Die Sünden der Zentralverbände (1919)

Syndikalistische Kritik an den großen Gewerkschaftsverbänden aus dem Jahre 1919. Allzuviel hat sich auch bei den heutigen "Einheitsgewerkschaften" ÖGB und DGB nicht geändert - sie taugen weder zum Klassenkampf, noch für eine emanzipative ArbeiterInnenpolitik...

Die Sünden der Zentralverbände

Vor dem Kriege waren sie angeblich politisch neutral, damit sich die Arbeiter nicht mit Politik beschäftigen sollten, bei Ausbruch des Krieges treten sie für den Krieg ein, fordern die Arbeiter auf, das Vaterland der Reichen zu verteidigen.

Sie fordern die Arbeiter auf, sich als Kriegsfreiwillige zu melden.

Sie nahmen teil an allen nationalen Verhetzungen, sie förderten die Durchhalte- Politik, sie hiessen alle brutale Methoden der Kriegsführung, den Unterseebootkrieg und die Versenkung von Passagierdampfern gut.

Sie zeichneten 70.000.000 Mark aus den Mitgliederbeiträgen als Kriegsanleihen, ohne die Mitglieder zu fragen.

Als die Arbeiter für den Frieden demonstrierten, streiken wollten, verweigerten sie die Unterstützung, dafür war kein Geld da.

Sie dehnten den Burgfrieden auf das wirtschaftliche Leben aus, schlossen mit dem Unternehmertum Kriegsfrieden, damit die Arbeiter während des Krieges keine Lohnkämpfe führen konnten und die Unternehmer die hohen Kriegsprofite ungeschmälert behalten konnten.

Sie halfen dem schmählichen Hilfsdienstgesetz (besser Zwangsarbeitsgesetz) zur Durchführung, wodurch die Arbeiterschaft der Militärdiktatur willenlos ausgeliefert wurde.

Sie haben vor Ausbruch der Revolution mit den Generalkommandos darüber beraten, wie die Revolution zu verhüten sei, worüber das Generalkommando des 9. A. K. erklärte, dass ihnen dies entgegen ihren Zusagen nicht gelungen sei.

Nach der Revolution schlossen sie mit dem Unternehmertum die Arbeitsgemeinschaft, deren Zweck es nach dem Bekenntnis des Syndikus des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, Dr. Reichert, ist, das Unternehmertum vor dem drohenden, über alle Wirtschaftszweige hinwegfegenden Sozialisierung, der Verstaatlichung und der nahenden Revolution zu bewahren.

Durch Abschluss von Tarifverträgen sichern sie dem Unternehmertum feste Profite und machen es den Arbeitern unmöglich, günstige Konjunkturen auszunutzen oder bei steigenden Lebensmittelpreisen ihre Löhne damit in Einklang zu bringen.

Eine Reihe von Verbandsbeamten haben den Polizei- und Militärbehörden Spitzeldienste geleistet und viele ehrenwerte Revolutionäre verraten.

Jetzt versuchen sie, den Tarifverträgen gesetzliche Kraft zu verschaffen und den Organisationszwang in den Zentralverbänden durchzusetzen, um die gewerkschaftlichen Gegner zu beseitigen.

Sie bekämpfen alle Lohnbewegungen und Streiks in der jetzigen Zeit, ohne dafür zu sorgen, dass der Schleichhandel und Lebensmittelwucher beseitigt wird.

Sie sind Gegner des Räte- Systems. Sie bekämpfen es, dass den Räten neben gewerkschaftlichen auch politische und wirtschaftliche Machtbefugnisse zustehen sollen.

Sie wollen das Lohnsystem und die Klassengesetze auch nach der Sozialisierung aufrecht halten, was aus dem Beschluß des X. Gewerkschaftskongresses hervorgeht:

„Die Gewerkschaften haben auch in der Gemeinwirtschaft und selbst in völlig sozialisierten Betrieben die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber Betriebsleitung, Gemeinde und Staat zu vertreten. Sie sind deshalb auch im Zeitalter des Sozialismus notwendig. Die soziale Fürsorge der Gesellschaft macht die gegenseitige Hilfe der Arbeiter in ihren Organisationen nicht entbehrlich. Die Gewerkschaften fordern von der Gesellschaft eine ausreichende Fürsorge für die Bedürftigen, insbesondere für die Erwerbsunfähigen. Erwerbsbeschränkten und ohne eigenes Verschulden Erwerbslosen. In dem Masse der Verwirklichung und Sicherung dieser öffentlichen Fürsorge können die gewerkschaftlichen Unterstützungseinrichtungen abgebaut werden.“...

Sie erziehen die Arbeiter zum blinden Kadavergehorsam (Disziplin) anstatt zu freien Persönlichkeiten.

Sie erklären sich jetzt für parteipolitisch neutral, um zu verhindern, dass die reaktionären Führerelemente durch revolutionäre, die Kaisersozialisten durch Unabhängige und „Kommunisten“ abgelöst werden können.

Sie bekämpfen die revolutionären Gewerkschaften, die es sich zur Aufgabe gestellt haben, das kapitalistische Ausbeutungs- und Beherrschungssystem zu beseitigen.“

Aus: "Der Syndikalist", 1. Jg. (1919), Nr. 38

Originaltext:
www.geocities.com/syndikalist2002/sunde.htm


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