Die Solidarity Federation (1995)

Solidarität - die Einheit der Interessen unserer Klasse. Föderation - eine Assoziation oder Gewerkschaft für gemeinsame Aktion. Das sind die Stichwörter, die uns leiten. Wenn mensch die Idee, dass die arbeitenden Menschen ihre Arbeitsplätze und Wohnorte ohne Einmischung von lokalen oder nationalen Politikern und Bossen jeder Art kontrollieren, hinzufügt, hat mensch einen Grundriss der Gesellschaft, die wir versuchen aufzubauen.

Die Solidarity Federation (SF) wurde im März 1994 gegründet, als sich das Direct Action Movement mit dem Netzwerk der ErziehungsarbeiterInnen (Education Workers Network, EWN), dem Netzwerk des öffentlichen Dienstes (Public Service Workers Network, PSWN) und dem TransportarbeiterInnen Netzwerk (Transport Workers Network, TWN) zusammenschloss. Sie ist jetzt die britische Sektion der Internationalen Arbeiter Assoziation.

Die SF hat eine duale Struktur und ist danach organisiert, wo mensch lebt und wo mensch arbeitet. Die Netzwerke sind der industrielle Strang dieser Struktur und stellen einen Brennpunkt für Organisation und Aktion am Arbeitsplatz dar und sind Grundsteine für die Gründung revolutionärer Gewerkschaften in der Zukunft.

Der andere Strang unserer Struktur basiert auf geografischen Gebieten. Lokale Gruppen bestehen aus SF-Mitgliedern, die nah genug zusammen wohnen, um sich regelmäßig zu treffen und lokale Aktivitäten zu organisieren. Diese Mitglieder können auch einem der verschiedenen Netzwerke angehören, je nach ihrer beruflichen Situation.

Obwohl wir besonders die industrielle Organisation betonen, bietet die duale Struktur mehr Mittel, uns zu wehren. Wir werden alle Aktivitäten, die das Selbstvertrauen, die Politisierung und die Selbstbestimmung der ArbeiterInnen fördern, unterstützen, ermutigen und anregen.

Eine Organisation der arbeitenden Klasse

Die Solidarity Federation ist deshalb vor allem eine Organisation der arbeitenden Klasse. Ihre Politik, Struktur und Ziele richten sich an die arbeitenden Menschen. Unsere unmittelbaren und langfristigen Ziele haben keinen anderen Zweck, als unserer Klasse zu nützen. Wir weisen elitäres Bewusstsein zurück und behaupten nicht, die realen oder imaginären „Führer" aller ArbeiterInnen zu sein oder alle Antworten zu haben.

Während wir nach revolutionären Veränderungen in der Gesellschaft suchen - nicht bloß ein Auswechseln der Regierenden - glauben wir an den Kampf für sofortige Verbesserungen auf allen Ebenen unserer Leben und unserer Umwelt. Wir sind sowohl politisch als auch ökonomisch in unseren Zielen und sind gegen jede Trennung zwischen beidem. Wir sind offen für alle, ob lohnabhängig oder nicht, und werden immer von politischen Parteien oder dem TUC (britischer Gewerkschaftsdachverband, vergleichbar dem DGB, d. Übers.) unabhängig sein. Wir wollen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln die Solidarität zwischen den ArbeiterInnen fördern und den Klassenkrieg gewinnen. Wir leben in einer Welt mit genug natürlichen und produzierten Ressourcen, um für das Wohl von jeder/m zu sorgen. Dass diese Ressourcen nicht zu diesem Zweck genutzt werden, liegt daran, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen keine physische oder politische Kontrolle über sie hat.

Eine freie Gesellschaft

Wir glauben, dass eine freie Gesellschaft das gemeinsame Eigentum der Mittel der Produktion und Verteilung, organisiert direkt von Arbeitsplatzorganisationen und lokalen/regionalen Räten und Komitees, beinhalten muss. Wir glauben, dass alle handwerklichen und intellektuellen Fähigkeiten und alle alten und neuen Technologien allen nützen sollen. Wir stehen in absoluter Opposition zum Kapitalismus - eine Minderheit lebt von der Mehrheit - und staatlicher Kontrolle, die uns beide das Recht auf Selbstbestimmung absprechen.

Ein System freiwilliger Verbindungen bewahrt die Macht an der Basis und dient als kooperative Verbindung zwischen ArbeiterInnenorganisationen auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene. Personen oder Komitees, die delegiert sind, Entscheidungen und Aufgaben auszuführen, sind abrufbar, und wenn nötig, sofort ersetzbar. Alle verantwortlichen Posten sind auf begrenzte Zeit besetzt und rotieren. Wir kämpfen aktiv gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie, Nationalismus und alle anderen Haltungen, die die arbeitenden Menschen spalten und unterdrücken. Eine Schädigung einer/s einzelnen ist die Schädigung aller.

Industrielle Strategie

Das Wort "Netzwerk" wird heutzutage mehr und mehr von allen möglichen Leuten mit allen möglichen Bedeutungen benutzt. Was bedeutet es also für uns? Industrielle Netzwerke bestehen aus den SF-Mitgliedern, die in der selben Industrie, nicht unbedingt am selben Arbeitsplatz oder für den selben Arbeitgeber, arbeiten. Sie verbreiten Informationen über arbeitsbezogene Themen und werben für die Ideen des Anarchosyndikalismus. Sie packen sowohl lokale als auch industrieweite Themen an, wobei sie versuchen, die Isolation an Arbeitsplätzen im ganzen Land und anderswo in ihrer Industrie aufzubrechen. Für effektive Aktionen brauchen die ArbeiterInnen zuverlässige Informationen, wie sie von Netzwerken produziert und verbreitet werden eher, als dubiose Quellen, wie die Medien und die reformistischen Gewerkschaften, zu benutzen.

Die Tagesordnung bestimmen

Industrielle Netzwerke bieten den Rahmen für militante ArbeiterInnen, um ihre eigene Tagesordnung zu bestimmen. Das bedeutet, dass wir unsere eigenen Themen und Forderungen festlegen können, ohne immer auf die Launen von Gewerkschaftsbürokratie und -management reagieren zu müssen. Insgesamt haben die industriellen Netzwerke eine Schlüsselrolle, nicht zuletzt während einer Auseinandersetzung, indem sie zur Organisierung am Arbeitsplatz ermuntern, lokale Treffen abhalten und Solidarität, Unabhängigkeit und flexible Aktionen propagieren.

Obwohl industrielle Netzwerke, mit ihrer kombinierten ökonomischen und politischen Orientierung, eine neue Idee zu sein scheinen, ist das nicht so. Tatsächlich stammt diese Form der Organisation aus den Tagen, bevor sich die Sozialdemokratie gewendet und die Ideen und Organisierung der arbeitenden Klasse abgewürgt hat. Unsere Ideen waren schon damals effektiv und können es jetzt umso mehr sein, da sich die Sozialdemokratie als bankrottes System erwiesen hat.

Mensch mag einwenden, dass die sozialdemokratischen Gewerkschaften die Aktivitäten von Netzwerken nicht tolerieren werden und wir alle ausgeschlossen und isoliert werden könnten. So sei es. Das wird kaum passieren, bis die Gewerkschaften sich selbst bedroht fühlen. Eine solche Drohung darzustellen, würde bedeuten, dass wir schon erfolgreich waren und dass die militanten ArbeiterInnen eine unabhängige Stimme gefunden haben, durch die sie die Gewerkschaften für uns sowieso nutzloser machen.

Unser Ziel ist nicht die Sozialdemokratie zu unterstützen, sondern ihre Belanglosigkeit der arbeitenden Klasse aufzuzeigen. Wir machen da kein Geheimnis daraus. Wir mögen Mitglieder der reformistischen Gewerkschaften sein, wir mögen für gewerkschaftliche Rechte kämpfen, aber wir sind total gegen die gegenwärtigen Gewerkschaften, ihre Führung, ihre Strukturen und ihre Ziele. Wir werden die Gewerkschaften nutzen, um unsere eigenen Interessen zu verfolgen, also verteidigen wir gewerkschaftliche Rechte nur, um für die Rechte der ArbeiterInnen zu kämpfen.

Wir werden nicht um Positionen innerhalb der Gewerkschaften kämpfen. Von einer Gewerkschaft und besonders ihrer Hierarchie absorbiert zu werden, bedeutet Militanz und unabhängige Gedanken in endlosen Sitzungen zu ersticken, die für die Gewerkschaftsmitglieder und den Arbeitsplatz belanglos sind. Für uns muss die einzige Organisation, die die ArbeiterInneninteressen repräsentieren kann, vom Arbeitsplatz und der industriellen Basis ausgehen. Wir betrachten von ArbeiterInnen kontrollierte Organisationen als die einzigen legitimen Körperschaften, um die Meinungen und Interessen der ArbeiterInnen auszudrücken. Bürokraten und Vermittler sind für uns überflüssig, weil sie nur dazu dienen, Militanz zu kontrollieren und ihre eigenen dubiosen Positionen abzusichern.

Die Idee der industriellen Netzwerke ist ein Bruch mit der jüngsten Vergangenheit, wo organisierende Basisanstrengungen innerhalb der Zwänge der sozialdemokratischen Organisationen und Praktiken stattfanden. Es gab andere Versuche, die hauptsächlich in Kämpfen entstanden und wirksame Methoden der Organisierung entwickelten, aber infolge ihrer rein reagierenden Natur und begrenzten politischen Inhalten zerfielen, sobald die Kämpfe abflauten.

Wie weit sind wir gekommen?

Ein industrielles Netzwerk ist anfänglich eine politische Gruppierung im ökonomischen Bereich mit dem Ziel, eine weniger reagierende, sondern handelnde Organisation innerhalb der Industrie aufzubauen. Das langfristige Ziel eines industriellen Netzwerkes ist natürlich der Aufbau einer anarchosyndikalistischen Gewerkschaft. Wie weit sind wir also gekommen? Es gibt jetzt drei gut etablierte Netzwerke, die organisieren, Kontakte aufbauen und anarchosyndikalistische Ideen aktiv an Arbeitsplätzen in ihren Industrien verbreiten.

Das Netzwerk der ErziehungsarbeiterInnen (Education Workers Network, EWN) hat Mitglieder auf allen Ebenen des Erziehungssystems von Grundschulen bis zu Universitäten und ist nicht nur für LehrerInnen und DozentInnen offen, sondern auch für StudentInnen und alle, die in einer Schule oder Hochschule arbeiten, egal was ihr Job ist. Das Netzwerk des öffentlichen Dienstes (Public Service Workers Network, PSWN) organisiert sich in der ganzen Breite von Diensten der lokalen und nationalen Behörden, des Gesundheits- und Zivildienstes und der Dienste die früher von lokalen Behörden betrieben worden sind, jetzt aber privatisiert worden sind. Das TransportarbeiterInnen Netzwerk (Transport Workers Network, TWN) ist präsent in verschiedenen Branchen der Transportindustrie, inklusive Eisenbahnen, Busunternehmen und Straßentransport.

In dieser Struktur ist der Spielraum, z. B. für ArbeiterInnen im Gesundheitswesen oder der Eisenbahn um zusammen zu kommen und ihre Angelegenheiten zu diskutieren und Aktionen zu planen, die ihren speziellen Bereich betreffen. Natürlich gibt es viele AnarchosyndikalistInnen, die nicht in einer dieser drei Industrien arbeiten und es werden Schritte unternommen, um weitere Netzwerke aufzubauen. Die SF als Ganzes hat bei dieser Aufgabe eine wichtige Rolle zu spielen, als Teil ihrer Arbeit, die Verbreitung von industriellen Netzwerken zu propagieren.

Lokale Strategie

Sehr eng verbunden mit der Entwicklung von industriellen Netzwerken sind die Aktivitäten von lokalen Gruppen der Solidarity Federation und der Aufbau von Lokalen oder „Solidarity Centres". Lokale können als Orte angesehen werden, wo sich gleichgesinnte ArbeiterInnen wegen politischen und sozialen Belangen treffen, und die Raum für Diskussionen und Sprungbrett für Aktionen sind.

Abgesehen von industriellen Belangen sind die SF-Gruppen und -Mitglieder von Dingen betroffen, die die ArbeiterInnenklasse jenseits der Probleme am Arbeitsplatz betreffen, weil der Klassenkampf auch in ArbeiterInnenstraßen und -wohnorten stattfindet. Eine lokale SF-Gruppe organisiert Mitglieder von industriellen Netzwerken zusammen mit Mitgliedern, die in keinem Netzwerk sind, in einer Gruppe, die lokal arbeiten kann. Dieser Typ von breiterer lokaler Organisation ergänzt die industriellen Netzwerke, besonders während einer zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitskraft und abnehmender Anzahl von ArbeiterInnen, die an eine Industrie oder einen Arbeitgeber gebunden sind. Der Kampf um Belange, die die ganze ArbeiterInnenklasse angehen, in starken lokalen Organisationen wird Tendenzen der Konzentration auf eine bestimmte Industrie verhindern.

Was wir brauchen sind nicht Teilbereichsgruppen, egal wie breit, radikal oder militant, sondern Gruppen, die sich mit allen Bereichen einer Perspektive für die ArbeiterInnenklasse beschäftigen. Dadurch erhält der Anarchosyndikalismus einen Klassencharakter und Ansatzpunkte für Kämpfe, die ihn für die ArbeiterInnenklasse attraktiv macht. Durch die Betonung der Solidarität, nach der wir uns benannt haben, ist es möglich, Unterstützung für industrielle Kämpfe und Agitation für lokale Themen als doppelter Brennpunkt für anarchosyndikalistische Gruppen zu kombinieren. Es ist nicht sehr erfolgversprechend, sich auf eine Explosion militanter Aktionen gegen die Bosse und den Kapitalismus zu verlassen. Wenn der Klassenkonflikt zu einer revolutionären Herausforderung des Kapitalismus werden soll, braucht er eine organisatorische Basis zu seiner Verbreitung. Industrielle Netzwerke sind unsere Antwort auf die überkommenen offiziellen Gewerkschaften, aber wenn sie nicht in eine aktive Solidaritätsbewegung eingebunden sind, werden sie nur vom Standpunkt ihrer eigenen Kämpfe und Industrie agieren können. Umgekehrt wird eine Solidaritätsbewegung ohne Verbindung zu industriellen Netzwerken keine wirkliche Solidarität mobilisieren können, sondern sich auf Wohltätigkeitsarbeit reduzieren.

Also können wir industrielle Themen und die Netzwerke mit lokalen Angelegenheiten verbinden und gleichzeitig Streikunterstützung zur Aufgabe von Gruppen mit einer viel breiteren Klassenperspektive und Breite von Aktivitäten machen, als bei einer Teilbereichsgruppe. Das kann nur die Basis des Anarchosyndikalismus stärken durch die Verbreitung der Einsicht, dass er die beste Organisationsform für die ArbeiterInnenklasse ist. So können wir nicht nur unseren speziellen Beitrag in Auseinandersetzungen leisten, sondern auch sicher sein, dass die Erfahrungen und Lektionen von Siegen und Niederlagen gut genutzt werden und nicht verloren gehen. Und die Einrichtung von Lokalen oder „Solidarity Centres" kann uns nur einen größeren Anstoß und größeren Horizont für unsere Arbeit geben.

Hinweis der Redaktion: Wenn in diesem Beitrag von "industriell" die Rede ist, so ist damit nicht die enge Fixierung auf die industriellen Sektoren im deutschen Wortsinn gemeint. Vielmehr umfasst der Begriff die gesamte Bandbreite der (Lohn)arbeit.


Aus:
Direkte Aktion # 109, März/April 95


Originaltext:
http://www.free.de/schwarze-katze/texte/asuk.html


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