Elizabeth Gurley Flynn - Sabotage (1915)
In den Vereinigten Staaten hat sich in der letzten Zeit infolge des Prozesses gegen Frederic Sumner Boyd (1) – einem Nachspiel des Paterson Streiks - das Interesse an Sabotage verstärkt. Vor seiner Festnahme und Verurteilung aufgrund seines Eintretens für Sabotage war in den USA wenig oder gar nichts über diese besondere Form der Taktik im Arbeitskampf bekannt. Jetzt hat sich eine doppelte Notwendigkeit ergeben, für Sabotage einzutreten: nicht nur zur Klärung, was sie für die Arbeiter in ihrem Kampf für bessere Arbeitsbedingungen bedeutet, sondern auch zur Unterstützung unseres Kollegen Boyd in allem, was er gesagt hat.
Ich möchte also hauptsächlich Sabotage in ihrer zweifachen Bedeutung erklären, erstens in Bezug auf ihre Brauchbarkeit und zweitens in Bezug auf ihre Notwendigkeit im Klassenkampf, das heißt, ihre Legalität. Ich werde nicht versuchen, Sabotage auf moralischer Grundlage zu rechtfertigen. Wenn die Arbeiter Sabotage als notwendig betrachten, dann ist sie allein dadurch auch moralisch gerechtfertigt. Ihre Notwendigkeit ist ihre Daseinsberechtigung, und für uns wäre es absurd, die moralische Rechtfertigung der Sabotage ebenso wie die des Streiks oder die des Klassenkampfs zu diskutieren. Das Verständnis oder gar die Befürwortung von Sabotage setzt voraus, das Konzept des Klassenkampfs zu akzeptieren. Wenn du glaubst, es herrsche Friede zwischen den Arbeitern auf der einen Seite und den Unternehmern auf der anderen, wenn du glaubst, es existiere da brüderliche Harmonie und was auch immer an Streiks und Aussperrungen vorkomme, sei einfaches Familiengezänk, wenn du glaubst, dass ein Punkt erreicht werden kann, an dem beide, der Unternehmer und der Arbeiter, genug bekommen, ein Punkt freundschaftlichen Ausgleichs in den industriellen Kämpfen und in der Verteilung der Güter - dann gibt es keine einleuchtende Rechtfertigung oder Erklärung für Sabotage.
Sabotage ist eine Waffe im Arsenal der Arbeiter, um im Klassenkampf zu bestehen. Die Arbeiter verstehen mit zunehmender Erfahrung, dass sie Macht haben müssen, um überhaupt irgendetwas zu erreichen. Weder Appelle an das Mitleid noch an abstrakte Gerechtigkeit werden bessere Bedingungen schaffen. Nehmen wir zum Beispiel eine industrielle Einrichtung wie die Seidenspinnerei, wo Männer, Frauen und kleine Kinder zehn Stunden am Tag für einen Durchschnittslohn von sechs bis sieben Dollar pro Woche arbeiten. Könnte irgendeiner von ihnen oder ein Komitee, das alle vertritt, darauf hoffen, den Unternehmer zur Schaffung besserer Arbeitsbedingungen zu bewegen, indem man an sein Mitleid appelliert? Oder indem man ihm von dem Elend, der Mühsal und Armseligkeit ihres Lebens erzählt? Nehmen wir an, ein einzelner Arbeiter oder eine Arbeiterin ginge zum Unternehmer und sagte: »Ich produziere in meiner Eigenschaft als Lohnarbeiter in dieser Fabrik soundso viele Dollar Wert an Gütern jeden Tag, und die Gerechtigkeit verlangt, dass Sie mir mindestens die Hälfte davon geben.« Der Unternehmer würde denjenigen wahrscheinlich ins nächste Irrenhaus abtransportieren lassen. Er würde ihn für einen gefährlichen Kriminellen halten, den man nicht auf die Gemeinschaft loslassen darf. Weder Mitleid noch Gerechtigkeit beeindrucken den Unternehmer. Lediglich Macht.
Angenommen, ein Komitee kann mit folgendem Ultimatum zu ihm gehen: »Wir vertreten alle Männer und Frauen in diesem Betrieb. Sie sind in einer Gewerkschaft organisiert, so wie Sie in einem Unternehmerverband organisiert sind. Sie haben sich in dieser Gewerkschaft zusammengefunden, haben Forderungen nach besseren Arbeitszeiten und Löhnen formuliert, und sie werden nicht einen Tag länger arbeiten, bis diese Forderungen erfüllt worden sind. Mit anderen Worten, sie haben ihre Kraft als Produzenten des Reichtums aus Ihrem Werk zurückgezogen und werden Sie damit zwingen, auf ihre Forderungen einzugehen«, wenn ein derartiges Ultimatum einem Unternehmer vorgelegt wird, erhält man gewöhnlich eine völlig andere Antwort. Und wenn die Gewerkschaft stark genug ist, die Drohung wahr zumachen, dann können sie in der Regel durchsetzen, was Tränen und Bitten sonst nie erreicht hätten.
Wir glauben, dass der in der Gesellschaft existierende Klassenkampf sich in der ökonomischen Macht des Fabrikherrn auf der einen Seite und der wachsenden ökonomischen Kraft der Arbeiter auf der anderen Seite manifestiert. Hin und wieder treffen sie in offenem Gefecht aufeinander, Tag für Tag jedoch stehen sie im Konflikt um den Anteil der Arbeitsprodukte und um den endgültigen Besitz der Produktionsmittel. Der Unternehmer will lange Arbeitszeiten, der intelligente Arbeiter kurze. Der Unternehmer will niedrige Löhne, der intelligente Arbeiter hohe. Der Unternehmer kümmert sich nicht um sanitäre Bedingungen in der Spinnerei, er ist nur daran interessiert, die Produktionskosten niedrig zu halten. Der intelligente Arbeiter ist daran interessiert - Kosten hin, Kosten her -, sanitäre Einrichtungen, Belüftung und Beleuchtung zu haben, die zu seinem körperlichen Wohlbefinden beitragen.
Sabotage ist im Klassenkampf, was die Guerilla im Krieg ist. Der Streik ist die offene Schlacht, die Sabotage der Guerillakrieg, der alltägliche Krieg zwischen zwei gegnerischen Klassen.
Allgemeine Formen der Sabotage
Die Sabotage wurde 1897 von der Allgemeinen Arbeiterföderation Frankreichs zur bewährten Waffe ihrer Arbeitskampfmethoden deklariert. Aber Sabotage existierte als instinktive Verteidigung schon lange, bevor sie jemals offiziell von einer Arbeiterorganisation anerkannt worden war. Sabotage bedeutet in erster Linie: Entzug der Arbeitsleistung. Das heißt, die kapitalistische Produktion entweder zu verlangsamen und so die Quantität zu beeinflussen, die Qualität durch Pfusch zu verschlechtern oder schlechten Dienst zu leisten. Sabotage ist nicht die Anwendung physischer Gewalt, sondern dem industriellen Prozess immanent. Sie wird innerhalb der vier Wände der Fabrik ausgefochten. Die drei Formen von Sabotage - die Herabsetzung der Qualität, der Quantität und die schlechte Dienstleistung - sind darauf gerichtet, die Profite des Eigentümers zu mindern. Dadurch wird der Unternehmer gezwungen, bestimmte Bedingungen einzuräumen - genauso wie der Arbeitsstreik ihn dazu zwingt. Sabotage ist nur eine andere Form von Druck.
Es gibt viele Möglichkeiten, auf Effizienz zu zielen oder auf die Quantität und die Qualität der Produktion, auch aus unterschiedlichen Beweggründen - es gibt die Sabotage der Unternehmer, genauso wie es die der Arbeiter gibt. Unternehmer manipulieren die Qualität und die Quantität der Produktion, sie manipulieren das Angebot genauso wie die Art der Waren zu dem Zweck, ihre Profite zu steigern. Aber diese Form von Sabotage, Sabotage der Kapitalisten, ist antisozial, weil sie auf den Vorteil von wenigen auf Kosten von vielen gerichtet ist. Die Sabotage der Arbeiterklasse ist das genaue Gegenteil. Sie zielt direkt auf den Boss und auf seine Profite - im Bewusstsein, dass diese sein solar plexus sind, das heißt, sein Herz, seine Religion, seine Gefühle, sein Patriotismus. Alles dreht sich um seine Brieftasche, und wenn du die triffst, dann hast du ihn an der empfindlichsten Stelle seines ganzen moralischen und ökonomischen Systems getroffen. Immer hübsch langsam - »ca canny«.
Sabotage als Angriff auf die Produktionsmenge ist etwas Uraltes, von den Schotten »ca canny« genannt. Alle intelligenten Arbeiter haben sie immer wieder aufgegriffen, wenn man sie zu zu harter und zu langer Arbeit zwang. Die schottischen Hafenarbeiter führten 1889 einen Streik durch, den sie verloren. Aber sie schickten, als sie zur Arbeit zurückkehrten, jedem Hafenarbeiter in Schottland ein Zirkular, das ihre Erfahrungen und Schlüsse aus der bitteren Niederlage enthielt: »Unternehmer mögen Streikbrecher, sie haben deren Arbeit immer aufs höchste gelobt, haben gesagt, wie weit sie über uns stünden, sie haben ihnen doppelt soviel gezahlt, als sie uns jemals gaben. Lasst uns jetzt zurück zu den Docks gehen, entschlossen, das gleiche zu tun wie diese Arbeiter, die sie so mögen und deren Art von Arbeit sie so fördern. Wir werden die Weinfässer über die Kais gehen lassen, wie es die Streikbrecher taten. Wir werden große Kisten mit zerbrechlichen Gegenständen auf die Kais fallen lassen, wie es die Streikbrecher taten. Wir werden die Arbeit genauso ungeschickt, langsam und destruktiv machen wie die Streikbrecher, und wir werden sehen, wie lange unsere Unternehmer diese Art von Arbeit ertragen können.« Es dauerte nur wenige Monate, bis sie durch dieses Prinzip der Sabotage all das errungen hatten, wofür sie mit ihrem Streik vergeblich gekämpft hatten.
Es war dies die erste offene Ankündigung von Sabotage in einem englischsprachigen Land. Ich habe meinen Großvater erzählen gehört, wie einer seiner Kumpel zur Eisenbahn kam, um da zu arbeiten, und der Boss fragte: »Was kannst du denn?« »Ich kann fast alles«, antwortete er, ein großer, kräftiger Kerl. »Na gut, kannst du mit Hacke und Schaufel umgehen?« fragte der Boss. »Klar, wie viel zahlen Sie für diesen Job?« »Einen Dollar am Tag.« »Ist das alles? Na gut, ich brauch den Job ziemlich dringend. Ich denke, ich nehm ihn.« Also nahm er seine Hacke und ging gemächlich an die Arbeit. Schon bald kam der Boss vorbei und fragte: »Sag mal, kannst du nicht schneller arbeiten?« »Sicher kann ich das.« »Also, warum tust du es nicht?« »Dies ist mein Ein-Dollar-den-Tag-Tempo.« »Na ja, dann lass mal sehen, wie dein $ 1,25-den-Tag-Tempo aussieht«, sagte der Boss. Das lief ein bisschen besser. Darauf der Boss: »Lass mal sehen, wie dein $ 1,50-den-Tag-Tempo aussieht.« Der Mann zeigte es ihm. »Das war in Ordnung, vielleicht machen wir einsfuffzig draus.« Der Mann rückte bereitwillig mit der Information heraus, dass sein Zwei-Dollar-den-Tag-Tempo »ein Knüller« sei. Durch solch instinktive Form der Sabotage erreichte dieser arme, unscheinbare Eisenbahnarbeiter in Maine eine Lohnsteigerung von 100 Prozent.
Man liest von italienischen Arbeitskolonnen, was sie tun, wenn der Boss ihnen den Lohn kürzt. Gewöhnlich haben sie einen irischen oder amerikanischen Chef, der natürlich gern ein paar Dollar in seine eigene Tasche steckt und den Männern infolgedessen von Zeit zu Zeit den Lohn kürzt, ohne den Unternehmer zu fragen, und die Differenz einstreicht. So strich ihnen ein Boss 25 Cent den Tag. Den nächsten Tag kam er auf die Arbeitsstelle und stellte dort fest, dass wesentlich weniger Schutt entfernt worden war als erwartet. Er fragte herum: »Was ist los?« »Ich nicht verstehen Englisch« - keiner von ihnen wünschte, was zu sagen. Er brachte also den Tag damit rum, eine Person zu finden, die Englisch sprechen und ihm mitteilen konnte, was los sei. Schließlich fand er einen Mann, der sagte: »Ja, sieh mal, Boss, du den Lohn kürzen, wir Arbeit kürzen.« Das war die gleiche Form der Sabotage - Verminderung der Produktionsmenge im Verhältnis zur Lohnhöhe.
Da war zum Beispiel ein indianischer Prediger, der das College besuchte und sich kümmerlich mit Predigten durchschlug. Jemand fragte ihn: »John, wie viel kriegst du bezahlt?« »Krieg nur 200 Dollar im Jahr.« »Mensch, das ist eine verdammt armselige Bezahlung, John.« »Naja, ist auch 'ne verdammt armselige Predigt!«
Das ist eine weitere Illustration der ca canny-Form mit dem Wahlspruch »Immer mit der Ruhe«, die »Mach halblang, überarbeite dich nicht«-Sorte. Sie stellt eine Umkehrung des Mottos der American Federation of Labor (AFL) dar, dieser »sichersten, gesündesten und konservativsten« Arbeiterorganisation in Amerika. Während sie an »einen fairen Lohn für eine faire Arbeitsleistung« glaubt, ist Sabotage eine unfaire Arbeitsleistung für einen unfairen Lohn. Sie ist ein Versuch von selten der Arbeiter, ihre Produktion auf das Maß der Entlohnung herunter zuschrauben.
Der Angriff auf die Qualität der Waren
Die zweite Form der Sabotage ist der überlegte Angriff auf die Qualität der Waren. Auch in dieser Hinsicht können wir von den Unternehmern lernen. Wie man weiß, werden jedes Jahr im Westen der Vereinigten Staaten Früchte und Getreide produziert, die nie auf den Markt kommen: Bananen und Orangen verrotten am Boden, ganze Bootsladungen von Obst werden ins Meer geschüttet. Nicht weil die Menschen in den großen Städten im Osten diese Lebensmittel nicht brauchen könnten, sondern weil die besitzende Klasse es vorzieht, einen Großteil dieser Produktion zu vernichten, um in den Großstädten wie New York, Chicago, Baltimore und Boston die Preise hoch zuhalten. Wenn sie alle Bananen, die produziert werden, in den Osten der Vereinigten Staaten schicken würden, könnten wir wahrscheinlich drei Stück für einen Cent kaufen. Durch die Vernichtung einer großen Menge können sie den Preis aber bei zwei bis fünf Cent halten. Das gleiche gilt für Kartoffeln, Äpfel und viele andere Grundnahrungsmittel. Wenn nun aber die Arbeiter versuchen, das gleiche Prinzip anzuwenden, die gleiche Theorie, die gleiche Taktik wie die Unternehmer, werden uns alle möglichen ausgefeilten moralischen Einwände entgegengehalten.
Boyds Ratschläge an die Lohnsklaven in den Seidenspinnereien
Nehmen wir den Fall von Frederic Sumner Boyd, der für uns alle von größter Bedeutung sein sollte, weil Boyd von der Regierung von New Jersey offensichtlich zum Sündenbock gemacht werden soll. Sie wollen einfach Blut sehen, sie brauchen ein Opfer. Falls sie sonst niemanden kriegen können, wollen sie auf jeden Fall Boyd. Sie brauchen ihn aus zwei Gründen: um die Arbeiter von Paterson einzuschüchtern - was sie glauben fertigzukriegen - und um diese Sache, Sabotage, zu illegalisieren. Ausübung und Anstiftung sollen strafbar werden. Boyd sagte: »Wenn Ihr zurück an die Arbeit geht und Streikbrecher an Eurer Seite findet, solltet Ihr ein bisschen Essig auf den Webekamm schütten, um ihn funktionsunfähig zu machen.« Aufgrund des Paragraphen, der die Anstiftung zur Zerstörung von Eigentum verbietet, haben sie ihn verhaftet. Boyd hatte den Färbern geraten, in die Färbereien zurückzugehen und bestimmte Chemikalien beim Einfärben der Seide zu benutzen, die diese Seide zum Weben unbrauchbar machen. Das klang in den Zeitungen und auch im Gerichtssaal ziemlich schrecklich. Aber was weder die Zeitungen noch die Gerichte zur Kenntnis genommen haben, ist, dass diese Chemikalien beim Färben der Seide schon im Gebrauch sind. Es ist nichts Neues, was Boyd vorgeschlagen hat, sondern etwas, das in jeder Färberei in Paterson schon angewendet wird, allerdings im Sinne der Unternehmer und nicht im Sinne der Arbeiter.
Das »Aufblasen« der Seide
Ich möchte eine treffende Illustration geben für das, was ich meine: Wenn vor 75 Jahren Seidenstoff gewebt wurde, dann wurden die Seidenfäden ohne Zusätze gefärbt und gewoben, und wenn das Seidentuch fertig war, hielt es 50 Jahre. Deine Großmutter konnte es als Brautkleid tragen, Deine Mutter konnte es als Brautkleid tragen und, falls Du, Leserin, glücklicherweise die Gelegenheit hast zu heiraten, könntest Du es ebenfalls noch tragen. Aber der Stoff, den man heute kauft, ist chemisch gefärbt und schlecht verarbeitet. Ein Pfund Seide kommt in die Färberei hinein, und gewöhnlich gehen drei bis fünfzehn Pfund wieder heraus. Beim Färben findet nämlich jener zusätzliche und überflüssige Prozess statt, den man bildhaft »Aufblasen« nennt. Das Gewicht der Seide wird vergrößert. Dazu nehmen die Fabrikanten Lösungen aus Zink, Zinn und Blei. Wenn Ihr die Zeitschriften des Seidenspinnerverbandes lest, fändet ihr dort Ratschläge an die Färbemeister, welche Salze für diese Zwecke am geeignetsten sind. Wenn man heute ein schönes Stück Seide kauft und davon ein Kleid für festliche Anlässe machen lässt, es im Kleiderschrank aufhängt und später beim Rausnehmen merkt, dass es an den Nähten, in der Taille und am Ärmel gerissen ist, dann glaubt man, vom Verkäufer furchtbar reingelegt worden zu sein. Was wirklich nicht in Ordnung ist, ist, dass man für Seide bezahlt hat, aber alte Blechdosen, Zink, Blei und Dinge dieser Art bekommen hat. Man hat ein Kleid, das mit Seide garniert ist, das mit Seide gewürzt ist, aber ansonsten bis zu einem Punkt verschlechtert, wo es bei jeder weiteren Verschlechterung völlig auseinander fallen würde. Was Frederic Sumner Boyd den Arbeitern nun empfohlen hat, war im wesentlichen folgendes: »Macht für Euch, was Ihr auch schon für den Unternehmer macht. Tut für Eure Zwecke dasselbe Zeug in die Seide, das Ihr auch für die Zwecke der Unternehmer hinein tut.« Ich kann nicht nachvollziehen - auch nicht vor Gericht - wie die feine Trennungslinie gezogen werden kann, die die Sabotage der Färbemeister legalisiert und die der Arbeiter illegalisiert, wenn beide auf die gleiche Art und Weise vorgehen. Die Seide bleibt erhalten, der Webstuhl bleibt erhalten, das Eigentum wird nicht zerstört. Die einzige Sache, die ausgeschaltet wird, ist die Effizienz des Arbeiters, die darin besteht, die Verschlechterung der Seide zu verdecken beziehungsweise sie nur bis zu dem Punkt zu betreiben, wo der Stoff gerade noch verkaufbar ist. Diese besondere Leistung wird verweigert.
Der Schleier, der über der Produktion in den Färbereien und Webereien liegt, wird weggerissen, und der Arbeiter sagt einfach: »Ich halt' da meine Hände raus und zeige, was hier geschieht. Ich zeige Euch, wie verdorben, wie vollkommen unbrauchbar diese Seide wirklich ist, die sie für zwei bis drei Dollar pro Meter absetzen.«
Unterlassene und übertriebene Verschlechterung
In dieser Hinsicht war Boyds Form von Sabotage nicht einmal die gefährlichste. Wenn die Richter etwas Phantasie hätten, wüssten sie, dass Boyds Sabotageform ziemlich harmlos war. Angenommen, er hätte zu den Färbern in Paterson, zu einer ausreichenden Zahl von ihnen, gesagt: »Anstatt diese Chemikalien zur Verschlechterung hinzuzufügen, lasst sie ganz weg. Nehmt Blei, Zink und Zinn und schmeißt es in den Abfluss. Webt die Seide, so wie sie ist, eine schöne, reine und haltbare Seide. Färbt sie Mund für Pfund, Hunderte von Pfunden.« Die Unternehmer wären durch so eine Form von Sabotage mehr getroffen als durch die, die Boyd vorschlug. Sie hätten ihn wahrscheinlich lebenslänglich ins Gefängnis stecken wollen, anstatt für sieben Jahre. Mit anderen Worten, die Anregung zur Unterlassung von Verschlechterungen ist für die kapitalistischen Interessen weitaus gefährlicher als die Aufforderung zur Qualitätsminderung.
Die Unterlassung von Verschlechterungen ist also die höchst entwickelte Form der Sabotage in Einrichtungen wie den Färbereien von Paterson, in Bäckereien, Konditoreien, Konservenfabriken, Restaurants usw. Den Angriff auf die Qualität, Haltbarkeit oder Nützlichkeit eines Produkts könnte man folgendermaßen veranschaulichen: Angenommen, ein Milchmann kommt jeden Tag ans Haus und liefert einen Liter Milch. Diese Milch besteht zur Hälfte aus Wasser, dem Kreide und Leim zum Andicken beigemischt wurde. Nun macht ein Milchmann diese Runde, der in der Gewerkschaft ist. Die Gewerkschaft streikt, aber sie kann keine besseren Arbeitsbedingungen durchsetzen. Dann drehen sie die Wasserhähne auf und lassen sie laufen, bis die Mischung zu Vierfünftel aus Wasser und einem Fünftel aus Milch besteht. Jeder würde diese »Milch« zurückschicken und sich beschweren. Durch diesen einmaligen Schlag gegen die Interessen der Verbraucher könnten die Gewerkschaftsmitglieder für sich selbst bessere Bedingungen erreichen und die Unternehmer zwingen, ein reines Produkt anzubieten. Diese Form der Sabotage ist für den Verbraucher eindeutig vorteilhaft.
Angriffe auf die Qualität findet man beispielsweise in den Küchen von Hotels und Restaurants. Ich erinnere mich, dass man während des Hotelarbeiterstreiks von großen Suppenkesseln berichtete, die Monat für Monat rumstanden, ohne jemals gereinigt zu werden. Sie waren mit Grünspan überzogen und von verschiedenen Formen von Kleingetier befallen. Sehr oft fiel eine Maus oder eine Ratte in die Suppe, wurde heraus gefischt und zur Seite geworfen; die Suppe wurde weiterverwendet. Könnte man da nicht sagen, dass der Gast oder Kunde besser dran wäre, wenn die Arbeiter in diesen Restaurants, um ihre Chefs zu treffen, ein halbes Pfund Salz in diesen Suppenkessel schütten würden? Es wäre weitaus besser, eine solche Suppe ungenießbar zu machen, als sie in einem Zustand zu belassen, wo sie verzehrt werden kann, aber auf die Dauer mehr oder weniger giftig ist. Die Sabotage von Dienstleistungen: Angriff durch ein »offenes Wort«.
Dienstleistungen können ebenso gut wie die Warenqualität Ziel des Angriffs sein. In Europa bedient man sich dazu der sogenannten »Sabotage durch ein offenes Wort«; zum Beispiel in der Hotel- und Restaurantindustrie. Ich frage mich, ob der Richter, der Boyd zu sieben Jahren Gefängnis verurteilte, sich eine derartige Sabotageform vorstellen könnte. Angenommen, er ginge in ein Restaurant, bestellte Hummersalat und fragte den geschniegelten Kellner: »Ist der Hummersalat gut?« »Oh ja, Sir«, würde der Kellner antworten, »es ist der beste in der Stadt.« Das hieße für ihn, den guten Lohnsklaven zu spielen und sich der Interessen des Unternehmers anzunehmen. Wenn der Kellner aber sagen würde, »Nein Sir, das ist ein verdammt schlechter Hummersalat. Er ist aus den Stücken gemacht, die hier in den letzten sechs Wochen übrig blieben«, so gehörte er zu denen, die an Sabotage glauben, die keinen Pfifferling darauf geben, ob ihr Boss Hummersalat verkauft oder nicht.
Die Kellner in New York zählten nur an die 5000. Davon waren vielleicht tausend militant, das heißt von der Art, auf die man sich bei einem Streik verlassen kann. Trotzdem machte dieser kleine Streik mehr Aufsehen in New York als die 200.000 Textilarbeiter, die zur gleichen Zeit im Ausstand waren. Sie konnten ihre Forderungen nicht durchsetzen, weil sie eben zu wenige waren, zeigten aber den Unternehmern nachdrücklich ihre Macht, ihre Geschäfte zu schädigen. Sie setzten zum Beispiel eidesstattliche Erklärungen auf, in denen sie über die Zustände in den Küchen und Speisekammern jedes Hotels und jedes Restaurants in New York informierten. Sie deckten Geschichten auf, die dir den Magen umdrehen würden und das Haar weiß werden ließen über die Zustände im Waldorf, im Astor, im Belmont, in allen großen Restaurants und Hotels von New York. Das war meiner Meinung nach einer der wirkungsvollsten Wege, die Öffentlichkeit zu erreichen, denn diese »geschätzte Öffentlichkeit« wird durch Mitleidsappelle niemals erreicht.
So nahm mich zum Beispiel eine Dame einmal mit zu einem der aristokratischen Frauen-Clubs der Westside, wo die Frauen nichts besseres zu tun haben, als diese Clubs zu organisieren, die wohlbekannte »Weiße-Handschuh-Aristokratie«. Ich wurde gebeten, über den Hotelarbeiterstreik zu sprechen, aber ich wusste, dass es keineswegs das war, was sie wollten. Sie wollten einfach sehen, was für eine Art Mensch ein »Arbeiteragitator« ist. Trotzdem sah ich eine Chance, für die Streikenden zu werben. Ich erzählte ihnen also von den langen Arbeitszeiten in der heißen Küche, von dampfenden, rauchenden Herden, von Überstunden und Unterbezahlung bei den Kellnern. Ich erzählte ihnen, wie abhängig diese Kellner vom Trinkgeld sind, das ihnen einige großzügige oder betrunkene Gäste zukommen ließen und vieles mehr. Ihre Gesichter blieben steinern. Es bewegte sie so, wie ein Pfeil den Felsen von Gibraltar bewegt hätte. Aber dann begann ich, ihnen zu berichten, was ich von den Kellnern und Köchen über die Zustände in den Küchen gehört hatte. Sofort bemerkte ich einen Ausdruck von kaltem Schrecken in ihren Gesichtern. Kaum ging es um etwas, was ihren eigenen Bäuche berührte, weckte ich ein Interesse, das ich durch einen Appell für humanitäre Zwecke nie geweckt hätte. Sie begannen sofort, Resolutionen zu unterzeichnen und Buchungen in den großen Hotels zu streichen. Sie beschlossen, sich mit ihrem Club dort nicht mehr zu treffen. Sie erzeugten so einiges Aufsehen in großen Hotels New Yorks. Als die Arbeiter ihre Arbeit wieder aufnahmen, hatten sie begriffen, dass hier ein Weg war, über den öffentlichen Magen an den Boss heranzukommen. Sie zögerten also nicht, den Betrieb in den Küchen zu sabotieren.
Wenn du einmal ungenießbare, versalzene oder verpfefferte Suppe bekommen hast, dann waren das vielleicht die Leute in der Küche, die kürzere Arbeitszeiten forderten und diesen Weg gewählt hatten, um es dem Boss mitzuteilen. Im Hotel McAlpin rief zum Beispiel, nachdem der Streik schon verloren war, der Oberkellner die Männer zusammen und sagte ihnen: »Jungs, Ihr könnt kriegen, was Ihr wollt, wir geben Euch kürzere Arbeitszeiten, wir geben Euch mehr Lohn, wir geben Euch alles, aber, um Gottes Willen, stoppt diese Sabotageaktionen in der Küche!«
Dienst nach Vorschrift
Dienstleistungen können auch auf eine andere Art und Weise angegriffen werden. Das kann eigenartigerweise dadurch geschehen, dass man sich an die Vorschriften hält und strikt den Gesetzen folgt. Die Gesetze sind manchmal für den Kapitalisten genauso lästig wie für den Arbeiteragitator. Jede Eisenbahngesellschaft hat zum Beispiel ihre Vorschriften in einem netten kleinen Buch, das jeder Angestellte bekommt. Dieses Buch enthält die Anweisungen, nach denen der Lokführer und der Heizer jeden Teil der Maschine prüfen müssen, bevor sie aus dem Lokschuppen fahren. Es schreibt vor, dass der Bremser die ganze Länge des Zuges abschreiten und jeden Waggon prüfen soll, um sicher zu sein, dass er in gutem Zustand ist. Es schreibt vor, dass der Bahnhofsvorsteher dieses und der Telegraphist jenes tun soll, und in diesem kleinen Buch klingt das alles sehr schön. Aber nimmt man die Vorschriften und vergleicht sie mit dem Fahrplan, dann sieht man, wie absolut unrealistisch die ganze Sache ist. Wozu ist es dann geschrieben? Angenommen, ein Unfall ereignet sich: ein Lokführer, der 36 Stunden gearbeitet hat, übersieht ein Signal am Gleis, und viele Menschen sterben. Ein Untersuchungsausschuss kommt zusammen, um die Verantwortung festzustellen. Wen trifft es? Natürlich diesen armen Lokführer, der sich nicht an die Vorschriften gehalten hat. Er ist der Mann, an dem die Verantwortung hängen bleibt. Die Gesellschaft wäscht sich die Hände in Unschuld und sagt: »Wir sind nicht verantwortlich, unser Angestellter war fahrlässig. Hier sind unsere Vorschriften.« Mit Hilfe dieser Vorschriften können sie die Verantwortung für jeden Unfall irgendeinem armen Teufel anhängen, wie jenem Lokführer, der, als er nach einem furchtbaren Unfall verhaftet wurde, sagte: »Ja, aber wenn ich den Zug innerhalb einer bestimmten Zeit nicht hereingebracht hätte, hätte ich unter dem neuen Management auf der New Haven-Linie meinen Job verloren.«
In Europa gibt es diese Art von Vorschriften auch. So wurde in Frankreich nach einem Unfall in einem Bahnhof der Bahnhofsvorsteher verantwortlich gemacht. Die Bahnhofsvorsteher waren aber in der Eisenbahnergewerkschaft organisiert und wendeten sich an die Gewerkschaft, damit etwas unternommen werde. Die Gewerkschaft riet ihnen, an die Arbeit zurückzugehen und sich wortwörtlich an die Vorschriften zu halten. Wenn dort die einzige Ursache für Unfälle läge, würde es hinterher keine mehr geben. Sie gingen also an die Arbeit zurück. Wenn nun ein Mann zum Schalter kam und eine Fahrkarte zu irgendeinem Ort verlangte, die soundsoviel kostete, der Mann aber mehr als diesen Betrag hinlegte, dann sagten sie ihm: »Wir können Ihnen kein Wechselgeld geben, die Vorschriften besagen, dass jeder Fahrgast den abgezählten Betrag bereithalten muss.« Das war der erste Schritt. Nachdem die Leute nun aufgeregt herum gerannt waren und den passenden Betrag zusammen hatten, kriegten sie ihre Fahrkarten und konnten in den Zug steigen. Sobald dann der Zug anscheinend startbereit war, kletterte der Lokführer heraus, gefolgt vom Heizer, und dann begannen sie, jeden Bolzen und jeden Teil der Maschine zu untersuchen. Der Bremser kam herunter und begann, alles vorschriftsgemäß zu kontrollieren. Die Fahrgäste wurden unruhig. Der Zug stand so über anderthalb Stunden da, und sie waren im Begriff auszusteigen. An der Tür fing sie ein Angestellter mit der Bemerkung ab: »Es verstößt gegen die Vorschriften, wenn Sie den Zug verlassen, bevor Sie Ihr Ziel erreicht haben.« Innerhalb von drei Tagen war das ganze französische Eisenbahnsystem so vollständig heruntergekommen, dass sie den betreffenden Bahnvorsteher freisprechen mussten. Außerdem war die Absurdität der Vorschriften so sehr deutlich geworden, dass das ganze Betriebssystem umgearbeitet werden musste, bevor die Öffentlichkeit sich der Eisenbahn wieder anvertraute. Diese Vorschriften sind nicht nur zum Zweck der Entlastung benutzt worden, sondern auch für Streiks. Wo Arbeiter in der offenen Schlacht scheitern, kehren sie zurück und gewinnen mit diesem System.
Die Maschinen streiken lassen
Eisenbahnarbeiter haben eine erhebliche Macht, weil sie sich weigern können, Soldaten und Streikbrecher sowie Munition in Streikgebiete zu bringen. So machten sie das in Italien. Dort weigerte sich das Bahnpersonal, als die Soldaten in den Zug gestiegen waren, den Zug zu fahren. Die Soldaten glaubten, sie könnten den Zug selbst fahren. Sie fuhren los, aber das erste Signal, zu dem sie kamen, stand auf »Gefahr«. Sie fuhren sehr langsam und vorsichtig weiter, doch das nächste Signal zeigte auch »Gefahr«. Noch bevor sie weit gefahren waren, fanden sie heraus, dass einige der Weichen umgestellt worden waren. Sie waren irgendwo im Wald auf ein Seitengleis geraten. Mit großer Anstrengung gelangten sie wieder auf das Hauptgleis und kamen zu einer Zugbrücke. Die Brücke war hochgezogen. Sie mussten den Fluss in Booten überqueren und den Zug zurücklassen. Das bedeutete, den Rest des Weges laufen zu müssen. Als sie endlich das Streikgebiet erreichten, war der Ausstand vorüber. Eisenbahnarbeiter haben erhebliche Macht, wenn sie sich weigern, diese Züge zu fahren und sie in einen Zustand zu bringen, der es auch für andere unmöglich macht, sie zu fahren. Menschenleben werden dadurch nicht gefährdet.
Mit Güterzügen wird natürlich anders verfahren. Die französischen Eisenbahnarbeiter haben bei einem Streik die Güterzüge so geleitet, dass eine große Zugladung von feinen frischen Früchten auf ein Seitengleis in eine der ärmsten Gegenden Frankreichs gelenkt wurde. Sie wurde dem Verderben überlassen. Nur kam es nie zum Punkt der Vernichtung der Früchte, denn die armen Leute der Gegend haben sich gewohnheitsgemäß um so etwas gekümmert. Sachen, die eilig von Paris nach Le Havre geschickt werden sollten, landeten in Marseille. So war das ganze System innerhalb kürzester Zeit so belastet und demoralisiert, dass man zu den Eisenbahnarbeitern sagen musste: »Nur Ihr könnt es. Kommt zurück! Eure Forderungen sind akzeptiert, aber haltet unsere Eisenbahn in Betrieb!«
»Druckt die Wahrheit oder druckt gar nichts.«
Was nun für die Eisenbahner gilt, trifft auch auf die Arbeiter bei den Zeitungen zu. Natürlich kann man sich kaum vorstellen, mit konservativeren Elementen zu tun zu haben als mit Eisenbahn- oder Zeitungsarbeitern. Manchmal liest man einen Artikel, der ganz offensichtlich falsch ist, zum Beispiel über Streikende, die in Lawrence Dynamit gelegt haben (er wurde in einer Zeitung in Boston veröffentlicht, bevor das Dynamit gefunden wurde). Aber wer vergegenwärtigt sich denn, dass der Mann, der den Artikel schreibt, der Mann, der für den Artikel bezahlt, und die Besitzer und Redakteure nicht diejenigen sind, die den Artikel tatsächlich abdrucken ? Letztlich wird er von Druckern, Layoutern und Setzern zum Abdruck gebracht, von Leuten, die zur Arbeiterklasse gehören und Gewerkschaftsmitglieder sind.
Während des Generalstreiks in Schweden rebellierten die Arbeiter, die den Gewerkschaften angehörten und den Zeitungsbetrieb aufrecht erhielten, indem sie sich weigerten, Lügen über ihre streikenden Genossen zu drucken. Sie schickten ein Ultimatum an die Zeitungsverleger: »Entweder Ihr druckt die Wahrheit, oder Ihr druckt gar nichts.« Die Zeitungsverleger beschlossen, lieber gar nichts als die Wahrheit zu drucken. Die meisten von diesen Leuten würden sich in diesem Land wahrscheinlich auch so entscheiden. Die Arbeiter gingen in den Ausstand, und die Zeitung kam als winziges Blatt, zwei mal vier Seiten, heraus, bis die Verleger langsam einsahen, dass die Drucker sie an der Kehle hatten und sie ohne sie keine Zeitung drucken konnten. Sie riefen sie also zurück und sagten: »Soundsoviel von der Zeitung gehört den Streikenden, und sie können da drucken, was sie wollen.«
Aber andere Drucker haben die gleichen Ergebnisse durch Sabotage erzielt. Einmal gastierten in Kopenhagen zur gleichen Zeit eine Friedenskonferenz und ein Zirkus. Die Drucker hatten andere Löhne gefordert und waren sehr verärgert, sie nicht bekommen zu haben. Verbitterung im Herzen ist ein sehr guter Antrieb zur Sabotage. Sie sagten also: »Na gut, wir werden bei der Arbeit bleiben, Jungs, aber wir werden einige Scherze mit dieser Zeitung machen.« Auf der Konferenz hatte irgendeine hochgestellte Persönlichkeit eine Ansprache zum internationalen Frieden gehalten. Diese Rede haben sie in die Zirkusnachrichten gesetzt: Sie haben berichtet, dass der Löwe und der Affe auf der Friedenskonferenz Reden gehalten haben und dass der ehrenwerte Herr Soundso im Zirkus Trapeznummern vorgeführt hatte. Die Bestürzung und Entrüstung in der Stadt war groß. Anzeigenkunden, die Friedenskonferenz und der Zirkus protestierten. Der Zirkus wollte seine Anzeigenrechnung nicht bezahlen. Letztlich kostete es der Zeitung genauso viel, wie die Lohnerhöhungen gekostet hätten. Daher kamen sie sozusagen auf den Knien zu den Arbeitern und baten sie: »Bitte seid lieb, wie geben Euch, was Ihr fordert.«
»Wir wussten nicht dass man es Sabotage nennt.«
Sabotage ist für den Arbeiter eine absolute Notwendigkeit. Deshalb ist es fast nutzlos, sich über ihre Wirksamkeit zu streiten. Wenn Leute fortlaufend eine Sache instinktiv tun, Jahr um Jahr und Generation um Generation, dann zeigt das, dass diese Waffe einen bestimmten Wert für sie hat. Gleich nach Boyds Rede in Paterson stürmten einige der Sozialisten zu den Zeitungen, um zu protestieren. Sie haben die Behörden erst auf die Rede aufmerksam gemacht. Der Sekretär und der Organisator der sozialistischen Partei haben Boyd zurechtgewiesen. Das hat in den Streikkomitees die Diskussion ausgelöst ob Reden über Sabotage zuzulassen wären. Wir hatten versucht, den Arbeitern die Idee nahezubringen, alle Arten von Reden zu erlauben. Ein Sozialist, ein Minister oder ein Priester, ein Gewerkschaftler, ein Politiker, ein Vertreter der A.F.L oder I.W.W. oder ein Anarchist, jeder sollte von der Plattform aus reden dürfen. Wir haben versucht, den Arbeitern verständlich zu machen: »Ihr habt genügend Intelligenz, um für Euch selbst wählen zu können. Wenn Ihr sie nicht habt, dann wird Euch auch keine Zensur Eurer Versammlungen helfen.« Sie hatten also einen ziemlich toleranten Geist und neigten nicht dazu, die sozialistische Denunziation der Sabotage unverdaut zu übernehmen. Es gab eine Ausschusssitzung, in der sie das durchkauten; dabei kam einiges heraus. Ein Arbeiter sagte: »Ich hatte nie von dieser Sache, die Ihr Sabotage nennt, etwas gehört, bevor Mr. Boyd öffentlich davon gesprochen hat. Ich weiß, wenn ich ab und zu einen halben Tag frei haben will, und sie mir das nicht zugestehen, schiebe ich den Riemen von der Maschine, dann habe ich meinen halben Tag. Ich weiß nicht, ob man das Sabotage nennt, aber das ist es, was ich tue.«
Ein anderer berichtete: »Ich war vor elf Jahren beim Streik der Färber dabei, und wir haben verloren. Wir sind zurück an die Arbeit gegangen und hatten diese Streikbrecher, die unseren Streik kaputtgemacht hatten, neben uns bei der Arbeit. Wir waren ganz schön sauer. Also, jedesmal, wenn sie grüne Farbe einmischen sollten, haben wir zugesehen, dass sie Rot rein taten, oder wenn sie Blau reinmischen sollten, haben wir zugesehen, dass sie Grün rein taten. Sie haben so festgestellt, dass das Streikbrechen ein ganz unprofitables Geschäft ist, und beim nächsten Streik haben sie sich uns angeschlossen. Ich weiß nicht, ob man das Sabotage nennt, aber es wirkt.«
Als wir die Reihe durchgingen, gab ein Mitglied des Ausschusses nach dem anderen zu, diese Methode angewendet zu haben, aber sie »wussten nicht, wie man es nannte«. Schließlich haben die Demokraten, die Republikaner, die Sozialisten und alle I.W.W-ler, die im Ausschuss saßen, für die Zulassung von Reden über Sabotage gestimmt, weil es lächerlich gewesen wäre, nicht öffentlich auszusprechen, was sie im Betrieb längst praktizierten. Die letztendliche Rechtfertigung der Sabotage ist für mich ihre ständige Anwendung durch die Arbeiter. Für Redner, Organisatoren, Dozenten und Schriftsteller, die an der Arbeiterbewegung anscheinend interessiert sind, bleibt damit von zwei möglichen Positionen nur eine: Wenn man eine Position außerhalb der Arbeiterklasse einnimmt und sich anmaßt, von einer gehobenen geistigen Ebene vorschreiben zu können, was zu tun sei, dann werden einen die Arbeiter schnell abhängen, denn so zeigt man sehr bald, dass man für sie völlig nutzlos ist. Ich bin vielmehr der Meinung, dass die Aufgabe intelligenter Propagandisten folgende sein sollte: Wir sollten uns ansehen, was die Arbeiter tun, und versuchen, zu verstehen, warum sie es tun, nicht sagen, dies ist richtig oder falsch, sondern die Zustände analysieren und gucken, ob nicht die Arbeiter selbst ihre Bedürfnisse am besten kennen und ob aus ihren konkreten Bedingungen heraus sich nicht eine Theorie entwickeln läßt, die von allgemeiner Nützlichkeit sein kann. Industrieller Unionismus und auch Sabotage sind Theorien, die aus solchen Tatsachen und Erfahrungen entstanden sind. Wenn wir uns aber in die Position des Zensors versetzen würden, würden wir uns dem Verständnis und dem Nutzen für die Leute, denen wir dienen sollen, vollkommen entfremden.
Sabotage und »moralische Stärke«
Gegen Sabotage wird eingewendet, dass sie die moralische Stärke des Individuums zerstöre - was auch immer damit gemeint ist: Die moralische Stärke des Arbeiters! Nehmen wir einen armen Arbeiter, der zwölf Stunden am Tag in den Stahlwerken von Pittsburg schuftet, und das sieben Tage in der Woche für zwei Dollar den Tag. Wird die Anwendung von Sabotage die moralische Stärke dieses Mannes zersetzen? Wenn das geschieht, dann ist seine moralische Stärke alles, was ihm geblieben ist. In einem Entwicklungsstadium der Gesellschaft, in dem die Menschen ein Produkt ganz herstellen -wenn zum Beispiel ein Schuhmacher ein Stück Rohleder schneidet und formt, die Schuhe entwirft, jedes Teil selbst macht und ein fertiges Produkt herstellt - stellt das für ihn das dar, was eine Skulptur für den Bildhauer darstellt. Es gibt die Freude am Handwerk, es gibt die Freude an der Arbeit. Kann denn irgend-jemand glauben, dass ein Arbeiter in einer Schuhfabrik, einer von Hundert, die jeweils kleine Teile des komplexen Ganzen bearbeiten, der zum Beispiel vor einer Maschine steht, deren Ticktack er den ganzen Tag lang anhören muss - dass ein solcher Mann irgendeine Freude an seiner Arbeit oder einen Stolz auf das Endprodukt empfinden kann? Der Arbeiter in der Seidenspinnerei mag noch so schöne Sachen herstellen, feine, glänzende Seide, die sich gut im Schaufenster macht, er hat keine Chance, auch nur einen Meter davon zu benutzen. Die Produktion dieses schönen Stücks ist keine Freude, sondern eine ständige Belastung für den Arbeiter. Im Betrieb stellen sie schöne Dinge her, und dann kommen sie nach Hause in Armut, FJend und Not. Sie tragen Kleider aus Baumwolle, während sie die schönste Seide für ein Kleid für irgendeine Halbweltfigur in New York weben.
Ich erinnere mich an einen Abend, an dem wir eine Versammlung mit 5000 Kindern hatten. (Wir hatten sie zusammengerufen, um über einen Schulstreik zu diskutieren. Da die Lehrer ihnen die Wahrheit über den Streik nicht erzählten, hatten wir beschlossen, dass die Kinder entweder die Wahrheit hören sollten oder dass es im anderen Fall besser wäre, gar nicht zur Schule zu gehen.) Ich fragte: »Kinder, hat einer von Euch ein seidenes Kleid in der Familie?« Ein kleiner Knirps aus der ersten Reihe in zerlumpten Klamotten piepste: »Klar, meine Mutter hat eins bekommen.« Ich fragte: »Wo hat sie es her?« Vielleicht eine etwas taktlose Frage, aber eine naheliegende. Er antwortete: »Mein Vadder hat den Stoff versaut und musste ihn mit nach Hause nehmen.«
Die einzige Gelegenheit, ein Seidenkleid zu bekommen, ist, wenn sie die Waren verderben, so dass sie niemand anders gebrauchen kann. Wenn die Kleidung derart ruiniert ist, dass sie keiner mehr will, dann können sie sie haben. Der Textilarbeiter ist stolz auf sein Produkt! Mit diesen Leuten über ihren Stolz auf ihre Arbeit zu reden, ist genauso lächerlich, wie mit einem Straßenfeger darüber zu sprechen, oder einem Mann, der die Abwasserkanäle reinigt, zu sagen, er hätte stolz auf seine Arbeit zu sein. Wenn sie ein Produkt ganz herstellen würden oder wenn sie es alle zusammen innerhalb einer demokratischen Genossenschaft machen könnten und die Seide zu ihrer Verfügung hätten - sie könnten einiges selbst tragen, sie könnten ein bisschen von der schönen lachsfarbenen oder der feinen blauen für ein eigenes Kleid nehmen - dann wäre es eine Freude, Seide zu produzieren. Solange aber Lohnsklaverei und Ausbeutung nicht abgeschafft sind, ist es lächerlich zu sagen, die Aufforderung, »sein eigenes Produkt« zu zerstören, zerstöre die moralische Stärke des Individuums.
Es gibt noch ein Argument, das in folgende Richtung geht: Wenn man diese sogenannte Sabotage anwendet, entwickelt man eine feindselige Grundhaltung, die sich gegen jeden richtet. Man wird gemein und feige. So etwas zu tun, setzt eine heimtückische Art voraus. Doch das Individuum, das sabotiert, profitiert nicht allein davon. Wenn man nur für sich sorgen wollte, würde man nie Sabotage verüben. Es wäre viel einfacher und sicherer, es nicht zu tun. Wenn ein Mensch Sabotage verübt, dann zielt er in der Regel auf das Wohl des Ganzen. Er handelt individuell, aber er handelt im gemeinsamen Interesse für sich und andere. Das erfordert Mut und Individualität. Das schafft beim Arbeiter Selbstachtung und Selbstvertrauen für sich als Produzent. Ich behaupte, dass Sabotage statt einer heimtückischen und feigen, eine mutige und offene Angelegenheit ist. Der Chef wird vielleicht nicht gerade durch die Zeitungen davon benachrichtigt, aber er kriegt es trotzdem ganz schnell mit. Der Mann oder die Frau, die Sabotage betreiben, zeigen einen Mut, der auch daran deutlich wird, wie viele von den Kritikern so was wohl fertig bringen würden. Wie viele von uns würden, wenn sie von einem Job in einer Seidenstadt wie Paterson abhängig wären, diesen aufs Spiel setzen und Sabotage anwenden? Das sollte man bedenken, bevor man sich das Recht herausnimmt, denjenigen, der Sabotage anwendet, einen Feigling zu nennen.
Sabotage als Kampfmittel
Ich habe keine starre Definition der Sabotage gegeben, weil sie sich noch im Prozess der Entwicklung befindet. Sabotage ist so umfassend und veränderbar wie die Industrie, sie ist so beweglich wie die Phantasie und die Leidenschaften der Menschheit. Jeden Tag entdecken Arbeiter und Arbeiterinnen neue Formen der Sabotage. Je stärker ihre rebellische Phantasie ist, desto mehr Formen von Sabotage erfinden und entwickeln sie. Sabotage ist jedoch keine Waffe auf Dauer; wenn erst eine freie Gesellschaft besteht, ist sie nicht mehr notwendig. Sabotage ist einfach eine Kriegsmaßnahme und wird zusammen mit diesem Krieg aufhören zu existieren; ebenso wie der Streik, die Aussperrung, der Polizist mit der Maschinenpistole, der Richter mit seinen Verfügungen und alle anderen Waffen aus den Arsenalen von Kapital und Arbeit mit dem Entstehen einer freien Gesellschaft aussterben werden. Man mag fragen, ob der Sabotageinstinkt sich dann nicht zu weit entwickelt hat, so dass eine Belegschaft sie gegen eine andere anwendet; zum Beispiel könnten sich die Eisenbahner weigern, für die Bergarbeiter zu arbeiten, solange sie nicht überhohe Entschädigungen für ihre Arbeit bekommen. Wenn Ihr Sabotage gegen Unternehmer anwendet, ist der Unterschied folgender: Es besteht keine Beziehung wie zwischen Gesellschaftsmitgliedern, die wechselseitig zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse beitragen. Dagegen ist der genannte Bergarbeiter Teil einer Gesellschaft, in der einer das Brot liefert, ein anderer die Kleidung und wieder ein anderer die Schuhe, und in der auch er sein Produkt im Tausch gegen ein anderes weiter gibt. Stattdessen gibt es zwischen ihnen und dem Unternehmer keine wechselseitige materielle Abhängigkeit, was die Mittel zum Lebensunterhalt angeht.
Doch der Arbeiter wird sich durch kindische Einwände sowieso nicht von seinem hartnäckig verfolgten Vorhaben abbringen lassen. Für ihn ist das keine Streitfrage, sondern ein Kampf auf Leben und Tod. Er weiß, dass es Freiheit nur geben wird, wenn seine Klasse bereit und mutig genug ist, dafür zu kämpfen. Er kennt die Risiken wesentlich besser als wir. Aber er hat die Wahl zwischen einem Ende in der Sklaverei oder im Kampf. Wie ein erschöpfter Schwimmer im Meer, der sich leicht und apathisch in ewigen Schlaf sinken lassen könnte, sich aber weiter abkämpft, um eine herum schwimmende Planke zu fassen zu kriegen, er leidet, aber leidend hofft er.
Für den Arbeiter ist Sabotage ein blankes Schwert. Es dringt ein in die Nervenzentren des Kapitalismus, sticht in sein Herz und in seinen Magen, es trifft die Lebenskräfte des ökonomischen Systems. Es bahnt einen Weg zur Freiheit, zu Erleichterungen in Produktion und Konsumtion.
Fußnote:
1.) Anmerkung des Herausgebers: Dieses Pamphlet wurde vor mehr als einem Jahr (1913/14) geschrieben, und in der Zwischenzeit haben sich im Fall von Frederic Sumner Boyd einige interessante Entwicklungen ergeben. Nachdem er wegen »Anstiftung zur Zerstörung von Eigentum« verurteilt worden war, ging Boyd in die Berufung, wo das Urteil der vorigen Instanz bestätigt wurde. Er wurde daraufhin in Haft genommen und mit dem Urteil »zwei bis sieben Jahre« in das Staatsgefängnis in Trenton geschickt. Er reichte sofort ein Gnadengesuch ein, in dem er erklärt, seinen früheren Ideen abzuschwören und die Anstiftung zur Sabotage sowie aller anderen subversiven Ideen zurück zuweisen. Angesichts von Boyds offen sichtlicher Feigheit im Moment einer Verurteilung schlug Miss Flynn vor, bei Drucklegung diese Anmerkung zur Klarstellung hinzuzufügen.
Quellennachweis: »Sabotage. The Conscious Withdrawal of The Workers' Industrial Efficiency« von Elizabeth Gurley Flynn wurde im April 1915 in Cleveland vom Publishing Bureau der I.W.W, veröffentlicht. Zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt von Mehmet Alatur und Klaus-Dieter Heu. Als PDF-Broschüre erhältlich.