Interview mit Vera Bianchi

"Mujeres Libres" (freie Frauen) nannte sich eine anarchistische Frauenorganisation, die sich kurz vor Beginn des Bürgerkriegs in Spanien gründete. In einem Klima sozialen Aufbruchs, aber auch heftiger politischer Kämpfe. Die Gruppe existierte nur drei Jahre, zählte in dieser Zeit aber mehr als 20.000 Mitglieder. Vera Bianchi versucht die "mujeres libres" in ihrem Buch "Feministinnen in der Revolution" dem Vergessen zu entreißen und stellt ihr Werk bei der diesjährigen Linken Literaturmesse vor.


raumzeit: Wann und vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund haben sich die "mujeres libres" gegründet?


Bianchi: 1931 endete in Spanien die Diktatur, im Februar 36 fanden die so genannten Volksfrontwahlen statt, bei denen ein linkes Bündnis gewann. Daraufhin hat sich v. a. die Rechte radikalisiert, im Juli putschte Franco. In diesem Klima haben sich die "mujeres libres" April 36 in Madrid gegründet. Zunächst waren es nur drei Frauen, die eine Zeitung für Frauen innerhalb der CNT, der anarchistischen Gewerkschaft, gründen wollten. Sie waren anarchosyndikalistisch organisiert, fühlten sich dort aber diskriminiert obwohl die Anarchisten in ihren Statuten für Gleichberechtigung waren. Doch im praktischen Leben sah das eben ganz anders aus...


rz: Welche Ziele verfolgten die "mujeres libres"?

Bianchi: Wichtig war ihnen Bildung und Ausbildung, Frauen bessere Möglichkeiten zu verschaffen. Andrerseits wollten sie die Frauen natürlich auch für den Anarchosyndikalismus gewinnen. Zuerst dachten sie nur an eine Zeitung. Später kam als Chance die allgemeine revolutionäre Stimmung nach dem frankistischen Putsch dazu. Sie wurden aktiver, hielten auch Kurse ab und kämpften mit der Waffe in der Hand.


rz: Welches Bild der Frau erscheint in der Zeitschrift der "mujeres libres", gerade auch im Vergleich zur übrigen Gesellschaft?


Bianchi: Ich habe die Zeitschrift der "mujeres libres" ja mit der Zeitschrift einer kommunistischen Frauengruppe verglichen. Diese kommunistische Frauengruppe greift auf traditionelle Klischees zurück, es geht sehr viel um Mode und Schminken. Das kommt bei den "mujeres libres" überhaupt nicht vor. Sie gehen davon aus, dass sich Frauen, genauso wie Männer, für Politik interessieren, vielleicht auch für historische revolutionäre Vorbilder, und dass sie genauso zur Verbesserung der Situation beitragen möchten.


rz: War es in dieser Zeit nicht schwierig solche Ideen unter die Leute zu bringen?


Bianchi: Ganz bestimmt, und es ist erstaunlich wie fortschrittlich die Sachen sind. Sachen, die man auch heute noch interessant oder berechtigt finden kann. Bedenken muss man natürlich, dass im republikanischen Spanien nach dem Militärputsch Juli 1936 eine allgemeine soziale Revolution herrschte. Nicht vergleichbar mit Deutschland, wo die Nazis an der Macht waren. Es war ein völliger Stimmungsumschwung, auch deshalb fanden die "mujeres libres" viel Resonanz.


rz: Kurz nach Gründung der "mujeres libres" im April 36 begann der spanische Bürgerkrieg. Wie verhielten sich die "mujeres libres" im Bürgerkrieg?

Bianchi: Anfangs gab es sogar eine eigene Kolonne, die "mujeres libres" hieß. Aber schon im Herbst 36 wurden die Volksfrontmilizen aufgelöst und in ein ordentliches Heer umgewandelt. Frauen wurde verboten mit der Waffe an der Front zu kämpfen. Sie durften nur noch helfende Tätigkeiten wahrnehmen, waschen, kochen oder als Sanitäterinnen aktiv sein. Daraufhin haben die "mujeres libres" ihr Hauptaugenmerk auf das Hinterland gelegt. Sie haben versucht landwirtschaftliche Kenntnisse zu verbreiten und sie waren in den Fabriken aktiv. Aber gleichzeitig haben sie weiterhin viel Wert auf ihre feministischen Ideen gelegt.


rz: Wie war ihr Verhältnis zu den männlichen Anarchisten?

Bianchi: Sie wurden durchaus misstrauisch beäugt. Viele meinten, macht doch lieber bei uns ganz normal mit. Im Laufe der drei Jahre der sozialen Revolution wurde es nicht besser. Bei Umstrukturierungen in der anarchistischen Bewegung versuchten die "mujeres libres" als vierter Zweig anerkannt zu werden. Doch sie wurden ziemlich unhöflich darauf hingewiesen, dass sie noch nicht reif genug dazu wären die anarchistische Bewegung zu repräsentieren. Es gab aber auch Anarchistinnen, die die Idee einer eigenen Organisation nicht gut fanden. Man ziehe der anarchistischen Bewegung dadurch Mitglieder ab. Und es sei nicht nötig, da nach dem Sieg der Revolution sowieso alle gleichberechtigt seien.


rz: Es hat ja relativ lange gedauert bis die Rolle der Frauen im Bürgerkrieg näher beleuchtet wurde, bis auch die Frauen sich offener äußerten. Woran liegt das?


Bianchi: Sie konnten 40 Jahre lang nicht darüber sprechen, hatten es auch verdrängt und waren es einfach nicht mehr gewöhnt, dass sich jemand dafür interessierte. Außerdem wurden die republikanischen Frauen nach 39 nicht nur angefeindet weil sie auf der Seite der Republik waren, sondern es wurde auch gesagt, sie seinen keine richtigen Frauen. Weil Frauen eben nicht kämpften, sich nicht auflehnten. Gerade diejenigen, die mit der Waffe gekämpft hatten, wurden oft als Huren dargestellt. Klar gab es auch Prostituierte an der Front, aber das hat nun wirklich nichts damit zu tun, dass eine Frau eine Waffe in die Hand nimmt und kämpft. Trotzdem war es für sie natürlich doppelt schwer über ihre Erlebnisse zu berichten.

(anlässlich der Linken Literaturmesse 2003)

*Buchbesprechung: Feministinnen in der Revolution - Die Gruppe Mujeres Libres im spanischen Bürgerkrieg

Originaltext: www.raumzeit-online.de/112003/artikel178.html


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