Helge Döhring - Zwischen Revolution und Reform. Die Stellung der Freien Arbeiter Union Deutschlands FAUD zum Tarifvertragssystem (Kurzversion)
Die „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVdG), gegründet 1897, unterschied sich von den sozialdemokratisch dominierten Zentralverbänden u.a. dadurch, dass sie nicht nur grundsätzlich föderalistisch organisiert war (Selbständigkeit der einzelnen Ortsvereine), sondern auch dadurch, dass sie den revolutionären Sturz des kapitalistischen Wirtschaftssystems anstrebten, statt Tarifpolitik zu betreiben. Statt Berufsinteressen sollten mittels direkter Aktionen Klasseninteressen vertreten werden. Statt Sicherung des durch Arbeitskämpfe erreichten durch Tarifverträge, bevorzugten die Ortsvereine der FVdG weitere Angriffskämpfe in den Betrieben bis hin zum Generalstreik.[1]
Die Prinzipien der FAUD
Aus der FVdG ging nach dem 1. Weltkrieg unter tatkräftiger Mithilfe Rudolf Rockers im Jahre 1919 die Freie Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) hervor und erlangte durch die ausgearbeitete Prinzipienerklärung ein deutliches anarcho-syndikalistisches Profil. Das beinhaltete auch die Ablehnung des Tarifvertragssystems, welches im Dezember vom Rat der Volksbeauftragten als rechtsschöpferischer Faktor anerkannt worden war. Als Garant dieses Rechtsverhältnisses fungierte (manifestiert in der Weimarer Reichsverfassung) der Staat, welchen die Anarcho-Syndikalistischen GewerkschafterInnen im Gegensatz zu den Zentralverbänden grundsätzlich ablehnten. Die Konsequenzen wurden im „Syndikalist“ (Organ der FAUD) so beschrieben:
1. Können die Arbeiter unter den Bedingungen des Tarifsystems nicht mehr unmittelbar für ihre Interessen kämpfen (Friedenspflicht, d.h. Burgfrieden im Betrieb, Einschränkung des Kampfmittels der „Direkten Aktion“)
2. sind sie gezwungen, den Kampf zu delegieren und können dessen Ergebnisse nicht mehr kontrollieren (Zentralisierung)
3. sind die Arbeiter in der Führung ihrer Arbeitskämpfe nicht mehr flexibel, d.h. sie können sich im Kampf um den Preis ihrer Arbeitskraft nicht mehr den je spezifisch regionalen, innerhalb der einzelnen Industriebranchen unterschiedlichen und konjunkturellen Bedingungen anpassen. (Zentralisierung)
4. bedeutet das Tarifwesen „Lähmung jeder Aktionsfreudigkeit“, besonders durch das Schlichtungsrecht und die Friedenspflicht, sowie durch die finanzielle Organisationshaftung im Organisationsvertrag.[2]
Kurswechsel
Infolge der Stabilisierung der Klassenlage in der Weimarer Republik u.a. durch die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1920, der Inflation von 1923 und schließlich durch die Einführung der Kranken-, Invaliden- und Arbeitslosenversicherung, sowie der schwindenden Zuversicht auf eine baldige revolutionäre Veränderung des Staats- und Wirtschaftssystems, sanken die Mitgliederzahlen der FAUD Mitte der zwanziger Jahre auf weniger als die Hälfte und bis 1930 auf weniger als ein Zehntel der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die FAUD verfügte so bis auf wenige Ausnahmen über keine relevante Massenbasis in den Betrieben mehr.
Demgegenüber wurden die mitgliederstarken ADGB- Gewerkschaften erfolgreich in das kapitalistische Wirtschaftssystem und das politische System integriert, die FAUD trotz ihrer ständigen Appelle gegen die „Wirtschaftsdemokratie“ marginalisiert. Die überwältigende Mehrheit der Arbeiter entschied sich für den generellen Betriebsfrieden und gegen die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise.
Befanden sich die mitgliederstärksten FAUD- Verbände an Rhein und Ruhr schon in den vorangegangenen Jahren in Opposition zur Reichsweiten Theorie und Praxis, so begann von dort ausgehend eine Reflexion über den Grundsatz der Ablehnung von Tarifverträgen einzusetzen. Solange im Gegensatz zu der rapide sinkenden Mitgliederzahl perspektivisch an einen Aufschwung der Bewegung nicht zu denken sei, wollten einige Ortsvereine der FAUD wenigstens einen „Waffenstillstand“ mit den Kapitalisten Vorort aushandeln.
Geschäftskommission lenkt ein
Auch Augustin Souchy als Angehöriger der prinzipientreuen Geschäftskommission der FAUD in Berlin gab 1927 der veränderten Lage in Deutschland nach und befürwortete in einem Beitrag in „Die Internationale“ (Theorieorgan der FAUD) Tarifverträge, wenn sie möglichst kurzfristig angelegt seien, um den Aktionsspielraum noch so groß wie möglich zu halten. Tarifverträge seien bloßer Ausdruck vorangehender Betriebskämpfe. Die kämpfenden Arbeiter hätten, gerade in Anbetracht des reichsweiten allgemeinen Rückgangs revolutionärer Tätigkeiten in den Betreiben, ein Recht darauf, ihre Errungenschaften auch rechtlich abzusichern. Reformen wurden ab Mitte der zwanziger Jahre als legitimes Mittel auf dem Weg zur revolutionären Veränderung angesehen, wenn die Anwendung syndikalistischer Kampfformen keine weiteren Erfolge versprächen.
1929 wurden seitens einzelner FAUD Ortsvereine Tarifverträge abgeschlossen, so im Ruhrgebiet bei den Fliesenlegern und Groß-Berlin (Manteltarifvertrag) bei den Kistenmachern.
Die ADGB- Gewerkschaften machten auch innerbetrieblich in Kollaboration mit den Unternehmern gegen anarcho-syndikalistische Aktivitäten und Kollegen mobil, was zu zahlreichen Entlassungen von FAUD- Mitgliedern führte und damit zum drohenden Verlust der verbliebenen betrieblichen Basis der FAUD auch in deren Hochburgen. Hinzu kam der Alleinvertretungsanspruch der ADGB- Gewerkschaften auch im Tarifrecht, womit von revolutionären Gewerkschaften abgeschlossene Tarifvereinbarungen mit dem Unternehmertum gesetzlich für ungültig erklärt werden konnten.
Beschluß Reichsarbeitsgericht
In zweiter Instanz wurde der FAUD die Tariffähigkeit mit folgender Begründung vom Reichsarbeitsgericht (RAG- Leipzig) abgesprochen: Eine Organisation, deren Bestrebung dahin geht, die Arbeiter zum Klassenkampf im Wege der direkten Aktion zu veranlassen, kann nicht gleichzeitig Bindungen eingehen, wie sie der Abschluß von, wenn auch nur kurzfristigen, Tarifverträgen zur Folge hat. Die der Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) angeschlossenen Verbände, die das geltende Tarif- und Schlichtungswesen nicht als für sie verbindlich anerkennen, sind daher nicht tariffähig.[3]
Schon das Landesarbeitsgericht (LAG) Duisburg hat aus denselben Gründen unter Berufung auf die Prinzipienerklärung der FAUD von 1919 und der programmatischen Grundlage der FAUD (laut Beschluß vom 16. Kongreß 1927) die Tariffähigkeit der FAUD als nicht gegeben angesehen. Die Kompromissstrategie der FAUD wurde durchschaut. Denn obwohl die „Tariffähigkeit als satzungsmäßiges Ziel der Vereinigung“ (FAUD) vom LAG in den Statuten der FAUD ausgemacht worden war, dass aber „trotz des Wortlauts der Satzung der wirkliche Zweck der FAUD nicht, auch nicht nebenher, auf Abschluß ernstgemeinter Tarifverträge gerichtet ist.“ Das Reichsarbeitsgericht formulierte diese Einschätzung so: „Diesem Abschlusse einzelner Tarifverträge können Erwägungen rein taktischer Natur zugrunde liegen, die es haben angezeigt erscheinen lassen, die Durchführung der Grundsätze der Prinzipienerklärung auf Zeit zurückzustellen. Das Landesarbeitsgericht hat sich deshalb mit Recht auf den Standpunkt gestellt, es könne aus dem Abschluß einzelner Tarifverträge noch nicht ohne weiteres gefolgert werden, dass nun auch eine grundsätzliche Bereitschaft bestehe, die durch die Gesetzgebung getroffene Regelung des Tarifvertrags- und Schlichtungswesens als verbindlich anzuerkennen. (...) Solange daher die der FAUD angeschlossenen Vereinigungen sich zu den Grundsätzen bekennen, wie sie vorstehend dargelegt sind, muß auch damit gerechnet werden, dass die diesen Vereinigungen angehörenden Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf bestehende Tarifverträge diesen mit der Bindung an Tarifverträge nicht vereinbarten Grundsätzen entsprechend handeln. (...) muß der Tarifkontrahent, der die im Tarifvertrag bestimmten besonderen Verpflichtungen und die Friedenspflicht übernimmt, dem Vertragsgegner eine Gewähr der eigenen Tariftreue und der Einflussnahme auf die Mitglieder im Sinne des Vertrages bieten.(...) Anmerkung (...) Zu einer solchen Einflussnahme ist er auch gar nicht in der Lage, da die Mitglieder nicht verpflichtet sind, keiner derartigen Einwirkung Folge zu geben.“[4]
Urteilskritik und Ende der FAUD
Fritz Linow (FAUD) kritisierte in einem Beitrag in der „Internationale“ die mangelnde Definition des Begriffs „direkte Aktion“ auf welchen sich das Gerichtsurteil in jeder Beziehung stützte und den Mangel an Beweisen für die unterstellte Absicht, die FAUD wolle Tarifverträge brechen. Die Ablehnung des Schlichtungsverfahrens durch die FAUD sei völlig legitim, da Schlichtungen immer auf Freiwilligkeit beruhen würden. Und Freiwilligkeit könne“ nicht durch einen einfachen Gerichtsbeschluß zu einem Zwang gestempelt werden.“ Der Abschluß von Tarifverträgen auf lokaler Ebene beweise die Tariffähigkeit eher, als dass sie Gründe böten, die Tariffähigkeit nicht anzuerkennen, aufgrund angeblicher und nicht definierter Widersprüche. Er wies ausdrücklich darauf hin, dass der „Tarifvertrag (...) immer nur eine taktische Maßnahme (ist), denn er entspring(e) keinem Prinzip, sondern den Verhältnissen.“[5]
Das RAG wurde darauf hingewiesen, dass auch „tariffähige“ Gewerkschaften im Arbeitskampf Mittel der direkten Aktion anwenden – ohne Erfolg. Demgegenüber gelang es der Industrieföderation der Bauarbeiter (FAUD) von Arbeitsgerichten anerkannt zu werden. Diesen Trend gälte es zu verstärken, um weiteren Mitgliederschwund zu verhindern.[6] In den Folgejahren gelang es der FAUD weder tariflich, noch außertariflich, verstärkt in den Betrieben Fuß zu fassen. Nicht wenige Ortsvereine beteiligten sich sogar an Betriebsratswahlen, in der Hoffnung, den Mitgliederrückgang aufzuhalten. Die Marginalisierung in der Mitgliederstärke schritt jedoch voran und erreichte 1932 einen Tiefstand von Reichsweit etwa 4.300 Mitgliedern, bis sie 1933 verboten wurde.
Doch „leider zeigte sich in letzter Zeit bei uns ein Kurs, der das Schwergewicht auf die Börsen legte und die Industrieföderationen als ihre Anhängsel betrachtete. Das ist vielleicht auch eine Ursache der Stagnation. Berufliche Einseitigkeit kann man gerade uns in der Metallindustrie nicht vorwerfen, die wir unter ganz verschiedenartigen Bedingungen einem mächtigen Unternehmertum gegenüberstehen. Wir erfassen unsere Genossen nicht als Berufsangehörige, sondern als Lohnsklaven einer Industrie. Die Stagnation werden wir vielleicht am besten überwinden, wenn wir wieder mehr auf den Betrieb zurückgreifen und den Börsen die Stellung geben, die ihnen zukommt. Die Börsen sollen nicht Aufsichtsorgane der Föderationen sein, sondern Beauftragte der in den Föderationen zusammengeschlossenen Produzenten.“ (Genosse Busch, Metallarbeiterföderation auf dem 18. Kongreß der FAUD)
„Die FAUD ist leider eine Minderheitsbewegung, aber sie wird die Arbeiter nur in ihren Reihen halten, wenn sie ihre Interessen vertreten kann.(...) Ich bin der Meinung, dass der Anarcho-Syndikalismus nur existenzberechtigt ist, wenn er in der Lage ist, praktisch die Gesetze des Lohnkampfes – und dazu gehört auch die Bestimmung der Lohn- und Arbeitsbedingungen – richtungsgebend zu beeinflussen. Verfehlt ist der Einwurf, dass wir Opportunisten seien, wenn wir die Interessenvertretung pflegen. Ich bin der Meinung, dass der Anarchismus überhaupt erst dann lebendige Gestalt annimmt, wenn seine Grundsätze im Klassenkampf der Arbeiter gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung auf ihre Stichhaltigkeit untersucht werden. Kann der Anarchismus dort mit dem Kapitalismus seine Klinge kreuzen, dann ist er innerhalb der Gewerkschaftsbewegung gesund. Es kommt nur darauf an, Mittel und Wege zu suchen, breitere Kreise der Arbeiterschaft davon zu überzeugen, dass man nicht abwarten soll, was der große Zentralverband tut, sondern dass man aus eigenem die Lohn- und Arbeitsbedingungen gestalten muß. Es kommt darauf an, eine revolutionäre Aktionsgemeinschaft zu besitzen. Von diesem Standpunkt aus haben wir die selbstverständliche Pflicht, die Frage aufzuwerfen, was nun künftig geschehen soll nach der ablehnenden Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts.(Fritz Linow auf dem 18. Kongreß der FAUD)
H. (FAU- Bremen)
Aus: "Direkte Aktion" Nr. 155 (Februar 2003)
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Arbeitsrechtliche Stellungnahme zu dem Urteil bzgl. der FAUD
"Die politische Einstellung des Verbandes ist gleichgültig (Anm.: für die Tariffähigkeit). Auch revolutionäre, kommunistische, syndikalistische, vaterländische Verbände können tariffähig sein. Jedoch wird auch dieser selbstverständliche Grundsatz wesentlich eingeschränkt. Nur sollen die Verbände tariffähig sein, wenn sie das geltende Schlichtungs- und Tarifrecht anerkennen und für Durchführung der Tarifverträge sorgen wollen.
Diese Einschränkungen sind völlig unverständlich. Schlichtungs- und Tarifrecht gelten, ob sie von den Verbänden anerkannt werden oder nicht. Die Parteien sind zur Durchführung der Verträge verpflichtet, wenn sie sie abgeschlossen haben. Ihre Weigerung, sie zu erfüllen, macht sie schadensersatzpflichtig.
Die beiden oben genannten Entscheidungen (Anm.: zur FAUD und zur "Fraktion der oppositionellen Eisenbahner" in Königsberg mit etwa 1130 Mitgliedern) sind völlig unverständlich. Sie stehen auch im Widerspruch zu der Rechtsprechung des RAG, durch die "gewollte Tarifunfähigkeit" nicht anerkannt wird."
Franz Neumann, Tarifrecht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts, Berlin, 1931, S. 34
Literatur:
- Dersch Dr., Hermann u.a. (Hrsg.): Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte, Bd. 9, Mannheim 1930
- FAUD: Unser Weg. Prinzipienerklärung des Anarcho-Syndikalismus, Berlin 1932
- „Die Internationale“, Organ der FAUD Heft 9/ 10, 3. Jg. (1930)
- Klan, Ulrich/ Nelles, Dieter: „Es lebt noch eine Flamme“, Grafenau 1990
- Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der FAUD von 1930, Berlin 1930
- Vogel, Angela: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus, Berlin 1977, S. 189-210
Fußnoten:
[1] Vgl.: Protokoll über die Verhandlungen vom 12. Kongreß der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S. 80 f.
[2] „Der Syndikalist“, 1. Jg. (1919), Nr. 8
[3] Dersch Dr., Hermann u.a. (Hrsg.): Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte, Bd. 9, Mannheim 1930
[4] Dersch Dr., Hermann u.a. (Hrsg.): Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte, Bd. 9, Mannheim 1930
[5] „Die Internationale“, Organ der FAUD Heft 9/ 10, 3. Jg. (1930)
[6] Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der FAUD von 1930, Berlin 1930
Originaltext: www.fau-bremen.de.vu