Mercedes Comaposada - Angleichung der Löhne

Aus der Zusammenarbeit zwischen Arbeitern und Technikern im Rahmen der neuen Struktur ergeben sich einige Probleme, deren Lösung eine weitgehende sittliche, berufliche und soziale Untersuchung erfordert. Einige dieser Probleme sind für den Verlauf der Revolution entscheidend. Deshalb müssen wir uns alle damit befassen - und zwar jetzt -, damit wir nicht auf Irrwege geraten und nicht irrtümlicherweise etwas entwerfen, was wir dann später nicht aufbauen können. Ich werde das an einer der augenblicklich brennendsten Fragen konkretisieren, dem Zusammenhang zwischen körperlicher und geistiger Arbeit,- selbstverständlich, ohne dabei zu verallgemeinern; denn zum Glück gibt es zahlreiche positive Ausnahmen. Ich werde einige Schlußfolgerungen aufnehmen, die einige Arbeiter im Zusammenhang mit der Vergütung der intellektuellen Arbeit gezogen haben.

Einige sagen, es sei natürlich, daß man den Techniker besser bezahlt als den einfachen Arbeiter, weil der Techniker in einer von unserer verschiedenen Umgebung gelebt und andere Bedürfnisse hat: ein komfortables Haus, Bücher, Reisen, gute Kleidung und Studienmöglichkeiten für die Kinder. Aber wenn es schon schlecht ist, daß der Kopfarbeiter nicht zu vereinbarende Bedürfnisse verspürt, so ist es bei der jetzigen, vorübergehenden Zeit der Opferbereitschaft sehr viel schlimmer, wenn der Arbeiter auch versucht, die Bedürfnisse für sich selbst in Anspruch zu nehmen, die zuvor dem Kopfarbeiter vorbehalten waren.

Auf der anderen Seite sollte der Techniker wissen, daß die Revolution sein Leben einfacher machen wird oder besser gesagt, seine Ausgaben verkürzen wird. Daß er die Bücher nicht mehr kaufen muß, sondern, daß er sie in besserer Qualität und größerer Menge in den berufsbezogenen, künstlerischen und allgemeinen Bibliotheken finden wird. Daß ihm die Studien seiner Kinder auch keinerlei Kosten verursachen werden; denn diese werden an Orten und zur gleichen Zeit stattfinden, wie die Studien der anderen Kinder auch - in unentgeltlichen Volksinstituten und -Universitäten, die deshalb auch für alle sind. Daß die Kleidung im Augenblick den Möglichkeiten der nationalen oder regionalen Industrie entsprechen wird, wir aber versuchen werden, daß sie so praktisch, so einfach und so gut wie möglich sein wird. Und was den Komfort anbetrifft, muß man immer wieder sagen: wenn schon nicht sofort, so doch in naher Zukunft muß man ihn als ein gemeinschaftliches Bedürfnis aller betrachten und nicht als ein Privileg weniger. Die Heizung und die Dusche, ebenso wie der Blitzableiter sind die Waffen des Menschen im Kampf gegen die Natur. Sie stellen einen Fortschritt dar, und niemand - außer in Notzeiten - muß darauf verzichten.

Die sozial zurückgebliebenen Kopfarbeiter, die Techniker, sollten nicht mit politischen Manövern für den Kampf und den Wiederaufbau gewonnen werden, die den Egoismus fördern oder das Trachten nach bestimmten Interessen wecken. Diese politischen Manöver weisen scheinbar kurzfristig große praktische Ergebnisse auf, sie werden dann aber unwirksam und bringen ein Land oder ein System zur Stagnation. Das ist in Rußland der Fall, wo man den ausländischen Technikern große wirtschaftliche Vorteile ermöglicht und die Lohngruppen weiterhin zugelassen hat. In der Tat haben die Techniker in Rußland nicht nur gebaut, sondern auch andere gelehrt, zu bauen. Aber im Kontakt zwischen beiden Arbeitergruppen und wegen der unvermeidlichen Bewunderung des Handarbeiters für den Techniker, von dem er lernen sollte, ist ein großer Teil des revolutionären Geistes in Rußland verloren gegangen. Es waren diese Sklaven, die nachgegeben haben und die sich von der kleinbürgerlichen Mittelmäßigkeit des europäischen und amerikanischen Westens haben einfangen lassen. Wir können nicht in den gleichen Fehler verfallen, und es ist unsere heutige Aufgabe, das Bewußtsein der Techniker zu erweitern und zugleich dabei unser eigenes zu bereichern. Wir wissen, daß der wirkliche Fortschritt zwei Aspekte mit einschließt: einen materiellen und einen geistigen. Wenn einer von beiden fehlt, gibt es nichts, was die Theorie bestätigen könnte, daß der eine im anderen enthalten ist - der geistige im materiellen. Die Realität ist ganz anders.

Mit Tonnen von Stahl und Millionen von Menschen, die verstärkt arbeiten, kann ein Volk zu einem mächtigen Verteidigungswall gegen die Barbarei werden, der manchmal vielleicht grausamer als diese ist. Ist das ein Fortschritt? Zumindest das, was man gemeinhin als Fortschritt bezeichnet, sicherlich nicht. Damit er tatsächlich dazu wird, müssen wir entschlossen die Angleichung der materiellen Bedürfnisse anstreben, mit dem gleichen Interesse, mit dem wir die Aufhebung der Grenzen geistiger Bedürfnisse anstreben, die authentischen Quellen eines authentischen Fortschritts. Dafür muß man mit der Abschaffung der Lohngruppen, der privilegierten Löhne beginnen, die neue Klassen und neues Übel schaffen.

Aus: "Tierra y Libertad", 27. Februar 1937

Originaltext:
Mary Nash: Mujeres Libres. Die freien Frauen in Spanien 1936 - 1978. Karin Kramer Verlag, Berlin 1979. Digitalisiert von www.anarchismus.at mit freundlicher Genehmigung des Freundeskreis Karin Kramer Verlag. Das Copyright des Textes liegt weiterhin beim Karin Kramer Verlag, der Text darf ohne Rückfrage nicht weiter kopiert oder gedruckt werden. Im Karin Kramer Verlag sind zahlreiche Bücher zum Anarchismus erhältlich.


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