FAU Bremen - Anarcho-Syndikalismus ist nicht links
Die Begriffe „links" und „rechts" und auch die „Mitte" sind im ureigensten Sinne parlamentarische Begriffe. Die jeweiligen Richtungsangaben leiten sich ganz einfach aus der Rednerperspektive im Parlament ab. Rechts vom Redner saßen die Konservativen, links die Sozialdemokraten, Kommunisten, in der Mitte die Liberalen. Unter diese Begriffe fallen also seit jeher nur parlamentarische politische Vereinigungen. Gewerkschaften und (andere) politische Zusammenschlüsse, welche nach anarchistischen Prinzipien die parlamentarische Betätigung ablehnen, fallen nicht unter diese Kategorie. Sie unterscheiden sich grundsätzlich von sozialdemokratischen oder kommunistischen Strömungen, sind eben nicht zentralistisch und somit staatsbefürwortend, hängen nicht an diversen Dogmen, wie dem historischen Materialismus als einzigem Erklärungsmuster für Geschichte und Zukunft, sehen nicht in Hörigkeit, Autorität und Führerkult ihre Stärke, sondern in Zusammenschlüssen selbstdenkender, selbstbewußter und damit in jeder Hinsicht emanzipierter Individuen, stehen also für eine Bewegung von unten ein, ohne Vermittler, Bürokraten und Führer. Es gibt mit „sozialistischen" Parteien sowenig Gemeinsamkeiten, wie mit nichtparlamentarischen monarchistischen und kapitalistischen Despoten auch. Freiheitlich-emanzipatorische Betätigungen zielten in der ganzen Geschichte niemals auf parlamentarische Tätigkeiten ab, sondern lehnten diese strikt ab. Sowohl unter „linken" als auch unter „rechten" oder „Mitte"-Regierungen wurden freiheitliche Ideen und Aktivitäten unterdrückt, wurden und werden Anarcho-SyndikalistInnen überwacht, verfolgt, eingesperrt oder auch ermordet. Im faschistischen wie im „demokratischen" Italien, im faschistischen wie im „demokratischen" Deutschland, im zaristischen wie im kommunistischen Rußland, im kapitalistischen wie im kommunistischen Cuba, im monarchistischen wie im faschistischen Spanien - ja wie in jedem Staat, jedem zentralistischen Gebilde durch Polizei, Geheimdienste, Bürokratie und Militär. Anarcho-Syndikalismus hat sowohl in der Theorie, als auch in seiner praktischen Tätigkeit mit Marxisten, Kapitalisten oder Faschisten gleichermaßen wenig gemeinsam, richtet sich somit gegen „rechts", „links" und „Mitte" gleichermaßen.
Diese Richtungsangaben werden gezielt dazu eingesetzt, um uns Gemeinsamkeiten zwischen Marxisten/ anderen Autoritären einerseits und Anarcho-SyndikalistInnen andererseits vorzugaukeln, die es gar nicht gibt, die nie bestanden haben. Die Grenzen verlaufen nämlich nicht zwischen „rechts" und „links", sondern immer zwischen oben und unten. Parlamentarier und Regierungen jeder Art, ob „Rechts-", oder „Links"-Regierungen üben Herrschaft aus. Der Anarcho-Syndikalismus vertritt in seinen Prinzipien einen deutlichen Klassenstandpunkt, demnach der Sozialismus entweder frei oder gar nicht sein werde. Es gibt also keine „linke Einheit" im Klassenkampf, sondern an dieser Stelle nur die Selbstorganisation emanzipatorischer Bewegung gegen jede Form von Herrschaft. Das Denken in „rechts" - „links" - Kategorien verschleiert bereits in unseren Köpfen und damit bereits im Ansatz die eigentliche Frontstellung. Aus diesem Denken leiten sich dann immer wieder Trugschlüsse ab, die nur dazu führen, uns vom Regen in die Traufe zu führen - vom Kapitalismus und seinen Gefängnissen in den Staatskapitalismus und die Gulags der Marxisten. „Links" und „rechts" sind Kampfbegriffe, die von den jeweils Herrschenden eingesetzt werden, um unser Denken zu vernebeln und in falsche Bahnen zu lenken. Desweiteren und genauso schlimm ist die Tatsache, daß diese inhaltslosen Begrifflichkeiten die Herausbildung aussagekräftiger und gehaltvoller Bezeichnungen für die Beschreibung der anarcho-syndikalistischen Bewegung behindert. Der Anarcho-Syndikalismus wird zumindest im Titel oder der Titelunterschrift fast jeder Publikation einfach unter „links" subsumiert - und das von Anarchisten, Marxisten, Sozialdemokraten, Konservativen und Faschisten gleichermaßen! Welch ein Hohn auf unsere Prinzipien. Weder der Anarchismus, noch der Anarcho-Syndikalismus sind „links", sondern emanzipatorisch, basisbewußt- und bestimmt, an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, und in der Negation dann auch antistaatlich und antiparlamentarisch, unbürokratisch, undogmatisch und vieles mehr. Es geht eben darum, in unserem Ausdruck Inhalte zu vermitteln, nicht zu vernebeln oder gar falsche Gemeinsamkeiten herbeizureden.
Unser Leben in die eigenen Hände zu nehmen heißt erstmal auch, Begrifflichkeiten und Kategorien selbst zu bestimmen und zu setzen, statt sie uns diktieren zu lassen. Selbstbestimmtes und emanzipatorisches Handeln fängt im Kopf an. Wenn die Gegner unser Denken bestimmen, haben wir schon verloren. Selbstorganisation fängt im Kopf an.
„Totalitarismus"
Das die „Mitte" „rechts" und „links" in den „Extremismus"- Topf wirft, ist bekannt; daß sie sich selbst aber nicht mit dazuzählt ist geradezu verlogen. Die „rechts"-links"- Extreme werden von der „Mitte" als Totalitär bezeichnet - zurecht. Nur wissen wir, daß jede sog. „Demokratie" jederzeit ebenfalls totalitäre Züge annehmen kann, wie in Deutschland im großen 1932/33 und 1956/ 1977 im kleinen. „Totalitär" ist ein Kampfbegriff der „Mitte", um uns grundsätzliche Unterschiede zwischen „Demokraten" und „Extremisten" vorzugaukeln. Auch die sind grundsätzlich nicht gegeben. Die Umwandlung der Bundesrepublik Deutschland in einen „Totalitären Staat" kann jederzeit völlig legal vollzogen werden. Die rechtlichen Mittel dazu sind gegeben (Polizeigesetze, Grundgesetz und Notstandsgesetze), wie auch die Mittel zur Umsetzung in den Startlöchern stehen (Polizei, Geheimdienste, Militär Verwaltungsapparat). „Totalitarismus" ist insofern ebenfalls eine irreführende Begrifflichkeit.
„Demokratien" und „Extremisten" haben aus anarcho-syndikalistischer Sicht viel mehr gemeinsam, als sie trennt. Sie sind zentralistisch-hierarchisch, staatlich, bürokratisch, autoritär, den freien Willen untergrabend, antiemanzipatorisch, bevormundend, kapitalistisch. Unterscheidungen finden sich hierbei nur in Nuancierungen, sowie darin, ob die Wirtschaft privat (Kapitalismus) oder staatlich (Staatskapitalismus) gelenkt wird. Die Klassenverhältnisse sind prinzipiell die gleichen. Der Anarcho-Syndikalismus richtet sich gegen jede Form von Herrschaft und bedeutet Organisierung von unten nach anarchistischen Prinzipien mit dem Ziel, jede Form von Ausbeutung und Unterdrückung abzuschaffen und an ihre Stelle eine Gesellschaft selbstbestimmter, emanzipierter Individuen zu schaffen, welche sich nach freien Vereinbarungen verbinden und wieder lösen können. Eigenverantwortlichkeit und Selbstdisziplin ersetzen Bevormundung und Hörigkeit. Selbstverwaltung in allen Lebensbereichen tritt an die Stelle hierarchischer Gliederungen.
Genauso wie der Marxismus schiebt uns auch die „demokratische Mitte" stets in die „linke" Ecke und präsentiert sich somit selbst stets als Hort von Vernunft und Gerechtigkeit. Die weltweite Ausbeutung und Unterdrückung geht jedoch nicht vom Anarcho-Syndikalismus aus. Auch vernichten wir nicht systematisch Lebensmittel und lassen täglich allein 20.000 Kinder weltweit verhungern, um die Preise auf dem Weltmarkt stabil zu halten. Wir errichten auch nicht korrumpierte Marionettenregierungen in anderen Staaten, um unsere imperialen Interessen weltweit durchzusetzen, ebenso wenig, wie wir denselben Waffen und Folterinstrumente liefern.
Wenn etwas auf dieser Welt vernünftig ist, dann ist dies die Überwindung der herrschenden Verhältnisse und das Werden einer freien Gesellschaft, wie oben kurz skizziert.
Anstelle von „links"
Aber als aller erstes tritt an die Stelle fremdbestimmter Begriffsdefinition das undogmatische und freie Denken und die freie Begriffsbestimmung von unten. „Links" ist lediglich eine inhaltsleere Richtungsangabe und kann vieles bezeichnen: Einen Flügel der NSDAP, diverse Hegelianer, autoritäre Jakobiner, den Leninismus, Stalinismus, Trotzkismus, Maoismus, Castro, „Linksruck", Heiner Geissler, die „Republikaner" im faschistischen Spektrum, Che Guevara, die „Rote Heidi", die Stadt München in Bayern - „links" ist beliebig, ein Gummibegriff und an Relativität kaum zu überbieten.
Statt „rechts"-"links"- Kategorien aufzustellen, sollten wir die wahren Unterschiede benennen, nämlich Arm/ Reich, Kapitalisten/ ArbeiterInnen, Bürokratie/ Sozialhilfe- Arbeitslosenhilfebedürftige, Patriarch/ Ausgebeutete, Parlamentarismus/Anarcho-Syndikalismus, Staat/ freie Gesellschaft, autoritär/ emanzipatorisch, Wille zur Macht/ Wille zur Freiheit und sicherlich noch einiges mehr.
Nur so werden wir nicht unnötig im dunkeln tappen und können den Hebel besser ansetzen, um unsere Vorstellungen einer freien Gesellschaft auch umzusetzen. Die Begrifflichkeit „links" sollten wir dabei ganz einfach links liegen lassen.
H. (FAU- Bremen), 2002
Aus: Bremer Aktion Nr.7 - Oktober 2002
Originaltext: www.fau-bremen.de.vu