Reise durch Aragon

Vorbei an den wunderbaren Felsformationen des Montserrat fuhren wir nach Tárrega. Das erste was wir sahen, war ein riesengrosses Schild mit roten Buchstaben über einem Restaurant, das die Worte trug: "KRAPOTKIN-BAR". Der Kaffee war ausgezeichnet, es war zur Mittagszeit, das Lokal voll mit Gästen und furchtbarem Lärm. Mein Begleiter stellte sich naiv und fragte die Tabak-Verkäuferin, ob das Café den Namen eines Ortseinwohners trage. "Nein", antwortete sie, "Krapotkin war ein russischer Anarchist." Sie wusste also Bescheid und wunderte sich sicher, was wir für merkwürdige Leute wären, die nicht einmal wussten wer Krapotkin sei.

Wir hatten keine Zeit, Cervera zu besichtigen wie verlockend die architektonischen Schönheiten auch waren. Danach kam Lérida. Hier kamen wir zusammen mit der Redaktion der syndikalistischen Tageszeitung "ACRACIA" in der Nähe einer Tankstelle. Wir fuhren jedoch gleich weiter in der Richtung Bujaraloz, Pina, Geisa, wo die Internationale Gruppe der Kolonne Durruti uns erwartete. Während wir auf den gefährlichen Serpentinenwegen an den Aragonesischen Bergen entlang fuhren, unterhielt mich mein Reisebegleiter mit Erzählungen "Siehst Du die Kirche dort?" fragte er. Freilich sah ich überall kirchenähnliche Gebäude. Mit Not dem Abgrund bei einer Kurve entronnen, erzählte er mir gleich weiter: Die Geschichte von Durruti und dem Geistlichen.

Dort oben in der Kapelle lebte ein Priester, ein noch junger Mann. Als der faschistische Putsch ausbrach, bestieg er mit einem Maschinengewehr den Turm und bereitete sich vor, auf die Faschisten zu schiessen. Dieser Cura war mit dem Volk. Als einige Tage später Durruti mit seiner Kolonne hier einzog, kam der Geistliche ihm entgegen und sagte zu Durruti: "Ich bin ein Cura, wenn Du mich erschiessen willst, so tue es. Tust Da es nicht, so gehe ich mit Dir". Durruti lachte, klopfte ihm auf die Schulter und bat ihn das Maschinengewehr vom Turm herunterzuholen und mitzukommen. Später erzählte der Priester, dass er seinen Beruf nie gern gehabt habe, jedoch von seinen Eltern dazu gezwungen worden war. Jetzt müsse er seine am Volk begangenen Sünden büssen, meinte er. "Na, und wie lebt er als Milizsoldat jetzt?" fragte ich. Mein Genosse schwieg eine Weile und antwortete darauf: "Nicht alle leben noch, die am 24. Juli auszogen. Doch dieser Cura war eine Ehre für die Menscheit."

Eine Stadt ohne Geld

Wie aus Sandhaufen emporgeschossen lag plötzlich eine Stadt vor uns. Fraga, 9.000 Einwohner. Erst begriff ich nicht, warum wir gerade hier halten sollten. Ich hätte lieber in Cervera Rast gemacht. Jedoch Fraga war die interessanteste Stadt, die ich bis jetzt gesehen habe. Ich erinnere mich an alle die Versammlungen, auf denen ich in Schweden Vortrage gehört habe über freiheitlichen Kommunismus. Ich erinnerte mich an die darauffolgenden Diskussionen, in denen vernünftige Menschen aus allen Gesellschaftsklassen wie aus einem Munde den freiheitlichen Kommunismus als eine Seifenblase und dumme Utopie bezeichneten, als eine glatte Unmöglichkeit; und hier kann man diesen freiheitlichen Kommunismus erleben. Ich hatte zwar schon gehört, dass in vielen kleinen Städtchen und Orten der freiheitliche Kommunismus eingeführt worden sei, aber das selbst zu sehen ist eine ganz andere Sache.

Selbstverständlich ist die ganze Stadt schwarz-rot, d.h. CNT-FAI. Deshalb findet man auch unter diesem Regime keine Unterdrückung der freien Meinungsäusserung. Fraga! Man sollte ein grosses Huldigungsepos zu Deinem Ruhme schreiben. Aber leider muss ich mich damit begnügen zu sagen, dass das neue Leben in dieser aragonesischen Stadt mein Herz schneller schlagen lässt. Wunderbare Gefühle leben in meiner Brust auf, es war als öffneten sich die Pforten einer neuen Welt. Einige Stunden lang wanderte ich in den Strassen umher, sog die Atmosphäre in mich ein und bezwang mich um nicht auszubrechen in jubelnde Freudenrufe. Der freiheitliche Kommunismus ist die einzig vernünftige Gesellschaftsform. Das existiert also. Wie kann man da an der spanischen Revolution verzweifeln? Keine Gefahr. Solch starke Kräfte können nicht besiegt werden. Sie werden und müssen zuletzt siegen.

Hier in Fraga kann man 1.000-Markscheine auf die Strasse werfen und kein Mensch kümmert sich darum. Rockefeller, wenn Du nach Fraga kommst und Dein ganzes Bankkonto mitbringst, kannst Du dafür nicht einmal einen Café con leche kaufen. Das Geld, Dein Gott und Dein Diener, ist hier abgeschafft und die Menschen sind glücklich. Hier hat niemand mehr als der andere, oder besser, hier haben alle Alles. Die Arbeit geht weiter, das Leben geht weiter wie vorher. Die Maschine setzt nicht aus, meine Herren Nationalökonomien! Nur der kleine Unterschied besteht, dass die Menschen freier, glücklicher und zufriedener mit sich selbst sind. Fraga, auf Wiedersehen! Wenn ich mehr Zeit habe, Dein neues freies Leben zu leben, dann komme ich wieder.

Wäscherei der Durrutikolonne

Jetzt ist es kalt in Spanien, wenigstens in Aragonien. Das ist vielleicht eine Enttäuschung für viele Leser, die sich möglicherweise eingebildet haben, das Land wo die Citronen blühen stünde das ganze Jahr hindurch unter den glühenden Strahlen der Sonne.

Die Durruti Kolonne hat eine Wascheinrichtung am Aussenrande von Fraga. Wahrend der Sommermonate wurde die Wäsche von den Milizsoldaten selbst gewaschen, draussen in Bächen und Flüssen. Jetzt geht das nicht mehr. Deshalb hat man auch dies organisiert (eigentlich erstaunlich wie man alles organisiert hat, und gerade die Syndikalisten und Anarchisten machen das, die doch immer beschuldigt wurden organisationsfeindlich zu sein). "CNT —sección lavado Columna Durruti—FAI" steht auf einem grossen Schild über dem Haus. Ob ich das Lokal sehen wollte? Was für eine Frage.

Das erste was ich sah war ein Miiciano, Berufskollege von mir, der eine Tür anstrich. Unten in dem neueingerichteten Waschsaal summte eine Maschine, der Stolz des Hauses, mit einer Kapazität von 350 kg Wäsche pro Tag. Es roch nach Farbe und Holz, alles war neu eingerichtet und unser Führer zeigte uns alles mit fast kindlicher Freude. Das alte Haus war tatsächlich wie verwandelt. Zweckmässig eingerichtete grosse Räume, Gesang und Lachen überall wo wir uns hinwandten. Hier arbeiten Milizsoldaten, die noch nicht wieder ganz hergestellt sind. Oben in einem Saale sitzen einige Dorfschönheiten und stopfen Strumpfe, nähen Knöpfe an, flicken Hosen. Eine Freude zu sehen wie alles emporwächst, wie selbst die kleinsten Einzelheiten vernünftig und wirksam angeordnet werden.

Pina

Die Stadt lag im Dunkeln. Es gab kein Licht. Die Faschisten hatten die Lichtleitungen zerstört und die neuen sind noch nicht fertiggestellt. Wir tasteten uns auf der Strasse vorwärts und landeten vor einem grossen Gebäude. Ich erkannte es aus den Film "19. Juli". Die Schule von Pina ist in ein Krankenhaus umgewandelt worden. In einigen Lokalen gab es noch Leben. Ich wurde auf Deutsch begrüsst, jedoch von einem Spanier. Übrigens der seltsamste Herr den ich je getroffen habe. Geboren in Österreich, jetzt Italien zugehörig, kam er zeitig nach Spanien. Durch seine Reisen in ganz Europa hatte er sich eine grosse Kenntnis vieler Sprachen erworben. Er beherrschte und sprach 7 Sprachen und verstand 15. Ich versuchte es mit schwedisch und stellte an seiner deutschen Antwort fest, dass er mich verstanden hatte. Er war wirklich ein Phänomen.

Nicht minder phänomenal war die Einrichtung des Krankenhauses. Es machte absolut nicht den Eindruck von Improvisation. Alles ist aufs glücklichste ausgenutzt. Man glaubte, alles wäre schon von Anfang an für ein Krankenhaus eingerichtet gewesen. Wie in Barcelona. Es war ein einfaches Bauernhaus, aber ein grosses Schild war auch da. Wir gin(gen hinein und bei)nahe wäre ich in den Operationssaal hineingefallen. Er war vielleicht nicht sehr elegant aber dafür recht zweckmässig.

Während wir auf unser Nachtmahl warteten, schnürreite ich auf eigene Faust herum und fand die Bibliothek. Gross war die Versuchung eine Liste der Bücher zu machen. Aber ich begnüge mich von einem zu sprechen: "Nordenskjöld - Reise nach dem Südpol". Es gibt viele Überraschungen im Leben. Glücklicherweise gab es jetzt nicht viele Patienten, und die meisten waren auf den Beinen. Da sassen wir nun und sprachen, während wir Kartoffelpüree assen — richtiges Essen für einen Schweden — und fühlten uns richtig wohl. Leider war die Freude zu kurz. So sassen wir bald wieder im Auto, und weiter ging es nach Bujaraloz.

Neujahrsnacht in einer aragonesischen Küche

Bujaraloz, Städchen dessen Name über die Welt verbreitet ist, Bujaraloz, Hauptquartier der Durruti-Kolonne! Faktisch schien es mir als wäre ich hier zu Hause. Mir schien, als ob ich alles wiedererkannte, den Marktplatz, die Strassen. Das war doch sicher nur Einbildung, aber auch das Volk kam mir so bekannt vor. Filme und Bilder hatten mich wohl mit dem Städchen so vertraut gemacht.

Wir standen vor dem Haus der CNT-FAI. Natürlich war die casa nicht so grossartig wie die (...) hinein. Aus einem Zimmer hörten wir eine Schreibmaschine klappern. Es war die Schreiberin der Sanitätskolonne. Es roch nach Arzneimitteln, denn in der Nähe gar es eine farmacia, ausserdem bemerkte ich aber einen anderen Duft: Kaffee. Diesem ging ich nach, und so landeten wir schliesslich in der Küche. Wir machten uns mit allen Hausbewohnern bekannt, und unsere kleine Köchin, die miliciana Lorenza, servierte uns verfrorenen Kerlen kochend heissen Kaffee. Nun erst löste sich der Zunge Band. Bald war das Haus voller Sanitäter, Milicianos usw. Ein "salud" nach dem anderen. Später wurde der Kreis enger, die Sanitäter, die im Haus waren, ein Arzt, die Hausangestellten, die Sekretärin Angelina und wir zwei. Wir legten uns um den Herd wo ein offenes Feuer brannte, und einer brachte eine Gitarre herbei, Angelina versuchte es auf einer Mundharmonika, gab es aber bald auf. Ich bekam dann die Mundharmonika und spielte valse espagnole von Waldteufel. Dann baten alle um etwas schwedisches. Ich spielte schwedische Walzer, und alle begannen zu tanzen.

Mit einem Male gab es Sylvesterabend in der Küche. Angelina verkleidete sich als Carmen, sang und tanzte. Dann schlug einer vor, wir sollten alle eine Jota singen. In aller Eile wurde der Text aufgeschrieben, und alle sangen aus vollem Halse. Der Hausvater bot einen 30jährigen Wein an, und dann sollte ich noch mehr schwedische Lieder spielen.

Ein Kind wurde geboren

Plötzlich wurde der Jubel unterbrochen, der Arzt wurde zum Krankenhaus gerufen. Eine Frau erwartete ein Kind und man fürchtete, dass eine Operation nötig sein werde. Wir fühlten uns alle ein wenig traurig, unsere Lieder wurden wehmütiger, Lorenza sass zusammengekauert in einer Ecke und schaute versonnen ihren novio an. Die Uhr schlug 12. Wir liessen den Wein kreisen und wünschten uns "feliz año nuevo". Dann ein Hoch auf die Revolution. Der Arzt kam zurück, alles ging gut: das übrige erledigen die Frauen, sagte er, und setzte sich wieder zu uns. Einer schlug vor, ich solle die Internationale spielen. Stattdessen spielte ich "Hijos del Pueblo". Die gute Stimmung kehrte zurück. Ein revolutionäres Lied nach dem anderen wurde gesungen. Die Stunden rückten vor. Das Jahr 1937 wurde von uns eingesungen mit Melodien der Revolution und der Freiheit. Möge das Jahr selbst die Verwirklichung bringen. — Eines ist sicher: die Neujahrsnacht in der aragonesischen Küche vergesse ich niemals.

Internationale Gruppe

Geisa ist eine kleine Stadt in der Nähe Zaragozas. Hier liegt jetzt die internationale Gruppe der Kolonne Durruti. Man hat kürzlich die Stellung vorgeschoben. Vorher lag man in Vilella, 5 km weiter nördlich liegt Quinto, ein Faschistennest. Wie lange noch. Nur eine Zeitfrage. Durch den Nebel sah ich, dass man den Kirchturm schon zerschossen hatte. Durch die lehmigen Strassen hindurch fragten wir nach diesem und jenem Genossen. Wir hatten viel zu sprechen. Als wir alle beisamen standen, kam gerade der Postwagen. Und hier traf man viele alte Bekannte aus allen Himmelsrichtungen, aus Berlin, aus Barcelona...

Doch bald gingen wir in eine Küche. Mein Begleiter diskutierte mit den Jungens und erledigte seine Obliegenheiten. Die Hausbewohner sassen am Feuer und reinigten Maiskolben. Von Zeit zu Zeit warf der Küchenmeister ein Stück Fleisch in den Suppentopf, Mittag, gemütliche Stimmung, und ich verstand sehr gut, dass man es hier wohl aushalten kann. Wir hatten noch etwas Zeit bis die Versammlung abgehalten werden sollte, und fingen an zu singen. Baños und Gitarren begleiteten ein Doppelquartett. Alle revolutionären Lieder wurden gesungen. Besonders die Deutschen hatten viel auf Lager. Die Begeisterung war wunderbar. Man hätte vor Freude weinen können. Man war ergriffen, hatte Lust ein Gewehr zu nehmen und zum Angriff vorzugehen. In der Versammlung wurde leshaft diskutiert. Parlamentarische Versammlungsordnung gab es nicht. Keine langen Reden, alles muntere Jungens, selbstbewusst und klar in ihren Worten, überlegen in ihren Handlungen. Salud! Compañeros! Ich war angenehm überrascht. Fürchtete ich vorher, dass die Genossen nur Soldaten wären, so hatte ich mich geirrt. Ihr seid noch Revolutionäre und nach dem Siege, nachdem die Faschisten niedergeschlagens sind, werdet ihr mit demselben Eifer für die Soziale Revolution kämpfen.

Der Besuch war kurz. Die Parole dieser Nacht war MIMI. (Durrutis Frau befand sich im Hauptquartier, darum hatte man ihren Namen gewält.) Dicht stehen die Wachen, und einmal nach dem anderen mussten wir bremsen und "MIMI" in die Nacht flüstern. "Salud", war die Antwort. Bald waren wir wieder auf der Strasse nach Bujaraloz. Noch ein Besuch auf einem Bauernhof, eine gemütliche Stunde am warmen Herd, in der Scheune lag die einzige Kuh des Bauern krank. Wir bedauerten, nichts von der Tierheilkunde zu verstehen. Tags darauf kamen wir wieder durch Tárrega, wo vom Marktplatz uns die Worte mit Rot entgegenleuchteten "KRAPOTKIN".

Krapotkin! Du sagenumwobenes Land Spanien! Ist es merkwürdig, dass man dich liebt, Du Land, Du Volk, das nicht nur den Kampf aufnahm gegen den Faschismus, sondern auch für eine bessere Gesellschaft, für die die Anarchisten kämpfen. Siegt, Siegt, Siegt - Dies nur kann man diesem Volk wünschen. Sieg im Kampf gegen den Faschismus und eine leuchtende Zukunft nach der Revolution.

Aus: Die Soziale Revolution Nr. 3, 1937. Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ä zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.


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