Die libertäre Revolution. Die Anarchisten im Spanischen Bürgerkrieg von Heleno Sana (Buchbesprechung)

„Auf den Schlacht- und Mordfeldern des Spanischen Bürgerkriegs wurde zum letzten Mal um Freiheit, Solidarität, Menschlichkeit im revolutionären Sinne gekämpft; noch heute sind die Gesänge, die für und in diesem Kampf gesungen wurden, für die heutige Generation der einzig noch bleibende Abglanz einer möglichen Revolution“, schrieb Herbert Marcuse 1968. Das Revolutionäre in Spanien verkörperten für den Philosophen vor allem die spanischen Anarchisten, deren Scheitern nicht nur von den Faschisten, sondern ohne Skrupel auch von den Partei-Kommunisten betrieben worden war. Das Scheitern der Republik war der Auftakt zum Triumphzug des Faschismus in Europa, das libertäre Gesellschaftsprojekt der Anarchisten geriet in Vergessenheit. Der in Deutschland lebende Spanier Heleno Sana hat der libertären Revolution im Spanien der 30er Jahre in einem Buch nun ein Denkmal gesetzt.

Der Spanische Bürgerkrieg in den Jahren 1936 bis 1939 war so etwas wie das Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg. Hitlers wie Mussolinis Truppen bombten für Francos Putschisten. Die spanische Diktatur wurde zum Sieg geführt und hatte dann beinahe 40 Jahre lang Bestand. Stalin spaltete die Revolutionäre, um danach mit Hitler einen Pakt zu schließen. Und die westlichen Demokratien schauten zu und hielten still. Der spanische Schriftsteller Heleno Sana hat dieser dramatischen und immer noch wenig beachteten Geschichte eine ausführliche Studie gewidmet: „Im Grunde waren die spanischen Anarchisten - zumindest in der westlichen Welt - die letzten Revolutionäre, die sich bis zur Selbstaufgabe für die Verwirklichung eines menschlichen und moralischen Ideals einsetzten. Was danach kam - Faschismus, totalitärer Kommunismus, spätkapitalistische Konsumgesellschaft - war bzw. ist Verrat an der ewigen Idee der menschlichen Emanzipation, billiger Ersatz für die unausrottbare Sehnsucht des Menschen nach Erfüllung und Glück.“

Der Titel des Buchs, "Die libertäre Revolution", ist mit Bedacht gewählt. Sana zielt damit gerade auf die Defizite in der bisherigen Forschung. Denn die soziale und politische Umwälzung in verschiedenen Regionen Spaniens wurde bisher so ungenügend beachtet wie die fatale und letztlich konterrevolutionäre Rolle der Kommunisten. Sana konzentriert sich in seiner Studie - neben einer detaillierten Rekonstruktion der Chronologie - vor allem auf die Unterschiede zwischen den Anarchisten und ihren angeblichen Verbündeten, den Kommunisten. Als wesentliche Merkmale des spanischen Anarchismus streicht Sana mit Pathos in der Stimme heraus: „ ... den Sinn für Gleichheit und Gerechtigkeit, die Ablehnung von Staat und Behörde, die Bereitschaft zur Revolte, die unbedingte Bejahung der eigenen Würde als oberstes Verhaltensgebot, die mystische Identifizierung mit einem Ideal, die Ritterlichkeit im Umgang mit Freund und Feind, das Ehrgefühl als Maßstab des eigenen Werts und nicht zuletzt die Erhabenheit und das, was wir grandeza de alma nennen. (...) Während die Anarchisten die Erben dieses humanen und freiheitlichen Spaniens sind, verkörpern die Kommunisten den Geist der Inquisition, des Staatsabsolutismus und der Autoritätssucht. Wer diese Koordinaten nicht erkennt, wird auch nicht in der Lage sein, das Wesen der spanischen Revolution von 1936 zu begreifen.“

Stalins Kommandozentrale in Moskau predigte die "absolute Unterordnung des Einzelnen unter die Staatsgewalt und die Parteibürokratie", der Stalinismus war geprägt von "Polizeiterror, Willkür aller Art, Unsicherheit, Angst". Und Sana sieht einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Marxismus (auch klassischer Prägung) und dem spanischern Anarchismus, "zwischen dem Prinzip Autorität und dem Prinzip Freiheit bzw. Revolte" also: die Moral im Leben jedes Einzelnen wurde völlig unterschiedlich bewertet. Man kann über das anarchistische Bekenntnis zur Moral soviel spotten, wie man will, aber nichtsdestoweniger glaube ich, dass das Scheitern des Marxismus und seine unwiderrufliche Diskreditierung als emanzipatorische Bewegung nicht zuletzt auf seine Verachtung der Moral zurückzuführen ist. Und umgekehrt kann man sagen, dass der Niedergang des Anarchismus als kämpferische Bewegung in direktem Verhältnis zum Verfall der ethischen Werte steht, der die heutige Welt kennzeichnet.

Heleno Sana ist bei uns bisher vor allem durch mehrere sehr kritische Bücher über Deutschland und die Deutschen bekannt geworden. Das vorliegende Buch ist nun eine sehr detaillierte Regionalstudie seiner Heimat, die verschiedenen Stufen zur Errichtung einer Diktatur werden minutiös gezeichnet: Wie der schlecht vorbereitete faschistische Putsch zunächst großteils abgewehrt werden konnte; wie die Anarchosyndikalisten dann begannen, das Land politisch umzuwälzen; wie das demokratische Ausland die Abschaffung des Privateigentums beispielsweise nicht hinnehmen mochte; wie libertäre Prinzipien und Ziele nach und nach aufgegeben wurden, wie der Bürgerkrieg zwischen Demokratie und Faschismus 1937 schließlich in einen Krieg der Stalinisten gegen alle Linken umschlug; wie politischer Terror und Korruption die Ideale ersetzten und wie Francos Faschisten diese mörderischen Auseinandersetzungen für sich ausnutzen konnten. Sana verschweigt nicht die Fehler und Versäumnisse der spanischen Anarchisten, doch aus seiner Parteilichkeit macht er von Anfang an keinen Hehl. Bereits in seiner Einführung schreibt Sana: „Gerade wegen meiner bejahenden Einstellung zur spanischen Revolution und meiner persönlichen Verbundenheit mit ihr bin ich moralisch verpflichtet, nicht nur ihre positiven Seiten in Betracht zu ziehen. Nicht nur die Geschichte der Sozialdemokratie und des Kommunismus ist voll von dunklen, unehrenhaften Kapiteln; auch der Anarchosyndikalismus hat ausreichend Gründe, um auf seine Vergangenheit kritisch bis äußerst kritisch zurückzublicken.“

Wiederholt verweist Sana in seiner fundierten Studie darauf, dass der libertäre Anarchismus in den 30er Jahren in Spanien auf fruchtbaren Boden gefallen war, weil vieles davon im Wesen der spanischen Geschichte und Kultur angelegt gewesen sei: der Idealismus etwa oder der Sinn für Gleichheit und Gerechtigkeit oder basisdemokratische Bestrebungen. Und der Leser fragt sich, ob irgendetwas davon heute, in dieser raffgierigen Welt, wieder zum Leben erweckt werden kann. Aber selbstverständlich, meint Sana, und richtet seinen Blick am Ende auf Widerstandsbewegungen der Gegenwart. Der Anarchosyndikalismus ist heute als organische und institutionalisierte Kraft nur ein Schatten dessen, was er einmal war - auch in Spanien. Als durchaus trag- und lebensfähig haben sich hingegen ihre Hauptpostulate erwiesen: Die Widerstandsnetze, die in zunehmendem Maße gegen den neoliberalen und deregulierten Kapitalismus zu Felde ziehen, haben Organisations- und Konfrontationsformen entwickelt, die dem spanischen Anarchismus verwandt sind. (...) Das gilt nicht zuletzt für die Ablehnung der Parteien und des Parlamentarismus als Vehikel der Emanzipation.

Tatsache ist aber auch: Was damals, in den 30er Jahren, als großartige Idee begonnen hatte, ja, was anfangs tatsächlich selbstbestimmt und freiheitlich gelebt worden war, endete in Bürokratismus, Hierarchisierung, Zwietracht und Verrat. Eitle, selbstsüchtige Funktionäre setzten sich an die Spitze der Bewegung, erhoben sich über die Menschen und diktierten ihnen ihren Willen. Heleno Sana verschweigt diese unerfreulichen Erscheinungen nicht und verharrt am Ende seiner Studie trotz alledem in verzweifelter Hoffnung.

Utopisches Denken muss heute als die richtige Antwort auf die Irrationalität, die Entfremdung und die Angst verstanden werden, die das System im Zuge seiner Herrschaft erzeugt hat. Es ist schließlich ein Abwehrakt gegen eine unmenschlich und brutal gewordene Welt. Verzicht auf die Utopie bedeutet nichts anderes, als den inneren Tod zu wählen, oder, was auf dasselbe hinaus läuft, sich mit der mörderischen Zivilisation abzufinden, die der Weltkapitalismus errichtet hat.

Sana hat eine kämpferische Verteidigungsschrift einer verratenen (und nicht - wie der Autor immer wieder betont - gescheiterten) Revolution vorgelegt, eine reiche Materialsammlung, die aber nicht leicht zu sichten ist. Ein Personenregister fehlt leider, es gibt auch kein Literaturverzeichnis und keine Zeittafel. Und auch Zusammenfassungen hätten die Lektüre erleichtern können. So ist ein Buch für Fachleute entstanden, voller Wehmut über vertane Chancen und getragen von der Hoffnung, der Geschichte der Menschheit eines Tages einmal einen anderen Dreh geben zu können. Das libertäre Anliegen blieb auf der Strecke, nicht weil es abwegig, sondern vielmehr weil es zu erhaben und großartig war, um von einem Zeitalter verstanden zu werden, das die Niedertracht und die Destruktion gewählt hat.

Buchbesprechung im Original: Stefan Berkholz

Heleno Sana: Die libertäre Revolution. Die Anarchisten im spanischen Bürgerkrieg, Edition Nautilus, Hamburg, September 2001, ISBN 3-89401-378-8, 320 S.

Originaltext: http://www.free.de/schwarze-katze/texte/as08.html (Änderung: neue Rechtschreibung)


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Superman als Anarchist - "Die libertäre Revolution" von Saña

Es sieht schön aus. Und auf das Buch "Die libertäre Revolution. Die Anarchisten im spanischen Bürgerkrieg" des 1930 in Barcelona geborenen Heleno Saña wurde in libertären Zusammenhängen mit großer Spannung gewartet - ähnlich wie vor Jahren auf den ebenfalls bei Edition Nautilus erschienenen "Durruti"-Wälzer von Abel Paz. Erhofft wurde ein bewegendes Opus Magnum mit vielen neu recherchierten Informationen zur Spanischen Revolution, zu den Kämpfen um soziale Gerechtigkeit und Freiheit. Doch diese Erwartungen werden leider nur bedingt erfüllt.

Wie der Untertitel vermuten lässt, geht es Saña um "Die Anarchisten im spanischen Bürgerkrieg". Die Anarchistinnen, die 1936 in Spanien nicht nur durch die libertäre Frauenorganisation Mujeres Libres eine bedeutende Rolle in der Sozialen Revolution spielten, kommen nur am Rande vor. Der Autor verströmt den Geruch eines selbstgerechten Machos und - da läuft es einem kalt den Rücken runter - eines "libertären" Nationalisten:

"Bis hinein ins 15. Jahrhundert ist die Geschichte Spaniens im wesentlichen die Geschichte eines Volkes, das nichts anderes tut, als sich gegen die fremden Stämme zur Wehr zu setzen, die nach- oder nebeneinander in sein Territorium von überall her eindringen: Kelten, Phönizier, Karthager, Griechen, Römer, Germanen, Araber. Die bewaffnete Auseinandersetzung mit fremden Invasoren und Okkupanten prägte das Wesen des iberischen Menschen. Aus diesen defensiven Kriegen, die fast zwei Jahrtausende dauerten, entwickelte der Spanier seine Widerstandskraft, sein kämpferisches Temperament, seine Liebe zur Freiheit, seinen Individualismus, seinen Stolz, seinen Sinn für Gerechtigkeit, sein Ehrgefühl und - darf ich es sagen? - seine ‚Hidalguía' oder Edelmut, Eigenschaften, die Cervantes in seinem Helden Don Quichotte zusammenfassen wird. Während Cäsar Gallien in nur acht Jahren eroberte, brauchten die sieggewohnten Römer zwei Jahrhunderte, um die Hispanier zu unterwerfen. Der von Titus Livius geprägte Begriff vom ‚furor hispanicus' stammt aus dieser Zeit. Zweitausend Jahre später erfuhr Napoleon Bonaparte, wie schwierig es ist, den Widerstands- und Kampfgeist der Spanier zu brechen. Zurecht hat Angel Ganivet den Widerstandsgeist als die hervorstechendste Charaktereigenschaft der Spanier bezeichnet. Ähnlich charakterisierte der englische Historiker Christopher Dawson Spanien und England als ‚the two most independent Western Countries'." (S. 35)

Eine solche undialektische Sichtweise bzw. Verklärung von Geschichte, die "Völkern" bestimmte Eigenschaften zuschreibt, hinterlässt einen unangenehmen Beigeschmack, ebenso wie die Generalisierung "Das libertäre Bewusstsein des Iberers ist uralt und zeigt sich schon in Ansätzen in den Ursprüngen der spanischen Geschichte." (S. 34) Hier wird "der Spanier" als eine Art "Superman-Anarchist" herbeiphantasiert. Das hat mit realer Geschichte nur noch wenig zu tun.

Vielleicht waren die Erwartungen, die in das Buch gesteckt wurden, zu groß. Zwar gelingt es Saña aus libertärer Sicht die Geschichte der Spanischen Revolution gut lesbar zu skizzieren. In weiten Teilen kompetent beschreibt er die Geschehnisse, Organisationen, Hintergründe und Zusammenhänge des spanischen Bürgerkriegs. Wer sich noch nie mit diesem Thema beschäftigt hat und die erwähnten Ärgernisse ignoriert, wird dieses Werk vielleicht als Offenbarung empfinden. Wer aber die "Klassiker" zur Spanischen Revolution von Enzensberger, Orwell, Augustin Souchy, Clara Thalman und Co. kennt, muss das Buch langweilig finden. Denn es ist vor allem eine Zusammenfassung bekannter Bücher. Die zahlreichen Zitate stammen überwiegend aus gut zugänglichen Quellen.

Bernd Drücke

Heleno Sana: Die libertäre Revolution. Die Anarchisten im spanischen Bürgerkrieg, Edition Nautilus, Hamburg, September 2001, ISBN 3-89401-378-8, 320 S.

Originaltext:
www.graswurzel.net, erschienen in der Graswurzelrevolution Nr. 262 Oktober 2001


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