Anarchosyndikalismus und soziale Kampffelder - Direkte Aktion außerhalb des Betriebs

Im Grunde verfolgen AnarchosyndikalistInnen ein einfaches Konzept: Die Aneignung der Produktion durch die Allgemeinheit und zwar von unten. Da Fabriken zumindest bei uns heute nicht mehr die Arbeits- und Lebensrealität der Mehrzahl bestimmen und die Radikalisierung von Arbeitskämpfen ohne die große Basis selten gelingt, mag dieses Konzept vielen als hoffnungslos veraltet erscheinen. Aber weit gefehlt: Auch heute, wo vielfältige, meist an speziellen Themen ausgerichtete soziale Bewegungen für gesellschaftliche Veränderung kämpfen, bieten sich anarchosyndikalistische Ansätze und Strategien an, die auf Selbstorganisierung und direkte Aktion setzen, statt sich mit der KonsumentInnenrolle zu begnügen oder auf gewählte Abgeordnete zu vertrauen.

Die direkte Aktion wird als kollektive, organisierte Kraft verstanden, die in ihrer Form ausschließlich von den Betroffenen selbst gewählt und durchgeführt wird – so kann unmittelbar und ohne Umwege in einen Prozess eingegriffen werden.Findet die direkte Aktion in syndikalistischen Gewerkschaften zwar vorrangig im Betrieb statt, kann diese – im Hinblick auf ihr gesellschaftlich-revolutionäres Ziel – noch mehr bewirken, als die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Sie kann auch außerhalb eines Betriebes eingesetzt werden.

Oft propagiert wird derzeit der neue nachhaltige Lifestyle: Es wird bio gegessen, fair gekauft und verantwortungsbewusst gehandelt. Unter dem Slogan „Green New Deal“ werden ökologische Produkte subventioniert und die Macht der KonsumentInnen wird groß geschrieben. – Doch wie effizient sind Moralappelle von NGOs und Öko-Organisationen? Die größte Gegenmacht zum kapitalistischen System haben Lohnabhängige in ihrer Rolle als ProduzentInnen von Gütern und Dienstleistungen – nicht als BürgerInnen oder KonsumentInnen.

In den 1970er Jahren wurden in Australien gewerkschaftliche Aktivität und ökologische Transformation verbunden. Die ArbeiterInnen weigerten sich, an Projekten zu arbeiten, die umweltunverträglich waren. Unter dem Stichwort „grüne Blockaden“ wurden u.a. Abrisse historischer Gebäude, die Vernichtung eines Buschlands, sowie die Umwandlung eines Botanischen Gartens in einen Autopark verhindert. 1977 sorgte ein landesweiter Streik für die Wiedereinstellung eines Zugschaffners, der gekündigt wurde, weil er gegen den Export von Uran streikte. (vgl. Zeitung „Direkte Aktion“ #191) Eine Verbindung von wirtschaftlichem Kampf (direkte Aktionen) und Öko-Bewegung kann unter dem Anspruch der Nachhaltigkeit, Schonung von Ressourcen etc., ein wirksames Vorgehen gegen die Machtstrukturen darstellen.

Aber auch Rassismus ist Teil der Herrschaftsstruktur. Ein gewerkschaftlicher Kampf kann gegen Alltagsrassismus à la “Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg” gerichtet sein und eine Veränderung im Denken hin zum Klassenbewusstsein bewirken, nach dem Motto: “Deine migrantische Nachbarin wird vom Chef genauso ausgebeutet wie Du”. Struktureller Rassismus – Unterscheidung in In- und AusländerInnen, die für weniger Sozialleistungen, weniger Lohn etc. genutzt werden – ist ein Thema, das sowohl im als auch außerhalb des Betriebs angegriffen werden muss.

In Italien, Frankreich, Griechenland und Spanien gab es 2010 einen „Tag ohne uns“, an dem MigrantInnen gestreikt haben, um auf ihre gesellschaftliche, ökonomische Bedeutung aufmerksam zu machen. Die direkte Aktion des Streiks erlaubte den Betroffenen, sich eine Stimme zu geben, um sowohl auf schlechte Arbeitsbedingung als auch auf institutionalisierten Rassismus aufmerksam zu machen.

Ein anderes Praxisbeispiel ist die Besetzung der „Bourse du travail“ 2008/09 in Paris. Viele Monate wurde für Aufenthaltsgenehmigungen von den „travailleurs sans papiers“, den illegalisierten ArbeiterInnen, gestreikt. Die UnternehmerInnen sollten dazu gezwungen werden, Aufenthaltstitel für ihre Beschäftigten durchzusetzen. An dem Arbeitskampf beteiligten sich insgesamt 6.250 lohnabhängige MigrantInnen.

Ein aktuelles Beispiel findet man im Flüchtlingsprotestmarsch quer durch Deutschland. Direkte Aktionen, wie Ungehorsam sind in Form von Übertreten der Landesgrenzen, Besetzung des Oranienplatzes und der Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin, sowie basisdemokratischen Vollversammlungen zu verzeichnen.

Ein weiterer Bereich ist die Gentrifizierung. Auch hier kann man auf den Umweg über Parteien verzichten und sich in Stadtteil- und MieterInneninitiativen selbst organisieren. 2011 rief die syndikalistische Gewerkschaft ZSP in Warschau zum Mietstreik auf. Unsoziale Wohnungspolitik trieb die Mietpreise in die Höhe und die Menschen auf die Straßen. Teilerfolge waren hier nach der Besetzung eines Büros einer Hausverwaltung zu verzeichnen, nach der viele Betroffene eine neue Unterkunft mit angemessenen Standards bekamen. Die ZSP unterstrich immer wieder, dass es wichtig sei, sich der Problematik nicht allein zu stellen, sondern kollektiv die Wohnungen zu verteidigen.

Auch wenn die angeführten Beispiele nur Teilerfolge gebracht haben oder schon etliche Jahre zurückliegen und damit zeigen, dass Kämpfe gegen soziale Missstände nicht zur Alltagspraxis gehören, beweisen sie dennoch, dass mithilfe von syndikalistischen Mitteln andere soziale Kämpfe geführt werden können.

Direkte ökonomische Aktionen sind weitaus effizienter als KonsumentInnenmacht oder Parlamentarismus. Durch einen erfolgreich geführten Arbeitskampf wird das Selbstbewusstsein der AktivistInnen gestärkt, der Blick für Ungerechtigkeiten geschärft und Solidarität gefördert.

Geht man davon aus, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse vor allen Dingen durch die Produktionsverhältnisse bestimmt werden, ist es nur logisch, ökonomischen und politischen Kampf nicht voneinander zu trennen. Um grundlegende gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen, wird genau das im Anarchosyndikalismus versucht.

Originaltext: Schwarzes Kleeblatt Nr. 13 (März / April 2013), PDF, bearbeitet von www.anarchismus.at


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