Have sex - hate sexism

Wie kann ein positiver, antisexistischer Sexualitätsbegriff aussehen? Wie können wir unsere Sexualität so gestalten, dass es danach nicht heißen muss: „Oh, das tut mir leid, das habe ich nicht gewusst/gemerkt/gespürt/gehört/gesehen!“?

Ich schlage vor: Um Erlaubnis fragen, statt um Vergebung zu bitten (1): Konsens & Zustimmungen meinen das freiwillige und ausdrückliche Einverständnis aller Beteiligten an einem spezifischen sexuellen Akt, ungeachtet dessen mit wem eine Person Sex hat, noch auf welche Art, welche Hilfsmittel dazu verwendet werden, wieviele Personen und Geschlechter bzw. gender expressions involviert sind.

Worst Case

Die Definitionsmacht betroffener Personen über erfahrene sexualisierte Gewalt ist seit langem ein Thema des Feminismus und wird seit einiger Zeit wieder verstärkt diskutiert und neu aufgelegt. Die Debatten um Definitionsmacht haben nicht nur dazu geführt, dass Betroffene sexualisierter Gewalt möglicherweise neuen Mut schöpfen sich selbst in Worte zu fassen um sich parteilichen Menschen anzuvertrauen, sondern auf der Kehrseite auch dazu, dass viele Menschen sich und ihre eigene Sexualität reflektieren und verunsichert darüber nachdenken, ob sie einmal Täter_in waren oder sein werden. Das Konzept Definitionsmacht setzt jedoch erst an einem Punkt ein, an dem ein „Nein“ bereits übergangen wurde, an dem eine Verletzung geschehen ist, Vertrauen gebrochen wurde. Wie kann ein „davor“ aussehen?

Ein Konzept zustimmender Sexualität versteht nach wie vor „Nein heißt Nein“ als eindeutige Botschaft, die es zu respektieren gilt und auf welche keinerlei Erklärungen folgen müssen (natürlich können sie darauf folgen, keine Frage).(2) Dazu kommt nun „Ja heißt Ja“: dieses nach Zustimmung suchende Prinzip verlegt im Sinne der Definitionsmacht die Verantwortung nach einem Übergriff zum_zur Täter_in. So muss nicht die betroffene Person gefragt werden: „Warum hast du nichts gesagt?!“, sondern die Frage wird an den_die Täter_in gestellt und lautet nun: „Hast du aktive Zustimmung bekommen, bevor du irgendwas getan hast?!“

Have sex – but talk about it!

Zwar ist die Thematisierung sexualisierter Gewalt nach wie vor oberstes Gebot und dringende Notwendigkeit – sie ändert jedoch nichts daran, dass Menschen sexuelle Wesen sind, Sex haben, Sex anbieten, Sex wollen. Feminismus bzw. Antisexismus muss jedoch nicht an der Bettkante Halt machen und solche Inhalte mit in die Kiste zu nehmen heißt noch lange nicht, dort keinen Spaß mehr zu haben. Darum: Fordert, vertretet und bietet eine „Ja heißt Ja“ Politik und Praxis! Das heißt: alle Beteiligten sexueller Handlungen müssen beieinander Zustimmung und Erlaubnis suchen und erhalten, bevor es zu sexuellem Kontakt bzw. der Erweiterung eines solchen kommt. Ja genau, das heißt: Ihr müsst fragen! Und auch: eine zustimmende Antwort erhalten, bevor ihr weiter macht.

„Ja heißt Ja“ bedeutet miteinander zu reden, statt stillschweigend anzunehmen, dass die_der Partner_in(nen) (3) die gleichen Bedürfnisse haben wie eine_r selbst. Stellt euch eine grüne und eine rote Ampel vor: Go and Stop. Was passiert wenn sie auf Gelb ist, das heißt die Situation unklar ist? Oder wenn die Ampel ausfällt? Heißt „nicht rot“ dann „einfach über die Kreuzung drüber rasen? Oder die Situation abchecken und sicher gehen?

Natürlich sollte theoretisch jede_r selbstsicher genug sein, an- und auszusprechen, wenn sich etwas gut oder mies anfühlt. Und genau darum sollten Stopp und Nein auch Stopp und Nein bedeuten. Manchmal oder auch häufig ist es einfach nicht der Fall, dass eine_r sich in der Lage fühlt klare Grenzen zu setzen, Gründe können verschiedenste sein: Eine_r ist zu betrunken/breit, zu schüchtern, zu unsicher mit dem_der Partner_in, eingeschüchtert, fühlt sich bedroht usw.

Hier geht’s los…

Stell dir vor, du bist auf einer Party und flirtest. Liegt ein Knistern in der Luft? oder interpretierst du es nur in die Situation hinein? und selbst wenn: was schließt du daraus? Es gibt nur eine Möglichkeit das rauszufinden: Drüber reden. Vielleicht endet nämlich das Knistern für die eine Person nach dem Flirten, für eine andere beim Küssen, für dich vielleicht nach dem Ablegen des ersten Kleidungsstückes… Jede_r wird andere Erwartungen an die Situation haben. Klar ist es möglich, dass eure deckungsgleich sind, es wäre dann erst Recht tragisch, wenn es zu ungewollten Grenzüberschreitungen käme, nur weil ihr nicht geredet hättet…

Der klassische Einwand an dieser Stelle: „Reden macht doch die Situation total kaputt! Man sieht doch an der Körpersprache, was eine Person will!“ Ach ja? Eine verängstigte Person kann: schwitzen, schneller und schwerer atmen, blinzeln, Herzklopfen haben…. Eine erregte Person kann : schwitzen, schneller und schwerer atmen, blinzeln, Herzklopfen haben….

Oder stell dir das folgende Szenario vor: Du bist dabei, jemanden klar zu machen. Ihr seid beide betrunken, findet ein abgeschiedenes Zimmer auf der Party, seid allein im Raum, knutscht, fangt an, euch auszuziehen. Sieht so aus, als hättet ihr beide Lust auf Sex, doch eigentlich kennt ihr Grenzen und Wünsche der anderen Person nicht.

Es ist mitunter schwierig, den Punkt auszumachen, an dem das Begehren unterschiedliche Wege geht, wann eine Grenze überschritten ist. Eine nonverbal empfangene Botschaft kann anders verstanden werden, als die gesendete gemeint war.
Nonverbale Kommunikation ist mehrdeutig. Direkt nachfragen, zuhören und die Antwort respektieren ist der sicherste Weg, zusammen einen guten Abend zu habe

So geht’s weiter… Schweigen und Zwang sind keine Zustimmung!

“Ja heißt Ja” ins alltägliche Handeln zu integrieren bedeutet, für jede weitere Stufe sexueller Aktivität um Erlaubnis zu fragen und diese zu erhalten, bevor irgendeine sexuelle Aktivität mit einer/mehreren Person/en stattfindet bzw. Weiter geht.

Damit schützt du dich und deine Partner_innen. Wenn Leute annehmen, dass kein Nein zu hören heißt, voll durchstarten zu können, kann das fatal enden.

  1. Schweigen, Passivität und Fügsamkeit sind keine geeigneten Ausdrucksweise zuzustimmen, sie haben oft den faden Beigeschmack, jemandem einen Gefallen zu tun. Zustimmung bedeutet: aktive, vollständige Übereinstimmung und Teilnahme an einer Entscheidung. Menschen handeln willfährig aufgrund sozialer Erwartungen und sozialen Drucks, aufgrund Hierarchien und Rangordnungen von Menschen und Erwartungen. Passive Fügsamkeit kann aber auch von Angst hervorgebracht werden. Völlig egal, was hinter Schweigen steht: es ist keine Zustimmung!
  2. Zwang bzw. Nötigung meinen, dass eine Person eine andere zwingt, ihr ihren Willen zu erfüllen. Das widerspricht der Logik des Konsens‘, denn in dieser wollen zwei Menschen aktiv dasselbe. Wenn jemand stundenlang auf weinerliche oder drohende Weise zum Sex überredet wird, ist es nichts anderes, als jemandem den eigenen Willen aufzunötigen. Das kannst du in deinem Job als Autohändler_in machen, im Bett ist das doch der reinste Stimmungskiller! Konsens ist keine Überredungskunst! Sex ist keine Einbahnstraße – hör zu, sei aufmerksam. Nein heißt immer: Stop! Kein Ja heißt immer: Stop! Es geht nicht darum dir die Antwort zu erarbeiten, die du hören willst. Zwang ist kein Konsens!


Remember: Jeder Schritt benötigt jederzeit Zustimmung

Wenn du die Zustimmung zu einer bestimmten Aktivität hast bzw. einer bestimmten Aktivität zugestimmt hast, heißt dass nicht, dass die Nächste auch ok ist. Es ist wichtig, Zustimmung zu jedem neuen Schritt, zu jeder weiteren Stufe sexueller Aktivität zu erhalten und zu geben.

Im Klartext: Nur weil ich mit dir wild rumknutsche heißt das nicht, dass du mir ungefragt unter’s T-Shirt darfst! Aber keine Sorge: Frag einfach nach, ich hab heut noch so einiges vor… Du willst mir das Shirt ausziehen? Frag mich! Mach da kein großes Ding draus, pack deine Sexstimme aus, bitte um Zustimmung. Nur weil wir gestern ne wilde Nacht hatten, heißt das nicht, dass du dich heute auf mich stürzen kannst. Gestern stand ich auf dirty talk, aber bitte halt die Klappe damit heute…

Es gibt nur einen Weg rauszufinden, ob zwei oder mehr heute Nacht das Gleiche im Sinn haben: Fragt, fragt sexy, fragt nach Zustimmung!

Ein paar Worte zum Thema Alkohol…

Die meistgenutzte Vergewaltigungsdroge ist Alkohol. In ca. 90% der Fälle sexualisierter Gewalt ist Alkohol im Spiel- bei Täter_in und/oder der betroffenen Person oder beiden. Das verwundert kaum: Über 80% aller sexuellen Übergriffe passieren zwischen einander gut bis sehr gut bekannten Menschen. Aber: Egal was zwischen wem genau passiert: Betroffene tragen niemals Schuld! Ein_e betrunkene_r Betroffene_r ist zwar selber Schuld, dass er_sie betrunken war, niemals aber für den Übergriff! Es ist niemals ok, etwas gegen den Willen einer Person zu machen! Alkohol ist keine Ausrede! Denkt an die Verantwortung aller Beteiligten, Zustimmung zu sexuellen Aktivitäten zu fordern und zu erhalten! Wenn du Sex genießen willst, aber eigentlich zu voll bist: Notbremse ziehen und dir das Ganze für ein andermal aufheben, das könnte dann doch schöner werden…

All’s well that ends well…

Diesen Text stelle ich hiermit zur Diskussion, denn er ist eher konzeptuell und vorläufig. Er basiert auf Übersetzungen und Gedanken einiger Personen zu den usamerikanischen Kampagnen Got consent? und The Antioch College Sexual Offense Prevention Policy. Merci also an jene, welche die Freundlichkeit hatten mir zu erlauben, die Ideen und notizen für das Mädchenblog zu verwenden.

Fußnoten:
1) In Anlehnung an: „It’s better to seek forgiveness than ask permission“ – ein Satz, der genau die Probleme erzeugt, die wir sexualisierte Gewalt nennen. Sex haben, Mist baun, danach kleinlaut „Ups“ sagen, wenn überhaupt – statt von vornerein anders dran zu gehen…
2) Nach wie vor bleibt aber ausgeschlossen, dass „Nein heißt manchmal Ja“ heißt wie F. J. Wagner in einer Marco W. gewidmeten Kolumne im Sommer 2007 versuchte weiszumachen.
3) ein paar Worte zur hier verwendeten Sprache und Schreibweise: auch wenn viele Personen, die dies lesen, möglicherweise die Meinung vertreten, dass Geschlecht konstruiert ist, sind denke ich ebensoviele (sowowohl: demgegenüber als auch: trotzdem) sich ihrer Männlichkeit oder Weiblichkeit äußerst gewiss und meinen, Hetero-Sex zu zweit sei nun einmal das Beste für sie. Diese Perspektive wird jedoch nicht annähernd der Vielfalt und den Kombinationsmöglichkeiten von Geschlechtern, Sexualitäten, Begehrensformen, Sexpraktiken usw. gerecht. Daher schreibe ich mit dem sogenannten gender-gap um transinterqueere Gegenentwürfe sichtbar zu machen und die Konstrukthaftigkeit heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit sprachlich zu markieren. Folglich werden den geneignten Leser_innen grammatische Widersprüche und syntaktische Unzumutbar- und Sperrigkeiten auffallen, die meines Erachtens aber eben die grammatische Widersprüchlichkeit der heterosexuell organisierten Westdeutschen ‚Norm‘-Gesellschaft auftun. Ich berufe mich auf Steffen Kitty Herrmanns „Performing the Gap“, zuletzt erschienen in: A.G. Gender-Killer: Das gute Leben

Originaltext: http://maedchenblog.blogsport.de/2008/01/08/have-sex-hate-sexism/


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