Wie sich der Reformismus in die "spannenden Jobs" vieler Linker schleicht

Wo stehst du, wenn es knallt? Die Antwort liegt in der eigenen kämpferischen Praxis. Denn ob Linke Katalysator für die Revolte sind oder nur die zukünftige Innovationselite für das Kapital, ist keine Frage der Theorie. Das klingt zwar hart, verdeutlicht aber auch die Lücke zwischen dem Anspruch der radikalen Linken und der realen Teilnahme an stattfindenden Kämpfen. Entgegen der Behauptung vieler Linker gibt es die befriedeten Arbeitsplätze gar nicht, an denen Kolleg*innen nicht tagtäglich von ihren Chef*innen drangsaliert werden. Selbst die Jobs, in denen die gut ausgebildete Mittelschicht arbeitet, sind von Konflikten geprägt. Diese werden jedoch oft als individuelles Fehlverhalten verhandelt. Dieser Umstand taucht in der Debatte zu selten auf. Er offenbart sich nämlich erst, wenn man mittendrin steckt oder sich aufmerksam mit Kolleg*innen unterhält. Daher unsere Devise: Organize!

Als radikale Linke geht es darum, den langfristigen Traum von Verhältnissen ohne Herrschaft zu verwirklichen - ohne Lohnsystem, Patriarchat und Rassismus, um nur einige Formen zu nennen. Eine der Stufen dorthin, auf der wir uns in der BRD jedoch kaum befinden, ist die der Revolte. Ohne Revolte keine Revolution. Damit kleine Kämpfe aber überhaupt zu Revolten werden - das zeigt die Geschichte - bedarf es zumindest einiger »Umgrabearbeiten«, damit sich diese ausbreiten bzw. verallgemeinern können.

Wo stehst du im Konfliktfall?

Wenn also in der Debatte viele Autor*innen darüber schreiben, wie viel politische (Selbst-)Verwirklichung nun in der eigenen Lohnarbeit steckt bzw. stecken kann, wird sich das Terrain über eine relativ privilegierte Position im (Produktions-)Prozess erschlossen. Die Frage aber ist vielmehr: Nützt mein Job bzw. mein Verhältnis in diesem Job einer potenziellen Revolte oder nicht? Dies ist eine Frage der Praxis und erst an zweiter Stelle eine der theoretischen Verortung. Ein Beispiel: Wenn ich als radikale_r Linke_r in einer Position als Teamleitung bei einem sozialen Träger arbeite und einige Kolleg*innen unter mir gegen mich aufbegehren, da ich die Sachzwänge der Geschäftsleitung durchsetzen muss, bin ich ziemlich schnell an einem Punkt, an dem mir keine Theorie hilft. Ich muss mich in diesem Konflikt positionieren. Mich für die Seite der Kolleg*innen zu entscheiden, führt in der Regel dazu, dass ich meine bisherige Stellung verliere. Das heißt: als Genoss*in kann ich vom einen auf den anderen Moment in der konkreten Auseinandersetzung zur Gegner*in im Kampf werden.

Genoss*innen, die im DGB-Apparat arbeiten, stehen oftmals genau vor diesem Problem: Soll ich den eigenen unbefristeten, gut bezahlten Job als Funktionär_in für diesen einen Konflikt aufgeben? Das ist der Moment, an dem viele anfangen, sich die eigene Position zurecht zu lügen. Ist die Lohnerhöhung von 50 Cent nicht doch ein Fortschritt? Sind die Kolleg*innen nicht zu ungeduldig, zu »maßlos«? Da schleicht sie sich an, die gute alte Tante Sozialdemokratie und zieht mich nach rechts. Diese Position ist der größte Gegner der Spontaneität und autonomer Klassenbewegungen. Auch Lenin würde sich freuen: Die »Kinderkrankheit« wird so nämlich »geheilt«.

Mittendrin statt nur dabei

Die radikale Linke ist mindestens seit den späten 1980er Jahren nicht mehr flächendeckend in der Betriebsarbeit aktiv. Das hat unter anderem mit gescheiterten Versuchen zu tun, viel mehr jedoch mit theoretischen Fehlern. Kolleg*innen wissen in der Regel nämlich sehr genau, wie nervig Lohnarbeit ist und dass nur ihre Arbeit die Welt am Laufen hält. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass die Frage nach den sogenannten sozialen Kämpfen und der eigenen Lohnarbeit immer auf der Folie der Gewerkschaftsarbeit des DGB stattfindet. Doch dann bleibt sie ökonomistisch und im Rahmen der Verhältnisse: Es geht nur um unmittelbare Interessenvertretung als Lohnabhängige. Die wichtigste Frage der radikalen Linken, nämlich wie geht gesellschaftliche mit individueller Veränderung zusammen, spielt dann keine Rolle mehr. Mit so einer Analyse und Strategie geht es auch gar nicht. Dass sich Linksradikale das Ganze doch schönreden, hat sowohl etwas mit dem eigenen Klassenbewusstsein als Akademiker_in zu tun als auch mit der Überschätzung der eigenen Handlungsmacht: »Wenn ich das nur richtig reflektiere, passiert mir das auf keinen Fall!« Die eigene Anpassung an den Apparat geschieht jedoch nicht durch das plötzliche Umlegen eines Schalters, sondern langsam durch die tägliche Praxis. Darüber hinaus sei angemerkt, dass ich nur als Akademiker_in zwischen einer Vielzahl von »spannenden« Jobs wählen kann.

Das Ganze lässt sich auch besser machen. Die bisherigen Beiträge in ak thematisierten zuallererst den Inhalt der Lohnarbeit. Wir behaupten jedoch, dass die Arbeitsbedingungen so wirkungsvoll sind, dass der Arbeitsinhalt - vor allem in akademischen Berufen - so von ihnen überformt ist, dass auf rein inhaltlicher Ebene kaum etwas zu holen ist. Auch in unserem Bekanntenkreis sind viele, die sehr genau wissen, wie man Bündnistreffen und Kampagnen organisiert. Was die wenigsten jedoch wissen: Wie verändere ich kollektiv mit meinen Kolleg*innen unsere Arbeitsbedingungen? Auch diejenigen, die beim Lieblingsstandortverwalter und -arbeitgeber der deutschen Linken, dem DGB, einen Job gefunden haben, kennen das nur aus der Perspektive derjenigen, die andere »aktivieren« sollen. Hier liegt der Fehler bereits in der Ausgangslage: Es geht doch um gesellschaftliche Veränderung für uns selbst, zusammen mit anderen!

Traue niemandem, der dafür bezahlt wird

Wir sind beide mit dem Konzept des solidarischen Unionismus aktiv. Es geht darum, sich gemeinsam mit und aufbauend auf der Solidarität unter den Kolleg*innen im Hier und Jetzt die Arbeitsbedingungen so angenehm wie möglich zu gestalten, um langfristig die Kontrolle über die Betriebe zu erhalten. Wenn das an vielen Arbeitsstellen gelingt, hat man zumindest die Produktionssphäre in linker Hand - und das mit Aktivist*innen, die gelernt haben, bedürfnisorientiert zu planen, zu handeln und dies gemeinsam umzusetzen. Die Aktionsformen sind immer direkte Aktionen, um sowohl unberechenbar für die Chef*innen zu sein, Verbesserungen unmittelbar zu erwirken und dabei zu lernen, sich gegen Autoritäten durchzusetzen. Das ist der Veränderungsprozess, den wir für eine befreite Gesellschaft brauchen!

Beispiel: Vor ein paar Monaten führten Kolleg*innen in Paderborn eine Aktion durch, um die Übernahme einer Kollegin zu erreichen. Sie einigten sich darauf, Buttons mit dem Namen der Kollegin zu tragen, und verweigerten den Verzehr eines Kuchens, den die Geschäftsleitung auf einer Teamsitzung austeilte. Unter anderem deshalb wurde die Kollegin übernommen und ist noch heute im Betrieb. Diese Aktion war weit mehr als nur ein symbolischer Akt: Sie zeigt, dass mit ein bisschen Absprache der tägliche individuelle Widerstand am Arbeitsplatz noch wirkungsvoller ist. Die Chef*innen spürten es deutlich: Das war ein ungeahnter Kontrollverlust.

Um sich dieser eigenen Macht auch zu bedienen, braucht es den Austausch über Erfahrungen, Fantasie und ein wenig Handwerkszeug für solche Aktionen. Denn im Betrieb geht es nur um eines: Macht. Da ist auch die Praxis der hauptamtlichen DGB-Organizer*innen zahnlos wie ein Papiertiger. Denn zwischen geschriebenem Gesetz und der Betriebsrealität liegen oft genug Welten. Machen wir uns nichts vor: Solange es Lohnarbeit gibt, solange gibt es auch Probleme am Arbeitsplatz, befriedete Betriebe existieren nicht. Da hilft nur: Bildung, Organisation, Emanzipation. Dann klappt's auch mit der Revolte.

Frieda Heumann und Mark Richter sind aktiv in den IWW-Ortsgruppen Berlin und Frankfurt am Main

Originaltext: http://www.wobblies.de/85-debattenbeitrag-von-iww-organizer-innen-in-der-analyse-kritik-zum-verhaeltnis-von-linkem-aktivismus-und-eigener-berufstaetigkeit


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