren damit immerhin alle Zitatfundstellen komplett und es kann jetzt auf alles eingegangen werden.
Viele Aussagen in dem Buch von Seidman kamen mir unplausibel, unbelastbar und an den Haaren herbeigezogen vor. Daraufhin bin ich einigen Quellenangaben, die leicht erreichbar waren, nachgegangen und beziehe mich hier auf die zwei Bücher von Diego Abad de Santillán: El anarquismo y la revolución en Espana, Escritos 1930/38 (A) und El organismo económico de la revolución (B). Beide sind im spanischen Original abgelegt unter www.scribd.com, so dass diese Kurzdarstellung nachgeprüft werden kann. (Ich hoffe damit keine schützenswerten Rechte zu verletzen.) Seidmans Buch erschien in englischer Sprache, zuletzt in deutscher Übersetzung (die meist genauestens, aber ohne Quellenabgleich der englischen Ausgabe folgt). Eine spanische Ausgabe, in der die Differenzen sicher aufgefallen wären, gibt es nicht. Die betreffende Passage ab S. 81 ist ein wesentlicher Teil des Buches; Teile davon sind in das Redemanuskript für die Buchvorstellungsrundreise übernommen und womöglich vorgelesen worden (abgedruckt in Graswurzelrevolution Nov. 2011).
Es ist der Vorwurf zu machen, dass Hr. Seidman praktisch durchgehend diese beiden Quellen auf durchschaubare Weise benützt, um Santillán und die spanischen Syndikalisten zu diskreditieren und ihnen „das Wort im Mund umzudrehen“. Es wird ungenau oder falsch übersetzt, aus dem Zusammenhang gerissen, durch Beiwörter verfälscht und Unzusammenpassendes montiert, bis nichts mehr stimmt und unvoreingenommene LeserInnen sich fragen, was da mit den spanischen Anarchisten passiert sein muss. Hr. Seidman legt Wert darauf, dass alles seine Quelle hat. Nicht ganz richtig, aber damit auch nicht besser, denn das Schnipselwerk zeigt die Bemühung, Quellenfragmente zu verwenden, um daraus Interpretationen und Suggestionen zu kreieren, die an Santilláns Position völlig vorbeigehen. (Wenn jemand fragen würde, warum einer sich die Mühe macht, das aufzudröseln: Sowas darf nicht durchgehen; mal damit angefangen, muß man es zu Ende bringen – und aus zunehmender Sympathie mit Diego Abad de Santillán.) Es ist schon ein gelungenes Stück, diese Schmähung des Syndikalismus in einem libertären Verlag unterzubringen. Emanzipation und Arbeit in Gegensatz zu bringen (unter Vorschiebung eines einseitig dargestellten „Arbeiterwiderstandes“) ist die andere Seite davon. Diese Haltung anzunehmen wäre eine Selbstverabschiedung von jeder Relevanz im realen gesellschaftlichen Leben, in dem sich (fast) alles um die Arbeit dreht. Darauf kann hier aber leider aus Platzgründen nicht eingegangen werden. Die Zitate kommen dann nacheinander, aber zuerst zu der Story des Buches.
Seidman nimmt die Schriften Santilláns als Beweismittel dafür, dass die spanischen Syndikalisten in den dreißiger Jahren bei ihrer verstärkten Orientierung auf Gewerkschaften und Industrie mit der Befürwortung der Anwendung der modernen Industrie auch Taylorismus, Fordismus, die Arbeitskraft auspressende Rationalisierung, Akkordarbeit, Arbeitszwang, Arbeitsverherrlichung im Pack mitübernommen hätten. Mit dem kapitalismus-gleichen Ziel, möglichst viel Leistung aus den ArbeiterInnen herauszuholen und sie letztlich als Werkzeuge ihres „Produktivismus“ zu benützen.
„Santillán wandelte sich vom eifrigen Kritiker kapitalistischer Technologie und Arbeitsorganisation zum enthusiastischen Befürworter derselben.“ (S. 81)
Diese Behauptung ist meiner Meinung nach erstmal deshalb falsch, weil sie, richtiges Zitieren vorausgesetzt, durch die Quellen nicht gestützt, sondern entkräftet wird. Sie ist es auch wegen Mißachtung der Regeln einfacher Logik. Die Industrie ist ebenso wie Handwerk, Landwirtschaft oder Wissenschaft nicht per se kapitalistisch. Die Übergänge sind fließend, sie ist eine komplexe Form und ein Produkt menschlicher Arbeit. Sie der Herrschaft der Besitzenden zu entziehen ist möglich, weil diese in ihr keine notwendige Funktion ausüben. Die kapitalistische Beherrschung der Industrie ist keine Wesenseigenheit, sondern eine Okkupation oder Enteignung derer, die die Arbeit machen. Die Zuversicht Santilláns, dass die Industrie zum Nutzen aller Menschen eingesetzt werden kann in Zustimmung zu kapitalistischen Ausbeutungsformen umzumünzen – das ist gemacht im wesentlichen mit Wortspielereien und gespeist aus Denkblockaden: Arbeit: ungewollt, Industrie: unverstanden, ArbeiterInnenselbstverwaltung: unmöglich.
Im Grunde ist es so: Santillán hatte wie viele andere Libertäre das Ziel: Wohlstand für alle! Er nennt auch Großzügigkeit und einen gewissen Überfluß als Bedingung für eine freie Gesellschaft. Allein um das Lebensnotwenige für alle zur Verfügung stellen zu können, sieht er die Notwendigkeit, über das in Spanien vorherrschende Handwerk und die Kleinproduktion hinauszugehen und das industrielle Potential zu entwickeln. Die Industrie war die Verheißung einer Zukunft, in der das Elend besiegt und, auch nach Santillán, mit verringerter (!) Arbeitsanstrengung die Bedürfnisse aller befriedigt werden könnten. Er versucht, auf ökonomische Fragen ökonomische Antworten zu geben und die schwierige Verbindung mit dem Ziel einer libertären Gesellschaft zu finden. Die positiven wie die zerstörerischen Auswirkungen der Industrialisierung sind jetzt deutlicher zu sehen als vor 75 Jahren und die zu beantwortenden Probleme sind dramatisch angewachsen. (Meine eigene Hoffnung wäre, dass sich das Industriezeitalter als Durchgangsphase erweist hin zu einer bescheideneren und klügeren Daseinsweise der Menschen in Einklang mit der Erde.) Da die Ökonomie die „Politik“ beherrscht, sind machbare ökonomische Alternativen umso mehr ausschlaggebend. Natürlich ist es in gewissem Sinne eine undankbare Aufgabe der sich Santillán stellte. Ihr wird oft ausgewichen oder davon geträumt, dass übermorgen alle Arbeit von Maschinen verrichtet wird (und damit das Problem anstrengungslos gelöst wäre).
Das erste Zitat ist überhaupt nicht zu beanstanden:
„Der moderne Industrialismus nach dem Muster von Ford ist reiner Faschismus, rechtmäßiger Despotismus. In den großen, rationalisierten Betrieben ist das Individuum nichts, die Maschine alles. Diejenigen unter uns, die die Freiheit lieben, sind nicht nur Feinde des staatlichen Faschismus, sondern auch des wirtschaftlichen Faschismus.“ (S. 81)
Dann habe es bei Santillán einen „plötzlichen Sinneswandel“ gegeben:
– „Er bemerkte anerkennend, dass die Taylorisierung die ‚unproduktiven Bewegungen des Einzelnen’ beseitigt und seine ‚Produktivität’ gesteigert habe: ‚Es ist nicht nötig, die derzeitige technische Organisation der kapitalistischen Gesellschaft zu zerstören, sondern wir müssen sie nutzen. Die Revolution wird der Fabrik als Privateigentum ein Ende bereiten. Aber wenn die Fabrik bestehen und, unserer Meinung nach verbessert werden muss, dann muss man wissen, wie sie funktioniert. Die Tatsache, dass sie gesellschaftliches Eigentum wird, ändert das Wesen der Produktion oder die Produktionsmethoden nicht. Die Verteilung der Produktion wird sich ändern und gerechter werden.’” (S. 82)
Das Vorangestellte enthält Bruchstücke eines zehn Zeilen langen Satzes, in dem Santillán den Taylorismus beschreibt und nicht befürwortet:
„Neben diesem nicht bezifferbaren Zuwachs an verfügbarer und nutzbarer Energie wurden weitere Perfektionierungsmaßnahmen durchgeführt; zum Beispiel die Taylorisierung, die unproduktive Bewegungen des Einzelnen beseitigt und seine Produktivität erhöht, wobei die menschliche Arbeitskraft in der Fabrik bis zur Erschöpfung in Anspruch genommen wird; andere Prozesse, die dem gleichen Zweck dienen, bei denen aber nicht der Mensch, sondern die Maschinen, die automatischen Anlagen, die Organisation der Produktion im Mittelpunkt stehen, sind verschiedene Perfektionierungsmaßnahmen, die als industrielle Rationalisierung bezeichnet werden. Alte Maschinen werden ausgesondert und durch neuartige Apparate ersetzt, deren Betreiben nur ein unbedeutendes Eingreifen des Arbeiters erfordert; die Produktion wird so organisiert, dass diese Fabrik sich nur auf ein bestimmtes Teil, etc. spezialisiert. Dank dieser Taylorisierung bei den Menschen und dieser Rationalisierung bei den Werkzeugen lässt sich die Produktionskapazität unter Verringerung der Zahl der beteiligten Hände in unvorstellbarem Umfang erhöhen.“ (A, S. 124, diese und nachfolgende Übersetzungen durch eine staatlich geprüfte Dolmetscherin)
Der Doppelpunkt soll eine Bestätigung durch das anschließend Zitierte vortäuschen, das aus zwei anderen Artikeln genommen ist (von A, S. 156 und 203). Warum montiert Seidman hier drei Stellen? Denkbar wäre, um dem Taylorismus-Vorwurf mehr „Fleisch“ zu spendieren, denn dieses Highlight der Santillán-“Kritik“ bestünde sonst nur aus einem falsch bewerteten Satzbruchteil; der ganze Satz wird stattdessen ja den LeserInnen vorenthalten. Und es soll wohl suggeriert werden, dass nach der Revolution der vorgefundene Taylorismus als Bestandteil der technischen Organisation (?) konsequent weiterbetrieben werden würde. Das ist aber genau nicht die Absicht Santilláns, denn wenn nicht wieder ein kleiner Teil sorgsam herausgeschnitten wäre, wäre zu lesen:
„[Der II. anarchistische Kongress vertritt die Auffassung] dass es nicht notwendig ist, die in der kapitalistischen Gesellschaft erreichte technische Organisation zu zerstören, sondern dass der Mensch sich ihrer bedienen soll, wenn er sich Schritt für Schritt aus der Sklaverei befreien möchte, ihm auferlegt durch die dringendsten Bedürfnisse. Nur, sie muss beherrscht werden. Wir empfehlen nicht die Anpassung des Menschen an die Maschine, sondern alle menschlichen Anstrengungen darauf zu richten, die Maschine an den Menschen anzupassen und dabei das Konzept der Freiheit und menschlichen Würde lebendig zu erhalten. In der postkapitalistischen Wirtschaft stehen die Maschinen im Dienste der ganzen Gesellschaft, die die modernsten wissenschaftlichen Arbeitsmethoden zum Wohle aller anwendet.“ (A, S. 156. Diese Stelle ist von Santillán zitiert aus einer Resolution des anarchistischen Kongresses von 1932 in Rosario, Argentinien)
Später im Buch schaukelt sich das ohne jeden Beleg hoch zur Behauptung, die Gewerkschaften hätten Taylorismus oft eingesetzt: Gegen die Arbeit, S. 156 und 202. Leider wurde der Taylorismus-Vorwurf schon mehrfach abgeschrieben. Erstaunlich, wie leicht so eine schwere Anklage aufgrund einer winzigen (Fehl-)Indizie von manchen gern geglaubt wird.
– „Wie viele andere libertäre Aktivisten betonte der CNT-Führer die Notwendigkeit, das ‚Parasitentum’ zu beseitigen und für Arbeit für alle zu sorgen. Arbeit sei in einer revolutionären Gesellschaft sowohl Recht als Pflicht, und er pflichtete dem alten Sprichwort bei ‚Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen’: ‘Wir suchen keine Freundschaften in der Fabrik. (…) Was uns vor allem in der Fabrik interessiert, ist, dass unser Arbeitskollege seinen Job versteht und ihn ausführt, ohne dass es Schwierigkeiten gibt, etwa weil er unerfahren ist oder die Funktionsweise des Ganzen nicht kennt. Das Heil liegt in der Arbeit und der Tag wird kommen, da die Arbeiter es wollen. Die Anarchisten, die einzige Strömung, die nicht versucht, auf Kosten anderer zu leben, kämpft für diesen Tag.’” (S. 82)
Ein Bild von freudlosen, klösterlichen Arbeitshäusern drängt sich auf ... denn hier wird subtil der Bogen gespannt von Parasitentum zu Pflicht, zu keine Freundschaften und dem Heil in der Arbeit. Die zwei dem Zitat vorangestellten Sätze bringen Gedanken, die nicht nur Aktivisten eigen sind, sondern Ausgebeuteten zu allen Zeiten aus tiefstem Herzen kommen (die auch Professoren geläufig sind; Tip: im Internet nach „Jason Read“ und „parasites“ suchen).
Der mittlere Teil hat eine ganz andere, nachvollziehbare Aussage in seinem wirklichen Zusammenhang: Bei Santillán lautet diese Stelle: (A, S. 204):
“In unseren anarchistischen Kreisen herrscht anscheinend ein wenig Verwirrung über das Wesen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, des Zusammenschlusses aus Affinität und der Funktion der Wirtschaft. Die Vorstellungen einiger Kameraden sind von den Bildern glücklicher Arkadien, freier Kommunen, beeinflußt. Aber Arkadien ist Vergangenheit; in der Zukunft wird es ganz andere Bedingungen geben. In der Fabrik geht es uns nicht um die Affinität wie bei einer Ehe, einer Freundschaft oder im gesellschaftlichen Bereich. In der Fabrik sind wir vor allem daran interessiert, einen Arbeitskollegen zu haben, der sich mit seiner Arbeit auskennt und sie ausführt, ohne durch seine Unerfahrenheit oder Unfähigkeit Probleme im Gesamtablauf zu verursachen. Das Zusammenleben in der Fabrik beruht nicht auf der Affinität der Charaktere, sondern auf Arbeitsfähigkeiten, auf Berufserfahrung. Kurz gesagt hat die Affinitätsgruppe, die sich im gesellschaftlichen Leben bildet, keine spezifische Funktion im Wirtschaftsleben.”
Seidman hat es hier nicht genaugenommen mit afinidad (Verwandtschaft, Anziehung ...) und amistad (Freundschaft). Was Santillán sagen will ist aber aus dem Arbeitsleben heraus gut verständlich: Er vergleicht eine freie Kommune (eher die Ausnahme) mit einem Betrieb, in dem man sich die KollegInnen nicht aussuchen kann. Es ist kein frei gewähltes Miteinander, sondern ein Zusammentreffen verschiedener Altersgruppen, Mentalitäten, Geschlechter, Lebenseinstellungen. Freundschaft ist nicht Zutrittsvoraussetzung; sie entsteht bei der gemeinsamen Arbeit und darüberhinaus oder sie entsteht manchmal auch nicht. Kennen wir doch?
Das Mißverständliche, was Seidman hier zudem reinträgt, ist, dass er Angelegenheiten innerhalb des Betriebs und der Belegschaft vermischt mit einer Gruppe, die außerhalb der Arbeitswelt steht, eben den „Parasiten“ (Blutsaugern). Denen, die nicht daran denken zu arbeiten, weil sie von Profit leben oder dem Klerus, Adel, Militär oder Herrschaftsapparat angehören. Diese Schichten waren in Spanien besonders aufgebläht, sie lasteten schwer auf denen, die gearbeitet haben und konsumierten mehr als die Produzenten. Nach Santillán übte damals nur eine Minderheit der Bevölkerung eine Tätigkeit aus, die nützliche Gebrauchswerte herstellte. (Heute nicht viel anders, aber vielleicht nicht so offensichtlich.) Dann liegt es doch nahe zu überlegen: Wenn alle Arbeitsfähigen was tun, wenn wir dazu Technik und Wissenschaft anwenden, wenn kein sinnloser Luxus mehr hergestellt wird, dann .... hätten alle reichlich und müßten nur den halben Tag arbeiten!
Mit einem Sprung sind wir durch den dritten Bestandteil in einem Artikel über die Situation unmittelbar nach dem Wahlsieg der Frente Popular im Februar 1936 gelandet:
„Für dieses Ergebnis wollte man unsere Unterstützung? Schon bald werdet ihr, Industrie- und Landarbeiter, arbeitslose Techniker, Selbstständige, Frauen und Männer, es sehen; schon bald werdet ihr sehen, dass wir euch nur die Wahrheit gesagt haben. Eure Lage wird heute die gleiche sein wie gestern und wenn sich daran etwas ändert, dann zum Schlechteren. Das kann nicht anders sein. Die Probleme in Spanien sind Probleme, die mit Arbeit, Schweiß, fruchttragenden Anstrengungen, aber auch mit Freiheit und Gerechtigkeit gelöst werden können. Und weder Linke noch Rechte noch das Zentrum können sie lösen, da sie pflichtgemäß das Parasitentum, die Arbeitslosigkeit, die Ungerechtigkeit und die Sklaverei aufrechterhalten müssen.
Den Weg haben wir bereits aufgezeigt: er besteht im Übereinkommen der Produzenten, ein monströses System zu beseitigen, das den freien Zugang zur Arbeit nicht erlaubt und eine beispiellose Beschäftigungslosigkeit von Arbeitern, Bauern und Technikern ermöglicht, während es Boden und nutzbare Ressourcen in Fülle gibt und halb Spanien langsam an Hunger und Entbehrungen zu Grunde geht.
Die Rettung liegt in der Arbeit. Und der Tag wird kommen, an dem die Arbeiter sich nach ihr [dieser Rettung] sehnen. Für diesen Tag kämpfen wir Anarchisten als einzige gesellschaftliche Geistesströmung, die nicht versucht, auf Kosten der Anstrengungen anderer zu leben; aber das geht nicht über das Parlament, da will ich niemandem etwas vormachen.“ (A, S. 313)
Da hat die deutsche Übersetzung noch eins draufgelegt (salvación –> salvation –> Heil). Santillán vergleicht hier die Möglichkeiten der „Rettung“ aus der zerrütteten Situation Spaniens durch politische oder ökonomische Aktion. Syndikalisten setzen nun mal keine Hoffnungen auf die Wahlurne. Und in der Ökonomie ist in ihrem Verständnis die lebendige Arbeit im Fokus, nicht die tote Arbeit in Gestalt von Produktionsmitteln oder Investitionen.
– „Außerdem brauche Spanien eine leistungsfähige Automobilindustrie (etwa nach amerikanischen Vorbild): ‚Vor noch nicht allzu vielen Jahren war das Automobil eine Seltenheit. (…) Heutzutage ist es fast ein proletarisches Fahrzeug, das in unserer Kultur heimisch ist, und es muss für alle, absolut alle Einwohner des Landes erwerbbar werden. (…) Wir bevorzugen die Ford-Fabrik, in der es keine Spekulation mehr gibt, in der die Gesundheit der Belegschaft gewahrt ist und die Löhne steigen. Das Ergebnis ist besser als ein winziger Betrieb in Barcelona.’” (S. 89)
Dieses Zitat ist ein Mix von zwei weit auseinander liegenden Stellen in Santilláns anderer Schrift (B, S. 58 und 156). Santillán war für die Errichtung von Autofabriken. Vielleicht verständlich, wenn man daran denkt, dass ein großer Teil der Bevölkerung damals zu Fuß auf der Landstrasse von Stadt zu Stadt marschierte, mangels Geld und Beförderungsmitteln. Aber ein Anarchist, der will, dass sich möglichst alle ein Auto kaufen können, ein Beförderer des Autowahns? Nein, denn bei Santillán steht: “Ein Automobil … muss für alle, absolut alle Einwohner des Landes, die es brauchen, in Reichweite sein.” (B, Seite 58. In der englischen Ausgabe war das noch korrekt, der Fehler entstand bei der Übersetzung ins Deutsche.)
Die beiden letzten Sätze in ihrem Zusammenhang:
“Vor allem hier wird die Notwendigkeit einer engen Beziehung zwischen allen verbundenen Kräften deutlich. Auf den ersten Blick erzeugt dieser ganze Mechanismus ein Gefühl des Misstrauens, weil man sofort das leitende Zentrum entdeckt, die Diktatur der Bürokratie. Wir leugnen nicht die Gefahr von Abweichungen in diesem Sinne, Abweichungen, wie sie in einem unzusammenhängenden, zerteilten, dem Zufall überlassenen Transportsystem ebenfalls vorkommen könnten; bei dieser Form hätte man jedoch den Vorteil der Produktivität und Effizienz. Die gleichen Nachteile des Bürokratismus, des Autoritarismus, können sowohl in einer kleinen Autofabrik in Barcelona als auch in einer Fabrik wie der von Ford in Detroit vorkommen; das praktische Ergebnis der Anstrengung ist jedoch unterschiedlich und wir bevorzugen die Ford-Fabrik, in der nach der Abschaffung der Spekulation mit einer besseren Gesundheitsversorgung des Personals und höheren Löhnen ein besseres Ergebnis erzielt wird als in dem sehr kleinen Betrieb in Barcelona.” (B, S. 156)
Im Text von Santillán dient die Ford-Fabrik als Beispiel für die effizientere Herstellung von Gütern in einem Großbetrieb im Vergleich zu verstreuten Kleinbetrieben, und er nennt mit kapitalistischen Großbetrieben verbundene Gefahren. Nicht zuletzt steht dieser Abschnitt im Kapitel über das Transportwesen; Intention ist die Vermeidung hohen Transportaufwands zwischen den Produktionsstätten und der Vorteil durch Serienproduktion. Nachdem hier das Wort „Ford“ gefallen ist, wird es weiter hinten auf S. 201 wieder aufgegriffen:
„Santillán hatte den Fordismus befürwortet...“ Ach ja, da war doch was ... wird schon was dran sein ...
Das waren alle drei im Text herausgehobenen längeren Zitate. Noch zu einigen indirekten Zitaten:
– “Zudem sei der Kapitalismus unfähig, den höchsten Arbeitsertrag aus seinen Arbeitern herauszuziehen.” (S. 88) Bei Santillán steht: “In Bezug auf die menschliche Arbeit, sowohl Kopf- wie Handarbeit, nützt das jetzige ökonomische System nur 50 Prozent der Leistungskapazität.” (B, S. 52) Dann zählt Santillán Arbeitslose in verschiedenen Bereichen auf, denn es geht an dieser Stelle um Nichtbeschäftigung oder Arbeitslosigkeit!
– „Freizeit, Faulheit und Parasitentum seien entwürdigend und müßten beseitigt werden.“ (S. 89) Quelle, wenn es sie gibt, nicht gefunden.
– „Der CNT-Führer beklagte, dass sich die Veranlagung, ohne Arbeit zu leben durch die gesamte spanische Geschichte gezogen habe…“ (S. 89) Bei Santillán steht das Gegenteil: „Eine Tendenz zu leben ohne zu arbeiten – im übrigen sehr menschlich – wurde zu allen Zeiten gegen Spanien vorgebracht. Diese von oberflächlichen Beobachtern viel zu sehr betonte Tendenz hat Spanien einen besonderen Ruf verschafft. Aber diese Tendenz ist das Merkmal der privilegierten Klassen; Spaniens Arbeiter und Bauern sind äußerst arbeitssam und wir, die wir viele Länder kennen, können die These irgendeiner Unterlegenheit nicht bestätigen, etwa hinsichtlich der Fähigkeiten oder der Ausdauer in der Arbeit. Es gibt Spanier in den modernsten Fabriken der Vereinigten Staaten, in der argentinischen Pampa, in allen Klimazonen, an allen Arbeitsorten der Welt, gleich mit allen anderen. Wenn sie etwas unterscheidet, dann vielleicht ihr stärkerer Geist der Unabhängigkeit, ihre größere Neigung zu Rebellion. Deshalb wurde ihnen an verschiedenen Stellen der Zugang verwehrt, nicht wegen schlechterer Arbeit.“ (B, S. 69/70)
– “Santillán hielt fest, dass es ‚in einem Regime organisierter Arbeit sehr schwer ist, außerhalb der Produktion zu leben.’” (S. 96) Haarscharf am wesentlichen Inhalt des Satzes vorbeizitiert: „Arbeit wird ein Recht und auch eine Pflicht sein. Einige intelligente Minderheiten werden keinerlei Zwang irgendeiner Art benötigen, um das Notwendige und darüber hinaus zu arbeiten. Aber wird das bei allen so sein? Das Wirtschaftsleben darf nicht unterbrochen werden; im Gegenteil, die Revolution soll kräftig zur Belebung desselben beitragen und es ist notwendig zu wissen, auf welchen Grundlagen wir schon jetzt aufbauen müssen, um während und nach der Revolution ohne die Genehmigung des Kapitalisten und ohne die Erlaubnis des Staates weiter zu produzieren, zu verteilen und zu konsumieren, nicht nur die Anhänger der Revolution, sondern auch die Gegner, die Nichtgewinnbaren, die Unzufriedenen.
Man befürchtet, dass in einer freien Gesellschaft die Faulenzer, diejenigen, die nicht bereit sind, produktiv zu arbeiten, leicht jeder Verpflichtung ausweichen könnten; es ist jedoch in einem System der organisierten Arbeit sehr schwierig, abseits der Produktion zu leben; ein Übermaß an Zwang und Strenge wäre mehr zu fürchten als ein Lockern der Bindungen des produktiven Zusammenhalts.
Deshalb haben wir immer gesagt, dass die kommende Revolution, der die Anarchisten ihre Begeisterung, ihren Kampfgeist, ihre Selbstlosigkeit widmen, keine Revolution sein wird, nach der Widerstand gegen den Autoritätsgeist keine Daseinsberechtigung mehr hätte; nach der Zerschlagung des Kapitalismus wartet eine lange und reiche libertäre Arbeit auf uns, da sich die jahrhundertelange Erziehung durch und für die Obrigkeit nicht mit einem einzigen wuchtigen Schlag auslöschen läßt.“ (B, S. 93/94)
Eine grobe Fälschung der Meinung anderer Syndikalisten und Anarchisten findet sich ebenfalls auf Seite 96. Seidman:
„Vor die Wahl gestellt zwischen Arbeiterbeteiligung an der Produktion und Leistungsfähigkeit der Produktion deuteten einige Libertäre ihre Antwort an: ‚Der libertäre Sozialismus hat nie das Recht bestritten, sich denen zu widersetzen, die das kollektive Leben beeinträchtigen können.’ Anarchosyndikalisten wären berechtigt, ein Individuum zu bestrafen, ‚das sich aus Böswilligkeit oder einem anderen Grund der zuvor vereinbarten Disziplin nicht beugen will.’”
Die Quelle: Gaston Leval, Conceptos económicos en el socialismo libertario (Buenos Aires, 1935). Internetquelle für die Recherche: https://we.riseup.net/jessecohn/experimental-translation-wiki. Dort steht es so:
„Der libertäre Sozialismus hat nie das Recht bestritten, sich denen zu widersetzen, die das kollektive Leben beeinträchtigen können. Einfach gesagt lehnt er es ab, den Normen zu folgen, die von allen strafenden Schulen der Autoritären und des Kapitalismus vorgegeben werden. Zum Umgang mit den Faulpelzen meint Kropotkin, indem er die Frage auf das Wesentliche reduziert: wenn sie der Gesellschaft nicht wirklich Schaden zufügen, muss man sie aushalten und durch moralischen Druck versuchen, sie dazu zu bewegen, ihr Verhalten zu ändern. Aber im gebotenen Fall gibt es auch radikalere Mittel: ‚Nehmen wir eine Gruppe Freiwilliger an, die sich zu einer Unternehmung vereinigt haben und für ihr Gelingen zusammen arbeiten. Ein Genosse bildet eine Ausnahme und fehlt häufig auf seinem Posten. Sollte man nun seinetwegen die freie Gruppierung aufgeben, einen Präsidenten wählen, welchem das Recht zustände, Strafen zu verhängen, oder, wie es in der Akademie der Brauch ist, Besuchsmarken zu verteilen? Es ist augenscheinlich, dass man weder das eine noch das andere tun wird, sondern dass man eines Tages zu dem Kameraden, der die Unternehmung zu gefährden droht, sagen wird: Mein Freund, wir würden gerne mit dir zusammenarbeiten; aber wenn du so häufig an deinem Posten fehlst, oder deine Arbeit nachlässig verrichtest, so müssen wir uns trennen. Geh du und suche dir andere Kameraden, die sich deine Lässigkeit gefallen lassen.’ (*)
Diese Auffassung steht nicht allein. Jean Grave erklärte kategorisch: ‚So wie sich jedes Individuum den Willkürakten einer Gruppe entziehen kann, kann die Gruppe ihre Zusammenarbeit mit einem Individuum aufkündigen, das aus Böswilligkeit oder einem anderen Motiv sich in dem Zusammenspiel der aufgeteilten Arbeit nicht der vorher vereinbarten Disziplin beugen will.’”
Kann man sich so vertun, dass der Kern der Aussage ins Gegenteil verkehrt wird?
Mehr habe ich nicht nachgeforscht, möchte aber vermuten: es zieht sich durch. Die Quellenmanipulationen und die Thesen Seidmans stehen für mich in einem engen Wechselverhältnis: das eine bedingt das andere. Hier wird gutgläubigen LeserInnen schon mit dem Ausgangsmaterial die verdrehte Auslegung in den Mund gelöffelt! Offen bleibt, wie Seidman mit anderen, insbesondere den weniger leicht zugänglichen Quellen umgesprungen ist.
Wenn diese Recherche überprüft ist, liegt es noch am Verlag. Dieses Buch sollte in Zukunft ehrlicherweise nur noch mit einem Aufkleber ausgeliefert werden: “Vorsicht! Für richtige Quellenwiedergabe stehen wir nicht gerade. Kann nicht als Sekundärquelle verwendet werden!”
März 2012, H.H. (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)
Anmerkungen:
Sämtliche Auslassungen durch Seidman; fettgedruckte Unterstreichungen dienen nur der Hervorhebung
(*) aus Kropotkin, Die Eroberung des Brotes
Aus: Barrikade Nr. 7, April 2012
***********************
Michael Seidman - Erwiderung auf H.H.
Es ist nun das zweite Mal, dass ich mit Herrn H.H.’s unfundierten Vorwürfen konfrontiert werde, ich hätte Quellen „ungenau oder falsch übersetzt“ und zitiert. Das erste Mal war im Februar 2012, als er an meinen deutschen Verleger schrieb:
Liebe Freundinnen und Freunde des Graswurzelverlags,
ich habe dieses Buch kritisch gelesen und an mehreren Stellen bin ich mir nicht sicher, ob Seidman richtig zitiert hat. (Ich glaube insgesamt, dass dieses Buch absolut unsorgfältig ist.)
Auf Seite 81 ff beschäftigt er sich mit Diego Abad de Santillan und seiner Position zu Arbeit, Betriebsorganisation und Taylorismus. Das als Quelle benutzte Buch, die Auflage von Schriften zwischen 1936 und 1938 aus dem Jahre 1976, habe ich jetzt vor mir liegen. Ich sehe gravierende Unterschiede zu diesem Text, insbesondere die Wiedergabe von Auffassungen von Santillan in zusammenfassender oder interpretierender Weise entsprechen meiner Meinung nach nicht diesem Text. Dieses Buch ist nicht unbedingt selten, aber die Leser haben nur in seltensten Fällen darauf Zugriff, Online-Versionen existieren glaube ich nicht.
Ich meine, dass ihr das unbedingt überprüfen solltet und würde Euch auch gern das Buch dafür zur Verfügung stellen.
Mit solidarischen Grüßen
H.H.
Meine Erwiderung lautete im Original wie folgt (1): The message from H. H. demands a response. Mr. H. has made false accusations without any serious attempt to prove them. I have checked every citation from Diego Abad de Santillán, El anarquismo y la revolución (1976), on pp. 81-82 of the German edition [Gegen die Arbeit] or pp. 45-46 of the American edition [Workers against Work] (University of California, 1991). All citations are accurate. They can easily be found in Diego Abad de Santillán, El anarquismo y la revolución: (2)
p. 45 (American edition): “Modern industrialism, in the manner of Ford, is pure fascism, legitimate despotism. In the great rationalized factories the individual is nothing, the machine is everything. Those of us who love freedom are not only enemies of statist fascism but also of economic fascism.” (3)
p. 96 (Santillán): “El industrialismo moderno, a lo Ford, es fascismo puro, despotismo legítimo. En las grandes fábricas racionalizadas, el individuo no es nada, el aparato lo es todo. Y los que sentimos y amamos la libertad somos tan enemigos del fascismo estatal como del fascismo económico.”
p. 45 (American edition): “He noted approvingly that Taylorization had eliminated the ‘unproductive movements of the individual’ and had increased ‘his productivity’.” (4)
p. 124 (Santillán): “la taylorización, que suprime los movimientos del individuo y eleva su productividad”
p. 45 (American edition): “It is not necessary to destroy the present technical organization of capitalist society, but we must make use of it.” (5)
p. 156 (Santillán): “Que no es necesario destruir la organización técnica alcanzada en la sociedad capitalista, sino que el hombre debe servirse de ella.”
p. 45 (American edition): “The Revolution will end private ownership of the factory, but if the factory must exist and, in our opinion, improve, it is necessary to know how it operates. The fact that it becomes social property does not change the essence of production or the method of production. The distribution of production will change and become more equitable.” (6)
p. 203 (Santillán): “Se suprime con la revolución la propiedad privada de la fábrica; pero si la fábrica ha de existir y, según nuestra opinión, perfeccionarse, hay que reconocer las condiciones de su funcionamiento. Por el hecho de pasa a ser propiedad social, no cambia esencia de la producción ni el método productivo. Cambia la distribución de producto, que se hace en los sucesivo equitativamente.”
p. 46 (American edition): “he approved the old saying, Those who do not work, do not eat:” (7)
p. 189 (Santillán): “el que no trabaja no come” [italics in original]
p. 46 (American edition): “In the factory we are not seeking friendship.…In the factory what interests us above all is that our fellow worker knows his job and does it without complications because of his inexperience or ignorance of the functioning of the whole. (8)
p. 204 (Santillán): “En la fábrica no buscamos la afinidad …. En la fábrica nos interesa sobre todo el compañero de trabajo que conoce su labor y la ejecuta sin producir complicaciones con su inexperiencia o su impericia en la marcha del conjunto.”
p. 46 (American edition): Salvation is in work, and the day will come when workers want it [salvation]. The anarchists, the only tendency which does not seek to live at the expense of others, fight for that day. (9)
p. 313 (Santillán): “La salvación está en el trabajo. Y vendrá el día que los trabajadores la deseen. Por ese día luchamos los anarquistas, la única corriente social de ideas que no pretende vivir a costa del esfuerzo de los demás.”
Mr. H. asserts that “an mehreren Stellen bin ich mir nicht sicher, ob Seidman richtig zitiert hat” and that the author of Workers against Work is “absolut unsorgfältig.” Furthermore, he also asserts that Santillán’s edition is difficult to obtain, and he generously places his copy at your disposal. I am more than willing to match his generosity by providing him (or anyone else) with photocopies from my own edition of Santillán’s book. They show without a doubt that his assertions of my “carelessness” and inaccuracy are completely groundless. As we say on this side of the Atlantic, Mr. H. is entitled to his opinion, but he is not entitled to his own facts. (10)
Salut, Michael
Einige Monate später wiederholte Herr H. ähnliche Anschuldigungen und veröffentlichte sie im Internet. Weil ich ihm die Seitenzahlen aller Zitate zur Verfügung gestellt hatte, war er nun in der Lage, sie zu finden und zu reproduzieren. Mit sehr langen Ausführungen im Web versuchte er, Workers against Work zu diskreditieren; er verzichtete aber bewusst darauf, meine erste Antwort auf seine unbegründeten Anschuldigungen mit anzuführen.
Ich will abermals all seine Vorwürfe prüfen. Herr H. behauptet, das folgende Zitat auf S. 81 [deutsche Ausgabe] ist „falsch“: „Santillán wandelte sich vom eifrigen Kritiker kapitalistischer Technologie und Arbeitsorganisation zum enthusiastischen Befürworter derselben.“ Indes, 1931 schrieb Santillán:
“Modern industrialism, in the manner of Ford, is pure fascism, legitimate despotism. In the great rationalized factories the individual is nothing, the machine is everything. Those of us who love freedom are not only enemies of statist fascism but also of economic fascism.” (amerikanische Ausgabe, S. 45).
“El industrialismo moderno, a lo Ford, es fascismo puro, despotismo legítimo. En las grandes fábricas racionalizadas, el individuo no es nada, el aparato lo es todo. Y los que sentimos y amamos la libertad somos tan enemigos del fascismo estatal como del fascismo económico.” (Santillán, S. 96).
„[Der] ‚moderne Industrialismus nach dem Muster von Ford ist reiner Faschismus, rechtmäßiger Despotismus. In den großen rationalisierten Fabriken ist das Individuum nichts, die Maschine alles. Diejenigen unter uns, die die Freiheit lieben, sind nicht nur Feinde des staatlichen Faschismus, sondern auch des wirtschaftlichen Faschismus.’“ (deutsche Ausgabe, S. 81)
Zwei Jahre später, im Jahr 1933, bemerkte Santilán anerkennend, dass die Taylorisierung die „unproductive movements of the individual“ [„unproduktiven Bewegungen des Einzelnen“] beseitigt und „his productivity“ [„seine Produktivität“] gesteigert habe (amerikanische Ausgabe, S. 45; deutsche Ausgabe, S. 81 f.).
„la taylorización, que suprime los movimientos del individuo y eleva su productividad“ (Santillán, S. 124)
Wie jeder sehen kann, sind meine Zitate vollkommen korrekt und genau. Sie stehen Herrn H.s weitschweifigen verbalen Verrenkungen entgegen, mit denen er Santillán’s Befürwortung des Taylorismus zu entschuldigen sucht, indem er Santilláns letztliches Ziel – die Reduzierung der Arbeitswoche – anführt. Herrn H.s Rechtfertigung Santilláns, eines bestenfalls zweitrangigen Denkers, liegt kaum im Interesse der heutigen libertären Bewegung. Vielmehr erinnert sie mich an die unverbesserlichen Trotzkisten und Stalinisten, die ihre jeweiligen maîtres penseurs verbissen verteidigen. Herr H. macht einige interessante Beobachtungen bezüglich der Widersprüche zwischen „Emanzipation“ und „Arbeit“; anstatt jedoch diese Themen zu entwickeln, versucht er, die fundierte Forschungsarbeit von Gegen die Arbeit zu delegitimieren, indem er sie als eine „Schmähung des Syndikalismus“ bezeichnet.
Herr H. behauptet dann, dass die folgenden Santillan-Zitate dessen Ansichten irgendwie „falsch darstellen“ [„Bestätigung ... vortäuschen“]:
“It is not necessary to destroy the present technical organization of capitalist society, but we must make use of it.” (amerikanische Ausgabe, S. 45)
“Que no es necesario destruir la organización técnica alcanzada en la sociedad capitalista, sino que el hombre debe servirse de ella.” (Santillán, S. 156)
„‚Es ist nicht nötig, die derzeitige technische Organisation der kapitalistischen Gesellschaft zu zerstören, sondern wir müssen sie nutzen.’“ (deutsche Ausgabe, S. 82)
“The Revolution will end private ownership of the factory, but if the factory must exist and, in our opinion, improve, it is necessary to know how it operates. The fact that it becomes social property does not change the essence of production or the method of production. The distribution of production will change and become more equitable.” (amerikanische Ausgabe, S. 45)
“Se suprime con la revolución la propiedad privada de la fábrica; pero si la fábrica ha de existir y, según nuestra opinión, perfeccionarse, hay que reconocer las condiciones de su funcionamiento. Por el hecho de pasa a ser propiedad social, no cambia esencia de la producción ni el método productivo. Cambia la distribución de producto, que se hace en los sucesivo equitativamente.” (Santillán, S. 203)
„‚Die Revolution wird der Fabrik als Privateigentum ein Ende bereiten. Aber wenn die Fabrik bestehen und, unserer Meinung nach, verbessert werden muss, dann muss man wissen, wie sie funktioniert. Die Tatsache, dass sie gesellschaftliches Eigentum wird, ändert das Wesen der Produktion oder die Produktionsmethode nicht. Die Verteilung der Produktion wird sich ändern und gerechter werden.“ (deutsche Ausgabe, S. 82)
Herr H. kann die Richtigkeit dieser Zitate nicht bestreiten und tut dies auch nicht. Stattdessen behauptet er, die Zitate verdrehen Santillan’s „Absicht“. Herr H. behauptet dann: „Später im Buch schaukelt sich das ohne jeden Beleg hoch zur Behauptung, die Gewerkschaften hätten Taylorismus oft eingesetzt.“ Trotz der von ihm erhobenen Anschuldigung, dass Gegen die Arbeit „absolut unsorgfältig“ gearbeitet ist, ist es klar, dass er es nicht sorgfältig gelesen hat. Die Kapitel fünf und sieben legen dar, dass die CNT während der Spanischen Revolution das „wissenschaftliche“ Management, den Fordismus, Taylorismus und sogar den Stachanowismus befürwortete. Man sollte nicht vergessen, dass Santillán während der Revolution in der Regierung der katalanischen Generalitat als Wirtschaftsminister der CNT diente – ein bedeutender Fakt, den Herr H. ausließ:
Scientific management shared with anarchosyndicalism an emphasis on efficient production through control of the work process by technicians. Santillán had endorsed Fordism, which other CNT militants also praised as a “model” of “wise lessons.” On 19 November 1938 a letter from a CNT technician called Taylor “the greatest organizer known.” The technician thanked the workers and the director of the Labora factory for their cooperation. He regretted that he had to leave the arms-producing firm, but he was confident that if Labora continued on its present path, it would become one of the most important metallurgical firms in Spain. Another letter of 23 November 1938 to the administrative junta of the CNT Metallurgical Union confirmed that “during my stay at Labora I explained to the management of the factory the road to follow for the best output.” An article entitled “Professional Selection” in the CNT metallurgical journal praised the research done at Bethlehem Steel, Taylor’s factory, where the optimum-sized shovel for coal stokers was developed and employed; this shovel permitted the most efficient use of the workers’ strength. The article also lauded a disciple of the Philadelphia engineer, H. Gantt, who had eliminated workers’ unnecessary movements and therefore increased productivity. In addition, it argued for a careful selection of apprentices since the metallurgical industry had some jobs that required only brute strength and others that needed intelligence. The review of the CNT-UGT Collective Marathon also praised Taylorism, and it concluded that the American engineer had achieved “scientific organization of work” that chose the best workers for each job in the factory. … (11)
It is essential to underline that Taylorism and the other techniques employed by the unions were not merely a consequence of a wartime situation that demanded rapid production but were also the unions’ response to the prewar social and economic incapacities of the Spanish and Catalan capitalist elites. In this regard, the Left continued to pursue an industrial modernization that the bourgeoisie had barely begun. The union militants envisaged a future of rationalized and developed productive forces within an independent national economy. The base of the anarchosyndicalist project was the rationalized, standardized, and even Taylorized factory, which, in its details, greatly resembled the plants of the advanced industrial nations. The Collective Marathon (formerly General Motors of Barcelona) constructed an automobile factory whose long aisles were suitable for assembly lines and whose space approximated the Renault factories in the industrial suburbs of Paris. (12) (S. 130–131 der amerikanischen Ausgabe, S. 201–203 der deutschen Ausgabe)
Herr H. versucht, Santilláns Äußerungen damit zu rechtfertigen, dass der anarchosyndikalistische Führer das „Parasitentum“ habe beseitigen und „für Arbeit für alle“ habe sorgen wollen. Herr H. versucht auch, ausführlich und doch recht sperrig, folgende Erklärung Santilláns weg zu argumentieren:
„Das Heil liegt in der Arbeit und der Tag wird kommen, da die Arbeiter es wollen. Die Anarchisten, die einzige Strömung, die nicht versucht auf Kosten anderer zu leben, kämpft für diesen Tag.“ (deutsche Ausgabe, S. 83) (13)
Abermals beschwert sich Herr H., dass die vollkommen genauen Zitate – die in Gegen die Arbeit auftauchen und die Santilláns Bemühungen belegen, die Arbeiter zum Arbeiten zu bringen – „irreführend“ [„Das Mißverständliche“] sind. Es ist nicht sonderlich überraschend, dass Herr H., der sich als Verteidiger Santillán’s betrachtet, es unterlässt, einige der dutzenden Lobpreisungen der Arbeit und der lebendigen Arbeit (14) zu zitieren, die in dessen Schriften überall zu finden sind. Zum Beispiel: „Wir wollen ein Produktions- und Tauschsystem, an dem nur die Produzenten selbst, seien sie Arbeiter oder Angestellte, teilhaben und das jedwedes Parasitentum ausschließt.“ (15) „Die Arbeiter ... wollen, dass jeder – Alte, Kinder und Kranke ausgenommen – zum Produktionsprozess beiträgt.“ (16) „Der unumgängliche Treffpunkt des Menschen ist sein Arbeitsplatz.“ (17) „Aus dem Schoße der Welt der Arbeit und aus der Arbeit allein wird das neue Leben erstehen, das wir alle wünschen, für Spanien und für alle Völker der Erde.“ (18) „Anstelle des Bürgers betrachten wir den Produzenten als die Basis der neuen Gesellschaft.“ (19)
Herr H. kann die Originalstelle von „Freizeit, Faulheit und Parasitentum seien entwürdigend und müssten beseitigt werden“ (deutsche Ausgabe, S. 89) nicht finden, weil es sich – offensichtlich – nicht um ein Zitat handelt. Gleichwohl vermittelt der Satz getreulich die Botschaft Santillán’s aus El Organismo econ´mico de la revolución. Er versprach, dass es in der sozialen Revolution „nur Produzenten gibt und jene Kategorien von Konsumenten, die ein natürliches Existenzrecht haben: Kinder, Alter und Kranke.“ (20) Wiederholt erklärt Santillán, „die Formel ‚wer essen will, der arbeite’ scheint der vollendetste Ausdruck von Gerechtigkeit und Freiheit zu sein.“ (21) Santillán wollte, dass die in Spanien verbleibenden Spanier für die Revolution genauso hart arbeiteten wie die spanischen Emigranten im Ausland arbeiteten. Daraus folgt, „in einer vergesellschafteten Wirtschaft wird es keine unproduktiven Individuen geben. Jeder wird eine Aufgabe haben ... Die vier oder fünf Millionen, die sich heute in Industrie und Landwirtschaft, im Bergbau und in der Fischerei kaputt schuften ... werden doppelt so viele sein. Wenn jeder isst, ist es nur gerecht, dass jeder arbeitet.“ (22)
Das lange Zitat, das Herr H. aus Santillán’s Organismo (S. 93 f.) wiedergibt, bestätigt tatsächlich die Richtigkeit und Genauigkeit meines viel bündigeren Zitats, wonach es „in einem Regime organisierter Arbeit sehr schwer [ist], außerhalb der Produktion zu leben“ (23). Ein ausführliches Zitat Gaston Leval’s zeigt abermals die vollständige Richtigkeit meines sehr viel kürzeren Zitats: „[der] libertäre Sozialismus hat nie das Recht bestritten, sich denen zu widersetzen, die das kollektive Leben beeinträchtigen können“ (24). Wie andere Anarchosyndikalisten beanspruchten sowohl Leval als auch Santillán das Recht, repressive Mittel einzusetzen, um die Arbeiter zum Arbeiten zu kriegen. Die Unterdrückung des Arbeiterwiderstands gegen die Arbeit ist genau das, was Gegen die Arbeit belegt, wenn in Kapitel sechs dokumentiert wird, wie CNT-Aktivisten auf Arbeitsverweigerungen der Arbeiter in Barcelona während der Spanischen Revolution reagierten. Was Herr H. als „grobe Fälschung“ und „Quellenmanipulation“ abtut, zeigt genau die Wirklichkeit der Theorie und Praxis der CNT in den 1930er Jahren.
Tatsächlich ist es Herr H., der sich in „grobe[r] Fälschung“ und „Quellenmanipulation“ übt, wenn er aus seinen Betrachtungen viele wichtige Passagen von Santillán’s Organismo auskammert. In diesem Buch, das während der Revolution veröffentlicht wurde (1938), preist Santillán „die Überlegenheit eines jeden Regimes, in dem Arbeit Recht und Pflicht für alle ist“ (25). Der CNT-Minister erklärte: „Arbeit muss in der neuen Gesellschaft eine soziale Pflicht sein. Wenn jemand sie nicht freiwillig oder spontan verrichtet, wird er nicht an den Früchten der produktiven, egalitären und freien Gemeinschaft teilhaben“ (26). „Alles wurde durch Arbeit geschaffen. Alles was der arbeitenden Gesellschaft mit List oder Gewalt genommen wurde, und was zu unserer gegenwärtigen desaströsen Lage geführt hat, muss der Arbeit – dem legitimen Herrscher über alles – zurückerstattet werden“ (27). In der Tradition, die vom Apostel Paulus bis Lenin reicht, wiederholte Santillán abermals seine „grundlegende Forderung: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ (28)
Was Herrn H. eigentlich stört, ist nicht die angebliche „Verdrehung“ und „Verfälschung“ der Zitate – welche alle vollkommen korrekt wiedergegeben sind und die Aussagen Santillán’s und Leval’s getreu widerspiegeln –, sondern ihn stört die kritische Behandlung des Anarchosyndikalismus in Gegen die Arbeit. Das Buch belegt, dass sich viele einfache Arbeiterinnen und Arbeiter während der Spanischen Revolution weigerten, für ihre produktivistischen Führer – darunter Santillán – zu arbeiten. Santillán war Wirtschaftsminister und wollte, dass sie an taylorisierten und rationalisierten Arbeitsplätzen wie im Stachanowismus arbeiteten. Herr H.s Geist ist Fakten unzugänglich, die seine Ansichten in Frage stellen. Folglich verwirft er dogmatischer Weise die eindeutigen Belege, die Gegen die Arbeit vorbringt. Stattdessen verleumdet er nicht nur dessen Autor, sondern auch die, wie er sie herablassend bezeichnet, „gutgläubigen“ Leserinnen und Leser, die unvoreingenommen bleiben.
Michael Seidman, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Fußnoten:
1.) Anm. d. Übers.: Die Übersetzung dieses Schreibens findet sich in den Fußnoten.
2.) Das Schreiben von H. H. erfordert eine Antwort. Herr H. hat falsche Anschuldigungen erhoben, ohne irgendeinen ernsthaften Versuch, diese zu belegen. Ich habe jedes Zitat aus Diego Abad de Santillan’s El anarquismo y la revolución (1976) überprüft, das auf den Seiten 81–82 der deutschen Ausgabe [Gegen die Arbeit] bzw. auf den Seiten 45–46 der amerikanischen Ausgabe [Workers against Work, University of California, 1991] Erwähnung fand. Alle Zitate sind korrekt. Sie sind leicht auffindbar in Diego Abad de Santillan’s El anarquismo y la revolución:
3.) S. 81 (deutsche Ausgabe): „[Der] ‚moderne Industrialismus nach dem Muster von Ford ist reiner Faschismus, rechtmäßiger Despotismus. In den großen rationalisierten Fabriken ist das Individuum nichts, die Maschine alles. Diejenigen unter uns, die die Freiheit lieben, sind nicht nur Feinde des staatlichen Faschismus, sondern auch des wirtschaftlichen Faschismus.’“
4.) S. 81 f. (deutsche Ausgabe): „Er bemerkte anerkennend, dass die Taylorisierung die ‚unproduktiven Bewegungen des Einzelnen’ beseitigt und ‚seine Produktivität’ gesteigert habe: …“
5.) S. 82 (deutsche Ausgabe): „‚Es ist nicht nötig, die derzeitige technische Organisation der kapitalistischen Gesellschaft zu zerstören, sondern wir müssen sie nutzen.’
6.) S. 82 (deutsche Ausgabe): „‚Die Revolution wird der Fabrik als Privateigentum ein Ende bereiten. Aber wenn die Fabrik bestehen und, unserer Meinung nach, verbessert werden muss, dann muss man wissen, wie sie funktioniert. Die Tatsache, dass sie gesellschaftliches Eigentum wird, ändert das Wesen der Produktion oder die Produktionsmethode nicht. Die Verteilung der Produktion wird sich ändern und gerechter werden.“
7.) S. 82 (deutsche Ausgabe): „er pflichtete dem alten Sprichwort bei: ‚Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen’:
8.) S. 82 (deutsche Ausgabe): „‚Wir suchen keine Freundschaften in der Fabrik. [...] Was uns vor allem in der Fabrik interessiert, ist, dass unser Arbeitskollege seinen Job versteht und ihn ausführt, ohne dass es Schwierigkeiten gibt, etwa weil er unerfahren ist oder die Funktionsweise des Ganzen nicht kennt.’“
9.) S. 83 (deutsche Ausgabe): „‚Das Heil liegt in der Arbeit und der Tag wird kommen, da die Arbeiter es wollen. Die Anarchisten, die einzige Strömung, die nicht versucht auf Kosten anderer zu leben, kämpft für diesen Tag.’“
10.) Herr H. erklärt, „an mehreren Stellen bin ich mir nicht sicher, ob Seidman richtig zitiert hat“, und behauptet, dass der Autor von Workers against Work „absolut unsorgfältig“ ist. Darüber hinaus behauptet er, Santillan’s Buch ist schwer zugänglich, und er stellt euch sein Exemplar großzügiger Weise zur Verfügung. Ich bin mehr als gewillt, ebenso großzügig zu sein und ihm (oder jedem anderen) Fotokopien meines eigenen Exemplars von Santillan’s Buch zukommen zu lassen. Sie belegen zweifelsfrei, dass seine Behauptungen meiner ‚Nachlässigkeit’ und Ungenauigkeit vollkommen unbegründet sind. Wie heißt es doch auf unserer Seite des Atlantiks, Herr H. hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber er hat kein Recht auf eigene Fakten.
11.) „Die wissenschaftliche Betriebsführung betonte, wie der Anarchosyndikalismus, die effiziente Produktion mittels der Kontrolle des Arbeitsprozesses durch Techniker. Santillán hatte den Fordismus befürwortet, den auch andere CNT-Aktivisten als „Modell“ von „weisen Lehren“ priesen.(103) In einem Brief vom 19. November 1938 nannte ein CNT-Techniker Taylor „den größten aller bekannten Organisatoren“.(104) Der Techniker dankte den Arbeitern und dem Direktor der Labora-Fabrik für ihre Zusammenarbeit. Er bedauere, dass er die Waffenschmiede verlassen müsse, sei aber zuversichtlich, dass Labora eines der bedeutendsten Unternehmen der Metallindustrie in Spanien werden würde, wenn sie den eingeschlagenen Weg weiter verfolge. Ein anderer Brief vom 23. November 1938, gerichtet an den Verwaltungsrat der CNT-Metallgewerkschaft, bestätigte: „Während meines Aufenthalts in Labora erklärte ich der Fabrikleitung den einzuschlagenden Weg, um zu bestem Ausstoß zu gelangen.“(105) Ein Artikel mit dem Titel „Selektion im Beruf“, erschienen in der Zeitung der CNT-Metallgewerkschaft, lobte die Forschungsarbeiten in der Bethlehem Steel, Taylor’s Fabrik, wo eine optimale Schaufel für Kohleschaufler entwickelt worden war und eingesetzt werde(106); die Schaufel ermögliche die optimale Nutzung der Stärke der Arbeiter. Der Artikel pries auch einen Schüler des Ingenieurs aus Philadelphia, H. Gantt, der die unnötigen Bewegungen der Arbeiter ausradiert und so die Produktivität gesteigert habe. Außerdem argumentierte der Artikel für eine sorgfältige Auswahl der Lehrlinge, da die Metallindustrie einerseits Arbeitsplätze aufweise, an denen nur rohe Kraft vonnöten sei, wohingegen andere Intelligenz erforderten. Auch die Zeitschrift der CNT-UGT-Kollektivs Marathon lobte den Taylorismus und schlussfolgerte, dass der amerikanische Ingenieur eine „wissenschaftliche Arbeitsorganisation“ erreicht habe, die für jede Aufgabe in einer Fabrik die geeignetsten Arbeiter auswähle.(107) [...]“ [Anm. des Übers.: Wiedergabe des amerikanischen Textes hier ohne Fußnoten, die allerdings im Buch aufgeführt sind und keineswegs nur Santilláns Schriften als Quelle heranziehen.]
12.) „Wesentlich hervorzuheben ist, dass der Taylorismus und andere von den Gewerkschaften eingesetzte Techniken nicht nur eine Folge der Kriegssituation waren, die eine schnelle Produktion erforderlich machte; sondern dass sie einen Teil der gewerkschaftlichen Antwort auf die soziale und wirtschaftliche Unfähigkeit der spanischen und katalanischen kapitalistischen Eliten der Vorkriegszeit bildeten. In dieser Hinsicht verfolgte die Linke weiterhin ein Projekt der industriellen Modernisierung, welches die Bourgeoisie kaum begonnen hatte. Die Gewerkschaftsaktivisten zielten auf eine Zukunft rationalisierter und entwickelter Produktivkräfte im Rahmen einer unabhängigen Volkswirtschaft. Die Grundlage des anarchosyndikalistischen Projektes war die rationalisierte, standardisierte und gar taylorisierte Fabrik, die den Fabriken der fortgeschrittenen Industrieländer bis ins Detail sehr stark ähnelte. Das Marathon-Kollektiv (früher General Motors Barcelona) baute eine Autofabrik, deren lange Gänge für Fließbänder ausgelegt waren und deren Ausmaße in etwa denen des Renault-Geländes in den Industrievororten von Paris entsprachen.“
13.) „Salvation is in work, and the day will come when workers want it [salvation]. The anarchists, the only tendency which does not seek to live at the expense of others, fight for that day.“ (S. 46 in der amerikanischen Ausgabe).
14.) AdÜ: Im Original heißt es, „accolades to work and labor“.
15.) “Nos interesa un régimen de producción y de intercambio en que no intervengan más que los productores mismos, manuales o técnicos; en que se excluya todo parasitismo”, aus: Anarquismo, S. 208. Bzw. auf Englisch: „We desire a regime of production and exchange in which only the producers themselves, wether blue- or white-collar, participate and which excludes all parasitism.“
16.) “los trabajadores … quieren que todos, salvo los ancianos, los niños y los enfermos, den su aporte al proceso de la producción”, Anarquismo, S. 288. Bzw. auf Englisch: „The workers ... want everybody – except the elderly, children, and the sick – to contribute to the productive process.“
17.) “el centro obligado de convergencia del hombre es su lugar de trabajo”, Anarquismo, S. 292. Bzw. auf Englisch: „The required meeting place of man is his place of work.“
18.) “es en el seno del mundo del trabajo, y sólo por el trabajo, donde brotará la nueva vida que todos deseamos para España y para todos los pueblos de la tierra”, Anarquismo, S. 304 Bzw. auf Englisch: „It is from the womb of the world of work and only from work that will rise the new life which we all desire for Spain and for all the peoples of the earth.“
19.) “En lugar del ciudadano, tomamos al productor como base de la nueva sociedad”, Anarquismo, S. 336. Bzw. auf Englisch: „Instead of the citizen, we take the producer as the basis of the new society.“
20.) “no habrá más que productores y aquellas categorías de consumidores que tienen derecho natural a la existencia, sin previo aporte de su fuerza de trabajo: los niños, los ancianos y los enfermos.” (Santillán, Organismo, 54) Bzw. auf Englisch: „there will only be producers and those categories of consumers that have the natural right to live: children, elders, and the sick.“
21.) “la fórmula el que quiera comer que trabaje aparece como la expresión más acabada de la justicia y de la libertad.” (Kursiv im Original, Santillán, Organismo, S. 56) Bzw. auf Englisch: „the formula ‚he who wants to eat must work’ seems to be the fairest and freest expression.“
22.) „en una economía socializada no habrá individuos improductivos; todos tendrán una tarea que realizar … Los cuatro o cinco millones de seres que hoy se desloman en la industria, en el campo, en la mina, en la pesca … verán automáticamente duplicado su número…. Si todos comen, es justo que todos trabajen“ (Santillán, Organismo, 72) Bzw. auf Englisch: “in a socialized economy there will be no unproductive individuals. Everyone will have a task … The four or five million that today break their backs in industry, agriculture, mining, and fishing … will see their numbers double. If everyone eats then it is just that everyone works.”
23.) Gegen die Arbeit, S. 94; „en un régimen de trabajo organizado, es muy difícil vivir al margen de la producción.“ Bzw. auf Englisch: “in a regime of organized production, it is very difficult to live outside of production.”
24.) Gegen die Arbeit, S. 96; „el socialismo libertario no rechazó nunca el derecho de hacer frente a los que pudieran perjudicar la vida colectiva,“ Conceptos económicos en el socialismo libertario, 99-100. Bzw. auf Englisch: “libertarian socialism has never rejected the right to combat those who damage collective life.”
25.) „la superioridad de todo régimen en donde el trabajo sea un deber y un derecho para todos“ (S. 100). Bzw. auf Englisch: “the superiority of any regime in which work is a duty and right for all.”
26.) „Pero el trabajo en la nueva economía debe ser un deber social; si no se cumple voluntariamente, por adhesión espontánea y voluntaria, se excluye uno voluntariamente de los beneficios de la comunidad productiva, igualitaria y libre“ (S. 190). Bzw. auf Englisch: “Work in the new economy must be a social duty. If someone does not complete it voluntarily or spontaneously, he will not benefit from the productive, egalitarian and free community.”
27.) „Todo ha sido creado por el trabajo, y lo que has sido usurpado a la colectividad laboriosa debe por malas mañas o por la fuerza, para llegar a la situación catastrofal en que nos encontramos, debe volver al trabajo; legítimo dueño de todo“ (S. 232, Kursiv im Original). Bzw. auf Englisch: “Everything has been created by work. All that has been taken by guile or force from the laboring collectivity, which has led to our current disastrous situation, must be returned to work, the legitimate master of everything.”
28.) „demanda fundamental: !el que no trabaja no come!“ (Kursiv im Original, S. 236). Bzw. in Englisch: “fundamental demand: who does not work shall not eat!”