A. Giovannetti - Zur Besetzung der Betriebe in Italien (1924)
Die Besetzung der Metallfabriken Italiens im Jahre 1920 ist nicht ohne große moralische und psychologische Vorbereitungen zustandegekommen. Die U.S.I. (Syndikalistische Union Italiens) hat für diese Idee seit 1919 agitiert, d.h. sofort nach dem Kriege, als die Arbeiterbewegung wieder auflebte. Dank der herrschenden Unzufriedenheit hat sich die Propaganda der U.S.I. weiter entwickeln können, und bei jeder Gelegenheit, bei den Kämpfen innerhalb einer Industrie oder bei allgemeinen Kämpfen, haben die tätigen Genossen von der U.S.I. niemals vergessen, die Notwendigkeit vor Augen zu führen, daß man vom passiven Streik zur Besetzung der Fabriken übergehen muß.
Die praktischen Resultate ließen nicht auf sich warten. In den Kämpfen der Landarbeiterschaft, die fast überall in Italien, und besonders in Süd-Italien, sofort nach dem Kriege ausbrachen, gingen die Landarbeiter zur Tat über und nahmen von den Ländereien Besitz. Hatten nicht selbst die Propagandahetzer des sogenannten „Befreiungskrieges" den Bauern das Land versprochen?
Auf dem Gebiete der Industrie verwirklichten sich die ersten Kundgebungen dieser Art in Sestri Ponente, Sampierdarena und Trento. Die Metallarbeiter dieser Städte, die zur U.S.I. gehörten, waren es, die, ohne zu zögern, als erste dem Beispiel der Landarbeiter folgten.
In unserem offiziellen Organ „Guerra di Classe" (Klassenkampf) vom 1. März 1920 sagten wir in einem Artikel, der auf die Ereignisse jener Tage in dem Metallarbeitergebiet des ligurischen Flusses Bezug nimmt: „Die Tatsache der Besitznahme der Metallfabriken in Sestri Ponente und Sampierdarena hat den größten Lärm hervorgerufen. Alle Behörden sind in Bewegung geraten. Das Hauptziel der Arbeiter war, die Obrigkeit und das Unternehmertum zu zwingen, die Folgen einer langen Aussperrung zu überdenken: einer Aussperrung, die die Arbeitermasse nicht wollte. Dieses Ziel ist erreicht worden. Das andere Ziel, das sich die Arbeiter gesetzt hatten, war von demonstrativem Charakter: nämlich die technische Reife der Arbeiter selbst zu beweisen, indem man zeigte, daß man die größten und modernsten industriellen Betriebe in den verschiedenen Produktionszweigen selbst einrichten und leiten konnte. Um diese Einsicht zu erreichen, war es nötig, in die Betriebe einzudringen, und die einzige Art hinein- zugelangen war, nicht aus ihnen herauszugehen. Diese Kundgebung der Arbeiter Liguriens, die große Begeisterung unter den Arbeitern ganz Italiens hervorrief, war kein Zufall. Doch wenn es auch nicht am nötigen Geist fehlte, um dieses Experiment zu versuchen, fehlte wegen der Ueberstürzung der Ereignisse die nötige Zeit, um alle Elemente innerer Organisation in den Fabriken zu ordnen.
In der Tat wurden unter diesen Umständen die technischen Leiter jedes Industriezweiges in großer Eile in den Betrieben gewählt, unter dem Drucke unmittelbarer Notwendigkeit, aber nur von rein technischen Gesichtspunkten aus, d.h. man berief die geeignetsten Arbeiter zur Leitung.
Ist die Arbeit gut vorwärts geschritten? Ja, die Arbeit ist sehr gut vorwärts geschritten, und mit welcher Freude und Disziplin hat jeder Arbeiter geschafft, sobald er in die Fabrik eintrat. Es war eine Vorläufer-Bewegung, die keine Nachfolgerin hatte, und die in diesem Moment auch nicht nachgeahmt werden konnte, die aber das praktische Beispiel in einem Augenblick gab, wo es große Beeinflussungskraft hatte.
Nach zwei Tagen warf die Königsgarde die Fabrikarbeiter in Sestri Ponente aus den Fabriken hinaus, und das brachte tragische Zwischenfälle mit sich. In den großen Stahlfabriken von Campi dauerte die Besetzung vier Tage. Während dieser Zeit ist die Produktion in jeder Fabrik über dem Durchschnitt gewesen, trotz aller Versuche von Seiten des Unternehmertums, den elektrischen Strom abzuleiten."
Wir glauben, es ist nützlich, wenn wir bekanntgeben, was wir in der „ Guerra di Classe" vom 28. Februar 1920 geschrieben haben, sogleich nach den Ereignissen, von denen wir sprachen. Es ist ein Leitartikel und heißt : „Hinein in die Fabriken!", vom Kameraden Borghi geschrieben. Hier ist er: „Die letzten Tage waren von Ereignissen von größter Wichtigkeit ausgefüllt. Es ist schon länger als ein Jahr her, daß in Italien jeder Vorwand gut ist, um bei den Arbeitermassen zu erreichen, daß sie mit den alten Kämpfen für die unmittelbare Verbesserung und für die moralischen Siege brechen, um mit Riesenschritten zu der revolutionären Lösung, der Besitznahme der Fabriken zu gelangen. Die Masse geht bis zum äußersten, das heißt ganz einfach, daß sie die Notwendigkeit, an den Grundfesten der Gesellschaft zu rütteln, verstanden hat, und daß die Grundfeste das Kapital ist.
Die Besetzung der Betriebe ist die Idee, die die Masse beherrscht, und künftighin kann man sicher sein, daß eine Revolution in Italien sich nicht anders entwickeln kann als auf dieser befreienden Grundlage. Schon mehr als 6 Monate ist es her, daß man gegen die Teuerung gekämpft hat. Die Masse hat die Läden im Sturm genommen und hat die Arbeiterbörsen zum Mittelpunkt ihres instinktiven Kommunismus gemacht.
Beim Generalstreik in Mantua hat die Masse die Arbeiterbörse zu ihrem Hauptquartier gemacht. Bei der Aussperrung in Ligurien geht die Masse nicht aus den Fabriken heraus und beginnt, auf eigene Rechnung zu produzieren. Der Kampf zieht sich auf seinen natürlichen Mittelpunkt hin, auf den Mittelpunkt, den wir seit langer Zeit schon angezeigt haben: auf die Fabrik.
In diesem Moment befinden wir uns noch in dem Stadium der Propaganda durch die Tat; aber wenn die Königsgarde und die Carabinieri (eine Art Reichswehr) mit den Waffen in der Hand die Fabriken befreien müssen, um sie den Besitzern zu übergeben, wenn der Arbeiteraufstand nicht mehr in dem Stadium ist, daß man sich, wie die Sklaven auf dem Berg Aventinus , zurückziehen muß, wenn die Arbeiter auf die Dächer der Fabriken steigen, um die Fabriken mit den Waffen, die ihnen die Soldaten gegeben haben, selbst zu verteidigen, — an jenem Tage muß die enteignende Revolution noch untergehen, und man muß hinzufügen, nicht wegen des geringen Klassenbewußtseins der Massen, sondern wegen der Faulenzerei gewisser sogenannter revolutionärer Parteien, die ihren Versprechungen nicht nachkommen und die Hoffnung, die das Volk auf sie gesetzt hat, nicht erfüllen.
Die Vorwärtsbewegung des Proletariats von Sestri Ponente hat uns noch nicht zum Ziel geführt, aber sie hat es uns um vieles näher gebracht. Man geht von solch einer Höhe nicht wieder herunter, und man löscht nicht mehr die Spuren dieses Vortrupps aus. Die Arbeiter sind zur Arbeit für das Unternehmertum wieder zurückgekehrt, weil die wohlbewaffnete Minderheit der Verteidiger des Kapitals gesiegt hat; aber morgen wird der Kampf wieder von dort aus weitergeführt werden, wo die Ereignisse von Sestri Ponente Halt gemacht haben, genau so, wie die Ereignisse von Sestri da begonnen haben, wo der Mantuaer Kampf aufgehört hat. Dürfen wir unter diesen Umständen jene Kämpfe als zu voreilig beschuldigen, weil der Sieg nicht gelang und weil sie über die Anfangsgründe eines Arbeiterkampfes hinausgehen?
Wir überlassen diese Rolle den Kapuzinerpatern der Zeitung „Avanti" , die ihre Vergangenheit entwürdigen. Wir im Gegenteil, wir sagen: „ Waren die Ereignisse von Sestri denn unzeitgemäß, weil sie vereinzelt blieben? Doch diese Tatsachen sind zu ihrer Zeit geschehen, denn, eine nach der anderen, haben sie, indem sie über alle Gaue Italiens dahinschritten, gezeigt, daß in Wirklichkeit das ganze Proletariat Italiens dasselbe Kraftniveau hat (und das ist seine revolutionäre Reife). Das zeigt eine Lage der Dinge, die diejenigen, welche wirklich die Revolution machen wollen, zur praktischen Tat bringen müßte. Oder vielleicht sind deshalb Ereignisse wie die von Sestri unzeitgemäß, wie der „Avanti" schreibt, weil sie dem Allgemeinen Gewerkschaftsbund hinderlich sind, und dann muß man eingestehen, daß man die Revolution nicht will.
Wir rufen den Kameraden von Sestri, Campi, Ligurien usw. zu: „Immer vorwärts, Kameraden! Die Revolutionäre von 1789 riefen: Auf die Bastille! Das Proletariat von heute ruft: In die Fabrik!" Dem großen Kampf zwischen Fabrikbesitzern und Metallarbeitern ging, ehe er in die allgemeine Bewegung im September 1920 einmündete, eine lange Periode gemeinsamer Besprechungen voraus. Während dieser Periode wollte die U.S.I. außerhalb diplomatischer Verhandlungen und akademischer Klassengemeinschaften bleiben, indem sie dieses Geschäft den reformistischen und katholischen Organisationen überließ.
Die Landesorganisation der Metallarbeitersyndikate, die zur U.S.I. gehörten, gaben, als das Unternehmertum versuchte, die Diskussion mit den Organisationen auf die Frage der Industriebedingungen zu lenken, eine Erklärung ab, deren wesentliche Worte die folgenden sind: „In Anbetracht dessen, daß das heutige System nicht auf den Interessen der Allgemeinheit, sondern auf Einzelinteressen aufgebaut ist; in Anbetracht dessen, daß das der ursprüngliche Grund der Störungen im wirtschaftlichen und politischen Industrieleben der Gesellschaft ist, haben die Arbeiter infolgedessen keine Verantwortlichkeit für den Glückswechsel der Industrie selbst, und sie können sich nicht um die Lage der industriellen Bourgeoisie kümmern, die die Arbeiter als käufliche Ware ansieht und nicht wie Menschen, die ein Recht auf das Leben und auf den Genuß der Früchte ihrer Arbeit haben."
Nach diesen Erklärungen weigerte sich die U.S.I., in den unnützen und endlosen Diskussionen auf die Frage der Bedingungen in der Industrie zurückzukommen, wirklichen oder künstlich geschaffenen Bedingungen, die das Unternehmertum immer fälschen kann, wie es das so oft den Arbeitern oder selbst dem Staate gegenüber tut, wie man es nach einer Reihe von Skandalen, die zur Kenntnis der Gesellschaft gelangten, feststellen konnte.
Die wichtigste Aufgabe, die die U.S.I. in den hier dargestellten Klassenkämpfen übernommen hat, war, ihnen voranzugehen und sie in ein bestimmtes Fahrwasser zu leiten, um sie zu einem revolutionären Ausweg zu führen, da die allgemeine Lage in Italien zu jener Zeit ihnen günstig war. Das Unternehmertum hatte schon seine Absicht gezeigt, einen Kampf mit dem Proletariat zu provozieren, um einen Vorwand zu haben, es durch eine schreckliche Reaktion unterdrücken zu können. All das hatte die U.S.I. wohl verstanden, und sie gab dem Proletariat Italiens das Alarmzeichen durch ein Manifest ihres Metallarbeitersyndikats, in dem sie unter anderem sagte: „Man will den Preis der Produkte aufrechterhalten und die Löhne der Arbeiter drücken, um sie zurückzustoßen und sie dem unkontrollierbaren Despotismus der Arbeitgeber zu unterwerfen."
In einer anderen Kundgebung desselben Metallarbeitersyndikats der U.S.I. warnte man das Proletariat und schloß mit folgenden Worten: „Seid zum Kampf bereit, der unvermeidlich ist; schart Euch alle um die Fahne der Revolution."
Der Kampf drohte, da die Unerbittlichkeit der Arbeitgeberverbände auf der Hand lag, und während die anderen Arbeiterorganisationen einen ruhigen Ausweg aus dem Kampf suchten, arbeitete die U.S.I., um in den Arbeitermassen den Gedanken an die Besetzung der Fabriken wachzurufen.
Seit den ersten Tagen des Juli, während der F.I.O.M. (Italienischer Metallarbeiterverband) den Kampf auf systematische Obstruktion der Arbeit zu beschränken suchte (ein unzulängliches Kampfmittel in Anbetracht der Breite des Kampfes), setzten sich die Organe der U.S.I. für ein energisches Vorgehen ein, und seit diesem Augenblick verschwand schon der Gedanke systematischer Obstruktion, indem man den Streik in der Fabrik und die Besetzung der Fabriken vorzog. In einer Landeskonferenz, die am 17. August in Spezia stattfand, nach dem Scheitern jeden Versuchs, der Metallarbeiterbewegung eine pazifistische Lösung zu geben, wie die Reformisten es wollten, nahm man folgende Resolution an:
„In Anbetracht dessen, daß der Streik in der gegenwärtigen Situation bei der Haltung der Industriellen, die Interesse daran haben, die Kräfte des Proletariats zu lähmen, nicht zu verwirklichen ist, in Anbetracht dessen, daß der passive Widerstand der Arbeiter großen praktischen Schwierigkeiten begegnen wird, in Anbetracht dessen, daß man, um dem Widerstand von Seiten der Unternehmer energisch standzuhalten, zu allen Mitteln und besonders zum gleichzeitigen Einbruch in die Fabriken greifen muß, beschließt die Konferenz, in der Masse der Metallarbeiter die Annahme dieses letzteren Kampfmittels zu unterstützen."
Nach dieser Konferenz wurde ein anderes Manifest veröffentlicht. Hier sind die wichtigsten Stellen daraus, die systematische Obstruktion betreffend: „Bei der Hartnäckigkeit und dem Widerstand der Fabrikbesitzer scheint uns diese Kampfesform, die bis in die Unendlichkeit fortdauern, die Massen enttäuschen, den Kampfesgeist schwächen kann, ohne daß es ihr gelingt, die Besitzerklasse tatkräftig aufs Haupt zu schlagen, unzureichend. Der passive Widerstand und die Obstruktion können die Industriellen zum allgemeinen oder Teilausstand bringen, was die Besitznahme der Fabriken durch die Arbeiter sehr erschwert, weil man sie, wenn sie sich außerhalb der Fabriken befinden, mit Hilfe der Bajonette der Königsgarde verhindern kann, von neuem hineinzugelangen."
Wir hatten alles vorausgesehen, bis auf die Einzelheiten. Tatsächlich verkündeten einige Betriebe den Ausstand , und wenn die Arbeiter nicht bereit gewesen wären, den allgemeinen Ausstand zu verhindern, indem sie einfach nicht aus den Fabriken herausgingen, so wäre die Besetzung der Fabriken nicht möglich gewesen. Eine andere Stelle aus dem Manifest der U.S.I.: „Die Besitznahme der Fabriken muß gleichzeitig vor sich gehen, ehe man herausgeworfen wird und muß mit allen Mitteln, die der organisierten Arbeiterklasse zu Gebote stehen, verteidigt werden. Wir sind fest entschlossen, auch selbst die Arbeit anderer Industriezweige sowie die Landwirtschaft in den Kampf hineinzuziehen. Die Pflicht der anderen Organisationen also ist es, Stellung zu nehmen und sich zum endlichen Angriff bereit zu halten."
So trieb die U.S.I. zum Kampf, während der reformistische Allgemeine Gewerkschaftsbund bereit war, auch auf den passiven Widerstand zu verzichten, um die Besprechungen mit den Arbeitgeberverbänden wieder aufnehmen zu können. Aber das Niveau des Proletariats war höher als die Psychologie der reformistischen Führer, und alle Vorläufer proletarischen Kampfes nach dem Kriege zeigten die Unvermeidlichkeit extremen Kampfes, der alle anderen übersteigen müsse, die man bis dahin ausgefochten hatte.
Am 20. August 1920 begann der passive Widerstand und der Kampf in den Betrieben der Metallarbeiter in ganz Italien. Gemäß den Beschlüssen der reformistischen Organisationen hätten die Arbeiter schuften sollen auf Grund des mittelmäßigen Tariflohnes und unter Ausschluß des Arbeitsüberschusses, der zum Gewinn für die Kapitalisten dient. Aber die Arbeiter setzten, indem sie den Rat des Allgemeinen Metallarbeiterverbandes der U.S.I. befolgten, die Arbeit auf 80 % herab, mit der Idee, dem Kampfe einen entscheidenden Abschluß zu geben und den weniger extremen Teil der Arbeiter selbst für die Besetzung der Fabriken zu begeistern.
Gerade in diesem Augenblick wurde eine Delegation der U.S.I. ins Arbeitsministerium nach Rom berufen, um eine Wiederaufnahme der Unterredungen zwischen Industriellen und Arbeitern zwecks Aufschub des Kampfes zu versuchen; aber die Delegation der U.S.I. erklärte, die einmal gefällten Entscheidungen nicht zurücknehmen, noch auf den begonnenen Kampf verzichten zu können. In denselben Tagen begann tatsächlich in mehreren hundert Metallfabriken die Besetzung von seiten der Arbeiter. Diese Besetzung griff in der Metallindustrie am 1. September überall um sich, am selben Tage, wo der ehrenwerte Buozzi, der Generalsekretär des F.I.O.M. (Italienischer Metallarbeiterverband Richtung Amsterdam) dem Arbeitsminister und dem Präsidenten des Industriellenverbandes erklärte, daß er bereit sei, auf den passiven Widerstand zu verzichten, wenn man andererseits zur Wiederaufnahme der Unterhandlungen um einer friedlichen Lösung willen bereit wäre. Aber die Arbeiter hatten über diese Frage schon entschieden, indem sie der Entscheidung und den Ratschlägen der U.S.I. Folge leisteten. Der Allgemeine Gewerkschaftsbund und die Politikanten, die ihn verteidigten, waren geschlagen. Die schwarzen und roten Fahnen wehten an jenem Tage von den Schornsteinen unzähliger Metallfabriken, von den Schiffsbauplätzen, den Hochöfen und allen Stahlfabriken.
In den Köpfen der Arbeiter Italiens trat der leuchtende Gedanke einer neuen sozialen Ära in seiner ganzen Breite auf. Es war der entscheidende Moment, wo man entweder den Vormarsch einerseits oder den unglücklichen Rückschritt andererseits wählen mußte. Die Masse war bereit. Eine entschiedene revolutionäre Minderheit war entschlossen, ihre Pflicht zu tun. Die reformistischen Politikanten hatten wohl Mittel um zu zerstÖren, denn sie sprachen immer von Revolution, und deswegen konnte n sie die Hoffnungen der Arbeiterklasse täuschen. Alle diese Kräfte waren am Spiel. Wem war der Sieg bestimmt?
Die U.S.I., die fest entschlossen war, der Verwirklichung der allgemeinen Sehnsucht der Proletarier obzuliegen, hielt mit ihrer Aktivität nicht vor der vollendeten Tatsache der Besetzung der Metallfabriken still.
Am 2. September, dem Tage der allgemeinen Besitzergreifung der Fabriken, wurde eine Versammlung des Generalkomitees in Mailand abgehalten. Man erließ einen Aufruf an die Industriearbeiter, worin man sie zum endgültigen Kampf gegen die Bourgeoisie, zur Vorbereitung der Besitzergreifung der Bauplätze, Felder und Bergwerke, aufforderte.
Dieser Aufruf wurde von den Massen, die dem bürgerlichen Regime ein Ende machen wollten, mit Begeisterung aufgenommen. An mehreren Orten dehnte sich die Besetzung der Fabriken einige Tage später auch auf die Bergwerke, auf die chemische und Textilindustrie und selbst auf die Ländereien aus. Der Geist der Masse war voll lodernder Begeisterung. Man wollte bis zum Endziel vorgehen. Die Führer des A.G.B. (Allgemeiner Gewerkschaftsbund) konnten sich dem Druck der Arbeitermassen, die von dem Gedanken unmittelbarer Verwirklichung der Enteignung erfüllt waren, nicht entziehen. und nun berief der A.G.B. seinen Generalrat für den 10. und 11. September ein, um einen endgültigen Beschluß zu fassen. Die U.S.I. hielt nicht einen Augenblick in ihrer fieberhaften Tätigkeit ein, die Besitzergreifung auf alle Zweige der Industrie auszudehnen. In Sampierdarena (bei Genua) wurde für den 7. September eine Konferenz einberufen, alle syndikalistischen Organisationen Liguriens, das hauptsächlich Industriegebiet ist, wurden dorthin geladen, selbst diejenigen, die nicht zur U.S.I. gehörten, denn man wollte sozusagen die anderen gewerkschaftlichen Kräfte in unsere Aktion mit hineinziehen und sie dem Einfluß der reformistischen Führer des A.G.B. entziehen. Die Versammlung fand statt. Die Eisenbahner, Hafenarbeiter und Seeleute nahmen daran teil. Die leitende Idee war, daß man aus dieser Versammlung mit dem Gedanken an sofortige Besetzung der wichtigsten Häfen herausgehe: Zuerst in Genua und dann in Spezia und Savona; zur selben Zeit Besetzung und Besitzergreifung der Eisenbahnen, Straßenbahnen und anderer gemeinnütziger Betriebe. Die Leiter der C.G.T. begriffen, daß eine solche Aktion, die sich außerhalb ihrer Beschlüsse entwickelt hatte, sie in ernstliche Ungelegenheiten bringen könnte, denn ihre Autorität wäre sicherlich nicht anerkannt worden.
Besonders war der A.G.B. ganz von dem Gedanken beherrscht, daß er gegenwärtig einer vollendeten Tatsache gegenüberstehen könnte, ohne seine einschläfernde Kontrolle ausgeübt zu haben. Infolgedessen hielt er es für nötig, an jener Initiativ-Versammlung, die die U.S.I. organisiert hatte , sich zu beteiligen und schickte seine Delegierten, deren Ziel natürlich die Lähmung jeglichen Aktionswillens der Arbeiter war: Herrn Colombino (einer der Sekretäre der Metallarbeiterföderation, die zum A.G.B. gehörte) und Herrn Garino (ein Metallarbeiter und sogenannter Anarchist aus Turin, zum A.G.B. gehörig, der im Gegensatz zu den meisten Syndikalisten und Anarchisten seines Wohnorts stand).
Diese beiden Abgesandten versicherten uns, daß der A.G.B. in der großen Generalversammlung für das ganze Land am 10. Sept. in Mailand vorschlagen würde, die Okkupationsbewegung auf alle Industrien und alle Produktionszweige in Italien auszudehnen, und daß man, damit alles gut gehe, die Ereignisse nicht überstürzen dürfe, um nicht durch eine Lokalschlacht die Bewegung im ganzen Lande zu kompromittieren, die im geeigneten Moment die proletarische Revolution auf der gesamten Halbinsel zum Ausdruck bringen würde.
Diese schmeichlerischen Versprechungen konnten die Mehrheit der Versammlung überzeugen, um so mehr, als ein revolutionärer Kamerad sie aussprach: Garino glaubte zweifeltos an die Versprechungen der reformistischen Chefs des A.G.B. Die Delegierten, die unter diesen Umständen durch uns versammelt waren, nahmen den Beschluß an, die Bewegung noch einige Tage hinzuziehen, bis zur Landesversammlung des A.G.B. man versicherte uns im übrigen (von Seiten der beiden Abgesandten Colombino und Garino) , daß man zu dieser Versammlung auch die U.S.I., die F.d.M. (Seemannsbund), die S.D.C. (Eisenbahnerverband) und die F.d.P. (Hafenarbeiterföderation) einladen werde.
Nichtsdestoweniger blieb der Schreiber dieser Zeilen den Absichten der reformistischen Führer gegenüber sehr skeptisch, da er wußte, daß die Arbeitermasse (selbst die des A.G.B.) mit uns, d.h. für die Enteigungsbewegung, war. Mehrere Kameraden mißtrauten, so wie ich, diesem Beschluß; aber trotzdem (in Anbetracht der Tatsache, daß unsere Versammlung sich ausschließlich aus Organisationen, die zur U.S.I. gehörten, zusammensetzte) ließ der Gedanke oder die Furcht, die allgemeine Bewegung durch einen Provinzaufstand in Ligurien zu kompromittieren, die ungeheure Verantwortlichkeit bemerken, die daraus entspringen konnte , so daß die Mehrzahl der Delegierten sich dafür entschied, den Vorschlag der Delegierten des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes, Colombino und Garino, anzunehmen, d.h. den Entscheid des Rates des A.G.B., der am 10. und 11. September in Mailand stattfinden sollte, abzuwarten. Doch die U.S.I. ließ sich von diesen eitlen Versprechungen nicht einschläfern, und trotzdem sie auf die Mailänder Räteversammlung wartete, arbeitete sie an ihrem revolutionären Propagandawerk für die Enteignung weiter fort. Der 10. September kam: Die Konferenz des A.G.B. wurde bei verschlossenen Türen abgehalten, und die U.S.I. wurde, ebenso wie die anderen Arbeiterorganisationen, die nicht zum A.G.B. gehörten, davon ausgeschlossen.
Abermals erließ die U.S.I. einen Aufruf an alle gewerkschaftlichen Zentralen und Vorstandskomitees der politischen Arbeiterparteien, um noch am 12. September wegen eines Meinungsaustausches über die gemeinsame Aktion zusammen zu beraten. Wir unsererseits wußten, daß man handeln und sogar schnell handeln müsse, denn hier stand Leben oder Tod des Proletariats auf dem Spiel. Der Verrat der Führer des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes. Man muß wissen, wie sich die Dinge in der Konferenz des A.G.B. abspielten. So wie wir oben berichten, wurde die U.S.I. kategorisch davon ausgeschlossen (und das mit gutem Grunde), und man ließ nur die Organisationen, die offiziell zum A.G.B. und in seinen Rahmen gehörten, zu. Einige Delegierte der S.D.C. (Eisenbahnerverband) und F.d.M. (Seemannsbund) waren mit Beratungs- aber ohne Abstimmungsrecht zugelassen worden.
Die U.S.I., die trotz allem am unmittelbarsten am Kampfe beteiligt war, ließ man beiseite. Ein Delegierter erhob sich, um die Zulassung unserer Delegation zu erbitten: es war der Sekretär der Straßenbahnergewerkschaft; aber die Führer des A.G.B. weigerten sich hartnäckig. Dieser Konferenz hatte man eine sehr große Bedeutung beigemessen und hatte ihren Sitz in das Mailänder Rathaus verlegt, das sich in den Händen der Sozialistischen Partei befand. Die Presse hatte viel Lärm wegen dieser Versammlung gemacht, denn man erwartete von ihr den Befehl, sei es, um bis zum Äußersten vorzugehen, oder um sich zurückzuziehen. Und es stand zweifellos fest, daß man, um sich besser zurückziehen zu können, die U.S.I. ganz bewußt aus dieser Versammlung zurückstieß, die sich ausschließlich aus den Hauptführern des A.G.B. und denen der Sozialistischen Partei (mehrerer Senattierungen) zusammensetzte, z.B. die Turati, Modigliani usw. Unter weniger schwierigen Umständen hätte man schon, trotzdem man nicht von einer Einheitsfront (Moskauer Neuerfindung) sprach, alle gewerkschaftlichen und politischen Organisationen, d.h. die Sozialistische Partei und die Anarchistische Union gemeinsam versammelt. Aber dieses Mal verhinderten die politischen Führer das Zusammentreffen. Die sozialistischen Führer waren vertreten und auch die, die sich heute Kommunisten nennen, die damals aber brüderlich vereinigt in derselben großen Partei saßen. und dort, wo Turati, ganz wie es ihm behagte, Ruhe predigen konnte , war es Malatesta nicht möglich, hineinzukommen, um zum Kampf anzufeuern, und wo d' Aragona die gefaßten Beschlüsse sabotierte, ließ man uns zum „Vorwärts" rufen nicht zu.
Der Sekretär der Seeleute sprach in Anbetracht der zugespitzten Lage der Metallarbeiterbewegung seine Meinung zugunsten der Ausdehnung der Aufstandsbewegung aus: „Von nun an rücken die Forderungen der Metallarbeiter an die zweite Stelle. Wenn selbst die Unternehmer uns, angesichts der jetzigen revolutionären Lage, dreimal mehr anbieten, als sie uns bis jetzt vorgeschlagen haben, darf man nicht zurückweichen."
Der Sekretär der F.d.P. (Hafenarbeiterföderation) erklärte, daß „seine Föderation bereit sei zu einer entscheidenden Aktion." Colombino selbst, einer der reformistischen Führer, mußte erkennen, daß die Lohnaufbesserungen dem Geisteszustand der Massen nicht angepaßt seien, und daß die Arbeiter, die in die Fabriken eingedrungen seien, sie in ihrem Besitz behalten wollten. Der reformistische Abgeordnete Modigliani verkündete, daß „die Lage so revolutionär sei, daß keine Möglichkeit mehr bestehe, sie unter das kapitalistische Regime wieder einzuordnen."
Aber unglücklicherweise sollte diesen Worte n eine ultrakonservative Tat von seiten der Führer des A.G.B. und der sozialistischen Deputierten folgen, die vollkommen miteinander übereinstimmten, die berühmte „Anerkennung des Prinzips gewerkschaftlicher Kontrolle der Industrie" zu fordern „und ... die unmittelbare Eröffnung der Deputiertenkammer zu erbitten". Es erübrigt sich zu sagen, daß diese beiden Forderungen die Zustimmung der Kommunisten fanden, die an der Spitze der Sozialistischen Partei und der Parlamentsgruppe standen. So wurde die große revolutionäre Schlacht, auf die das italienische Proletariat sich mit so viel Begeisterung vorbereitet hatte, sabotiert; sabotiert am Vorabend ihrer allgemeinen Ausbreitung von einer Gruppe von Politikanten, die vorgab, die Interessen des Proletariats zu schützen, und die es in dem Augenblick, wo es zur Vernichtung des Kapitalismus aufmarschierte, feige verriet.
Der Beschluß, der vom Generalrat des A.G.B. in der Nach t vom 11. zum 12. September angenommen wurde, war nicht die Willensäußerung des arbeitenden Volkes. In der Tat wurde für d' Aragonas Resolution in bezug auf die Stillegung des Kampfes und Rückgabe der Fabriken nur von den Delegierten von 600.000 Arbeitern abgestimmt, während 400.000 für den Kampf bis zum Äußersten stimmten und 94.000 sich enthielten. Man muß wissen, daß die Mitgliederzahl aller Arbeiterorganisationen (ob sie zum A.G.B. gehörten oder nicht), die auf dem Boden des Klassenkampfs standen, ungefähr auf 3 Millionen stieg; ungefähr 2 Millionen hatten keine Vertreter in der Landeskonferenz, oder die letzteren hatten kein Stimmrecht.
Außerhalb dieser Versammlung befanden sich fast alle Arbeiter, die für die Enteignung waren. Der Beweis dafür ist die Erklärung der Hafenarbeiter, der Delegierten der Seeleute und die Haltung der U.S.I., die immerfort zum Kampf anfeuerte. So hatte von 3 Millionen organisierter Arbeiter nur ein Drittel das Stimmrecht bei einer so ernsten Lage und mitten in einer revolutionären Periode, während man von freien Arbeiterräten sprach. Ein Fünftel der gesamten gewerkschaftlich organisierten Arbeitermasse sprach sich durch die Stimme dieser sogenannten Delegierten gegen die revolutionäre Aktion aus und gab sich willkürlich den Titel „Mehrheit". In Wirklichkeit hatte der Landesrat des A.G.B. nur ein Ziel: die Entwicklung des proletarischen Kampfes, koste es, was es wolle, zu verhindern und sie, im Augenblick, wo sie das kapitalistische Regime stürzen konnte, anzuhalten. Das war der Plan, den die Reformisten vorausgesehen und gewollt hatten, was d'Aragona auch später zugegeben hat, in dem er sagte: „ Wir sind stolz darauf, den Ausbruch der Revolution, den die Extremisten forderten, verhindert zu haben."
Die schändliche Flucht der Kommunisten
Der Verrat der Funktionärkonferenz des A.G.B. erschwerte von nun an die Lage der U.S.I. Trotz dem berief sie in Übereinstimmung mit der S.D.C. (Eisenbahnerverband) für den 12. September eine Versammlung aller gewerkschaftlichen proletarischen Organisationen ein, um zum Zwecke einer gemeinsamen Aktion eine Vereinigung für die allgemeine Enteignung in ganz Italien zu bilden. An dieser Versammlung nahmen die U.S.I., die F.d.M. (Seemannsbund), die F.d.P. (Hafenarbeiterföderation), die Gewerkschaften der Transportarbeiter, der A.G.B., die Sozialistische Partei, die Union der kommunistischen Anarchisten und etliche andere, die weniger bedeutend sind, teil. Alle Delegierten, die anwesend waren, mit Ausnahme von denen des A.G.B., stimmten in der Anerkennung der Notwendigkeit, die Besetzungsbewegung weiter auszudehnen, überein. Der A.G.B.-Delegierte hatte die entgegengesetzte Ansicht, indem er darlegte, daß nach dem Beschluß des A.G.B.-Generalrats am vorhergehenden Tage, es für den A.G.B. vollkommen unmöglich wäre, mit den anderen Organisationen, die den Kampf bis zum Äußersten forderten, zusammenzugehen. Der Vorstand der Sozialistischen Partei vereinigte sich mit dem A.G.B. und machte sich zu seinem öffentlichen Mitschuldigen in dem verräterischen Werk, das er verübte, und man muß bemerken, daß diese Führer dieselben waren, die sich Kommunisten nannten, und die später die Kommunistische Partei bildeten.
Selbst der Sekretär der Sozialistischen Partei, Herr Gennari, war zu jener Zeit ein erbitterter Kommunist. Die Moskauer „Prawda", (Zentralorgan der Kommunistischen Partei Rußlands) selbst mußte gestehen, daß die Saboteure der Revolution in Italien nicht nur die Reformisten waren, sondern auch die Kommunisten, die nichts weiter vermochten, als zweideutige Gründe anzugeben und sich der Disziplin des A.G.B. zu unterwerfen, dessen letzten und verhängnisvollen Verrat sie durch ihre Zustimmung sanktionierten. Der Delegierte der S.D.C. (Eisenbahnerverband) erklärte, daß die Eisenbahner an der Besetzungsbewegung teilnehmen könnten, ohne auf die Zustimmung des A.G.B. zu warten und selbst gegen seinen Beschluß es täten, wenn wenigstens die Sozialistische Partei sich zugunsten der Bewegung erklärte. Aber der Delegierte der Sozialistischen Partei weigerte sich, diese Zustimmung zu geben. So wurden die Arbeiter, die zuerst von den Reformisten des A.G.B. verraten worden waren und noch auf die revolutionäre Aufrichtigkeit der kommunistischen Führer an der Spitze der Sozialistischen Partei hofften, doppelt enttäuscht, als sie den Abfall der letzteren sowie des A.G.B. sahen. Diese Arbeiter dachten, daß nach dem Bankerott der A.G.B.-Führer die Sozialistische Partei die Verantwortung für die Weiterführung der Bewegung über nehmen könnte, um so mehr, als starke Arbeiterorganisationen, die ihren außerordentlichen Besitz in den Betrieben und wichtigen Zweigen der Produktion behaupteten, bereit waren, loszuschlagen. Aber der Zufall wollte, daß die Kommunisten betreffs der Revolution dieselben Vorurteile wie die Reformisten hatten, so daß das Proletariat von den einen sowohl als auch von den anderen verraten wurde. Die Kommunisten, die nicht den revolutionären Wert der Besetzung der Fabriken übersahen, stießen sich an dem Gedanken, daß die Masse wegen mangelnder militärischer Vorbereitung und der zur Verteidigung nötigen Waffen nicht stark genug wäre, den Ansturm der Regierungsoffensive auszuhalten. Und selbst ein Delegierter aus Turin legte diesen Gesichtspunkt vor der Konferenz des A.G.B. dar. Die Besorgnisse der Kommunisten waren schlecht begründet, die klarsten Tatsachen haben ihnen ihr Unrecht gezeigt.
Tatsächlich gestand der Arbeitsminister, Herr Labriola (ein ehemaliger revolutionärer Sozialist, der zu den Reformisten übergegangen ist), in einem Interview mit Vertretern des Pariser „Matin" ein, daß es der Regierung unmöglich sei, den Aufstand zu unterdrücken, da er die Arbeiter für bewaffnet und unbesiegbar hielt. Und der Ministerpräsident, Herr Giolitti, verfehlte nicht, dem Senate einige Tage nach dem Rückzug der Arbeiter, als man ihm seine Regierungsschwäche vorwarf, zu antworten: „Und wenn ich wirklich Waffengewalt angewendet hätte, wissen Sie denn, in welchen Abgrund das Land gestürzt wäre?" Er, der das Proletariat kannte, der es in so vielen Schlachten gesehen hatte und daran seine wirtschaftliche und aufrührerische Kraft, im Augenblick, wo sich diese Tatsachen ereigneten, maß, konnte das antworten.
Der Staatsmann war ohnmächtig und reagierte nicht auf die revolutionäre Woge, die sich brüllend erhob und mit schwindelerregendem Stoß Thron, Macht, die kapitalistische Gesellschaft mit all ihren Privilegien, Gesetzen und Ungerechtigkeiten zu verschlingen drohte. Er wartete auf ... das Werk des A.G.B. und er wartete weder lange noch vergeblich.
Denn dieser Sabotageakt des A.G.B. rettete die Bourgeoisie, die unfähig war, sich zu verteidigen und resigniert auf die Besiegung wartete, worüber Giolitti sich im Senat erlauben konnte zu sagen: „Ich vertraute auf den A.G.B. Sie sehen jetzt, daß er mein Vertrauen zu würdigen gewußt hat."
Tatsächlich hatte n die Regierungsmänner und die Bourgeoisie begriffen, daß keine andere Aktion gegen die Arbeiter, die sich der Ländereien, der Industrie, der Bergwerke und Transportmittel bemächtigt hatten, möglich war; sie sahen sich in ihren Festungen gefangen, ohne Ausweg. Was konnte ihre Polizeimacht gegen mehrere Millionen entschlossener und bewaffneter Menschen, die zum Freiheitskampf bereit waren, ausrichten?
Diese Ereignisse zeigten, die Grundlosigkeit der Illusion derer, die da vorgeben, daß man, um die soziale Revolution zu machen, zuerst den Staat erobern muß, um die Arbeiterregierung zu verkünden. Die Lage in Italien hat gezeigt, daß die Regierung ein ohnmächtiges und unnützes Organ ist, wenn das arbeitende Volk selbst das Steuer der Gesellschaft ergreift. Wenn es sich der Produktionsmittel bemächtigt, wird sich die Revolution von unten auf mit der Tendenz, die politische Maschine des Staates zu zerstÖren, verwirklichen, um alle Wirtschaftlichen und technischen Kräfte, die dem Leben zugrunde liegen, nutzbar zu machen. Durch diese Kräfte verwirklicht die Revolution das Ziel der Arbeiterklasse, welche nicht die Herren wechseln, sondern sich von jeder Herrschaft befreien will.
Aus: "Die Internationale" Nr. 3, 1. Jahrgang (1924). Digitalisiert von der Anarchistischen Bibliothek und Archiv Wien. Nachbearbeitet (Scanungenauigkeiten entfernt, ae zu ä, That zu Tat usw.) von www.anarchismus.at.