Paul Thalmann - Auszug aus der Broschüre: "Für die Arbeiterrevolution in Spanien"

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist entstanden als Frucht eines fast viermonatlichen Aufenthalts im spanischen Bürgerkrieg. Sie erhebt keinen Anspruch auf gründliches Studium. Die vielfältigen Probleme, die die spanische Revolution aufgewirbelt und vor der Arbeiterklasse neu gestellt hat, bedürfen einer berufeneren und eingehenderen Würdigung. Die kleine Arbeit will nichts weitergeben, als eine Darstellung dessen, was ist und sich vollzieht. Der Wert der Arbeit besteht darin, daß sie zeigen kann, daß in Spanien die proletarische Revolution begann. 

Zum ersten Male in der Geschichte seit dem Oktober 1917 - wenn wir von der chinesischen Revolution absehen, die unter der europäischen Arbeiterklasse geringe Beachtung fand - steht Sowjetrußland von Angesicht zu Angesicht der proletarischen Revolution in einem feudal-kapitalistischen Lande gegenüber. Die Haltung Sowjetrußlands ist für die internationale Arbeiterklasse von größter Bedeutung. Diese Haltung ist angedeutet. Die weitere Entwicklung der spanischen Revolution wird das, was über die sowjetrussische Haltung ausgesagt ist, überprüfen. 

Aus diesem gewaltigen Problem die Erfahrungen und Lehren zu schöpfen, um mit ihnen den Kampf der Arbeiterklasse gegen Faschismus und Kapitalismus zu befruchten, das ist der Sinn der Arbeit.

Ende Dezember 1936.

Franz Heller

Kapitel 10: Die Revolution wird verrraten - Die Stalinisten lösen die Sowjets auf

Der kühne revolutionäre Schwung der Bewegung, der es den Arbeitern und Bauern gestattete, in Barcelona, Madrid und Asturien den Generalputsch gründlich zu liquidieren, die Generäle in die Defensive zu drängen, sich die eigenen Machtorgane in den Räten bildete, verebbte ab Mitte September langsam. Statt die Revolution kühn vorwärts zu treiben, amputierten die Stalinisten, die Bourgeoisie und die Sowjetbürokratie gewissenhaft ein Organ der Revolution nach dem anderen. Anarchisten und POUM sind die teils willigen, teils widerspenstigen Patienten. Der Rücklauf der revolutionären Bewegung ist kalendarisch festzuhalten:

Anfangs September. Bildung der Volksfrontregierung Caballero, die sofort versucht, das alte Heer gegenüber der Miliz wieder aufzupäppeln. (Guardia Zivil wird nur dem Namen nach in die Guardia National Republicana umbenannt; auf der Grundlage der alten Heeresorganisation werden die Militärpflichtigen zum Heer einberufen!)

Mitte September. Das zentrale Milizkomitee in Barcelona löst sich auf. An seiner Stelle wird die katalanische Regierung gebildet. Die POUM läßt die Losung der Arbeiterregierung unter dem Einfluß der SAP fallen und tritt in die Regierung ein.

Ende Oktober. Stalinistisch-anarchistischer Einheitspakt gegen die POUM. Die Anarchisten treten in die Madrider Regierung mit 4 Vertretern ein, lassen die gestellten Bedingungen fallen und nehmen bedingungslos teil.

Anfangs Dezember. Unter dem russischen Druck wird die POUM aus der katalanischen Regierung ausgeschifft. Eine Regierung auf gewerkschaftlicher Grundlage gebildet, das heißt die radikalen Vertreter der Anarchisten gleichzeitig ausgewechselt.

Mitte Dezember. Die Madrider Regierung dekretiert die Umbildung der Miliz in ein republikanisches Heer.

Ende Dezember. Auf Antrag des kommunistischen Unterrichtsministers beschließt die Madrider Regierung die Auflösung der Räte und ihre Ersetzung durch Provinzialräte.

Die Richtung, die Stalinisten - Bourgeoisie - Sowjetbürokratie der Revolution geben wollen, zeichnet sich deutlich ab: Verschärfter Kampf gegen alle revolutionären Tendenzen, gegen die POUM und Anarchisten, gegen die Massen durch die Auflösung ihrer Machtorgane, der Komitees. Nach rechts: Verstärkung der Zentralregierung in Madrid, Bündnis mit den baskischen Nationalisten, Appellationen an den Vökerbund, Illusionen auf die kapitalistischen Demokraten, Hoffnungen auf Nichtintervention. Die politische Linie des schmählichen Blocks: Stalinismus - Reformismus - Bourgeoisie - Sowjetbürokratie arbeitet an der Restauration der bürgerlich-demokratischen Republik und scheut selbst vor der offen kapitalistischen Losung: Verteidigung des Privateigentums nicht zurück!

Wie jede revolutionäre Bewegung hat sich die spanische Revolution spontan ihre eigenen neuen Machtorgane geschaffen, nach den Erfahrungen der russischen Revolution, dem asturischen Aufstand entstanden neben den alten Unterdrückungsorganen die Räte der Arbeiter und Bauern. Diese Räte - in Spanien Komitees - übernahmen in Städten und Dörfern, in Fabriken und Gruben die Macht. 

Später entstanden an der Front und in der Milizarmee die Komitees der Milizionäre. Diese Komitees - die spanische Räteform - waren die lokalen Machtorgane, die alles regelten: Die Anwerbung und Bewaffnung der Milizen, die Säuberung der Orte von den reaktionären Elementen, die Bildung der Sicherheitsmiliz, die Ernährung und Verpflegung der ganzen Bevölkerung und der Milizarmee. Sie bildeten die faktische Gemeindeverwaltung auf den Dörfern und in den Städten.

Die Komitees leiteten die Enteignung des Grund und Bodens, überwachten die Verteilung des Bodens an die Bauern, bestimmten Produktion und Verbrauch. Sie waren die Grundlagen der Macht, der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse. An zahlreichen Orten waren sie überhaupt die einzige Macht, die bestand und für das Weiterleben gesellschaftlicher Formen sorgte. In allen anderen Orten bestanden sie als Organe der Doppelherrschaft neben den alten bürgerlichen Unterdrückungsapparaten und Organen, wobei meist die Komitees die wirkliche Macht repräsentierten. 

Auch dem einfachsten Bauern und dem rückständigsten Arbeiter leuchtet es ein, daß hier seine Organe entstanden waren im Gegensatz zu den alten staatlichen Unterdrückungsmaschinen. Es war seine eigene Kraft und Macht, die er in den Komitees wirken sah. Waren doch die Komitees in ihrer sozialen und politischen Zusammensetzung meist von Arbeitern und Bauern beherrscht, zogen es die republikanischen Antifaschisten vor, in den alten Organen des bürgerlichen Staates zu sitzen und sich dort als die Lenker der Geschicke aufzuspielen, was nur noch fauler Zauber war. 

Eine revolutionäre Partei konnte sich nur auf diese Organe stützen, eine revolutionäre Bewegung mußte von ihnen ausgehen, die Vertiefung der Revolution konnte sich nur durch eine Stärkung der Arbeiter-, Bauern und Soldatenräte erfolgen.

Weder die POUM noch die Anarchisten vermochten diese ungeheure revolutionäre Bedeutung der Komitees einzusehen. Die POUM begnügte sich anfänglich mit der Losung der Arbeiterregierung, ohne sich zur Frage der Räte überhaupt zu äußern. Später verzichtete sie mit ihrem Eintritt in die katalanische Regierung auf diese Losung. Die Anarchisten ließen sich wie gewohnt von den Ereignissen treiben, fürchteten sich unermüdlich vor dem Wiedererstehen staatlicher Autorität, nicht sehend, daß die Räte die demokratische Form waren, die alle Garantien gegen staatliche Autorität und Bürokratie bot. 

Stalinisten und Bourgeoisie versuchten vom ersten Tage an die revolutionäre Bedeutung der Sowjets einzuschränken. Die Milizkomitees unterstellten sie den Offizierscliquen, versuchten das alte Heer wieder zu reorganisieren, beabsichtigten heute da sie genügend Kraft und Macht besitzen, die Milizarmee überhaupt aufzulösen und sie in eine bürgerliche Armee zurück zu verwandeln. 

Laut Beschluß der Madrider Regierung, auf Antrag des kommunistischen Unterrichtsministers sollen die Komitees der Arbeiter, Bauern und Milizionäre aufgelöst und durch Provinzialräte ersetzt werden. Die Provinzialräte stellt natürlich die Madrider Regierung liebenswürdig zur Verfügung. Das ist keine verwaltungstechnische oder organisatorische Frage, hier geht es um das Leben der Revolution. Die Auflösung der Räte bedeutet den Arbeitern und Bauern den Teil der Macht wieder zu entreissen, den sie sich bereits erobert haben. Das ist die Kastration der Revolution! 

Der kommunistische Unterrichtsminister in der Madrider Regierung handelt ja nur im Sinne seiner Auftraggeber in Moskau, die in der Vernichtung der Revolution bereits reiche Erfahrung gesammelt haben. Diese Auftraggeber haben nach demselben Rezept die Revolution in China zerschlagen, mit dem Verbot, jawohl Verbot! der Bildung von Sowjets, Rätechina verhindert und die chinesischen Arbeiter und Bauern dem Tschang-Kai-Chek ausgeliefert. Spanien soll die zweite Auflage dieses blutigen Abenteuers werden.

Die Haltung der Stalinisten wird bestimmt durch die politischen Bedürfnisse der Sowjetbürokratie. Die diplomatischen Bündnisse mit den kapitalistischen Staaten, das grenzenlose Unvertrauen in die Kraft der Arbeiterklasse ließ die stalinistischen Menschewiken die Volksfrontpolitik "entdecken". Wo? In der Rumpelkammer des Menschewismus und Reformismus. Diesen alten Ladenhüter putzten sie neu auf mit dem leeren Wort "Volksfrontpolitik". Was dahinter steckt ist schmutzigste Koalition mit dem Klassenfeind, mit der Bourgeoisie. So auch in Spanien. Die Volksfrontpolitik, der Reformisten und Stalinisten, die jetzt daran geht, die Miliz aufzulösen und eine bürgerliche Armee zu schaffen, die Räte aufzuheben, um sie durch bürokratische Regierungsorgane zu ersetzen, besorgt alles im Bunde und Einvernehmen mit der spanischen liberalen Bourgeoisie. Die Stalinisten besorgen in Spanien die Geschäfte der bürgerlichen Demokratie, sie verraten die proletarische Revolution.

Aus: Medienwerkstatt Freiburg (Hg.): Die lange Hoffnung. Erinnerungen an ein anderes Spanien. Trotzdem-Verlag 1985 (1. Auflage). Digitalisiert von www.anarchismus.at mit freundlicher Genehmigung des Trotzdem-Verlags.


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