Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (Buchbesprechung)
Die Geschichte und Theorie des Anarchosyndikalismus in Deutschland ist relativ unbekannt. Beginnend mit den Kämpfen in der ArbeiterInnenbewegung ab ca. 1870 und der Herausbildung des „Vereins unabhängiger Sozialisten" beschreibt Hartmut Rübner in dem Buch „Freiheit und Brot" die Sozial-, Ideen- und Organisationsgeschichte der anarchosyndikalistischen Gewerkschafts- und Kulturbewegung bis zu ihrer Zerschlagung 1933.
Nach der Entwicklung von zwei unterschiedlichen Richtungen der Anarchie ab 1897 bildeten sich bis 1908 auf der einen Seite der „Sozialistische Bund" (G. Landauer als bekanntester Vertreter) und die 1900 gegründete „Deutsche Föderation revolutionärer Arbeiter" (ab 1903 „Anarchistische Föderation Deutschlands" [AFD]). In letzterer wurde ab 1902 die Strategie der „direkten Aktion" und des Generalstreiks mit den theoretischen Grundlagen der kommunistischen Anarchie kombiniert.
In der Gewerkschaftsbewegung setzte nach dem Ende der Sozialistengesetze eine Zentralisierungstendenz über die Sozialdemokratie ein. Die bis dahin lokalen Vereinigungen wurden zentralisiert. Ein Teil verweigerte sich diesem Prozess und trat für die Autonomie der lokalen Gewerkschaftsverbände ein. Die „Lokalisten" nannten sich ab 1901 „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften (FVdG)", in der es eine anarchistische Strömung gab. Die Hinwendung der FVdG zum Syndikalismus erfolgte kontinuierlich und fand im Jahre 1912 eine programmatische Bestimmung. Zwischen der AFD und der FVdG gab es viele Kontakte, aber bis zum 1. Weltkrieg kam es nicht zu einer Verbindung der proletarischen anarchistischen AFD und der syndikalistischen FVdG. 1914 wurden zwar auf dem AFD Kongress Aufrufe zur Mitarbeit in der FVdG laut, diese wurde aber wegen antimilitaristischer Propaganda gleich nach Ausbruch des Krieges verboten. Die Reorganisation der freien Vereinigung nach Ende des Krieges gelang mit einem recht rasant verlaufenden Aufschwung. Im Dezember 1919 wurde die anarchosyndikalistische FAUD(S) (Freie Arbeiter Union, Syndikalisten) mit über 110.000 Mitgliedern in Berlin gegründet.
Der anarchosyndikalistische Anspruch ist im Gegensatz zu den Zentralgewerkschaften nicht nur im ökonomischen Bereich gesehen worden. „Die Notwendigkeit der Erziehung von klassen- und kulturbewussten Mitgliedern wird zum Hauptbestandteil einer antizipatorischen Gesellschaftsvorstellung", beschreibt Rübner. Hinzu kommt der „Anspruch einer anarchosyndikalistischen Kulturgemeinschaft". Auf betrieblicher Ebene war der „Primat der föderativ aufgebauten und autonomen Wirtschaftsorganisationen" das Ziel, der die Kontrolle der Produktion durch die Arbeiterklasse sichern sollte und Einheitslöhne waren vorgesehen. Auch die Arbeitslosen und die Mieter als soziale Teilgruppen sollten mobilisiert werden. Der Anspruch der FAUD hat also dem einer sozialen Bewegung entsprochen.
Zu diesen Einzelaspekten hat Rübner sehr viel Material und Daten zusammengetragen. So etwa zur Sozialstruktur der FAUD oder der genaueren Aufschlüsselung der Branchen und Berufsgruppen. Ein anderes Kapitel beschäftigt sich mit dem Verhältnis zum organisierten Linkskommunismus, mit den Versuchen eine Arbeitsgemeinschaft, einen „Block Antiautoritärer Sozialisten" von Organisationen links von der KPD zu bilden. Denn das staatssozialistische Modell wurde nach anfänglicher Sympathie strikt abgelehnt.
Der anarchosyndikalistische Einfluss in einigen Berufssparten wie den IndustriearbeiterInnen und der Seeleute- und Schifferbewegung wird genauso in interessanter Weise dargestellt, wie auch der Anarchosyndikalismus als eine soziokulturelle Bewegung. Dazu werden einzelne Bereiche, wie die Frauenbünde oder freie Schulen und die anarchosyndikalistische Jugendbewegung, Genossenschafts- und Siedlungsprojekte beschrieben, aber auch die Beteiligung an außerorganisatorischen Kulturinitiativen wie der „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde" oder dem „Reichsverband für Sexualhygiene". Als exemplarischer Schwerpunkt der FAUD Tätigkeit wird von Rübner der organisatorische Einfluss der FAUD und deren Aufbau in der Seeleute- Bewegung in Bremen und Hamburg beschrieben.
Der „Jugend-Anarchismus als Lebensform" wird in dem Kapitel über die anarchistisch-syndikalistische Jugendbewegung deutlich, die am Jahresende 1919 entstand. Gegenkulturelle Verhaltensweisen, Auseinandersetzung mit der anarchistischen Theorie und die Betonung klassenkämpferischer Aspekte liefen zusammen in „kulturrevolutionär-anarchistischen Erziehungsinhalten". Nach außen wurde dieses in Propagandaaktionen der SAJD (syndikalistisch-anarchistische Jugend Deutschlands) deutlich, die sich u.a. mit antimilitaristischen und antifaschistischen Flugschriften und Agitationstheater ausdrückten und teilweise einen militanten Charakter annahmen. Nach der Machtübernahme der NSDAP haben im Rahmen der illegalen FAUD viele ehemalige SAJDler aufgrund ihres hohen Motivationsgrades mitgeholfen ein funktionsfähiges Widerstandsnetz aufzubauen.
In einem weiteren Kapitel beschäftigt sich das Buch mit der „direkten Aktion im Wechsel tagespolitischer Ereignisse". Durch die Beschreibung der politischen und ökonomischen Bedingungen die damals herrschten und der damals diskutierten und umgesetzten Aktionsformen erhält der Text eine erstaunliche Aktualität. Ein stattfindender Konzentrations- und Zentralisationsprozess in der Großindustrie, Dequalifizierungsprozesse und eine zunehmende Rationalisierung haben die soziale Zusammensetzung der ArbeiterInnenschaft grundlegend verändert. Die Auseinandersetzungen um das damals neue Betriebsrätesystem, die Frage der Tariffähigkeit, die Grundfrage der revolutionären Arbeit oder die Betonung des gewerkschaftlichen Aspektes „und die damit verbundene Ausrichtung auf reformistische Teilziele", alles sind bis heute Fragestellungen geblieben. In Konzepten von damals werden z.B. ProduzentInnen- und KonsumentInneninitiativen vorgeschlagen. Es wird für die Kriegsdienst Verweigerung geworben. In den Betrieben wird zu passivem Widerstand, kleinen und großen Sabotagen aufgerufen und der soziale Generalstreik propagiert.
Die Basis der FAUD waren ungelernte JungarbeiterInnen, deren Zukunftsplanung „äußerst unsicher erscheinen" musste. Der Syndikalismus ist während der zweiten industriellen Revolution entstanden. Und hat bei den Mitgliedern eine stark „prägende Sozialisationswirkung" gehabt, die das eigentliche „Motiv für ihre illegale Tätigkeit während des Nationalsozialismus" gewesen ist. 1929 wurden aus der FAUD heraus die „Schwarzen Scharen" als militante, uniformierte Organisation gegründet. Diese hatten neben den notwendigen antifaschistischen Aktivitäten auch spektakuläre Propagandaaktionen durchgeführt. Es zeigte sich damals, dass durch diese „zeitgemäßeren Aktionsformen organisierten Antifaschismus dem Abwärtstrend des anarchosyndikalistischen Basisverbandes erfolgreich entgegengewirkt werden konnte."
Das Buch ist zwar eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus, aber trotzdem aktuell, interessant und gut zu lesen. Es eröffnet den Facettenreichtum anarchosyndikalistischer Ideen und Grundlagen und kann Anregungen für so manche Diskussion heute geben. Zum ersten Mal überhaupt wird in diesem Buch ein aktueller wissenschaftlicher Stand über die Organisationszusammenhänge der FAUD gegeben. Viele Orte an denen es Aktivitäten gab werden erwähnt, viele Namen genannt, so dass das Buch auch Möglichkeiten eröffnet, in vielen Gegenden die lokale Geschichte zu erarbeiten.
Im Anhang ist eine Bibliographie der Presse des Deutschen Anarchosyndikalismus (1914 - 1939), eine Bilddokumentation mit einigen Photos von Aktionen und Treffen der FAUD und ein Register von Personen, Organisationen, Periodika und geographischen Namen.
Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus. Libertad Verlag Berlin/Köln 1994.
Quelle: Direkte Aktion - anarchosyndikalistische Zeitung, 22. Jg. Nr. 126, März/April 1998, S.11
Originaltext: http://www.free.de/schwarze-katze/texte/buch01.html#freiheitundbrot (Änderung: neue Rechtschreibung)