Anarchafeminismus - Queer Politics - Solidarische Ökonomie

„Als queer Ethos richtet sich die affirmative und transformative Anerkennung grundsätzlich gegen jene gesellschaftliche Wirklichkeit, in der Menschen hierarchisch eingeteilt und kategorisiert werden und in der diese Hierarchien durch Gesetze, Institutionen, Vorstellungen, Positionen u.v.m. verfestigt sind. Hierarchische Teilung und Aufteilung ist nach queerer Auffassung keine unveränderbare Gegebenheit und kein Naturzustand. Insofern bedarf die umfassende Verwirklichung dieses Ethos der Dekonstruktion von Kategorisierungen und Hierarchien und deren Auswirkungen auf Menschen sowie explizit der Bereitschaft jener, die hierarchisch ‚höher stehen’, ihren Status von sich aus reflektierend zu verändern.“ (Gudrun Perko)

„Enthierarchisierung“, „Denormalisierung“ und „Veruneindeutigung“ entwickelt Antke Engel als Strategien Queerer Politik. Gudrun Perko zielt im obigen Zitat ebenfalls auf die Kritik und Schwächung von Hierarchien und Kategorisierungen, die Menschen von Außen aufgezwungen werden. Es ist sehr verwunderlich, dass Queer-Theoretiker_innen und AktivistInnen bis jetzt so wenige Verknüpfungen zu den Traditionen des Anarchismus und des Anarchafeminismus aufgegriffen haben. Die Schwächung von Heterosexismus, Sexismus und vielen anderen Formen der Diskriminierung durch die Strategien der Denormalisierung und Veruneindeutigung von Identitäten stellen eindeutige Herrschaftsstrukturen und Bürokratien in Frage. „Staatsbürger“ lassen sich beispielsweise nur durch die Eindeutigkeit ihrer Identität in Pässen, Personalausweisen, Identitätskarten und amtlichen Datenbanken von Nationalstaaten beherrschen. Zu Ende gedacht laufen die Strategien der Veruneindeutigung und Enthierarchisierung auf die Abschaffung der National- und Suprastaaten hinaus, da diese keine Möglichkeit mehr haben, die Bewegungs- und Handlungsfreiheiten von Personen zu kontrollieren. Diese in den Queer Theorien angelegten Gedanken haben sehr viel mit Anarchafeministischer Gesellschaftskritik gemein.

Anarchafeministinnen wie Carol Ehrlich und Peggy Kornegger in den USA der 1970er Jahre begingen zwar den Fehler, Feministinnen als „natürliche“ Anarchistinnen zu essenzialisieren. Aber sie erkannten von Beginn an die Problematik der Intersektionalität (Verbundenheit) von unterschiedlichen Herrschaftsstrukturen. Nicht nur die Abschaffung des Patriarchats wurde gefordert, sondern die Abschaffung aller Herrschaftsstrukturen. Im Zentrum der Gedanken von Kornegger und Ehrlicher stand die Kritik an Privateigentum, Kleinfamilie, Ehe, romantischer Liebe, Staat und Religion u.v.m. Basisdemokratische Organisationsformen direkter Demokratie und die Ersetzung von Privateigentum durch Kooperativen gehören zu den gemeinsamen Thesen von anarchafeministischen und anarchistischen TheoretikerInnen, wie z.B. Janet Biehl. Gefragt nach dem „Wie von Direktdemokratie“ können auch die Überlegungen zur Verstärkung von Losdemokratie von John Burnheim hilfreich sein. Wenn politische Entscheidungsgremien von Personen besetzt werden, die durch das Los bestimmt werden, und dies systematisch durch einige Generationen die politische Kultur prägt, spielt das Lobbying politischer, industrieller oder sonstiger „Eliten“ nur mehr eine untergeordnete Rolle. Die weit reichende Austauschbarkeit von Personen und die Weisheit des Zufalls würden zu „tiefen basisdemokratischen Bewusstseinszuständen“ von politischen Gemeinschaften führen.

Queere Politiken und Anarchafeministische Praktiken haben keine Chance, sich zu entwickeln, wenn ökonomische Ungleichheiten von Eigentum, Kapital und Einkommen weiterhin menschliche Beziehungen beherrschen. Deshalb müssten Experimente, Gedanken und Praktiken alternativer und solidarischer Ökonomien, will sich queere Politik tatsächlich selbst Ernst nehmen, begleiten. Ein Leben „zwischen“” den Geschlechtern und gegen Heteronormativität widerspricht seiner eigenen „Normalitätsüberwindung“, wenn es auf eindeutige Identitäten der Hierarchien und Bürokratien von Erwerbsarbeit, Markt, National- und Suprastaat baut. Jenseits eindeutiger Identitäten zu sein geht mit den meisten gesellschaftlichen Institutionen und ihren Kontroll- und Herrschaftsbedürfnissen nicht zusammen. Was droht sind nicht nur Verfolgung und Ermordung, sondern vor allem die Entziehung ökonomischer Solidarität. „Wer nicht arbeitet, darf nicht essen!“ – eindeutig zuordenbar und normal, d. h. arbeitsfähig zu sein, wird zur Voraussetzung für eine Existenzberechtigung. Der „soziale und der ökonomische Tod“ droht allen, die Enthierarchisierung, Denormalisierung und Veruneindeutigung tatsächlich leben. Deshalb ist die Bedeutung von solidarischen Ökonomien, welche z.B. mit der Forderung nach Bereitstellung von gratis Gütern der Daseinsvorsorge (Wohnen, Nahrung, Energie, Bildung, für alle benutzbare Druckereien und Radiostationen usw.) oder nach einem weltweiten bedingungslosen Grundeinkommen ohne Bedarfsprüfung übereinstimmen, von großer Bedeutung. Denn solidarische Ökonomien setzen, zumindest vom immer wieder zu erkämpfenden Anspruch her, keine Normalisierung als Bedingung für ökonomisches Überleben. Und dies ist die Voraussetzung für Enthierarchisierung, Denormalisierung und Veruneindeutigung von Personen und Identitäten.

Utta Isop

Aus: Malmoe, Printausgabe 4

Originaltext: http://www.malmoe.org/artikel/verdienen/1744


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