70 Jahre Soziale Revolution in Spanien

1936 erhoben sich Millionen Menschen gegen den faschistischen Putsch des General Franco

"Wir sind es, die wir diese Städte und Paläste - hier in Spanien und in Amerika und überall - gebaut haben. Wir Arbeiter können andere Städte und Paläste an ihrer Stelle aufrichten. Und sogar bessere. Wir haben nicht die geringste Angst vor den Trümmern. Wir werden die Erben dieser Erde sein ... hier in unseren Herzen tragen wir eine neue Welt. Jetzt, in diesem Augenblick, wächst diese Welt." - Buenaventura Durruti, 1936

Am 19. Juli 2006 jährt sich zum 70. Mal der Beginn der Spanischen Revolution. Wir beschäftigen uns in dieser und in der im Juli erscheinenden Graswurzelrevolution Nr. 311 intensiv und kritisch mit diesem Thema, das für die anarchistischen Bewegungen weltweit von großer Bedeutung war und ist. Aufgrund ihrer Radikalität und ihres hohen Grades an Freiwilligkeit gilt diese Soziale Revolution Libertären in aller Welt als ein Beispiel für die Realisierbarkeit anarchistischer Ideen.

Obwohl es zahlreiche Bücher zum Spanischen Bürgerkrieg und, vor allem in kleinen, libertären Verlagen, auch zur Spanischen Revolution gibt, ist der "Kurze Sommer der Anarchie" bis heute ein Ereignis, das in Schulbüchern und gängigen Geschichtswerken kaum auftaucht. Dabei gehört die Soziale Revolution in der ersten Phase des Spanischen Bürgerkrieges zu den umfangreichsten gesellschaftlichen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts.

Franz Borkenau, ein Augenzeuge, beschrieb seine Eindrücke wie folgt: "Und dann, als wir um die Ecke in die Ramblas (die Hauptverkehrsadern Barcelonas) einbogen, kam eine gewaltige Überraschung: schlagartig breitete sich die Revolution vor unseren Augen aus. Es war überwältigend. Es war, als wären wir auf einem Kontinent gelandet, der sich von allem unterschied, was ich bisher gesehen hatte."

Auch George Orwell erlebte 1937, als die Revolution bereits "abgeflaut" und zu einem großen Teil zwischen Faschisten und Stalinisten zerrieben worden war, noch einen Hauch von Anarchie: "Man hatte das Gefühl, plötzlich in einer Ära der Gleichheit und Freiheit aufgetaucht zu sein. Menschliche Wesen versuchten, sich wie menschliche Wesen zu benehmen und nicht wie ein Rädchen in der kapitalistischen Maschine." (1)

Der faschistische Militärputsch

Der Spanische Bürgerkrieg begann, als am 17./18. Juli 1936 Militärs, unter der Führung von General Franco, versuchten, die junge spanische Republik zu stürzen. Ziel der Franquisten und katholischen Klerikalfaschisten war es, in Spanien eine Diktatur zu errichten.

Anders als 1933 in Deutschland gab es in Spanien jedoch massiven und lange Zeit erfolgreichen Widerstand großer Teile der Bevölkerung gegen die faschistische Machtergreifung.

"Der Militäraufstand (...) war für große Teile der spanischen Arbeiterschaft Katalysator und auslösende Bedingung einer Revolution, die innerhalb weniger Wochen auf lokaler und regionaler Ebene das bestehende politische, soziale und ökonomische System weitgehend abschaffte, die wirtschaftliche und politische Macht an neue soziale Gruppen überführte und das traditionelle System der Herrschaft von Grund auf veränderte" (2), stellt der Spanienforscher Walter L. Bernecker fest.

In den Städten übernahmen revolutionäre ArbeiterInnen die Fabriken. Auf dem Land ergriffen Bauern, Bäuerinnen, LandarbeiterInnen und Tagelöhner die Initiative, gründeten Agrarkollektive und bemächtigten sich des Landes. Durch die Schaffung tausender freier Schulen und die autodidaktische Aneignung gelang den AnarchistInnen eine Alphabetisierungskampagne, die historisch beispiellos ist.

"Die Spanische Revolution schien zeitweise die Politik ihrer eigenen Organisationen überholen zu wollen. Diese Organisationen waren vor allem die 1910 gegründete anarchosyndikalistische Massengewerkschaft CNT [Confederación Nacional del Trabajo, zu deutsch etwa 'Nationale Föderation der Arbeit(er)'] mit mehr als 1,5 Millionen Mitgliedern, die 1927 gegründete FAI [Federación Anarquista Ibérica, 'Anarchistische Föderation Spaniens'], der POUM [Partido Obrero de Unificación Marxista, 'Arbeiterpartei vereinigter Marxisten'], eine Gruppe stalinkritischer Marxistinnen und Marxisten, sowie ein bedeutender Teil der in der sozialistischen Massengewerkschaft UGT [Unión General de Trabajadores, 'Allgemeine Arbeiterunion'] organisierten Arbeiterschaft." (3)

Die Basis der Sozialen Revolution war der spanische Anarchismus, der sich schon vor 1936 zu einer Massenbewegung entwickelt hatte.

Der Anarchismus in Spanien

Nachdem die Ideen und Schriften der russischen Anarchisten Michail Bakunin und Pjotr Kropotkin in Spanien auf fruchtbaren Boden gefallen waren, kam es zwischen 1880 und 1910 zu einer beachtlichen Verbreitung libertären Gedankenguts, vor allem in Andalusien.

Die anarchosyndikalistische CNT zählte 1918 rund 700.000 Mitglieder. 18 Jahre später hatte sich ihre Mitgliederzahl verdoppelt. Die CNT war die größte politische Organisation eines Landes, das zu dieser Zeit etwa 23 Millionen EinwohnerInnen hatte. Zentren des Anarchismus waren das industrialisierte Katalonien, Aragonien und das agrar-feudalistische Andalusien.

Seine AnhängerInnen waren in erster Linie Menschen, die in den Industriebetrieben des Nordostens, in der Landwirtschaft und in den Handwerksbetrieben des Südens arbeiteten.

Die Soziale Revolution wurde von ihrer Spontaneität, ihren Träumen und Hoffnungen beflügelt. Sie funktionierte ohne zentrale Leitung und ohne die Eroberung des Staatsapparates, der im Juli 1936 vorerst in Agonie verfiel.

Die Menschen setzten freiheitlich-sozialistische Ideen in die Tat um: Ordnung ohne Herrschaft, die Utopie einer klassenlosen und herrschaftsfreien Gesellschaft, Dezentralisierung, Selbstverwaltung und gegenseitige Hilfe statt Konkurrenz.

"Ich erlebte nur dieses eine Mal diese Freiheit; es war ein Gefühl des bedingungslosen Aufbruchs, des Bereitseins für eine totale Änderung; es war der Wachtraum eines Volkes. Alles war auf Überraschung eingestellt, und die Überraschungen kamen denn auch ...

Es war etwas Trunkenes in den Menschen, eine mitreißende Fähigkeit zur Hingabe, ein heiterer Irrsinn im Spiel, ein Fanatismus für eine Freiheit, die nie zu einem geordneten Staatsgebilde der alten Vorbilder führen konnte", so der Spanienkämpfer Gustav Regler.

Der rasche, aber teilweise blutige Sieg über die franquistischen Militärs in Barcelona, Madrid, Valencia und anderen Städten machte es möglich, in der republikanischen Zone Spaniens die Utopie einer anarchistischen Gesellschaft zu verwirklichen.

Den schwierigen Bedingungen zum Trotz und unter der Last des Bürgerkrieges steigerte sich in vielen Industriezweigen die Produktion. Ein Grund dafür war der revolutionäre Elan, der große Teile der Bevölkerung ergriffen hatte. ArbeiterInnen und LandarbeiterInnen kollektivierten Industrie und Großgrundbesitz, setzten Räte ein, parallel zur zeitweise bedeutungslosen Regierung.

Im Gespräch mit der GWR beschrieb der spanische Revolutionär Abel Paz die Situation der ArbeiterInnen im Sommer 1936: "Der Alltag der Arbeiter hat sich eigentlich nicht geändert. Sie mussten ja weiter arbeiten. Was sich geändert hat, war, dass sie die Unterdrückung nicht mehr erleben mussten, von den Chefs, von der Polizei, von der Justiz, vom Staat, ... der Staat war weg. Was sich wirklich geändert hat, war der Alltag der Bourgeoisie, weil die Bourgeoisie die Kontrolle verloren hat. Deren Leben hat sich geändert." (4)

Die revolutionären Hoffnungen der AnarchistInnen wurden jedoch nach wenigen Monaten zunichte gemacht.

Die starke Unterstützung, welche die Franco-Truppen durch Portugal, Mussolinis Italien und vor allem durch die hochmoderne, nationalsozialistische deutsche Luftwaffenlegion Condor erhielten, sorgte für einen ungleichen Kampf auf dem Schlachtfeld. England und Frankreich weigerten sich, die spanische Republik zu unterstützen. Nur die stalinistische Sowjetunion und in geringerem Maße Mexiko lieferten der spanischen Republik Waffen. Stalin stellte sicher, dass die mit dem spanischen Staatsgold teuer bezahlten Waffen nicht an die AnarchistInnen, sondern stattdessen an die bis dahin bedeutungslosen spanischen StalinistInnen der PCE [Partido Comunista Español, 'Kommunistische Partei Spaniens'] geliefert wurden.

Der Hispanist Martin Baxmeyer analysiert: "Im republikanischen Lager kam es zu Spannungen. Der PCE (...) verzeichnete als vorrangiger Empfänger sowjetischer Waffenlieferungen einen beträchtlichen Macht- und Mitgliederzuwachs. Seine Politik war während des Bürgerkriegs dezidiert antirevolutionär. Er beharrte auf dem Primat der Kriegsführung, einer zentralen politischen Führung, der Notwendigkeit eines festen Heeres mit militärischer Rangordnung und sah den anarchistisch-revolutionären 'Wildwuchs' mit Unbehagen. Das ZK-Mitglied Jesús Hernández erklärte bereits am 9. August 1936: 'Man kann nicht sagen, dass wir aus sozialen Gründen am Krieg teilnähmen. Wir sind ausschließlich von dem Wunsch beseelt, die demokratische Republik zu verteidigen [...]'".

Spanische Stalinisten und sowjetische Agenten dominierten nun die Führungsspitze des PCE und drängten den Einfluss anarchistischer Gruppen zurück.

Sowohl die PCE als auch die demokratischen Parteien waren gegen die libertäre Revolution. Mit dem Fortschreiten des Krieges gelang es der Regierung und der kommunistischen Partei, über ihren Zugang zu sowjetischen Waffen die Kontrolle über die kriegswichtige Produktion zurückzuerlangen. Dies geschah diplomatisch oder mit Gewalt.

Obwohl sie immer noch der größte Machtfaktor in der republikanischen Zone war, schwenkte die CNT auf eine reformistische Politik ein und entsandte Minister in die von den Kommunisten beherrschte Regierung des Sozialisten Largo Caballero.

Im Mai 1937 kam es in Barcelona zum "Bürgerkrieg im Bürgerkrieg": AntifaschistInnen töteten einander beim Kampf um die Kontrolle strategischer Punkte in Barcelona.

Die Taktiker des PCE nutzten diese Gelegenheit, um eine Hetzkampagne gegen die FAI, vor allem aber gegen den POUM zu starten und ihn als "fünfte Kolonne Francos" zu diffamieren. Die anarchistischen Minister traten zurück.

Im Herbst 1937 begannen kommunistische Truppen gewaltsam die libertären Kollektive auf dem Land zu zerschlagen. 1939 marschierten die siegreichen Franco-Truppen durch Madrid.

Es folgte eine faschistische Diktatur, die erst mit dem Tod Francos 1975 endete.

Schattenseiten

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Die Spanische Revolution war nicht gewaltfrei. Gewalttaten, die zum Beispiel gegen Priester und Nonnen verübt wurden, sind auch nicht mit der damals überwiegend pro-faschistischen Politik der katholischen Kirche zu rechtfertigen. Andererseits werden der anarchistischen Bewegung Spaniens von der konservativen spanischen Geschichtsschreibung Verbrechen während des Bürgerkriegs angelastet, die ihre Mitglieder mit großer Wahrscheinlichkeit nie begangen haben.

Machistische Vorstellungen prägten auch die spanischen Anarchisten. Dieser Machismo lässt sich zum Beispiel erahnen, wenn der Spanienkämpfer Abel Paz im Interview mit der GWR eine antifeministische Sichtweise auf die Rolle der Frauen in der Spanischen Revolution von sich gibt.

Abel Paz: "Die Frauen hatten eine sehr wichtige Rolle. Aber anders, als es der Feminismus heutzutage versteht. (...) In der Revolution an sich waren die Frauen sogar an den Waffen.

Während der revolutionären Phase haben sie neben ihren Männern gekämpft. Und in der 2. Phase, wo die Revolution zum Krieg wurde, da haben die Frauen nicht mehr an der Front gekämpft, aus dem einfachen Grund, dass die Frauen hygienischer, sauberer sind, und die Front ist sehr dreckig. Man kann sich nicht waschen, man kann da gar nichts machen und liegt wochenlang im Dreck. Und dann haben die Frauen eher die Rollen hinter der Front übernommen, die ganzen Aufgaben, die zu machen waren. (...) Diese Forderung, (...) dass genauso viele Frauen wie Männer in den Parlamenten sitzen sollen, ist für mich eine falsche Forderung. (...) Es ist so, dass die Frauen, die schon (im Mittelalter) schlauer waren als die Männer, sich sozial sozusagen einen 6. Sinn angeeignet haben und durch eine bestimmte Art und Weise der Unterwürfigkeit, die sie dann dem Mann gegenüber an den Tag legen mussten, trotzdem Kontrolle über den Mann in vielen Bereichen, vor allem im häuslichen Bereich usw., entwickeln und erhalten konnten. Das zeigt nur, dass die Frauen zum großen Teil eigentlich wesentlich fähiger sind als die Männer."

Es ist kurios, dass Abel Paz das Zurückdrängen von kämpfenden Frauen an die "Heimatfront" damit begründet, dass "die Frauen hygienischer, sauberer sind". "Positiv-sexistisch" und befremdlich ist auch die These, dass ein Geschlecht von Grund auf "schlauer" als das andere sei. Das erinnert als Spiegelung vielleicht nicht ganz zufällig an Hägar den Schrecklichen, der einst bemerkt hat, dass zwei Dinge für alle Zeiten fest stehen:

"1. Männer sind schlauer als Frauen. 2. Die Erde ist eine Scheibe."

Wer sich mit der Situation der Frauen während der Spanischen Revolution beschäftigen möchte, dem sei (nicht nur) der hervorragende Artikel von Vera Bianchi über die anarchistische Frauenorganisation Mujeres Libres (in dieser GWR, S. 12) ans Herz gelegt.

Die Soziale Revolution war nicht deshalb so großartig, weil "Frauen sogar an den Waffen waren", sondern weil große Teile der Bevölkerung von der Basis her die Gesellschaft und das Leben selbst in die Hand nahmen und sich kollektivistisch organisierten.

Vera Bianci beschreibt in ihrem Buch "Feministinnen in der Revolution" die Gruppe Mujeres Libres im Spanischen Bürgerkrieg. Demnach beteiligten sich viele der 20.000 in dieser anarchistischen Frauenorganisation zusammengeschlossenen Frauen nicht am militärischen Abwehrkampf gegen die Franquisten. Sie fanden auch gewaltlose Wege des antifaschistischen Kampfes. Es ging ihnen um die Umwälzung der Gesellschaft in wichtigen Lebensbereichen (z. B. Pädagogik, Medizin, Landwirtschaft) hin zur herrschaftsfreien Gesellschaft.

Der Waffenkult, auch im Zusammenhang mit dem Spanischen Bürgerkrieg, war und ist ein Problem. "Er zeigt lediglich eine Form der Nachahmung männlich-patriarchalischer Kriegsgewalt. Psychologisch mag das verständlich sein, es symbolisiert jedoch keine eigentliche Befreiung", so eine Graswurzelrevolutionärin.

Schon die Anarchistin Emma Goldman stellte fest, dass es solange keine wirkliche Emanzipation geben wird, solange ein Mensch über einen anderen herrscht oder eine Klasse über eine andere. "Und die Emanzipation der Menschheit wird sich so lange nicht verwirklichen lassen, solange noch ein Geschlecht das andere beherrscht."

Fazit

Trotz ihrer Schattenseiten ist die Spanische Revolution ein Lichtblick für Menschen, die nach Alternativen zur Herrschaft des Kapitalismus und nach einem selbstbestimmten Leben suchen.

"Das Leben lehrt die Menschen mehr, als alle Theorien und Bücher es je vermögen. Die, die meinen, das, was sie sich häppchenweise aus Büchern angeeignet haben, einfach in die Praxis übernehmen zu können, machen sich selbst etwas vor; die, die solche Bücher aber mit den Erfahrungen des Lebens bereichern, können ein Meisterwerk schaffen", so ein spanischer Sozialrevolutionär im März 1937.

Bernd Drücke (GWR-Red.)

Anmerkungen:
(1) George Orwell: Mein Katalonien - Bericht über den Spanischen Bürgerkrieg, Diogenes, Zürich 1975
(2) Walther L. Bernecker: Krieg in Spanien 1936-1939, Darmstadt, 1991
(3) Martin Baxmeyer: Bürgerkrieg und soziale Revolution in Spanien 1936-1939. Eine Einführung, in: Bernd Drücke, Luz Kerkeling, Martin Baxmeyer (Hg.): Abel Paz und die Spanische Revolution, Edition AV, Frankfurt/M. 2004
(4) Bernd Drücke: "Der Anarchismus wird nie sterben". Ein GWR-Interview mit dem Anarchisten, "Durruti"-Biographen und Spanienkämpfer Abel Paz (83), in: GWR 291, Sommer 2004

Aus: Graswurzelrevolution Nr. 310 (Juni 2006)

Originaltext: http://www.graswurzel.net/310/spanien.shtml


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