Aus einer kleiner Stadt
In der kargen Landschaft der Mancha liegt, südostlich von Ciudad Real, Membrilla. Ärmlich die Häuschen, arm ihre Bewohner, arm die Provinz. Achttausend Einwohner, doch keine gepflasterten Strassen, keine Zeitung, kein Kino, kein Cafe, keine Bibliothek. Aber vier Kirchen gab es. Sie wurden niedergebrannt. 1920 gründeten einige Arbeiter ein Syndikat der CNT. Die Militanten waren schweren Verfolgungen ausgesetzt, unter Primo de Rivera wurde die Organisation aufgelöst.
Die Republik brachte zunächst die politischen Freiheiten wieder. Das wirtschaftliche Leben besserte sich jedoch nicht. Die Bevölkerung blieb arm wie vorher. Fünf Jahre vergingen ohne Veränderungen im sozialen Leben.
Zur Zeit des Juliaufstandes des Militärs, am 19 Juli 1936 gab es in Membrilla sieben Civilgardisten und einige Dutzend Faschisten. Sturmgarde ("Asalto") gab es nicht. Die Kleinbauern, in einem katholischen Hilfsverein organisiert, hatten über drei Millionen Schulden bei den Banken. Am 22. Juli wurden die Grossgrundbesitzer enteignet, der Kleinbesitz aufgelöst, der gesamte Grund und Boden kommunalisiert. Die Kleinbesitzer waren mit diesen Massnahmen einverstanden, sie waren ihre Schulden los und die Sorge um Lohnauszahlung. Die Gemeindekasse war leer. Im Privatbesitz gab es 30.000 Peseten, sie wurden beschlagnahmt. Alle vorhandenen Lebensmittel, Kleider, Werkzeuge etc. wurden unter der Bevölkerung gerecht verteilt. Das Geld wurde abgeschafft, die Arbeit kollektivisiert, die Güter der Gemeinschaft zugeführt, der Konsum sozialisiert. Geld gab es nicht. Doch es war keine Sozialisierung des Reichtums, eine der Armut. Den Gegnern des freiheitlichen Kommunismus kann dies zur Lehre dienen.
Was im Überfluss vorhanden ist wird an alle gratis verteilt, nur was knapp ist, wird rationiert. Die Arbeit wird fortgesetzt wie früher. In den Werkstätten der geringen Kleinindustrie wird 8 Stunden täglich gearbeitet, auf den Feldern entspricht die Arbeitszeit den Jahreszeiten. Der Gemeinderat besteht aus 15 Mitgliedern. 10 von der CNT, 5 von der republikanischen Linken. Der Kleinhandel ist verschwunden. Vier Komitees leiten das Leben der Gemeinde. Eins für soziale Fürsorge (Abas tos), eins für die Verteidigung, eins für die Landwirtschaft und eins für Wohnungswesen. Von vier Verteilungssteilen werden Lebensmittel und Gebrauchsartikel verteilt. Das Fürsorgekomitee sorgt für Einkauf von Rohmaterial und Produkten, die im Orte nicht hergestellt werden. Es gibt keinen Kleinhandel mehr, es herrscht das Regime des freiheitlichen Kommunismus "Comunismo Libertario". Die Apotheke wird vom früheren Besitzer weiter betrieben. Wirtschaftlich untersteht sie der Kontrolle der Gemeinde. Die örtlichen Erzeugnisse bekommen die Gemeindemitglieder gratis, es wird verteilt wie in einer grossen Familie.
Anfänglich gab es Kartoffeln in unbeschränkten Mengen. Man sandte viel davon nach Madrid. Jetzt werden sie am Orte selbst rationiert. Wein gibt es 3 Liter pro Person und Woche. Miete, elektrisches Licht und Wasser sind gratis, auch Arzt und Medikamente sind frei. Geld zu einer Konsultation bei einem Spezialisten ausserhalb des Ortes zahlt nach Prüfung des Falles das Komitee der Abastos. Ich sass neben dem Sekretär als eine Frau wegen eines Magenleidens zu einem Spezialisten nach Ciudad Real wollte. Ohne bürokratische Einwände wurde ihr das Reisegeld ausgehändigt. Getreide kann die Gemeinde nur für neun Monate produzieren. Jetzt langt es nicht einmal für diese Zeit, denn viele Flüchtlinge aus Andalusien müssen mit ernährt werden. Im Städtchen sind drei Ärzte, einer davon gehört der CNT an. Seit einigen Wochen ist das Schulgebäude besetzt von 600 Soldaten. Die Kinder können daher nicht zur Schule gehen. Aber es wurde Ersatz geschaffen: eine Zeichenschule, der Initiative eines Genossen zu verdanken, deren Erfolge nach 4 Monaten grossartig sind.
Bezugscheine, in Form von Bons zu 50 und 25 Céntimos ermöglichen jedem, die Waren zu wählen, die er braucht. Jede Person erhält Bons im Werte von 50 Céntimos täglich. 1 kg Reis kostet 1 Peseta, 1 kg Zucker 2.50, 1 Liter Öl 1,50, 1 kg Kalk zum Streichen der Häuser 25 centimos. Jede Familie erhält eine Empfangskarte, darin werden monatlich die empfangenen Lebensmittel und Gebrauchsartikel eingetragen.
Der Vorsitzende des Fürsorgekomitees, alter Linksrepublikaner, stellte sich mit beiden Füssen auf den Boden der Tatsachen. Er hilft energisch mit am Aufbau des freien Kommunismus. In einer Bastschuhwerkstatt arbeiten sieben Männer, 12 Frauen und drei Kinder im Alter von elf, dreizehn und vierzehn Jahren. Keiner erhält Lohn. Alle sehen zufrieden aus. Der Vater des dreizehnjährigen Jungen ist stolz, dass sein Kind ein Handwerk erlernt.
Die Gemeinde besitzt 3.200.000 Liter Wein im Werte von einer Million Peseten und für 70.000 Peseten Safran. Kleiderstoffe gibt es wenig. Wenn man den Wein verkaufen kann, wird man Kleider und Werkzeuge kaufen.
Im Oktober 1936 bildeten frühere Kleinbesitzer eine Organisation der UGT; sie hat jetzt hundert Mitglieder. Die Gegner des neuen Regimes organisieren sich in der UGT. Die früheren Kleinbesitzer wollen ihr Privateigentum zurückhaben.
Das Syndikat der CNT zählt 900 Mitglieder. Beiträge werden nicht gezahlt, denn man hat ja kein Geld. Es gab keine Bibliothek; jetzt hat das Syndikat für 1.000 Peseten Bücher gekauft und eine öffentliche Bibliothek eingerichtet.
Man lebt in Membrille wie in einer grossen Familie; die gewählten Vertrauensleute, Gewerkschaftssekretäre, Mitglieder des Gemeinderates, walten wie Familienväter. Doch sie werden kontrolliert, Bevorzugung oder Korruption werden nicht geduldet. Membrilla in Spaniens ärmste, aber gerechteste Stadt.
Aus: Die Soziale Revolution Nr. 7-8, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ä zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.